Wie Siegfried zu Mime kam und den Drachen erschlug
Auf seiner Burg zu Xanten am Niederrhein herrschte schon lange Jahre machtvoll und vom Glück begünstigt das stolze Königsgeschlecht der Wälsungen, das seine Herkunft direkt von Wotan ableitete, dem höchsten Gott.
Auch König Siegmund und seine Gattin Sieglinde hatten ihre Herrschaft mit Glanz geführt. Da kam Unheil über ihr Haus. Siegmund fiel im Kampf gegen plötzlich hereinbrechende Feinde, die Xanten erstürmten. Sieglinde flüchtete in einen tiefen Wald, wo sie noch einem holden Knaben das Leben schenkte, aber selbst vom Tod hinweggerafft wurde.
Dem armen Knaben, der verlassen und vor Hunger schreiend hilflos am Boden lag, näherte sich bald eine Hirschkuh. Sie fasste ihn mit dem Maul und trug ihn zu ihrem Lager, wo schon zwei junge Tiere der säugenden Mutter harnen, wahrscheinlich hatte der Lenker des Schicksals der Götter und Menschen, der hohe Wotan selbst, die Hirschkuh gesandt – denn offenbar hatte er dem letzten des edlen Geschlechts der Wälsungen ein
zwar kurzes aber umso ruhmvolleres Leben bestimmt.
Zwölf Monate lebte so der Knabe, von der Hirschkuh gesäugt, und gedieh schnell zu ungewöhnlicher Schönheit, Kraft und Stärke.
Fern von der Lagerstatt des Tieres hatte ein weltberühmter Schmied, Mime geheißen seine vielbesuchte Werkstatt. Hier lebte er mit seinem Weibe und vielen Gesellen, aber zu seinem großen Leidwesen ohne Kinder.
Als Mime nun einst tief in den Wald gedrungen war, um Bäume zu suchen. die er für seine Schmiede fällen lassen wollte, trat ihm plötzlich aus dem Gebüsch ein junger nackter Knabe entgegen; dem eine Hirschkuh folgte, die ihm zutraulich Gesicht und Hände leckte, Der Knabe konnte kein Wort reden. Mime aber war voller Freude über das so unerwartet gewonnene Kind, Er nahm es mit in sein Haus und nannte es Siegfried.
Unter des Schmiedes und seiner Frau sorgender Pflege wuchs der Knabe zu einem kräftigen Jungen heran, und als er zwölf Jahre alt geworden war, bezwang er alle Gesellen Mimes und ließ sie, wenn sie ihn neckten, nicht selten seine Kraft fühlen. Jede, auch die kleinste Unbill vergalt er durch harte Schläge, und so war es kein Wunder, dass sie sich seiner zu entledigen, zugleich aber auch sich an ihm zu rächen suchten.
Auch Siegfrieds Pflegevater zürnte. „Wenn du mir meine Gesellen wund schlägst, kannst du dich selbst an die Arbeit machen!“
„Gern“, sprach Siegfried, gebt mir nur Werkzeug und Eisen, so will ich wohl schmieden.“
Als er nun zum ersten Mal am Amboss stand, schlug er so gewaltig auf das Eisen, dass dieses zersplittert umhersprang und der Amboss tief in die Erde einfuhr. Mit großem Entsetzen blickten alle auf das, was Jung-Siegfried getan, und auch Mime begann, sich vor ihm zu fürchten. Hinterlistig, wie er war, sann er darauf, wie er sich seiner Entledigen könne. Er hatte einen Bruder, Fafner mit Namen, der seines schlimmen Charakters und übler Taten wegen in einen furchtbaren Lindwurm verwandelt worden war und nun in einer finsteren Felsschlucht hauste. Zu ihm ging Mime und versprach, dass er ihm den Knaben schicken wolle. Schon freute sich der Lindwurm.
Arglos nahm Siegfried, den Jahren nach noch ein Knabe, an Größe und Leibeskraft aber ein äußerst stattlicher Jüngling, zudem von liebreizender Gestalt, den Auftrag des Pflegevaters an, zu einem weit entfernt wohnenden Köhler zu gehen und diesem zu helfen, Kohlen für den nächsten Wintervorrat zu brennen. Mime beschrieb ihm genau den Weg, den er zu nehmen habe; dieser aber sollte den jungen Helden so schweren Gefahren entgegenführen, dass der Schmied seinen sicheren Untergang erwartete.
In der Nacht, bevor er sich daran machte, den Auftrag des Meisters auszuführen, zündete Siegfried in der Schmiede ein so gewaltiges Feuer an, dass Mime und seine Gesellen in Furcht gerieten, die ganze Schmiede werde in Flammen aufgehen. Unbekümmert aber schmiedete sich Siegfried von dem besten Stück Eisen, das er auffinden konnte, ein scharfes Schwert; es sollte ihn auf seiner Wanderung begleiten.
Singend zog Siegfried am nächsten Morgen durch den Wald dahin. Mime und seine Gesellen hörten ihn jubilieren. „Der kehrt nie wieder“, sprach der Schmied spottend.
Frohen Herzens war der junge Held im strahlenden Sonnenschein eine weite Strecke gewandert; nun wollte er rasten und sich an Speis und Trank laben. Reichlich Mundvorrat und Wein für neun Tage hatte ihm Mime mitgegeben, aber Siegfrieds Hunger und Durst waren so gewaltig, dass er nicht innehielt, bevor nicht der letzte Rest des Mitgebrachten verzehrt war.
So gestärkt zog Siegfried weiter des Weges, den ihm Mime gewiesen hatte und der ihn, wie der Böse hoffte, in den sicheren Tod leiten sollte. Führte er doch unmittelbar zu einer tiefen Bergschlucht, auf deren Grund sich eine Unzahl giftiger Schlangen wälzte, ihre Leiber zu Knoten ineinandergeschlungen.
Ahnungslos hatte sich Siegfried der Schlucht genähert. Nun sah er, wie sich ihm das Gewürm züngelnd entgegenstreckte. Furchtlos trat er heran, und manchen Kopf hieb sein scharfes Schwert ab. Doch wäre es endlose Arbeit gewesen, sie alle zu töten.
Wartet, ich will es euch warm machen“, rief ihnen der Jüngling entgegen.
Er stieg zur Höhe hinauf, riss Baum um Baum mit den Wurzeln aus und warf sie hinab auf das Gewürm, bis die ganze Schlucht zum Rand hin mit Gehölz gefüllt war, das die Schlangenbrut bedeckte.
Fern im Walde hatte er Rauch aufsteigen sehen; dort musste der Köhler wohnen; zu dem. ihn Mime gesandt. Nach einigem Umherirren fand Siegfried die einsame Hütte und erbat sich vom Köhler einen brennenden Ast.
Mit diesem eilte er zur Schlangengrube und setzte das aufgetürmte Holz in Brand.
Als das Feuer brausend in den Schlund fuhr und sich verbreitete, regte es sich in der Schlucht und die Schlangen suchten den Ausgang aus Tod und Verderben, aber die furchtbare Glut hatte bald alles Leben in dem Abgrund getötet.
Als Siegfried forschend die enge Ausgangsstelle der Schlucht erreichte, wehte ihm ein starker, wunderkräftiger Geruch entgegen, und er sah einen klaren Strom rinnenden Schlangenfetts hell hervorschimmern. Neugierig tauchte er einen Finger in den Sud, und augenblicklich war dieser mit einer festen Hornschicht überzogen, die auch ein scharfes Schwert nicht zu ritzen vermochte.
„Wenn ich in diesem Fett bade“, dachte der junge Held, werde ich am ganzen Leib unverwundbar!“
Schnell setzte er den Gedanken in die Tat um, nackt wälzte er sich in dem gerinnenden Fett, und sein ganzer Körper wurde mit einer undurchdringbaren Hornhaut überzogen. Nur zwischen den Schultern hatte sich ein Lindenblatt festgelegt, und da hier das Fett die Haut nicht berühren konnte, blieb diese Stelle verwundbar; und tatsächlich sollte ihm hier tückischer Verrat früh die Todeswunde schlagen.
Zum Köhler zurückgekehrt der über die Nachricht von der Vernichtung der Natterbrut in lauten Jubel ausbrach, bat Siegfried diesen, ihm den Weg zum Lindwurm zu weisen. „Dorthin habe ich noch niemanden geschickt“,
lehnte der Köhler ab, „das hieße, dich in den sicheren Tod zu senden.“ Als Siegfried aber seine Bitte mehrfach wiederholte, gab der Köhler schließlich nach.
So zog denn der Held den Weisungen des Köhlers folgend zwischen zwei immer engen zusammentretenden Felswänden dahin und erreichte schließlich den Ort, wo der furchtbare Lindwurm hauste.
Als es den Herankommenden erblickte, erhob sich das furchtbare Ungetüm.
Die Doppelzunge züngelte, der Rachen hauchte heiß. Der Schuppenschweif umringelte den Wälsungsohn im Kreis.
Doch Siegfried griff mutig zu seinem guten Schwert, und neun Schläge raubten dem grässlichen Ungetüm bald die letzte Lebenskraft.
Der mit dem Tod ringende Lindwurm stieß ein so furchtbares Gebrüll aus, dass es weithin die Luft erfüllte. Doch ein letzter Hieb trennte ihm das Haupt vom Rumpf, das Siegfried als Siegeszeichen mit auf seinen weiteren Weg nahm.
Ais Eckhart, der von Mimes Gesellen, der mit Siegfried am häufigsten Streit gehabt hatte, ihn mit dem furchtbaren Drachenhaupt sorglos des Weges daher ziehen sah, lief er eilig ins Haus und warnte den Meister und seine Gesellen. Die Gesellen flüchteten schnell in den nahen Wald. Mime aber, der mit geheimem Grauen den, wie er geglaubt hatte, in den sicheren Tod gesandten Jüngling gesund und wohlbehalten vor sich stehen sah, ging seinem Pflegesohn entgegen und heuchelte Freude über seine Rückkehr.
Doch Siegfried ließ sich nicht noch einmal täuschen. „Ihr habt übel an mir gehandelt, und ich will nicht länger bei euch bleiben.“
Das hörte Mime nicht ungern.
„Wenn du ziehen willst, kann ich dich nicht aufhalten. Aber ich will dir zum Abschied starke Wehr und Waffen geben. Ein Ross freilich kann ich dir nicht schenken, aber ich will dir sagen, wie du zum Isenstein gelangst, wo Königin Brunhilde in großer Kraft und Schönheit die Herrschaft führt.
Dort wirst du Grane finden, den herrlichsten aller Hengste.“
Siegfried war es zufrieden, und er erhielt vom Schmied herrliche Waffen, Helm, Schild und einen goldenen Panzer. Als ihm dann Mime den Weg gewiesen hatte, zog der Held frohgemut der Burg Brunhildes entgegen.
Wie Siegfried den Hengst Grane gewann
Staunend schaute der Held auf den Prachtbau, den ein großes Eisentor verschloss. Kein Pförtner erschien, es zu öffnen. Da schaffte sich Siegfried selbst freie Bahn, indem er mit gewaltigem Fußtritt die eisernen Riegel
sprengte, sodass das Tor aufsprang und er den Burghof betreten konnte. Durch den Lärm aufgeschreckt, eilten sieben Wächter herbei, um den Eindringling zu strafen, er aber erschlug sie einen nach dem anderen. Und als nun einige Ritter hinzukamen, die das Getöse des Kampfes aufmerksam gemacht hatte, stand der junge Held auch ihnen in kräftiger Abwehr gegenüber.
In der Zwischenzeit hatte man Brunhilde von dem, was geschehen war, berichtet. „Ich glaube“, sprach sie, die geheimen Wissens kundig war, „Siegfried ist gekommen, Siegmunds Sohn. Und würde er mir zu den sieben Knechten noch sieben Ritter erschlagen, ich hieße ihn doch willkommen.“
Dann ging sie zum Burghof und befahl, mit dem Kampfe innezuhalten. „Wer ist es, der in meine Burg gekommen?“, fragte sie.
„Ich heiße Siegfried.“
„Und wer sind deine Eltern?“
„Das weiß ich nicht, ich wuchs auf bei Mime, dem Schmied, und habe meine Eltern nie gesehen. Nicht einmal ihre Namen weiß ich.“
„Da kann ich dir Kunde geben“, sprach Brunhilde. „Sei hochwillkommen, Siegfried, du Königskind, Siegmunds und Sieglindes Sohn. Wohin ist deine Fahrt gerichtet?“
„Hierher, du herrliche Maid, zu deiner Burg. Du sollst ein herrliches Ross besitzen, Grane geheißen. Willst du mir den Hengst gewähren, ich nehme ihn gern.“
„Du sollst ihn haben, wenn du willst. Sei willkommen, als lieber Gast.“
Fröhlich nahm Siegfried die dargebotene Hand, und sie gingen zum Saal, wo man ihn vorzüglich bewirtete.
Die Königin hatte Leute hinausgeschickt, die das Ross einfangen sollten. Aber sie bemühten sich vergebens und kehrten abends unverrichteter Dinge heim.
Am nächsten Tage zog Siegfried mit zwölf Männern aus, die sich ebenfalls vergeblich anstrengten, das edle Tier einzufangen. Schließlich ließ sich Siegfried den Zaum reichen und trat auf den Hengst zu, der ihm zutraulich entgegenlief. Er legte dem Tier den Zaum um und schwang sich leicht auf seinen Rücken. Dann ritt er zur Burg zurück, dankte Brunhilde und verabschiedete sich.
Ungern entließ ihn die Königin und bat ihn, bald wieder bei ihr einzukehren. Als er ging, schien er nicht zu ahnen, wie sehr er Brunhildes Zuneigung gewonnen hatte. Unter allen Männern dieser Welt hätte sie keinen anderen als ihn zum Gatten gewählt. Mit einem tiefen Seufzer sah sie ihn ziehen.
Wie Siegfried der Nibelungen Reich und Schatz gewann
Wohlgemut schaute Siegfried fortan von seinem hohen Ross herab, während er weiter und weiter zog, von Ort zu Ort, von Land zu Land. Endlich kam er in das Gebiet der Nibelungen, hoch im Norden gelegen zu einem reichen und mächtigen Zwergenvolke, dass in weitem Umkreis auch manchen tapferen Recken seiner Herrschaft unterworfen hatte.
Unermesslich groß war der Schatz von Gold und edlem Gestein, den der König des Zwergenvolkes, der alte Nibelung, aus den Bergen hatte sammeln und in einer mächtigen Höhle aufhäufen lassen. Er war gestorben, und Land und Schätze besaßen jetzt seine Söhne und Erben, die Könige Schilbung und Nibelung, Doch auf dem roten Gold schien ein Fluch zu ruhen, denn keinem seiner Besitzer brachte es Segen.
Auch Schilbung und Nibelung hatten keine Freude daran; die beiden Brüder haderten unablässig um den Besitz des Schatzes, jeder hätten ihn gern ganz gehabt und keiner gönnte ihn dem anderen.
Schließlich beschlossen sie doch, ihn zu teilen. Sie ließen das Gold und die Kleinodien aus der Höhle hervortragen und die ungeheure Masse in Haufen lagern. Aber wie sehr sie sich nun auch um die Teilung mühten, immer blieben sie unzufrieden; denn jeder meinte, dass doch der Teil des Bruders größer sei als sein eigener, und keiner war da, der als Schiedsrichter hätte auftreten können.
Als Siegfried durch den Wald herangeritten kam, standen die Könige gerade wieder einmal miteinander hadernd vor ihrem Besitz. „Hört“, sprach da ein alter, kundiger Zwerg zu den Königen, „dort kommt Siegfried, der starke Held vom Niederrhein, bittet ihn, den Schatz zu teilen.“
Der Vorschlag gefiel den Königsbrüdern. Sie hießen den Helden willkommen und baten ihn, sich der Mühe der Teilung zu unterziehen. Als Lohn für seine Arbeit gaben sie ihm im Voraus das Schwert Balmung, das einst ihr Vater, der alte Nibelung, kräftig geschwungen hatte; ein besseres Schwert, so hieß es, sei auf der ganzen Erde wohl nicht zu finden.
Siegfried dankte für die herrliche Gabe und machte sich sogleich an das schwere Geschäft, den ungeheuren Schatz zu teilen. Und die Aufgabe gelang ihm so gut, dass auch die neidischen Brüder sahen, es sei kein Teil größer als der andere. Aber gerade das kränkte beide, denn jeder hoffte in der Stille den größeren Teil zu erlangen. So murrten sie und verlangten eine neue Teilung. Entschieden wies Siegfried diese Forderung zurück „Ihr habt euch meinem Urteil unterworfen ich habe die Teilung nach bestem Wissen vorgenommen, und ihr müsst euch nun meinem Spruch fügen.“
Aber Schildung und Nibelung griffen gleichzeitig nach kleinen silbernen Hörnern, die beide mit sich trugen, und bliesen hinein.
Zwölf furchtbare Riesen kamen auf den Hornruf herbei und drangen mit langen Eisenstangen auf Siegfried ein. Doch nach kurzem Kampf lagen sie alle erschlagen auf dem Boden. Siegfried ergriff ein grimmiger Zorn über das verräterische Handeln der Könige. Zweimal zuckte der Balmung und beider Köpfe rollten zur Erde.
Als Siegfried siegreich dastand, erging es ihm seltsam. Kein Feind schien nahe, und doch fühlte er Schlag auf Schlag auf sich niederprasseln. Hätte ihn nicht die Hornhaut geschützt, so wären daraus wohl Todeswunden geworden. Er begriff, dass da irgendein Zauber im Spiel sei, gegen den auch das schärfste Schwert nicht helfen würde. So ließ er den Balmung fallen und griff mit beiden Händen in die Richtung, aus der die Schläge kamen. Und siehe da, als er so zufasste, hielt er plötzlich ein dickes Gewebe, wie eine Kappe mit daranhängendem Schleier, in den Händen. Es war eine Tarnkappe, die ihren Träger unsichtbar machte. Und nun, seiner Wunderwaffe beraubt, stand auch der sichtbar vor ihm, der ihn so heimlich angegriffen hatte. Es war der graubärtige, starke Zwerg Alberich. Siegfried ergriff ihn an seinem langen Bart und schleuderte ihn mit solcher Kraft gegen eine Felswand, dass ihm die Glieder krachten, „Schone mich, edler Held“, flehte der Zwerg, ,,und ich will dir in alle Zukunft treu zu Diensten sein.“ Und gern gewährte Siegfried Alberichs Bitte und nahm ihn In seinen Dienst.
„Du hast nun den Nibelungenschatz gewonnen,
und das ganze Land ist zu deinen Diensten“, sprach Alberich; “nur ein Kampf steht dir noch bevor. In einer Höhle, hier ganz in der Nähe, wohnt der furchtbare Riese Kuperan; er wird dir die Herrschaft niemals gönnen, wenn du ihn nicht bezwingst.“
„Zeige mir seine Wohnung“, rief Siegfried eilig, „damit ich den Kampf sogleich bestehen kann.“
Willig geleitete ihn der Zwerg zur Felsenwohnung des Riesen. „Komm heraus, Kuperan“, rief der junge Held, als er die Höhle
erreicht hatte; „komm heraus und huldige deinem Herrn.“
Kaum war der Ruf erschollen, da stürzte Kuperan hervor und führte mit seiner mächtigen Keule einen so furchtbaren Schlag auf
Siegfried, dass diesem das Blut aus Nase und Ohren drang.
„Du elender Wicht“, rief der Riese höhnend, „bald sollst du dein Leben verloren haben.“
Aber die Wunde, die ihm Balmung nun schlug, ließ ihn schnell die ungeahnte Stärke seines jungen Gegners erkennen, Heulend
warf er die Keule weg und floh in seine Höhle, Dort verband er seine Wunde und hüllte sich in einen goldenen Panzer, der in Drachenblut gehärtet war. Ein fester Stahlhelm, ein gewaltiges Schwert und ein ungeheurer Schild gaben ihm, so glaubte er, sicheren Schutz gegen jeden Angriff. Dann drang er abermals auf Siegfried ein. „Mit dem Tod sollst du es büßen, dass du mich verwundet hast.“
Gewaltig schlugen sie aufeinander los, aber der Wucht des scharfen Balmung konnte des Riesen Rüstung nicht standhalten. Bald blutete er aus sechzehn Wunden, Da verzagte
Kuperan. „Wenn du mich leben lasst, edler Held“, rief er demütig . .,.so übergebe ich dir Rüstung und Waffen und mache mich selber dir zu eigen.“
„Wenn du mir Treue gelobst, will ich das wohl tun“, erklärte Siegfried bereitwillig.
Da schwor ihm Kuperan einen Eid, dass er ihm sein Leben lang in Treue dienen wolle, und der mitleidige Sieger zerriss sein seidenes Untergewand und verband ihm die Wunden. Dann gingen sie alle drei zu dem Berg, wo der Nibelungenschatz lag.
Aber Kuperan lohnte dem jungen Helden sein Vertrauen nicht. Als der Riese den Schatz sah, kam über ihn die Begierde, ihn lieber für sich allein zu behalten, und hinterlistig führte er von hinten einen so starken Schlag auf seinen arglosen Bezwinger, dass dieser wie tot zur Erde sank. Und hätte nicht Alberich, der Zwerg, schnell die Tarnkappe über den Betäubten geworfen und ihn so unsichtbar gemacht, so hätte sein junges Heldenleben wohl hier schon geendet. Nun aber suchte Kuperan, grässlich fluchend, überall vergebens nach Siegfried. Er vermutete, dass entweder der Teufel ihn davongetragen oder ein Gott ihn in Schutz genommen hatte.
Erst nach geraumer Zeit kam Siegfried wieder zu sich und dankte dem Zwerg für seine Hilfe. „Nimm die Tarnkappe und entferne dich eilig, ehe der Riese dich wiedersieht“, riet Alberich. „Wie immer es mir ergeht“, entgegnete Siegfried, „niemand soll je sagen können, dass ich vor ihm geflohen bin.
Er ergriff sein Schwert und eilte ungestüm auf den Riesen zu. Als dieser den vergeblich Gesuchten so unerwartet auf sich zukommen sah, wurde er von solchem Schreck erfasst, dass er seine Waffen von sich warf und sich auf und davon machte.
Aber nicht einmal ein wilder Panter im Sprung ist so schnell, wie Siegfried ihm nun nachjagte. Auf dem Gipfel eines steilen Felsens hatte er ihn endlich eingeholt. Hier warf auch er sein Schwert fort und rang mit dem Riesen, den er von dem Felsen hinabwarf; beim Sturz in den Abgrund kam Kuperan zu Tode.
Fortan war nun das ganze Nibelungenreich Siegfried unbestritten zu eigen; alle schworen ihm Treue, und nachdem er alles geordnet, ließ er den treuen Alberich als Verwalter von Schatz und Land zurück. Er nahm nur die Tarnkappe und zwölf der edelsten Ritter mit sich als Begleiter auf seinen künftigen Heldenfahrten.
Siegfried’s Tod bei Worms
Nach langen Jahren und unzähligen Heldentaten begab sich Siegfried auch einmal wieder an den Niederrhein und hörte hier viel von der schönen Kriemhild, der Schwester des Burgundenkönigs Gunther zu Worms. Da fasste er den Entschluss, Kriemhild als Gemahlin zu gewinnen, und mit prunkvoller Begleitung ritt er nach Worms, wohin ihm sein Ruhm längst schon vorausgeeilt war. Freundlich aufgenommen von König Gunther und den Seinen, unter denen Gunthers Brüder Gernöt und Giselher sowie ihr Oheim, der gewaltige, finstere Hagen besonders hervorragten, zeigte sich Siegfried bald als aller Meister an Kraft und Gewandtheit.
Auch hatte das Gerücht von der Schönheit der Burgundentochter nicht gelogen, und bald war offensichtlich, dass der gewaltige Recke mit dem Goldhaar und den leuchtenden Sonnenaugen auch der schönen Kriemhild nicht gleichgültig blieb. Dennoch wagte er noch nicht, um ihre Hand zu werben. Erst wollte er sich ihren Bruder, den König Gunther, durch Dankbarkeit verpflichten.
Die Gelegenheit dazu fand sich. Fahrende Sänger wussten viel zu berichten von einer nordischen Heldenjungfrau namens Brunhilde von Isenland, die allen Männern an Kraft und Geschicklichkeit in der Führung der Waffen überlegen sei und die deshalb nicht gewillt sei, eines Mannes Weib zu werden, es sei denn, dass er sie im Wettkampf besiege. Wer dabei aber scheitere, müsse sterben, was schon so manchem Verwegenen Recken geschehen sei.
König Gunther verspürte alsbald das Verlangen, sein Leben für den Gewinn dieser Heldenjungfrau aufs Spiel zu setzen. Alle rieten davon ab selbst der grimmige Hagen glaubte, das Wagnis sei nur Erfolg versprechend, wenn Siegfried seine Hilfe dazu leihe. Dieser war gleich bereit dazu, doch stellte er die Bedingung, dass ihm Gunther nach glücklich vollbrachter Fahrt seine Schwester Kriemhild zur Frau gäbe. Mit Freude willigte Gunther ein, und so wurde die Fahrt nach lsenland beschlossen, an der auf Siegfrieds Rat hin nur vier Recken, König Gunther, Siegfried, Hagen und dessen Bruder Dankwart teilnehmen sollten.ausgerüstet fuhren die vier Helden auf einem guten Schiff den Rhein hinunter und über die See und gelangten nach zwölftägiger glücklicher Fahrt nach Isenland.
Bei Brunhildes Anblick musste selbst Hagen bekennen, dass die schwarzlockige königliche Jungfrau wohl jeden Einsatz wert sei.
Die Fremden wurden von Brunhilde nicht besonders freundlich empfangen. Denn als sie den über alle stolz hervorragenden Siegfried zuerst begrüßte, wurde sie von diesem enttäuscht, dass nicht ihm, der nur Lehnsmann sei, sondern König Gunther der erste Gruß gebühre. Dieser sei gekommen, um mit ihr um ihren Besitz zu kämpfen. Stolz und verächtlich glitt Brunhildes dunkles Auge über den König hin, und als nun vier Männer den Schild herbeitrugen, drei andere einen mächtigen Speer und gar ihrer zwölf einen ungeheuren Stein, die als Waffen dienen sollten, sank Gunther der Mut. Doch Siegfried tröstete ihn, machte sich mithilfe der Tarnkappe unsichtbar, und während vor den Augen aller Anwesenden König Gunther den Speer stärker warf, den Stein weiter schleuderte und weiter darüber hinsprang als Brunhilde) war es in Wirklichkeit Siegfried mit seiner Kraft, der die hünenhafte Jungfrau überwand. Kriemhild am Hof von Burgund machten, die beiden Königinnen über die Vorzüge ihrer Männer und über die Frage, welcher von ihnen beiden der Vortritt gebühre, in Streit gerieten. Der Streit artete in einen bitterbösen Zank aus, in dem Brunhilde ihre Gegnerin als das Weib eines Lehnsmannes bezeichnete und die also ihr als Königin Ehrfurcht schuldig sei. Außer sich vor Zorn über diese Zurücksetzung sprudelte Kriemhild unbedacht das Geheimnis heraus, das über der Niederlage der hünenhaften Nordländerin schwebte. Zum Beweis dessen hielt sie Brunhilde einen Ring und einen Gürtel vor Augen, die Siegfried ihr damals im Kampf entrissenen hatte.
Diese unerhörte öffentliche Beschimpfung der Ehre Brunhildes empörte auch König Gunther, und er forderte Siegfried zur Rechenschaft.
Allerdings wusste sich dieser insofern zu wehren, als er sagte, er habe Kriemhild in vertrauter Stunde nur erzählt, dass er Gunther bei seiner Werbung um Brunhilde geholfen habe. Nun müsse er sich seiner Gattin schämen. König Gunther und alle andern gaben sich mit dieser Aussage zufrieden und befanden den Helden für völlig schuldlos. Nicht so aber Brunhilde, denn Ring und Gürtel bestätigten, den längst in ihr erwachten Verdacht, und sie durchschaute nun den Betrug, den Gunther und Siegfried an ihr verübt hatten.
Finstere Rachepläne erfüllten jetzt das Herz der in ihrer Ehre aufs Tiefste verletzten Brunhilde, und in dem grimmigen Hagen, der ebenfalls von dem Betrug überzeug war, da er zwar von einer Beihilfe Siegfrieds in dem Kamp mit Brunhilde nichts gesehen hatte, die Kraft der Tarnkappe aber wohl kannte, fand sie einen Bundesgenossen.
Die Schmach, die Brunhilde von Siegfried angetan worden war, konnte nur mit Blut abgewaschen werden: Siegfried musste sterben..
Unablässig intrigierte Hagen beim König, lockte den charakterschwachen, goldlüsternen Gunther auch mit dem Nibelungenschatz, der dann in seine Schatzkammer fließen müsste, und da er selbst die grausige Tat vollbringen wollte, brachte er Gunther endlich dahin, dass er zustimmte und der Tod Siegfrieds beschlossen wurde.
Der verruchte Plan wurde ins Werk gesetzt.
Falsche Boten mussten einen bevorstehenden Krieg gegen die Sachsenkönige melden, und nun wurde zum Schrecken der Frauen gerüstet. Besonders sorgenvoll war Kriemhild, denn eine böse Ahnung sagte ihr, dass sie den geliebten Mann bald verlieren würde. Als der arglistige Hagen sich erbot, in dem Kampf ein wachsames Auge auf Siegfried zu haben, war sie daher sehr erleichtert, Und Hagen wusste die Arglose sogar dahin zu bringen, dass sie ihm die einzige Stelle verriet, wo Siegfried verwundbar war; sie versprach sogar, diese Stelle auf seinem Gewand mit einem Kreuzchen zu bezeichnen,
Schon war man zum Abmarsch bereit, da kamen wieder falsche Boten und brachten die Friedensbotschaft. Waffen und Rüstzeug wurden nun in die Rüstkammern zurückgebracht und die Jagdgeräte hervorgeholt, denn nun sollte wenigstens eine große Jagd im Odenwald die Recken entschädigen.
Große Vorräte wurden in den Wald hinausgeschafft, aber auf Hagens geheime Anordnung der Wein zu Hause gelassen. Groß war die Jagdbeute, und auch hier musste Siegfried wieder der Preis des erfolgreichsten Jägers zuerkannt werden. Da der Wein fehlte, musste der Durst mit Wasser gelöscht werden. Hagen wusste eine klare Quelle und dahin sollten nun alle ziehen, Gunther, Siegfried und Hagen voran. Im Wettlauf erreichten die drei Recken die Quelle, und nachdem Gunther zuerst getrunken, bückte sich Siegfried zum Wasser nieder. Da trat Hagen, der zuvor
Siegfrieds abgelegte Waffen heimlich entfernt hatte, bis auf den Schild, der zu des Helden Füßen lag, hinter ihn, erblickte das Kreuzchen auf dem Gewand und warf mit kraftvoller Hand den Speer in des Helden Rücken, dass ein Blutstrom hoch aufschoss. Wohl ergriff der todwunde Mann ’seinen Schild und ’schlug Hagen damit nieder, aber der Schild entfiel der schon kraftlosen Hand und sterbend sank Siegfried zur Erde. Den Tag der Rache an dem Burgundenhaus prophezeiend, das in Blut versinken würde, da seine Fürsten die Ehre vergessen und die Treue gebrochen hätten, verschied der Held.
Groß war die Trauer um ihn, unsäglich der Schmerz Kriemhilds. Dass Brunhilde die Tat angestiftet und Hagen den Mord vollbracht hatte, war jedem klar. Der finstere Hagen leugnete es auch gar nicht, sondern rühmte sich dessen noch.
Nachdem der tiefste Schmerz überwunden war, versöhnte sich Kriemhild zwar mit ihrem Bruder Gunther, dachte aber Tag und Nacht nur daran, wie sie Siegfrieds Tod rächen könnte. Sie blieb in Worms, um Siegfrieds Grab nahe zu sein, und ließ auch den Nibelungenschatz dahin bringen, aus dem sie mit vollen Händen reiche Gaben spendete und sich damit einen großen Anhang gewann.
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