Volkstümlich Märchen/Sage
Vor einer Hexe soll man sich bekanntlich in acht nehmen und von ihr nichts annehmen. Sonst gewinnt sie Macht über einen. Abergläubische sind davon überzeugt, gegen Hexen helfen am besten Dillsamen und Bilsenkraut oder Kirchhofserde, die man in der Tasche trägt. Und Leinsamen, zwischen Matratze und Laken ins Bett gestreut, sind ebenfalls als Schutzmittel empfohlen. Außerdem wird geraten, drei schwarze Kreuze an der Innenseite der Haustür anzubringen, eine Schere oder ein Hufeisen auf die Türschwelle zu nageln und, wenn eine Hexe kommt, einen Besen quer vor die Tür zu werfen. Dann kann keine böse Frau das Haus betreten.
Auf Sylt war der Glaube an Hexen und Hexerei lange lebendig. Dass hier der Aberglaube allgemein verbreitet war und Gespenster- und Hexengeschichten gern erzählt wurden, hat ein früher Besucher der Insel, Johann Friedrich Camerer, 1762 überliefert. Gerade in der wilden Dünenlandschaft der Insel fühlten sich die Hexen wohl und legten einige Tanzplätze für sich an, zum Beispiel am Buder, der hohen Düne bei Hörnum, und am Klöwenhoog zwischen Keitum und Tinnum. Eines Abends sind zu einem Tanzfest am Buder die Föhrer Hexen auf ihren Besen durch die Luft herübergeritten. Vor ihrer Rückreise verwandelten sie sich in Seehunde und schwammen zur Nachbarinsel zurück. Die Verwandlungskünste der Sylter Hexe Maren Taken aus Hörnum waren noch erstaunlicher. Sie konnte als eine Meerjungfrau erscheinen, dann als ein Schwan oder eine weiße Kuh, die vor den Schiffen herschwamm.
Einst wurden drei Sylter Frauen zu Hexen, weil sie ihren Männern, die lange auf See unterwegs waren, misstrauten und ihnen in allerlei Gestalten folgen wollten. Bald entdeckten sie die Untreue der Männer. Voll Zorn beschlossen sie, das Schiff zu versenken, auf dem die drei Seeleute fuhren, der eine als Kapitän und die beiden anderen als Steuerleute. Ihren Plan besprachen sie heimlich auf dem Schiff, als sie sich unbeobachtet fühlten. Aber der Schiffsjunge hatte alles mitgehört, auch die Frage der einen Hexe, ob sie sich nicht selbst bei diesem Vorhaben schaden würden. Die anderen jedoch meinten: „Nur wenn ein Unbescholtener uns mit ungebrauchten Waffen abwehrt, dann haben wir zu fürchten,“ Der aufmerksame Schiffsjunge dachte darüber nach, wie er den Angriff der Hexen abwehren könnte. In der stürmischen N acht hielt er mit einem Degen in der Hand auf der Luvseite, aus der der Wind kräftig wehte, Wache, ging auf und ab und wartete. Da stürzten drei turmhohe, schneeweiße Riesenwellen auf das Schiff zu. Gewiss wäre es verloren gewesen, wenn nicht der Junge ihnen den Degen entgegengehalten hätte. Augenblicklich sanken die Wellen in sich zusammen, und an der Stelle, die der Degen berührte, färbten sie sich mit Blut. Nachdem das Schiff im Hafen von Hamburg unversehrt gelandet war, erfuhren der Kapitän und die beiden Steuerleute, dass ihre Frauen alle drei plötzlich erkrankt waren. Sie waren in derselben Nacht zu Schaden gekommen – so hörten sie-, als die drei Sturzwellen auf das Schiff zugekommen waren. Der Schiffsjunge erzählte ihnen, wie er das Gespräch belauscht hatte. Nun wussten die Männer, dass ihre Frauen Hexen waren. Sie beschlossen, ihr Leben künftig zu ändern, damit sie sich nicht neuen Gefahren aussetzten.
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