In alten Zeiten, vor vielen hundert Jahren herrschte einmal ein maurischer Fürst mit Namen Aben Habuz über das Königreich Granada. Er war ein Eroberer, der sich, nach einem Leben voll Kampf und durch Raubzüge reich geworden, nun im Alter nach Ruhe sehnte. Schwach und kränklich wollte der alte Haudegen mit der ganzen Welt in Frieden leben, sich die Lorbeeren seines Ruhms bewahren und in Ruhe den Besitz genießen, den er in früheren Jahren seinen Nachbarn kaltblütig entrissen hatte.
Es begab sich indessen, dass dieser höchst verständige und friedliebende alte Monarch es mit jungen Nebenbuhlern zu tun bekam. Diese Fürsten und Prinzen erfüllte, wie einst ihn selbst, ein großes Verlangen nach Ruhm und Kampf, und sie alle wollten das ihren Vätern früher zugefügte Unrecht rächen und alte Scharten auswetzen.
Ja ganze Provinzen seiner eigenen Lande erhoben sich in Waffen gegen ihn, der sie in den Tagen seiner Kraft und Stärke grausam und hart behandelt hatte. Von allen Seiten war er also von Feinden umringt, und sie drohten ihn bereits aus seiner Hauptstadt zu verjagen.
Der unglückliche Landesvater war krank und bedrückt. Wegen der gebirgigen Umgebung von Granada war dauernde Wachsamkeit erforderlich, da man nie wissen konnte, ob sich in den engen Gebirgsschluchten nicht Feinde verborgen hielten, die plötzlich zum Angriff übergehen konnten.
Unnütz schienen die Wachttürme auf den Bergen und die Feldwachen auf Pässen und Hängen, die nachts mit Feuer und tagsüber mit Rauchzeichen jede Annäherung von Feinden schnellstens zur Königsburg melden sollten. Durch ihre Schläue ließen seine Gegner alle Vorsichtsmaßregeln zum Gespött werden und machten jede strategische Planung zunichte.
Unerwartet brachen sie aus einem unübersichtlichen Engpass hervor, verwüsteten ihm sein Land vor der Nase und machten sich dann mit Gefangenen und reicher Beute in die Berge davon. War je ein friedliebender ehemaliger Krieger in einer unbehaglicheren Lage als dieser nach Ruhe und Beschaulichkeit seufzende alte Eroberer?
Während Aben Habuz von Schwierigkeiten und Sorgen dieser Art gequält wurde und in schlaflosen Nächten zum Himmel um Hilfe flehte, kam eines Tages ein alter arabischer Arzt an den Königshof. Des Weisen Bart fiel bis auf den Gürtel herab, und alles zeugte von seinem hohen Alter. Der gebrechliche, ehrwürdige Greis hatte den ganzen Weg von Ägypten her zu Fuß und ohne irgendeine Hilfe zurückgelegt; als einzige Stütze diente ihm sein mit Hieroglyphen bedeckter Wanderstab.
Der Ruf eines großen Denkers ging dem gelehrten Mann voraus, und auch am granadinischen Maurenhof war der Name Ibrahim Ebn Abu Ayub, so nämlich hieß der Astrologe aus dem fernen Morgenland, wohl bekannt und allgemein geehrt. Man erzählte sich, und manche behaupteten, da gebe es gar keinen Zweifel, dass er seit den Tagen Mohammeds lebe und der Sohn von Aju Ajeeb sei, dem letzten der Gefährten des Propheten. Schon als Knabe war er dem Eroberungsheer Amrus nach Ägypten gefolgt; dort hielt er sich über viele viele Jahre hin unter den hochgelehrten Priestern auf und lernte deren geheime Wissenschaften, ganz besonders aber die so tiefschürfende ägyptische Magie.
Auch glaubte man von ihm zu wissen, dass er das Geheimnis, das Leben zu verlängern kenne, weswegen er inzwischen ein Alter von über zweihundert Jahren erreicht habe.
Dieser Mann wurde vom König ehrenvoll aufgenommen und in hoher Gunst gehalten, was leicht verständlich war, denn allen alten Monarchen, kranken Machthabern und gichtbrüchigen Potentaten sind Ärzte und Gesundbeter hochwillkommen. Der König wollte ihm eine Zimmerflucht in seinem Palast anweisen, aber der Sternkundige zog eine Höhle als Wohnung vor. Er fand sie auf der Granada zugekehrten Seite jenes Berges, dort wo sich heute stolz die Alhambra erhebt. Er ließ von kundigen Arbeitern diesen seinen künftigen Wohnraum zu einer weiten hohen Halle erweitern. Oben in der Decke wurde durch den Fels ein rundes Loch geschlagen, so dass er, wie aus einem Schacht, den Himmel beobachten und die Sterne selbst am Mittag sehen konnte. Die hohen Wände dieses Saales waren mit ägyptischen Hieroglyphen bedeckt. Er stellte drinnen an bestimmten Plätzen Apparate und Gestelle auf, die gemäß seinen Anordnungen von den geschicktesten Handwerkern Granadas angefertigt wurden, deren Ziel und Zweck und Eigenschaften aber nur er allein kannte.
Schon nach kurzer Zeit war der weise Ibrahim der engste Berater des alten Königs, der ihn bei jedem wichtigen Problem um seine Meinung fragte. Einst beklagte sich Aben Habuz bitter über seine ruchlosen fürstlichen Nachbarn und erzählte dem gespannt zuhörenden Magier von der seine Gesundheit aufreibenden Wachsamkeit, die er üben müsse, um sich vor den Übergriffen dieser Raubgesellen zu schützen. Als er zu Ende gekommen war, schwieg der Astrologe nachdenklich, und nach einer Weile erwiderte er mit leiser Stimme: »Wisse, o König, dass ich während meines Aufenthaltes in Ägypten ein wundervolles Kunstwerk sah, das einer der alten heidnischen Priester vor vielen Jahren erdacht hatte. Auf einem Berg über der Stadt Borsa, wo man das große Tal des Nils überschauen kann, stand aus Erz gegossen die Figur eines Widders und darüber die eines Hahnes; beide Tierbilder konnten sich auf Zapfen und Angeln drehen. Und nun staune über das Wunderwerk! Wenn immer dem Land ein feindlicher Einfall drohte, dann schwenkte der Widder in seinem Lager herum und schaute in die Richtung des Angreifers, und der Hahn begann laut zu krähen. Die Bewohner der Stadt hatten also sofort Kunde von der Gefahr und wussten gleich von vornherein die Stellung des Gegners und kannten innerhalb kurzer Zeit die Stoßrichtung seiner Truppen. Es war jetzt leicht, die zweckdienlichen Vorkehrungen zu treffen, um sich zu schützen und den Widersacher zu vernichten. «
»Gott ist groß!« rief der friedfertige Aben Habu, »welch ein Schatz wäre ein solcher Widder, der unermüdlich Wache hielte und kein Auge von den Bergen der Umgebung ließe! Und erst der Hahn, dessen Krähen die wehrhaften Männer meiner Garden zu den Waffen ruft! Allah akbar! wie ruhig und sicher könnte ich mit einem solchen Späher auf dem Turm in meinen Gemächern leben! «
Der Astrologe wartete, bis sich der König etwas beruhigt hatte und fuhr dann fort: »Nachdem der siegreiche Amru – er möge in Frieden ruhen! – die Eroberung Ägyptens vollendet hatte, blieb ich weiterhin bei den alten Priestern des Landes und machte mich mit den Gebräuchen und Riten ihres Götzenglaubens bekannt. Ich suchte jene geheimen Kenntnisse zu erwerben, für die sie so berühmt und gefürchtet waren. So saß ich wieder einmal am Ufer des Nils und unterhielt mich mit einem der erfahrensten Gelehrten. Während des Gesprächs wies er mit seiner ausgestreckten Rechten nach den mächtigen Pyramiden, die Bergen gleich aus der benachbarten Wüste emporragten.
>Alles, was wir dich lehren können<, sagte er, >ist nichts im Vergleich zur Weisheit und zur Wissenschaft, die in jenen mächtigen Steinbauten eingeschlossen und verborgen In der Grabkammer der mittleren Pyramide drüben ruht die Mumie des Hohepriesters, der diese staunenswerten Gebäude errichten half. Dort drinnen mit ihm vergilbt das so wundervolle Buch der Weisheit, das alle Geheimnisse der Kunst und Magie enthält. Dieses Buch wurde Adam nach seinem Fall übergeben und kam dann von Geschlecht zu Geschlecht bis auf Salomon den Weisen, der mit dessen Hilfe den Tempel von Jerusalem erbaute. Wie diese wertvollen Papyri in den Besitz des Erbauers der “Pyramiden kamen, das weiß nur der, dem alle Dinge bekannt sind.<
Als ich diese Worte des ägyptischen Priesters hörte, entflammte mein Herz, und es wurde mir klar, dass ich alles tun müsse, um in den Besitz dieses Buches zu gelangen. Mir standen viele Soldaten und eine große Anzahl eingeborener Ägypter zur Verfügung, über deren Dienste ich bestimmen konnte. Mit diesen Hilfskräften ging ich tatkräftig ans Werk und ließ die undurchdringlich scheinende Steinmasse der bezeichneten Pyramide öffnen; nach großen Anstrengungen und schwerer Arbeit stieß ich endlich auf einen ihrer inneren und verborgenen Gänge. Ich folgte „diesem und betrat ein furchtbares Labyrinth, durch das mich bis in das Herz der Pyramide durchkämpfte und endlich den Weg zur Grabkammer fand. Dort lag seit Jahrhunderten unangetastet die Mumie des Hohepriesters.
„Ich zerschlug die äußere Schutzhülle des einbalsamierten Körpers, entfernte die vielen Binden und Tuchstreifen, in „die sie gewickelt war, und endlich fand ich, der Herzschlag „stockte mir, das kostbare Buch. Es lag auf der eingetrockneten Brust des Leichnams, dessen dürre Hände es umklammerten.
Zitternd vor Aufregung riss ich den Schatz an mich und suchte schnellstens aus der Pyramide zu entkommen. Die Mumie ließ ich in ihrem dunklen und stillen Grabe, auf dass sie dort den jüngsten Tag der Auferstehung und des Gerichts erwarten möge. «
»Sohn des Abu Ayub«, rief Aben Habuz, »du hast viele Länder gesehen und wunderbare Dinge beobachtet; doch wozu nützt mir das Geheimnis der Pyramide und das gelehrte Buch des weisen Salomo?«
»Wohl kann es dir nützen, mein König! Genau studierte ich den Inhalt dieses Buches des Wissens, so dass ich heute in allen magischen Künsten unterrichtet bin und über Geister gebiete, die meine Pläne und mein Wollen fördern und ausführen. Mir ist das Geheimnis des Wunders von Borsa bekannt, und ich kann dir einen Talisman von größeren Wunderkräften bauen als der Widder und der Hahn zu Borsa es waren, die jener Priester einst schuf.«
»Kluger Sohn des Abu Ayub«, sprach Aben Habuz, «solcher Talisman wäre besser als alle Wachtürme auf den Bergen und alle Wächter und Krieger an den Grenzen. Gib mir diesen Schutz, und alle Reichtümer meiner Schatzkammern sollen dir zur Verfügung stehen. «
Der Astrologe ging sofort an die Arbeit, um den Wunsch des Königs zu verwirklichen. Er ließ auf dem höchstgelegenen Teil des Palastes, der sich auf der Kuppe des Albaicin erhob, einen mächtigen Turm errichten. Als Baumaterial verwendete er quaderähnliche Steine, die vor Zeiten in Ägypten behauen wurden und, wie man sagt, von einer der ältesten Pyramiden stammen sollen. Im obersten Teil des Turmes war ein runder Saal, dessen Fenster nach allen Himmelsrichtungen hin ins Freie zeigten. Vor jedem Fenster befand sich ein Tisch mit einer schön gearbeiteten Platte, worauf, wie auf einem Schachbrett ausgerichtet, viele kleine aus Holz geschnitzte Figuren standen; ein symbolisches Heer von Reitern und Kriegern zu Fuß und auf Streitwagen, angeführt von demjenigen Fürsten, der in der jeweiligen Richtung Habuz‘ Nachbar war.
Auf jedem dieser sinnbildlichen Schlachtfelder lag auch eine kleine lanzenförmige Nadel, die bestimmte chaldäische Schriftzeichen trug. Der beschriebene Saal wurde immer verschlossen gehalten; die Türen waren aus Bronze und die Schlösser aus hartem Eisen. Die Schlüssel trug der König ständig bei sich.
Auf der Spitze des Turmes stand, auf einem Zapfen drehbar, die Bronzestatue eines maurischen Reiters. Den festen Schild im starken Arm, die Lanze gesenkt, so schaute der eherne Maure auf seine Stadt hinab, als wache er über ‚,sie. Wenn aber irgendein Feind den Grenzen der Heimat nahe kam, dann drehte sich der Ritter in diese Richtung und legte die Lanze wie zum Kampf ein.
Als das Wunderwerk fertig war, wurde der König ganz ungeduldig. Er wollte sobald wie möglich seine geheime Kraft ausprobieren, er wünschte nun sehnsüchtiger einen feindlichen Überfall herbei, als er je in früheren Jahren nach Ruhe geseufzt hatte. Und bald sollte sein Wunsch ,sich erfüllen.
Eines Morgens zu sehr früher Stunde brachte der den Turm bewachende Posten die Nachricht, dass der Reiter auf dem Giebel nach der Sierra Elvira schaue und die Lanzenspitze nach dem Paso de Lope weise.
»Laßt mit Trommeln und Trompeten zu den Waffen rufen und ganz Granada alarmieren«, befahl mit lauter Stimme König Aben Habuz.
»0 edler König«, sagte der Astrologe, »beunruhige nicht die guten Bürger deiner Stadt, nicht all die Krieger in ihren Quartieren, denn wir können ihre Waffenhilfe entbehren. ‚Entlasse deine Begleiter. Ganz allein wollen wir zu dem geheimen Saal auf dem Turm gehen.«
„,Der greise Aben Habuz stieg langsam die steile Turmtreppe hinauf. Er stützte sich auf den Arm des fast zwei hundertjährigen Ibrahim Abu Ayub. Sie schlossen die Tür
„A auf, diese knarrte laut in den Angeln, und beide traten in die helle Halle.
Das Fenster in der Richtung nach dem Paso de Lope stand offen.
»In dieser Gegend steht der Feind; von dort droht Gefahr«, sagte Ibrahim und wies zu dem weit geöffneten Fenster. »Tritt heran, o König, und betrachte das Geheimnis, das sich dir auf der Tischplatte zeigt. «
Der König Aben Habuz näherte sich dem scheinbaren Schachbrett, auf dem, wie er wusste, die kleinen hölzernen Figuren aufgestellt waren. Interessiert betrachtete er die Truppen und schaute fragend zum Astrologen. Dieser wies stumm lächelnd auf den Tisch, und da bemerkte der König mit Erstaunen, dass sich die ganze Formation bewegte dass die kleinen Figürchen zu leben schienen. Die Streitrosse bäumten sich auf, trippelten und galoppierten; die Krieger schwangen ihre Waffen, und man hörte den klaren Klang von Trommelwirbeln, Trompetenstößen, das Klirren von Schwertern und Lanzen, Kommandorufe und das Wiehern der Pferde. Doch alles tönte leise, nicht lauter, noch deutlicher als das Brummen der Hummeln und das Summen der Fliegen im Ohr des schläfrigen Wanderers, der an einem heißen Mittag im Schatten eines Baumes ausruht.
»Siehe, o König«, sagte der alte Magier, »hier hast du den Beweis, dass deine Feinde dich mit Krieg überziehen wollen. Sie rücken über das Gebirge vor und werden durch die Engpässe von Lope in die Ebene vorstoßen. Willst du Schrecken unter sie bringen, sie zu einem raschen Rückzug ohne Verluste von Menschenleben zwingen, dann schlage die Figuren auf dem Tisch mit dem stumpfen Ende, mit dem Knopf der magischen Lanze. Willst du aber ein Gemetzel unter ihnen anrichten, sollen sich deine Feinde selbst zerfleischen, dann berühre die hölzernen Krieger mit der feinen Spitze des kleinen Speers. «
Ein dunkler Schatten flog über das Antlitz des friedliebenden Monarchen;, hastig fasste er nach der zauberkräftigen Waffe und trat an den Tisch. Der weiße Patriarchenbart zitterte im ehrwürdigen Gesicht des Herrschers über das granadinische Volk, als er leise zwischen seinen Zahnlücken hervorzischte: »Sohn des Abu Ayub ich denke, da wird ein wenig Blut vonnöten sein. «
Wie gesagt, so getan! Der König stieß die Zauberlanze in einige der sich bewegenden Zwerggestalten und bearbeitete gleich darauf wieder andere mit deren stumpfem Ende. Welch Wunder! Die einen fielen wie tot auf den Boden, und die übrigen begannen untereinander zu streiten und erschlugen sich in einem mörderischen Handgemenge.
Es kostete den Astrologen viel Mühe, der Hand des friedlichsten und besten aller Monarchen Einhalt zu gebieten, um ihn von einer völligen Vernichtung seiner Feinde abzuhalten. Doch schließlich gelang es ihm, den König zu beruhigen und ihn zu veranlassen, vom Turm herabzusteigen und Kundschafter durch den Engpass von Lope zu senden.
Diese kehrten mit der Nachricht zurück, ein starkes christliches Heer sei durch das Herz der Sierra bis auf Sichtweite von Granada vorgedrungen; doch plötzlich, ohne erkennbaren Grund, wäre unter den Kriegern und den sie anführenden Fürsten ein Streit ausgebrochen, und nach einem mörderischen Kampf aller gegen alle habe sich die Invasionsarmee in Auflösung über die Grenzen in ihre Heimat zurückgezogen.
Aben Habuz war außer sich vor Freude, als er die Wirksamkeit und die magische Kraft des Talismans auf solche Art bestätigt fand.
»Endlich«, sagte er, »werde ich ein ruhiges Leben führen, denn alle meine Feinde können mir nichts mehr anhaben; ich habe sie nunmehr gänzlich in meiner Gewalt. Oh, weiser Sohn des großen Abu Ayub, was soll ich dir zum Lohn für dieses so segensreiche Kunstwerk schenken?«
»Gering und einfach sind, mein König, die Bedürfnisse eines alten Mannes und Philosophen; stelle mir die Mittel zur Verfügung, meine Höhle und Klause in eine wohnliche Einsiedelei zu verwandeln, dann bin ich völlig zufrieden.«
»Wie edel ist doch die Mäßigung des wahrhaft Weisen!« rief Aben Habuz aus, herzlich froh, dass er so billig davongekommen war. Umgehend berief er seinen Schatzmeister und befahl ihm, alle jene Gelder flüssig zu machen, die Ibrahim zur Vollendung und Ausstattung seiner Klause erbeten hatte.
Der Astrologe ließ nun von geübten Steinmetzen verschiedene Räume aus dem Felsen heraushauen; es entstand so nach künstlerischen, von ihm selbst ausgearbeiteten Entwürfen, eine Zimmerflucht, die er mit der bereits bestehenden astronomischen Halle verband. Die Wände wurden mit schweren Seidenstoffen aus Damaskus verkleidet, Diwane und schwellende Ottomanen luden zu Ruhe und Meditation, zu sinnenden Betrachtungen und philosophischem Denken ein.
»Ich bin ein alter Mann«, sagte Ayub, »und kann mit meinen brüchigen Knochen nicht mehr auf steinernen Lagern ruhen, wie auch diese feuchten Zellenwände im lebenden Fels einer Verkleidung bedürfen, denn unästhetisch wären doch für Künstleraugen wassertriefende Mauern.«
Auch befahl er Bäder einzurichten und versah diese dann mit aller Art von Wohlgerüchen und aromatischen Ölen.
»Ein Bad«, meinte er, »ist notwendig, um der Steifheit des Alters entgegenzuwirken und dem durch das Studium eingeschrumpften Körper wieder Frische und Geschmeidigkeit zu geben. «
Dann ließ er die Zimmer und Säle mit unzähligen und herrlichen Lampen und Ampeln aus Silber und Kristall schmücken, die ihrerseits mit einem wohlriechenden Öl gefüllt wurden, das nach einem von ihm in den Gräbern Ägyptens entdeckten Rezept hergestellt wurde. Das Öl verzehrte sich nie und strömte einen sanften Schein aus, gleich der Sonne in den frühen Morgenstunden.
»Das Tageslicht«, sagte Ibrahim den königlichen Mitarbeitern, »ist zu grell für das Auge eines alten Mannes, und viel angemessener finde ich den ruhigen Schein der Lampen, denn er fördert die geistige Sammlung und die Studien eines Philosophen.«
Der Schatzmeister des Königs Aben Habuz stöhnte und seufzte über die Menge Geldes, die er täglich zur Ausstattung der Einsiedelei hergeben und der Staatskasse entnehmen musste. Bald trug er eine diesbezügliche Klage seinem Herrn vor. Aber Aben Habuz hatte sein Wort verpfändet, und das einmal gegebene Versprechen musste gehalten werden. Mit den Schultern zuckend, antwortete der König dem vor ihm stehenden Hofmarschall:
»Wir müssen Geduld haben. Der Alte baut sich sein Philosophenheim nach Plänen und Vorstellungen, die auf seine Besuche und Studien in Pyramiden und auf ägyptischen Trümmerfeldern, in Tempeln und Pharaonenpalästen zurückzuführen sind. Aber alles hat ja einmal sein Ende, so bestimmt auch die Einrichtung dieser Astrologenhöhle.«
Und der König hatte recht; die Klause war endlich fertig und bildete einen prachtvollen, unterirdischen Märchenpalast.
»Ich bin nun zufrieden«, sagte der anspruchslose Ibrahim Ibn Abu Ayub zu dem Schatzmeister, »ich ziehe mich in meine Zelle zurück und widme von nun an die Zeit dem Studium und der philosophischen Meditation. Ich brauche nichts mehr, gar nichts, außer einen ganz unbedeutenden Zeitvertreib, um mich in den Arbeitspausen unterhalten und nach Stunden ernsten Denkens geistig entspannen zu können. «
»Nun, Ibrahim, verlange was du willst. Alles soll beschafft werden, wonach es dir in deiner Einsamkeit gelüstet.«
»Dann möchte ich noch eine Anzahl von Tänzerinnen haben«, sagte ernst der einsiedlerische Philosoph.
»Tänzerinnen?« fragte der erstaunte Schatzmeister.
»ja, Tänzerinnen«, erwiderte überlegt der Weise. »Es brauchen nicht viele zu sein, denn ich bin ein alter Mann, ein Philosoph von einfachen Gewohnheiten und leicht zufrieden zu stellen. Die ausgewählten Mädchen müssen jedoch jung und schön sein, weil ja nur Jugend und Schönheit das Herz eines alten Mannes höherschlagen lässt und seinen Kennerblick erfreut.«
Während nun der Philosoph Ibrahim Ibn Abu Ayub seine Zeit so weise und zurückgezogen in der Klause hinbrachte, führte der friedfertige Aben Habuz im Turmzimmer hinter fest verschlossenen Türen wütende Scheinkriege. Es war höchst rühmlich für einen alten Mann von ruhigen Sitten, wie er, sich das Kriegshandwerk so leicht als möglich zu machen und von seinem Zimmer aus sich damit zu unterhalten, ganze Heere wie Fliegenschwärme verjagte.
Eine Zeitlang schwelgte er in der Befriedigung seiner Launen und reizte, verspottete und beleidigte sogar seine Nachbarn, um sie zu Überfällen in sein Land zu verleiten. Aber allmählich beeindruckte sie doch ihre militärische Machtlosigkeit dem Granadiner gegenüber, und als Folge der wiederholten Niederlagen wagte endlich niemand mehr, dessen Gebiet in feindlicher Absicht zu betreten.
Viele Monde blieb der eherne Reiter auf der Turmspitze in Friedensstellung und schaute zufrieden auf das schöne Granada herab. Der würdige Monarch wurde ob der Eintönigkeit des Lebens schon ganz verdrießlich, und er empfand das Fehlen des gewohnten Zeitvertreibs wirklich äußerst schmerzlich.
Da, eines Tages drehte sich der Reiter plötzlich herum, senkte sofort seinen langen Speer zum Angriff und deutete beharrlich hinauf auf die Berge von Guadix. Aben Habuz eilte umgehend auf den Turm, lief zum offenen Fenster, aber der magische Tisch davor blieb ruhig; kein einziger Krieger war in Bewegung, unbelebt blieben die Zwergfiguren. Von diesem Umstand etwas verwirrt, schickte er sogleich einen Trupp Reiter los und befahl ihnen, das ganze Gebirge zu durchstreifen und zu durchforschen. Nach dreitägiger Abwesenheit kamen sie endlich zurück und meldeten ihrem obersten Kriegsherrn: »Wir haben den Engpass durchsucht, jeden Berg und jeden Wald durchstöbert«, berichteten sie, »aber wir fanden nichts, weder Helm noch Speer ward sichtbar. Alles, was uns in die Hände fiel, ist ein christliches Mädchen von außerordentlicher Schönheit, das wir um Mittag neben einem Brunnen im Schatten grüner Ölbäume schlafend antrafen, und das wir dir nun als Gefangene mitbringen. «
»Ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit!« rief Aben Habuz mit zitternder Stimme und vor Erregung funkelnden Augen. »Man führe es hierher vor meinen Diwan! «
Die schöne Unbekannte wurde vor den König geleitet. Sie war in all die reiche Pracht gekleidet, die zur Zeit der arabischen Eroberung bei der hispano-gotischen Bevölkerung Iberiens Sitte war. In ihren schwarzen Zöpfen trug sie Perlen von blendend funkelndem Weiß; kostbares Geschmeide glitzerte auf Stirn und Nacken und wetteiferten mit dem Glanz ihrer herrlichen Augen. Über die Schultern hing eine goldene Kette; sie reichte ihr bis zur Hüfte und hielt eine feingeschwungene, silberne Leier.
Die Strahlen ihrer dunklen, glänzenden Augen trafen wie Flammenpfeile das verwitterte und verwelkte, aber noch immer entzündbare Herz des ehrwürdigen Aben Habuz; die schwellende Üppigkeit ihres Wuchses, die aufreizende Elastizität ihres Körpers ließ seine Sinnlichkeit zu neuem Leben erwachen.
»Schönste aller Frauen«, rief er entzückt, »wer und was bist du?«
»Die Tochter eines der Gotengrafen, die noch vor kurzer Zeit dieses Land beherrschten. Die Krieger meines Vaters wurden wie durch Zauberkraft in diesem Gebirge vernichtet und er selbst mit den wenigen Überlebenden in die Verbannung getrieben. Seine Tochter ist nun deine Gefangene. «
»Hüte dich, König! « flüsterte Ibrahim Ihn Abu Ayub dem maurischen Monarchen ins Ohr, »es könnte dies eine jener nordischen Zauberinnen sein, von denen uns berichtet wird, dass sie die aufreizendsten und verführerischsten Formen und Gestalten annehmen, nur um arglose Männer, auf die sie es abgesehen haben, zu betören und zu berücken. Ich meine, Zauberkraft in ihren Augen zu lesen und Hexerei in jeder ihrer Bewegungen. Dies ist ohne Zweifel der Feind, den uns der eherne Reiter meldete. «
»Sohn des Abu Ayub», erwiderte der König überlegen lächelnd, »ich gebe gerne zu, dass du ein weiser Mann, ein großer Philosoph und ein seltener Zauberer bist; aber von Frauen, lieber Freund, scheinst du wirklich wenig zu verstehen. In Kenntnissen über die weibliche Seele tut es mir keiner gleich, nein, auch der weise Salomon nicht, trotz der Vielzahl seiner Frauen und Konkubinen. Was nun dieses liebenswerte Mädchen anbelangt, so sehe ich wirklich keinen Makel an ihr; sie ist schön anzusehen und findet daher Gnade und Gunst vor meinen königlichen Augen.«
»Hör mir jetzt gut zu, mein König!«, erwiderte der Astrologe. »Ich habe dir mit meinen Kenntnissen und dem ehernen Talisman auf dem Turm zu vielen Siegen verholfen und niemals einen Beuteanteil von dir gefordert, wie es eigentlich Brauch und Sitte gewesen wäre. So gib mir denn heute diese verirrte Gefangene, auf dass sie mich in meiner Einsamkeit mit Gesang und Leierspiel aufmuntere und erfreue. Sollte sie aber wirklich eine Hexe sein, dann habe ich die wirksamen Gegenmittel, die all ihren Zauber unwirksam machen. «
»Was! « schrie der König Aben Habuz, »noch mehr Weiber willst du haben? Hast du denn an den Tänzerinnen, die dir die Zeit vertreiben, nicht genug?«
»ja, Tänzerinnen habe ich allerdings genug«, sagte ernst der Einsiedler, »aber es fehlen mir Sängerinnen, und mein Geist bedarf dringend der Entspannung und Erfrischung, wenn er von meinen anstrengenden Studien und schwerer Denkarbeit ermüdet ist. «
»Genug, alter Eremit!« rief erzürnt der König und sagte, jedem Wort Nachdruck verleihend:
»Dieses schöne Christenmädchen ist für mich selbst bestimmt. Ich finde großen Gefallen an ihr, und sie soll mich trösten gleich der Sunamitin Abisag, deren Gesellschaft den alten Tagen Davids, des Vaters Salomons des Weisen, Glanz verlieh. «
Weitere Bitten des Astrologen blieben erfolglos; der König wollte um keinen Preis das schöne Mädchen hergeben, und schließlich trennten sich der König und der Magier, erzürnt und zerstritten wegen einer Frau. Ibrahim schloss sich in seiner Klause von der Welt des Hofes ab, um brütend und philosophierend darüber zu sinnen, wie es denn hatte angehen können, dass sein königlicher Freund seine wohlgemeinten Ratschläge so leichtsinnig missachtet hatte. Aber wo gibt es einen verliebten Greis, der auf einen Freundesrat hört? Aben Habuz war ein Sklave seiner Leidenschaft. Er wollte sich mit allen Mitteln bei der gotischen Schönen einschmeicheln, ihr gefallen und sich in den Besitz ihres Herzens setzen. Er war zwar nicht mehr jung, aber er besaß Geld, Gold und Schätze, und wenn ein alter Liebhaber wirbt, dann ist er auch gewöhnlich sehr freigiebig. Der Zacatin von Granada wurde nach den kostbarsten Erzeugnissen des Orients durchwühlt: Seidenstoffe, Juwelen, herrliche Edelsteine, auserlesene Wohlgerüche, alles, was Asien und Afrika Kostbares und Seltenes boten, wurden der spröden Grafentochter zu Füßen gelegt. Künstler ersannen Schauspiele und Festlichkeiten zu ihrer Unterhaltung. Es gab Musik, Gesang, Tanz, Kampfspiele und Stiergefechte. Granada feierte so ausschweifende Feste wie niemals zuvor, noch je danach. All das schien die Prinzessin nicht zu berühren. Sie nahm diese Huldigungen hin wie jemand, der solche Pracht selbstverständlich gewohnt ist. Es war für sie der Tribut, den man ihrer Schönheit schuldete. ja, es schien, als ob sie ein geheimes Vergnügen daran fände, den König zu Ausgaben zu veranlassen, die seinen Schatz hinschwinden ließen und deren Zahlung dem Hofmarschall immer mehr Kopfzerbrechen bereitete. Dabei behandelte sie seine übermäßige Freigebigkeit wie etwas, was sich ganz von selbst verstünde, ohne dass der König mit seinem Eifer und seiner Großzügigkeit auf die so verehrte Schöne den geringsten Eindruck gemacht hätte. Sie zürnte ihm zwar nie, auch machte sie keine finsteren Mienen, aber sie lächelte auch nie, und kein freundliches Wort kam über ihre kalten und schön geschwungenen Lippen. Sooft der königliche Liebhaber seinen Gefühlen Ausdruck verleihen und von seiner heißen Liebe sprechen wollte, griff sie in die Saiten ihrer silbernen Leier und entlockte ihr wundervolle Töne. Augenblicklich fing dann der König zu nicken an, Schläfrigkeit übermannte ihn, und bald sank er in tiefen Schlummer. Herrlich erfrischt erwachte er später wieder, und für Tage schien alle Leidenschaft aus seinem Herzen gewichen zu sein. Dem Liebeswerben war dies allerdings nicht förderlich, doch begleiteten angenehme Traumbilder diesen Zauberschlaf, die den Sinn des müden Liebenden derart fesselten, dass er weiter träumte, während ganz Granada über ihn lachte und den Schätzen nachtrauerte, die er für ein Spiel auf der Leier vergeudete.
Da kam es schließlich zu einem gefahrvollen Ereignis, vor dem der bronzene Maurenreiter seinen Herrn und König nicht warnen konnte. In der eigenen Hauptstadt kam es zu einer Rebellion und zu einem Volksaufstand. Ein bewaffneter Pöbel umzingelte den Palast des Aben Habuz und schrie blutrünstig nach den Köpfen der königlichen Bewohner. In der Brust des alten Recken glomm immer noch ein Funke kriegerischen Geistes. An der Spitze einer kleinen Schar treuer Leibwächter machte er einen tapferen Ausfall, jagte die Rebellen in die Flucht und erstickte die Empörung im Keime.
Als die Ruhe wiederhergestellt war, suchte er sogleich den Astrologen auf, der sich noch immer in seiner unterirdischen Klause vom Hofleben abgewandt aufhielt und, wenn er auch nicht gerade auf Rache sann, doch darüber nachdachte, wie er in den Besitz der schönen Gotin gelangen könnte.
Versöhnlich gestimmt, sprach zu ihm Aben Habuz: »Wie weise du doch bist, Sohn des Großen Abu Ayub! Wohl hast du mich vor dieser gefangenen Schönheit gewarnt und Gefahren vorhergesagt, die von ihr ausgehen würden; verkünde mir nun du, der du jedes kommende Übel schon im Schoß der Zeit vorhersehen kannst, was ich tun soll, um in Frieden leben zu können.«
»Entferne die Ursache allen Übels und schicke diese ungläubige Frau fort. «
»Lieber lass ich von meinem Königreich«, rief Aben Habuz. »Du schwebst in der Gefahr, beides zu verlieren«, erwiderte der Astrologe.
»Zürne mir nicht, weisester aller Philosophen. Erwäge die doppelte Not, das zweifache Unglück in der Brust eines Menschen, der zugleich König und Liebender ist. Zeige mir Mittel und Wege, mich vor drohendem Unheil zu schützen. Ich verlange nicht nach Ruhm, es gelüstet mich nicht nach Macht! Ich sehne mich nur nach Ruhe, nach einem stillen Zufluchtsort, wohin ich mich von der Welt und allen ihren Sorgen, ihrem Prunk und ihren Unruhen zurückziehen kann, um dort den Rest meiner Tage in Frieden und Liebe zu verbringen. «
Mit gerunzelter Stirn und unter den dichten Augenbrauen blinzelnd, blickte ihn der Astrologe an und sprach: »Und was gibst du mir, wenn ich dir einen solchen Zufluchtsort verschaffe, ehrwürdigster aller Könige?«
»Du selbst sollst deinen Lohn bestimmen, und was es auch sein mag, bei meiner Seele, es soll dir gehören, wenn es sich im Bereich meiner Macht befindet. «
»Hast du schon etwas von dem Garten von Jrem gehört, o König, jenem Wunder des glücklichen Arabiens?«
»Ich habe davon gehört; schließlich spricht auch der Prophet im Koran davon, in jenem Kapitel, das mit >Die Dämmerung des Tages< überschrieben ist. Zudem: Viele Mekkapilger, erzählten wunderbare Dinge von diesem Garten Gottes. Allerdings hielt ich bisher all dies für Fabeln, wie solche von Reisenden erzählt werden, die entlegene Länder besucht haben.«
»Du handelst nicht klug, mein König, wenn du den Berichten der Pilger misstraust«, erwiderte ernst der Astrologe, »sie enthalten kostbares Wissen, das von den Enden unserer Erde herbeigeholt ist. «
Und sich ruhig den langen Bart streichend fuhr er fort: »Was nun den Palast und den Garten von Jrem im speziellen anbelangt, so ist das, was man von ihm berichtet, die volle Wahrheit. Ich habe mit diesen meinen Augen Palast und Gärten gesehen. Höre auf den Bericht meines Abenteuers, denn er hat Bezug auf den Gegenstand meines Begehrens!«
Ibrahim überlegte eine Weile, schöpfte dann tief Atem und begann mit leiser Stimme seine Erzählung:
»In meinen jungen Jahren, als ich nichts als ein umherziehender Beduine war, hütete ich die Kamele meines Vaters, dessen Seele Allah gnädig sein möge. Als wir einmal durch die Wüste von Aden zogen, entfernte sich eines der besten Tiere von der Herde, verirrte sich und ging verloren. Vergebens suchte ich mehrere Tage nach ihm; müde und abgehetzt legte ich mich eines Mittags neben einen spärlich rieselnden Brunnen unter eine schattige Palme und schlief bald ein. Als ich erwachte, fand ich mich an den Toren einer Stadt. Ich trat ein und erblickte prächtige Straßen, Plätze, Märkte und Hallen; aber alles war still und kein Mensch war zu sehen; es schien sich um eine verzauberte Stadt ohne Einwohner zu handeln.
Lange Zeit schlenderte ich durch die Gassen und kam endlich zu einem prachtvollen Palast mit einem großen Garten, der mit Springbrunnen und Fischteichen, Lauben und Rosenhecken geschmückt war; Obstbäume standen darin mit den köstlichsten Früchten, aber auch hier war niemand zu sehen und kein Laut zu hören. Geängstigt und erschrocken eilte ich fort, und als ich die Stadt durch das Tor verlassen hatte, wandte ich mich nochmals um, denn zu schön für eines Sterblichen Auge war alles gewesen. Noch einen einzigen Blick wollte ich auf Stadt und Gärten werfen, aber nichts mehr war davon zu sehen. Nur die stumme Sandwüste breitete sich vor meinen Augen aus.
In der Nähe traf ich kurze Zeit danach einen alten Derwisch, der mit den Geheimnissen des Landes wohlvertraut war, und erzählte ihm, was ich gesehen hatte.
>Da<, sagte er mir, >war der weltberühmte Garten von Jrem, eines der vielen Wunder der Wüste. Nur von Zeit zu Zeit zeigt er sich einem Wanderer, wie er sich dir gezeigt hat, und erfreut ihn mit dem Anblick von Türmen, Palästen, Mauern und Gartenanlagen mit Obstbäumen und farbenprächtigen Blumen, um dann plötzlich wieder zu verschwinden, derart, dass nichts zurückbleibt als die einsame und öde Wüste. Und wenn du die Geschichte dieses kleinen Pardieses wissen willst, dann höre:
In alten Zeiten, als dieses Land noch von den Additen bewohnt war, gründete der König Scheddad, der Sohn Ads, eines Urenkels von Noah, hier in dieser Gegend eine große Stadt. Als sie vollendet dastand und er die Schönheit und Größe seines Werkes sah, schwoll sein Herz vor Stolz und Anmaßung. Sogleich beschloss er, einen königlichen Palast zu bauen und diesen mit Gärten und Anlagen zu umgeben, solcher Art, dass sie alles in den Schatten stellen würden, was uns der Koran vom himmlischen Paradies erzählt. Doch Hochmut kommt vor dem Fall, lehrt uns das Sprichwort, und den stolzen König traf des Himmels Fluch.
Er und seine Untertanen vergingen und verschwanden von der Erde, und seine Stadt, seinen prächtigen Palast und die herrlichen Gärten bannt ein ewiger Zauber, der sie vor jedem Menschenauge verbirgt. Nur manchmal steigen sie aus dem Nichts auf, und dann sieht ein Sterblicher des vermessenen Königs Werk, damit so dessen Sünde in steter Erinnerung bleibe.<
Diese Geschichte des alten Derwischs und die Wunderwerke, die ich selbst gesehen habe, blieben in meinem Gedächtnis haften, und in späteren Jahren, als ich bereits in Ägypten gewesen und im Besitz des Buchs des Wissens des weisen Salomon war, beschloss ich, wieder in die Wüste bei Aden zu gehen, um den Garten von Jrem nochmals zu suchen.
Ich brach auf und fand ihn bald meinem sehenden Blick erschlossen.
Ich zog ein in den Palast des Scheddad und brachte mehrere Tage in diesem kleinen Paradies zu. Die Genien, die des Königs Heim bewachten, gehorchten meiner magischen Kunst und offenbarten mir die Bannsprüche, deren Zauberkraft den Garten ins Dasein rief und ihn dann wieder unsichtbar machte.
Eine solche Königsburg und gleiche Gärten kann ich für dich, friedfertigster aller Könige, hier auf den Berg oberhalb deiner Hauptstadt leicht hinbauen. Kenne ich nicht alle die geheimen Zaubersprüche? Und bin ich nicht der einzige Besitzer des Buchs des Wissens, das schon den weisen Salomon berühmt machte?«
»Oh, großer Sohn des weisen Abu Ayub», rief Aben Habuz mit vor Begierde zitternder Stimme, »du bist fürwahr ein großer Mann, der weite Reisen unternommen und viel gesehen und gelernt hat! Verschaffe mir ein solches Paradies und fordere jeden Lohn! Dein soll er sein, und verlangtest du auch die Hälfte meines Königreichs.«
»Ach was!« erwiderte der andere, »du weißt, ich bin ein alter Mann und ein Philosoph, der dürftig lebt und leicht zufrieden gestellt werden kann. Gib mir als Lohn das erste Lasttier mit seiner Bürde, das durch das magische Portal des Palastes schreitet.«
Der König bewilligte mit Freuden einen von soviel Zurückhaltung zeugenden Wunsch, und der Astrologe begann sogleich sein Werk.
Unmittelbar über seiner Klause ließ er auf dem Gipfel des Hügels einen großen und weiten Torweg bauen, der mitten durch einen festen Turm führte.
An der Außenseite war ein Portikus mit hohem Bogen, und drinnen ein Innenhof, den starke Türflügel abschlossen. In den Schlussstein des Portals meißelte der Astrologe eigenhändig einen großen Schlüssel; den zentralen Keilstein des äußeren Bogens der Halle – er war höher als der des Tores – versah er mit einer riesigen Hand.
Diese beiden Zeichen verkörperten mächtige Zaubermittel, über die er viele Sprüche und Formeln in einer unbekannten Sprache murmelte.
Als dieser Eingang vollendet war, schloss er sich zwei Tage lang in seiner astrologischen Studienhalle ein und beschäftigte sich ununterbrochen mit geheimen Beschwörungen. Am dritten Tag endlich stieg er den Hügel hinauf und verweilte von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang auf dessen Gipfel. Erst in später Nachtstunde kam er herunter und ließ sich sogleich dem König Aben Habuz melden.
»Endlich, mein König«, sagte er, »ist meine Arbeit vollendet. Auf dem Gipfel des Hügels erhebt sich einer der wunderbarsten Paläste, die je eines Menschen Geist erdacht oder das Herz eines Sterblichen erfreut hat. Du findest prächtige Säle, herrliche Hallen und Gänge, köstliche Gärten, kühle Brunnen und wohlriechende Bäder. Kurzum: Der ganze Berg ist in ein himmlisches Paradies verwandelt. Gleich dem Garten von Jrem schützt ihn ein mächtiger Zauber, der das Lustschloss vor den Augen und den Nachforschungen der gemeinen Sterblichen verbirgt und nur die dort alles Schöne genießen lässt, denen der Zauber kein Geheimnis ist.«
»Genug!« rief Aben Habuz erfreut, »morgen früh mit Tagesanbruch wollen wir hinaufsteigen und dein Meisterwerk besichtigen.«
Wenig schlief der glückliche König in dieser Nacht. Kaum vergoldeten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die verschneiten Gipfel der Sierra Nevada, als er schon zu Pferd stieg und, nur von einem kleinen Gefolge begleitet, den steilen und schmalen Weg zum Gipfel des Berges hinaufritt.
Neben ihm trabte auf einem weißen Zelter die gotische Prinzessin, angetan mit einem herrlichen, von Juwelen blinkenden Seidenkleid; die silberne Leier trug sie an einer mit Perlen besetzten Goldkette, leicht über die Schulter gehängt.
Gestützt auf seinen Hieroglyphenstab schritt langsam zu Fuß der Astrologe dahin, denn er bestieg nie ein Pferd.
Aben Habuz blickte sich um. Er suchte auf der Höhe des Berges den Palast, die Türme, die schattigen Terrassen und duftigen Gärten. Doch nichts war von all dem zu sehen.
»Darin liegt eben das große Geheimnis«, sagte der weise Ibrahim, »und darin liegt auch die Sicherheit des Ortes, denn niemand kann das Schloss und die Anlagen sehen, der nicht den zaubergeschützten Torweg durchschritten oder )die Bergkuppe erobert hat.«
Als sie sich dem Eingang näherten, blieb der Magier stehen und zeigte dem König die in Stein gehauene mystische Hand und den Schlüssel und sagte zu seinen Begleitern, lauf Portal und Bogen hinaufweisend: »Das ist der Zauberbann, der den Eingang ins granadinische Paradies schützt.
Jene steinerne Hand muss zum Schlüssel im Keilstein heruntergreifen und ihn fassen, dann erst zerbricht der Zauber. Weder menschliche Gewalt noch Zauberkunst können, ohne dass dies geschieht, dem Herrn dieses Berges Schaden zufügen.«
Während der alte Aben Habuz mit offenem Munde und stummer Verwunderung die mystischen Zeichen anstarrte, schritt das Pferd der Prinzessin langsam weiter und trug sie in das Portal hinein, durch den Portikus hindurch bis in die Mitte des Außenwerkes.
»Sieh dort«, rief in eben diesem Augenblick der weißbärtige Astrologe, »da geht der mir verheißene Lohn. Das erste Tier, das durch den magischen Eingang schreitet, gehört mit seiner gesamten Last mir! «
Aben Habuz lächelte bei diesen Worten Ibrahims; er hielt .,alles für einen scherzhaften Einfall des alten Mannes.
Aber als er sah, dass das kein Spaß war, rief er zitternd vor Wut und Zorn: »Sohn des Abu Ayub! Betrüge mich nicht, lege dich nicht mit mir an! Du kennst genau den Sinn meines Versprechens. Gemeint war das erste Lasttier, das mit seiner Bürde durch das Portal schreitet. Das und nichts anderes wollte ich sagen. Nimm den stärksten Maulesel -‚aus meinen Ställen, belade ihn mit den kostbarsten Schätzen meines Reiches, und sie sind dein; aber erdreiste dich nicht, mir jene Frau abzufordern, die die Wonne und das Glück meines Herzens ist. «
»Was soll ich mit all dem Reichtum aus deiner Schatzkammer«, rief verächtlich der Magier aus Arabien, „habe ich nicht das Buch Salomons des Weisen, mit dessen Hilfe ich über alle verborgenen Schätze der Erde gebiete? Dein königliches Wort ist verpfändet, und die schöne Christin gehört dem Wortlaut des Vertrages nach nun mir. Sie ist mein Eigentum von diesem Augenblicke an.«
Die Prinzessin blickte stolz von ihrem Zelter herab, und ein leichtes Lächeln des Hohnes kräuselte ihre rosigen Lippen bei diesem Streit der beiden alten Männer um den Besitz der durch sie verkörperten Jugend und Schönheit.
Der König konnte sich indessen nicht länger beherrschen; der Zorn übermannte ihn, und alle Vorsicht vergessend rief er laut: »Du Hundesohn der Wüste! Du magst Meister vieler Künste sein, aber dein Meister bin ich und werde es immer sein! Treibe nicht mit deinem Herrn und König Scherz. Das könnte dich teuer zu stehen kommen! «
»Mein Meister! « wiederholte wild lachend der Astrologe, »was Ihr nicht sagt, mein König! «
Aus Ibrahims Blicken zuckten Blitze, als er fortfuhr: »Der Besitzer eines elenden Maulwurfshügels will den beherrschen, der über das Wissen Salomons gebieten kann? Regiere du dein kleines Reich und schwelge, du geiler Greis, in deinem Narrenparadies. Ich hohnlache über dich und deinesgleichen in meiner philosophischen Einsamkeit. Leb wohl, Aben Habuz!«
Bei diesen Worten fasste er die Zügel des edlen Pferdes, stieß seinen Zauberstab in die Erde und versank samt der gotischen Prinzessin durch den Boden in der Mitte der Torganges. Die Erde schloss sich über ihnen gleich wieder, und keine Spur deutete hin auf den furchtbaren Vorgang.
Aben Habuz war sprachlos vor Erstaunen, als er da hilflos mit ansehen musste, wie die Erde Roß und Reiterin und Zauberer verschlangen. Aber er war bald wieder Herr seiner Sinne, rief Tausende von Arbeitern herbei und ließ sie pausenlos mit Hacken und Schaufeln an der Stelle graben, wo der Astrologe kurz zuvor verschwunden war.
Sie gruben und gruben, doch vergebens; der felsige Grund des Berges widerstand ihren Werkzeugen, und wenn sie nach harter Arbeit wirklich eine kleine Grube gegraben hätten, dann rieselten der Sand und die Erde zurück und füllten die eher unscheinbare Vertiefung wieder aus. Aben Habuz suchte unterdessen den Eingang zum unterirdischen Palast des Astrologen. Gleichfalls vergebens, denn wo ehemals der Zugang war, da fand er nur eine glatte Felswand ohne Spalt und Loch.
Mit dem Verschwinden des Ibrahim Ibn Abu Ayub erlahmten auch die geheimen Kräfte und Eigenschaften des Talismans auf dem Turm der Königspfalz.
Fest und still stand von nun an der bronzene Reiter, Gesicht und Speer dem Tor zugekehrt, wo der Astrologe mit der schönen Gotengräfin verschwunden war, als ob dort der wahre Feind des Königs sich aufhalte.
Von Zeit zu Zeit vernahm man aus dem Innern des Hügels Musik und Gesang, und ein Bauer brachte sogar einmal dem König die Nachricht, dass er in der vergangenen Nacht im Fels einen Spalt gefunden habe, durch den er hineinkriechen und in eine unterirdische Halle von seltener Schönheit und Pracht habe hinabblicken können.
Der weißbärtige Astrologe Ibrahim habe dagesessen, schlummernd und träumend auf bequemen Daunenpolstern, umwoben von den magischen Silbertönen, die die schönste Gotin ihrer Leier entlockte.
Aben Habuz machte sich sofort auf die Suche nach dem Spalt im Felsen, doch der hatte sich wieder geschlossen.
Abermals wollte er seinen Nebenbuhler und die geraubte Prinzessin ausgraben und den Weg zum magischen Palaste finden; aber alle Versuche blieben vergebens. Zu mächtig war der Zauber von Hand und Schlüssel in den Kei staunen des festen Portals; weder Menschenmacht noch Menschenkraft konnten ihn unwirksam machen und den Bann brechen.
Die Kuppe des Berges blieb nackt und leer; der verheißene Palast mit den Wundergärten unsichtbar. Die Leute nahmen aber an, dass alles nur ein Märchen des Astrologen gewesen sei, und so nannten die einen den Platz, wo dieses Paradies hätte stehen sollen, »Des Königs Torheit«, während ihn andere »Des Narren Paradies« nannten.
Um den Kummer des friedlichsten aller Könige und unglücklichsten aller Liebhaber noch zu vermehren, regten sich auch seine feindlichen Nachbarn wieder. Bald hatten sie erkannt, dass sich der ihn schützende magische Zauber verflüchtigt hatte und er gleich allen anderen Sterblichen A‘, um Macht und Besitz kämpfen musste.
Als Aben Habuz noch vom Zauberreiter beschützt und bewacht war, als er auf dem Schachbrett des Turmzimmers mit der k leinen Lanze Heere vernichtete, hatte er stolz seine Angreifer gereizt und verhöhnt.
Nun fielen diese in sein Land ein, trugen reiche Beute davon und verbitterten so den Rest des Lebens des ehrwürdigsten und tugendhaftesten Königs, den es je gab.
Endlich starb Aben Habuz und wurde begraben.
Jahrhunderte sind seitdem verflossen. Kunstbegeisterte Fürsten erbauten auf dem so ereignisreichen und berühmten Hügel die Alhambra, wo der Traum vom Garten Jrem Wirklichkeit wurde und wir heute noch ein zu Stein gewordenes Märchen aus Tausendundeiner Nacht bewundern können.
Noch steht der verzauberte Eingang unversehrt da; der Zahn der Zeit konnte ihm nichts anhaben. Es ist die Puerta de la Justicia, das Tor der Gerechtigkeit, der Hauptzugang zur alten Maurenpfalz.
Noch immer schützen ihn die von Ibrahim gemeißelte Hand und der Schlüssel, und unterm Turm soll der Überlieferung nach in seiner unterirdischen Halle der alte Astrologe hausen und auf einem Diwan dahindämmern, vom Klang der Leier der Gotenprinzessin in den Traum gewiegt.
Die alten Veteranen, die am Tor der Gerechtigkeit Wache halten, vernehmen von Zeit zu Zeit in lauen Sommernächten die bannenden Töne der silbernen Leier und schlafen dann, alles vergessend, ruhig ein. ja, der Zauber ist so stark, dass man auch tagsüber die Posten dieses Außenwerkes auf den steinernen Bänken träumend oder unter den nahen Bäumen schlafend, antrifft. Es dürfte sich um das einschläferndste Quartier der ganzen Christenheit handeln.
All das, sagt die alte Legende, wird noch Jahrhunderte dauern. Die gefangene Prinzessin wird fortfahren, den Astrologen in bannenden Schlummer zu halten, bis endlich am jüngsten Tag die Posaunen zum letzten Gericht rufen, oder bis die mystische Hand nach dem magischen Schlüssel greift und so den auf dem Berg liegenden Zauber wirkungslos macht und aufhebt.
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