Eskimomärchen

Zwei Eskimomänner unterhielten sich einmal in einer Sturmnacht; sie hockten hinter einer Felswand und der Schnee deckte sie bis an die Brust zu.

Da fragte der eine den anderen: „Glaubst du wirklich, die Erde ist eine Kugel?“

Da schlug der andere vor, einfach einmal rund um die Erde herumzugehen. Dann würden sie wissen, wie es war und könnten von allem erzählen.

Am nächsten Tage, als sie heimgekehrt waren, setzten sie sich gleich hin und schnitzten sich aus den Hörnern eines und desselben Ochsen jeder einen Becher. Dann setzten sie ihre jungen Frauen auf den Schlitten und fuhren los. Nach entgegensetzten Seiten. So lange knallten sie mit den Peitschen, wie sie sich noch hören konnten.

Als es Sommer wurde und sich Gras zeigte, machten sie halt und blieben an der Stelle, wo sie waren.

Im Winter aber reisten sie auf ihren Schlitten weiter. Und so den folgenden Sommer und den folgenden Winter und wieder den folgenden Sommer und den folgenden Winter. Und jeden folgenden Sommer und jeden folgenden Winter. Denn es dauerte lange, bis sie um die Erde herum waren. Sie bekamen Kinder, sie schrumpften zusammen, die Kinder selber wurden schon runzlig und weißhaarig. Zuletzt wurden die Eltern so alt, dass sie auf dem Schlitten angebunden werden mussten und unter Tags einschliefen.

Endlich in einem Sommer, als gerade die Sonne aufging, trafen sie aufeinander, die beiden Freunde. Da war von ihren Bechern nichts übrig geblieben als die Henkel. So oft hatten sie unterwegs am Brunnen getrunken und dabei das Horn am Gras abgewetzt.

„So groß hatten wir uns die Erde nicht gedacht“, sagten sie, als sie sich die Hand gaben und sich aus halbblinden Augen ansahen.

Sie waren jung, als sie ausreisten. Ihr Gang war mehr ein Tanz gewesen, und sie hatten gesungen mit ihren Frauen auf den Schlitten. Jetzt standen sie da und suchten sich zu erkennen aus den halbblinden Augen. Und die Kinder mussten sie stützen, dass sie zu ihren Hütten hingehen konnten.

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