Marion Wolf

Ein Franziskaner fühlte sich dazu ausersehen, eine wilde Affenhorde zu bändigen. Zuerst las er ein Buch über die Affen, dann machte er sich auf den Weg in den Busch – immer der Nase nach. Die Affen empfingen ihn mit großer Freude, denn bei ihnen herrschten Mord und Totschlag.

Der Mönch predigte den Tieren an jedem Festtag von der Liebe Gottes, sie applaudierten heftig; ansonsten benahmen sie sich wie gehabt und der fromme Mann hatte seine liebe Not mit ihnen.

Eines Tages kam ein Verhaltensforscher in den Busch und fragte den Franziskaner, ob er ihm helfen dürfe. „Gern“, erwiderte der Mönch, „ich glaube, wir könnten uns gut ergänzen. Nur pflege ich die Oberaffen zu fragen, wenn Veränderungen anstehen.“

„Tu, was Du nicht lassen kannst“, grinste der Verhaltensforscher und folgte ihm. „Ich bin der Stärkste“, stellte sich der Silberrücken vor, „aber Du brauchst Dich vor meinem scharfen Gebiss nicht zu fürchten.“
Der Verhaltensforscher sah ihm gelassen in die Augen und sagte:
„Tu ich auch nicht.“ Da bleckte der alte Oberaffe die Zähne und trommelte furchterregend auf seine Brust. Der Forscher ließ sich von dem affigen Imponiergehabe nicht einschüchtern. „Das ist wirklich erstaunlich“, bemerkte der zweite Oberaffe. Hast Du wirklich keine Angst vor uns?“
„Nein“, erwiderte der Forscher lächelnd. Da waren die Affen baff und suchten Gründe, ihn loszuwerden. Ein Zeitgenosse, der sich

keine Angst einjagen ließ, war ihnen nicht geheuer.

„Du passt nicht zu uns Pelztieren“, schrie der dritte Affe, „Dein Tropenhelm ist unserer Sippe ein Dorn im Auge!“ Und der alte Silberrücken zeterte: „Wer nicht zu erschrecken ist, dem fehlt das rechte Affenverständnis!“ Der Verhaltensforscher ließ sie toben und zog sich zurück. „Mein Bruder ist einem Tierbändiger in die Falle gegangen“, hetzte nun der jüngste Affe, „der hat ihn mit der Peitsche dressiert und an einen Zirkus verkauft!“

Der Franziskaner sah ihm in die Augen und stellte klar: „Ein Verhaltensforscher ist kein Tierbändiger!“ Doch die Affenmeute hörte gar nicht hin und heulte im Chor: „Huuu, wir wollen nicht gebändigt werden!“ Dann beugte sich der große Oberaffe zu dem kleinen Franziskaner hinunter und erklärte: „Wir wollen lieber eine Krankenschwester für unsere Wunden.“ Und dabei dachte er: ‘Die werd’ ich das Fürchten schon lehren!’ „Genauso“, schrie die Affenhorde und stob auseinander, ohne die Meinung des Mönchleins abzuwarten. Da saß nun der arme Franziskaner von allen guten Geistern verlassen unterm Affenbrotbaum und zweifelte an seiner Bestimmung.

GOTT hatte Erbarmen mit seinem treuen Diener und sandte ihm einen weißen Geier. Der setzte sich im Mondschein auf einen Ast und starrte lange auf das Häuflein Mensch hinunter.

Als der Mönch ihn endlich bemerkte, erschrak er: „Bist Du gekommen, mich zu verspeisen?“ – „Keine Angst, erwiderte der Aasfresser, „mich gelüstet nicht nach Deinem Fleisch.“

„Was willst Du denn dann von mir?“ fragte der Mönch. „Ich will Deine falschen Vorstellungen.“

Der fromme Mann schaute auf: „Dann musst Du ein Gesandter GOTTES sein, denn irdische Geier gelüstet es nicht nach geistigem Abfall. Also sage mir: Was habe ich falsch gemacht?“ „Berichtige Dein unsinniges Demokratieverständnis“, forderte der Bote des HERRN. „Wären die Affen klug genug, selbst zu wissen, was gut für sie ist, bräuchten sie Dich nicht. Toren aber fragt man nicht, ob ihnen die Medizin auch schmeckt, die sie heilt.“ „Ich will meine Brüder doch nicht in Knechtschaft halten“, wandte der Mönch ein. „Das eben ist Dein Irrglaube“, klärte ihn der Geier auf, „lehre sie Vernunft und bringe ihnen Anstand bei. Wenn sie ausgelernt haben, sind sie fähig, ihr eigener Herr zu sein. Jetzt sind sie nur die Sklaven ihrer Triebe.

Merke:

Selbstbeherrschung ist die Grundlage der Freiheit.
Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht!“

Da fiel es dem Franziskaner wie Schuppen von den Augen:

Demütig gab er dem Geier seine Trugbilder über die Brüderlichkeit und begann die Affen zu erziehen.

Fortan übte er Barmherzigkeit mit Strenge, und der Verhaltensforscher half ihm mit seinem Wissen und seiner Erfahrung.

Einige der Affen haben dazugelernt.

Die andern schlagen sich noch heute die Schädel ein…

 

 


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