Märchen aus dem Ruhrgebiet
Einst lebte ein Bergmann an der Ruhr mit Namen Gottlieb Bäumer. Gottlieb war ein fleißiger Mann, der eifrig seine Stollen trieb und Tag für Tag viele Säcke mit Kohle ans Tageslicht brachte. Er war mit seinem Leben zufrieden und sooft er in die Kirche ging, betete er zu seinem Herrgott, den er liebte und von dem er wusste, dass er ihm sein Wohlergehen verdankte. Dies alles sah der Teufel mit schrägem Blick. Gar zu gerne hätte er Gottlieb Bäumers Seele gehabt, doch es wollte ihm nicht glücken. Voll Missmut und Ärger trabte der Teufel durchs Ruhrland.
Da eines Tages geschah es, dass Gottlieb Bäumer im Berge auf taubes Gestein stieß. So fleißig er auch arbeitete, er fand kein einziges Stückchen Kohle mehr. Als der Teufel dies sah, wetzte er heimlich seine Krallen. Gottliebs Missgeschick wollte er dazu nutzen, an seine Seele heranzukommen. Und so kleidete er seine höllischen Glieder eines Tages in ein einfaches Bergmannsgewand und näherte sich Gottlieb Bäumer als ein biederer Arbeitskamerad. Dieser empfing den Fremdling ohne Argwohn und klagte ihm seine schweren Sorgen, litt er doch schon mit Frau und Kind heftige Not. Soviel er auch betete, er fand keine Kohlen mehr – und keine Kohlen, das bedeutete für ihn: kein Brot. Gottlieb Bäumer wusste nicht mehr aus noch ein. Da flüsterte ihm der listige Teufel zu: „Wenn Du mir Deine Seele gibst, dann soll all Deine Not ein Ende haben. Du brauchst sie mir nur für sieben Jahre zu verschreiben. Niemand wird etwas davon erfahren. Bald wirst Du dann der reichste Mann an der Ruhr sein, und – Du brauchst Dich niemals mehr zu schinden und zu plagen!“
Zuerst war Gottlieb Bäumer sehr erschrocken, als er das seltsame Angebot des Satans hörte, doch der Teufel wusste so listenreich mit goldenen Worten von zukünftigem Reichtum zu erzählen, dass Gottliebs Widerstand bald schwächer wurde. Da zog auch schon der Teufel eine Feder aus seinem Hute – sie war schon gespitzt. Und dann ritzte er dem Bergmann ein wenig den Arm, und mit den ersten Tropfen Blut wurde unterschrieben.
So wurde also der Vertrag geschlossen!
Der Teufel zögerte nicht, sein Versprechen einzulösen: Schon am nächsten Tage griff er zur Hacke und räumte unverdrossen die Steine aus dem Stollen fort. Das war ein Wühlen und Schürfen! In Windeseile flogen die Gesteinsbrocken zur Seite. Der Teufel brauchte nicht einmal ein Licht dazu. Seine glimmenden Augen erhellten das Dunkel im Berge. Und bald schon kam wieder die Kohle zum Vorschein. Tag und Nacht brach nun der Teufel das schwarze Gold aus dem Gestein, und Gottlieb Bäumer brachte fröhlich die von neuem gefüllten Säcke zu Tage. Ja, es gab soviel Kohle, dass Gottlieb allein nicht mehr mit der Arbeit fertig wurde; er musste sich einen Knappen zu Hilfe nehmen. So wie die Kohle aus dem Berge strömte, so reich floss auch das Geld dem Gottlieb zu. In seinen Truhen und Schränken häuften sich Taler und Dukaten – aber es war Teufelsgeld! Gottlieb war es gar nicht wohl in seiner Haut, und so begann er, seinen Kummer mit Bier und Wein zu ertränken und lebte in Saus und Braus.
Doch in seinem Überfluss vergaß er auch die Armen nicht. Niemand verließ sein Haus, der sich nicht vorher sattgegessen hätte. Jedem Bettler gab er Taler mit vollen Händen, und wer Not litt und Geld brauchte, der musste sich nur an Gottlieb Bäumer wenden.
So gingen also die Jahre ins Land. Kaum noch dachte Gottlieb an den Teufel. Ja, manchmal vergaß er sogar, wem er seinen ganzen Reichtum verdankte! Bis eines Tages der Satan vor ihm stand. Den unterschriebenen Vertrag hielt er in der Hand und lachte hämisch: „Nun sind die sieben Jahre um. Nichts wird Dir mehr nützen. Das Blatt hat sich gewendet. Du musst mit mir zur Hölle kommen!“
Doch Gottlieb Bäumer war nicht dumm. „Noch ist die Frist nicht abgelaufen, die ich mit meinem Blut unterschrieben habe“, entgegnete er. „Heute ist Barbaratag. Noch drei Wochen fehlen an der Zeit. Komm am Heiligen Abend wieder. Dann erst will ich mitkommen, wenn ich will“ Da ließ der Satan meckernd sein Lachen ertönen: „Wenn Du auch zehnmal nicht willst, so bist Du mir doch auf ewig verfallen, da hilft Dir auch Gott nicht mehr.“
Aber Gottlieb verlor nicht den Mut: „Bis dahin wird sich alles finden. Mit Gottes Hilfe gibt es immer noch Rettung. “ Diese Worte erbosten den Teufel sehr, und so Riss er von einem Kirschbaum einige Zweige ab und warf sie dem Gottlieb hin mit den Worten: „Nimm diese dürren Zweige hier. Wenn Gott Dir wirklich helfen will, dann lässt er sie, wenn ich wiederkomme, mitten im Winter blühen. Wenn dies geschieht, dann will ich ohne Deine Seele fortziehen. “ Darauf zerfloss der Teufel in Schwefelgestank – und Gottlieb blieb allein zurück. Verzweifelt und traurig, mit schweren und müden Gliedern, schlich er nun nach Hause. Die Zweige trug er in der Hand, ohne Hoffnung, dass sich das Wunder jemals erfüllen würde. Plötzlich wurde es hell um ihn. Vor ihm stand ein wunderschönes Mädchen, gekleidet in ein weißes Leinenkleid. Es war die heilige Barbara, die Schutzpatronin der Ruhrbergleute. Vom Licht umflossen stand sie da das ganze Ruhrtal erstrahlte in goldenem Schimmer.
Huldvoll sprach nun die Heilige zu Gottlieb: „Du hast Dich mit dem Bösen eingelassen. Groß und schwer ist Deine Schuld. Mond und Sterne könnten deswegen verblassen. Aber sei dennoch frohen Mutes. Ich habe gesehen, dass Du Deine Schlechtigkeit sehr bereut hast. Und weil Du außerdem viel Gutes getan hast, will ich Dir mit einem Rat helfen: Gehe heim und stelle die Zweige in einen mit Wasser gefüllten Krug. Bald werden sich Blüten und Blätter im Überfluss zeigen.“
Nachdem sie dies gesagt hatte, verschwand die heilige Barbara aus Gottliebs Blicken. Dieser tat, was die Erscheinung ihm geraten hatte, und tatsächlich, nach einigen Tagen sprossen aus den Zweigen herrliche Blüten und Blätter, obwohl es noch strenger Winter war.
Als nun der Heilige Abend gekommen war, fand sich der Satan pünktlich am vereinbarten Treffpunkt ein. Bald kam auch Gottlieb, der die blühenden Zweige mitgenommen hatte, sie aber noch unter seinem Mantel versteckt hielt. „Eile Dich“, begrüßte ihn höhnisch der Teufel. „Deine Zeit ist abgelaufen. Nun geht es gemeinsam mit mir zur Hölle!“ „Gemach, gemach“, entgegnete Gottlieb, und in seinen Augen blitzte es fröhlich. „Ich möchte noch gerne auf der Erde bleiben, es gefällt mir hier viel zu gut.“
Da zog der Satan aus seinem Gewande das blutunterzeichnete Pergament. „Beeile Dich, bald tönen die ersten Weihnachtsglocken. Dann ist Deine Zeit endgültig abgelaufen!“ Da ließ Gottlieb mit frohlockendem Lachen den Teufel die blühenden Zweige sehen.
Dieser stampfte voll Wut mit dem Pferdefuß auf, dass feurige Funken aufstoben. Er besah sich die blühenden Zweige von allen Seiten. Geifer floss aus seinem höllischen Mund. Zornentbrannt wollte er nach Gottlieb greifen und seine Niederlage nicht eingestehen. Gottlieb verlor schon fast den Mut. Schon spürte er die krallige Faust in seinem Nacken, und in seinen Adern gefror das Blut.
Doch was war das? Horch! Ganz leise erklang die feine Stimme eines Glöckchens, und nach und nach stimmten alle Glocken in das Tönen und Singen ein. Bald erschallte das Ruhrtal vom mächtigen Weihnachtsgeläut. Da versiegte die Kraft des Teufels, und er verschwand in stinkendem Rauch. Zurück blieb nur das Vertragspergament; es hing unversehrt an einem Strauche.
Und so lebte Gottfried noch viele Jahre, in denen er noch manchen Becher Wein leeren konnte. Der Teufel ließ ihn in Frieden. Doch alljährlich am Barbaratage stellte Gottlieb Kirschbaumzweige in einen Krug, die immer am Weihnachtstage Blüten und Blätter trieben.
Noch heute üben Bergleute im Ruhrgebiet diesen schönen Brauch zu Ehren ihrer Patronin, der heiligen Barbara.
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