In alten Zeiten regierte in Granada ein maurischer König namens Mohammed, den seine Untertanen el Hayzari, den Linkshänder nannten. Einige Chronisten meinen, man habe ihm diesen Beinamen gegeben, weil er mit seiner linken Hand so gut umgehen konnte wie mit der rechten; andere aber glauben, dass er alles verkehrt anfasste und linkisch verpfuschte, was zu regeln gewesen wäre.

Wie auch immer dem sei, sicher ist, dass während seiner Regierungszeit Granada von schweren Unruhen und Revolutionen heimgesucht wurde. Er selbst konnte nie in Frieden leben, und vom Unglück verfolgt oder infolge schlechter Verwaltung wurde er dreimal vom Throne gestoßen; dabei musste er sogar bei einer Gelegenheit als Fischer verkleidet bis Afrika hinüberflüchten, um sein Leben zu retten. Doch war König Mohammed so tapfer wie ungeschickt und führte linkshändig den Krummsäbel so kräftig, dass er sich nach schweren Gefechten den Thron immer wieder zurückeroberte.

Aber anstatt aus dem Missgeschick zu lernen und klug zu werden, wurde er hartherzig, eigenwillig und halsstarrig und bediente sich seines linken Armes, um seine Willkür zu behaupten. Über das Unglück, das er so über sich und sein Reich brachte, berichten dem Forscher die alten arabischen Annalen Granadas; die hier folgende Geschichte soll nur von seinem häuslichen Leben erzählen:

Als dieser Mohammed eines Tages mit seinen Höflingen am Fuße der Sierra Elvira einen längeren Spazierritt unternahm, begegnete er einem Trupp seiner Leute, der von einem Streifzug durchs Grenzland der Christen siegesfroh zurückkehrte. Die Reiter führten einen langen Zug mit Beute schwer beladener Maulesel mit sich; auch sah man viele Gefangene beiderlei Geschlechts.

Unter den Frauen und Mädchen fiel dem Herrscher ein schönes und reich gekleidetes Mädchen auf, das weinend auf einem kleinen Pferd saß, kaum auf die ihr zur Seite reitende Duena hörte und deren tröstende Worte nicht zu verstehen schien.

Der König, von der Schönheit des Mädchens bezaubert, erkundigte sich sogleich nach der Herkunft der Gefangenen. Der Anführer der Truppe konnte ihm melden, dass es sich um die Tochter des Alcaiden, des Burgvogtes, einer Grenzfestung handle, die man im Handstreich eingenommen und dann geplündert habe.

Mohammed forderte das Christenmädchen als königlichen Beuteanteil und ließ es in den Harem auf der Alhambra bringen. Hier tat man alles, um die Auserkorene des Fürsten zu zerstreuen, ihren Kummer zu dämpfen und ihre Stimmung zu heben. Der närrisch verliebte König beschloss daraufhin, das schöne Mädchen zu seiner Gemahlin zu machen. Die Christin wies anfangs seinen Antrag schroff ab, denn der Bewerber war ein Ungläubiger, ein offener Feind ihres Vaterlandes und, was das Schlimmste war, er zählte nicht mehr zu den jüngeren Jahrgängen, denn Silberlocken umrahmten sein ehrwürdiges Haupt.

Als der König sah, dass all seine Bemühungen fruchtlos blieben, beschloss er, mit der Duena, die damals mit dem Mädchen gefangengenommen worden war, zu reden, da diese auf ihre junge Herrin bestimmt einen großen Einfluss ausübte.

Dieser dienstbare Geist war Andalusierin von Geburt; doch kennt man ihren christlichen Namen nicht, denn in den maurischen Sagen nennt man sie immer »Die kluge Kadiga«, und klug war sie in der Tat, was aus der Geschichte ganz klar hervorgeht.

Der maurische König hatte mit ihr eine kurze, geheime Unterredung. Dabei begriff sie, dass es ihm ernst war, und also machte sie seine Sache bei ihrer jungen Herrin zur ihrigen.

»Schluss jetzt!« rief sie eindringlich, »was gibt es denn da zu weinen und zu jammern? Ist es nicht besser, hier die Herrin zu sein, in diesem wundervollen Palast mit all den schönen Gärten und Brunnen, als in Eures Vaters altem Grenzturm zwischen nackten Felsen eingeschlossen zu leben? Dass dieser Mohammed ein Ungläubiger ist, was tut dies schon groß zur Sache? Ihr heiratet ja ihn und nicht seine Religion. Und dass er alt ist? Desto eher werdet ihr Witwe und dann Eure eigene Herrin sein. Auf jeden Fall seid Ihr in seiner Gewalt und habt nur die Wahl zwischen Königin oder Sklavendasein. Sagt man nicht, es sei immer noch besser, seine Ware an den Räuber zu einem annehmbaren Preis zu verkaufen, als sie sich mit Gewalt nehmen zu lassen?«

Die Vorhaltungen der klugen Kadiga hatten Erfolg. Das spanische Mädchen trocknete ihre Tränen und wurde die Gemahlin Mohammeds des Linkshänders. Sie nahm auch zum Schein den Glauben ihres königlichen Gatten an; ihre Duena aber wurde sofort eine eifrige Bekennerin der Lehren des Propheten. Sie erhielt den arabischen Namen Kadiga und blieb die vertraute Dienerin ihrer Herrin.

Nach angemessener Zeit wurde der maurische König stolzer und glücklicher Vater von drei hübschen Töchtern, die alle zur selben Stunde geboren wurden. Ihm wären wohl Söhne lieber gewesen, doch er tröstete sich mit der Überlegung, dass immerhin drei gleichzeitig geborene Töchter für einen einigermaßen bejahrten und obendrein noch linkshändigen Mann eine beachtenswerte Leistung wären.

Wie es bei den moslemischen Königen Sitte war, rief auch r bei diesem glücklichen Ereignis die bekanntesten Astrologen zu sich und bat sie, den drei kleinen Prinzessinnen ihr Horoskop zu stellen.

Gerne kamen die weisesten Männer des Reiches dem Wunsch ihres Landesherrn nach, und ernst, mit den gelehrten Häuptern nickend, sagten sie: »Töchter, o König, sind immer ein unsicherer Besitz; aber diese hier werden deiner Wachsamkeit ganz besonders bedürfen, wenn sie in das heiratsfähige Alter kommen. Dann nimm sie in deine _$alleinige Obhut und vertraue sie keinem anderen Menschen an.«

Mohammed, der Linkshänder, wurde von seinen Höflingen und Hofschranzen als weiser König anerkannt, und er selbst betrachtete sich auch als einen von Gott gesegneten Landesvater.

Die Prophezeiung der Astrologen verursachte ihm und seinem Hofstaat also wenig Kopfzerbrechen; er traute ihrem und seinem Verstande zu, die Überwachung der Infantinnen zu gegebener Zeit umsichtig, zu organisieren und damit des Geschickes Mächte überlisten zu können.

Die Drillingsgeburt war übrigens die letzte und einzige eheliche Trophäe des Königs. Seine Gemahlin gebar ihm darauf keine Kinder mehr und starb einige Jahre später, Die jungen Töchter der Obhut seiner Liebe und der Treue der klugen Kadiga überlassend.

Viele Jahre gingen ins Land, ehe die Prinzessinnen das von den Astrologen genannte gefährliche Alter der Heiratsfähigkeit erreichten.

„Ein kluger Mann baut vor«, sagte sich der schlaue König und beschloss, den Wohnsitz seiner Töchter und ihres Hofstaates nach dem königlichen Schloss Salobrena zu Verlegen und sie dort erziehen zu lassen.

Dieser prächtige Palast stand inmitten einer starken maurischen Festung, die vor Jahren einer der granadinischen Fürsten auf den uneinnehmbaren Gipfel eines Berges an den Ufern des Mittelmeeres hinaufgebaut hatte. Salobrena war also so etwas wie ein Fruchtkern, von einer harten Schale umschlossen, und unmöglich schien es, mit den Bewohnern des Palastes von außen her in Kontakt zu treten. Hier oben, fern von Granada und den Hofintrigen, den Ränken und politischen Verschwörungen, war eine Art von königlicher Pfalz, wo die mohammedanischen Potentaten unliebsame Verwandte einsperrten, die ihnen im Wege standen oder ihre Sicherheit zu gefährden schienen.

Den Bewohnern dieses politischen Sanatoriums wurde übrigens jede Art von Wohlleben und Unterhaltung geboten, in deren unbeschränktem Genus sie ihr Leben in üppiger Trägheit und wollüstiger Faulheit hinbrachten, bis sie endlich verfettet ins bestimmt nicht bessere jenseits hinüberschlummerten.

Nachdem diese Residenz von vielen Arbeitern und Künstlern zweckdienlich hergerichtet worden war, übersiedelten die drei Infantinnen dorthin.

Hier lebten sie von aller Welt abgeschlossen, doch mit ihren Freundinnen und von Sklavinnen bedient, die ihnen jeden Wunsch von den Augen ablasen.

Sie spazierten in den köstlichen Schlossgärten umher, wo die herrlichsten Blumen wuchsen und die Bäume seltene Früchte trugen; sie spielten in duftenden Hainen und erfrischten sich in wohlriechenden Bädern. Von drei Seiten schaute die Burg auf ein reiches und gepflegtes Tal nieder, und weit hinten am Horizont leuchteten die Berge der Alpujarra; in der anderen Richtung ging der Blick aufs sonnenbestrahlte offene Meer hinaus, wo Fischer ihrem schweren Handwerk nachgingen und Kauffahrer dahinsegelten.

Die Prinzessinnen wuchsen in dieser Umgebung unter ewig blauem Himmel im mildesten Klima der Welt zu wahren Schönheiten heran.

Obgleich alle drei Schwestern die gleiche Erziehung genossen, waren sie in bezug auf ihre Charaktereigenschaften von klein auf grundverschieden.

Sie hießen Zaida, Zoraida und Zorahaida; und das war auch die Reihenfolge ihres Alters.

Genau drei Minuten lagen zwischen der Geburt einer jeden.

Zaida, die älteste, hatte einen unerschrockenen Geist und war ihren Schwestern in allem voraus, was sich ja schon bei ihrem Eintritt in diese Welt gezeigt hatte. Sie war neugierig, wissensdurstig, fragte viel und ging den Dingen gern auf den Grund.

Zoraida war eine Künstlernatur von feinem Geist und Gefühl. Ein besonderer Sinn für alles Schöne und ästhetische zeichnete sie aus, was ohne Zweifel der Grund war, weshalb sie so gern in Spiegeln und Brunnen ihr eigenes Bild betrachtete; Blumen, Juwelen und kunstvoller Putz ließen ihr kleines Herz rascher schlagen.

Zorahaida wieder war sanft und schüchtern, äußerst empfindsam und dazu von hingebungsvoller Zärtlichkeit. Mit Liebe pflegte sie Blumen, Vögel und andere Tiere. Sanft und voll Liebe unterhielt sie sich mit ihren Schwestern, und nie sprach sie einen ihrer Wünsche in arrogantem Tone aus.

Sinnend und träumend saß sie oft stundenlang auf dem Balkon und schaute in milden Sommernächten zu den funkelnden Sternen hinauf oder auf das weite, vom Mond bestrahlte Meer hinaus. In solchen Momenten konnte ein fernes Fischerlied, der leise Ton einer maurischen Flöte oder der Ruderschlag einer vorübergleitenden Barke sie ganz und gar verzücken. Der geringste Aufruhr der Elemente aber erfüllte sie mit Schrecken und Angst, und ein einziger Donnerschlag reichte oft hin, sie in Ohnmacht fallen zu lassen.

So gingen ruhig und heiter die Jahre dahin. Treu erfüllte die kluge Kadiga ihre Pflicht und sorgte unermüdlich für das Wohl der ihr anvertrauten Prinzessinnen.

Das Schloss Salobrena lag, wie bereits erwähnt, auf einem Berg an der Seite des Hügels. Die Anlage zog sich hin bis zu einem vorspringenden Felsen, der über die See hinausragte. Die Wellen schlugen sanft auf einen kleinen Strand, dessen Ufersand der Küste jede Rauheit nahm. Oben auf dem Felsenriff stand ein alter Wachtturm, der zu einem schönen Pavillon umgebaut worden war, durch dessen vergitterte Fenster die frische Seeluft hereinkam.

Hier verbrachten die Infantinnen gewöhnlich die schwülen Stunden des Mittags und schliefen während der Siesta-Zeit dann ruhig und zufrieden.

Die neugierige Zaida saß eines Tages an einem der Fenster des Pavillons und schaute übers Meer hin, während ihre beiden Schwestern auf weichen Ottomanen schliefen. Aufmerksam beobachtete sie eine Galeere, die mit gleichmäßigen Ruderschlägen die Küste entlangfuhr und sich dem Turm näherte.

Bald konnte sie auch feststellen, dass es sich um ein militärisches Fahrzeug handelte, da es mit Bewaffneten bemannt war.

Die Galeere warf unterm Turm beim Felsen Anker, und eine größere Anzahl maurischer Soldaten brachten mehrere christliche Gefangene an Land und stellten diese am schmalen Sandstrand auf.

Zaida weckte sofort ihre Schwestern und berichtete ihnen eingehend über den Vorfall. Alle drei lugten dann vorsichtig durch die dichten Fenstergitter zur Küste hinunter, derart, dass sie von draußen nicht gesehen werden konnten. Unter den Gefangenen befanden sich drei reich gekleidete spanische Ritter. Sie standen in der Blüte der Jugend und waren von edlem Aussehen; aus ihrem Wesen sprach Vornehmheit, und stolz schauten sie zu ihren Feinden und Wächtern hinüber, die auf weitere Anordnungen bezüglich der mit Ketten beladenen Christen zu warten schienen.

Die Infantinnen blickten voll gespanntem Interesse hinunter und konnten sich an den schönen jungen Männern nicht sattsehen.

Was Wunder, dass die Erscheinung der drei Ritter aus adeligem Hause ihre jungen Herzen einigermaßen beunruhigte. Im Schloss kamen sie fast ausschließlich mit weiblicher Dienerschaft zusammen und sahen vom männlichen Geschlecht nur schwarze Sklaven und dann und wann einen Fischer oder einen Soldaten der Küstenwache. Die etwas arrogante Schönheit der drei hübschen Ritter in der Blüte ihrer Jugend musste die Infantinnen aufs tiefste bezaubern.

»Hat jemals ein edleres Wesen die Erde betreten, als jener Ritter in Scharlachrot?« rief Zaida, die älteste der Schwestern. »Schau, wie stolz er sich benimmt, als ob alle rings um ihn seine Sklaven wären! «

»Aber seht nur jenen in Grün! « rief Zoraida, »welche Anmut, welche Hoheit, welche Eleganz! «

Zorahaida aber schwieg und verriet ihren Schwestern nichts, doch insgeheim gefiel ihr der Ritter im blauen Gewand am besten.

Die Prinzessinnen wandten von den Gefangenen kein Auge ab, bis sie in der Ferne ihren Blicken entschwanden Dann seufzten die drei Infantinnen tief, drehten sich um, schauten sich einen Augenblick an und setzten sich sinnend und träumend in ihre Ottomanen.

So traf sie bald hernach die kluge Kadiga. Die Mädchen erzählten ihrer treuen Duena, was sie gesehen hatten. Schwärmend ließen sie ihren Zungen freien Lauf, dass so gar das welke Herz Kadigas rascher zu schlagen begann. »Arme Jungen! « rief sie aus, »ihre Gefangenschaft und das harte Los, das ihrer harrt, wird manch edlem und schönem Mädchen in ihrem Heimatland großen Kummer und schweres Herzeleid verursachen! Ach, liebe Kinder, ihr habt keinen Begriff von dem Leben, das diese Ritter auf ihren Burgen und Schlössern, in Palästen und am Hofe ihres Königs führen! Welche Pracht bei den Turnieren herrscht, welche Bewunderung von seiten schöner Frauen ihnen entgegengebracht wird. Und dann dieser Minnedienst mit Liedern und Serenaden!«

Bei Zaida stieg die Neugierde aufs höchste. Ihre Fragen wollten kein Ende nehmen, und nach und nach entlockte sie der alten Dienerin die lebendigsten Schilderungen von Festen und Spielen, die sie in der Jugend in ihrem Heimatlande gesehen und erlebt hatte.

Die schöne Zoraida richtete sich schnell auf, als Kadiga von den Reizen der spanischen Frauen berichtete, und ging zum großen Wandspiegel, wo sie sich insgeheim mit kritischem Blick, doch hochzufrieden betrachtete. Die zarte Zorahaida drückte sich wieder tief in die Kissen auf ihrer Ottomane und seufzte traurig in sich hinein, als von den feurigen Mondscheinserenaden die Rede war.

jeden Tag kam die neugierige Zaida wieder mit ihren Fragen, und jeden Tag wiederholte die kluge Duena ihre Erzählungen, denen die edlen Zuhörerinnen mit größter Aufmerksamkeit lauschten, und manchmal seufzten sie tränenden Auges dabei.

Endlich merkte die alte Frau, dass sie dabei war, ein großes Unheil anzurichten. Sie hatte übersehen, dass aus den ihr anvertrauten drei Kindern nunmehr kokette junge Frauen im heiratsfähigen Alter geworden waren, durch deren Adern heiß das Blut pulsierte und deren Herzen nach Liebe verlangten.

Es wird Zeit, dachte sich die Duena daher, dass der König benachrichtigt wird, mag er dann verfügen, was ihm richtig erscheint.

Mohammed der Linkshänder saß eines Morgens in einer der kühlsten Hallen der Alhambra auf dem Diwan, als ein Bote von der Festung Salobrena in den Thronsaal geführt wurde, der Kadigas Glückwünsche zum Geburtstag seiner drei Töchter überbrachte.

Die kluge Duena sandte dem König ein mit Blumen verziertes, feines Körbchen, in dem auf Weinlaub und Feigenblättern gebettet ein Pfirsich, eine Aprikose und eine Nektarine lagen. Als der Monarch die frischen Früchte im verführerischen Reiz beim Anflug ihrer Reife sah, da erriet er sogleich die Bedeutung dieses Geschenkes.

Ernst geworden, überlegte er sich: »Die von den Astrologen angedeutete gefährliche Zeit ist also gekommen; meine Töchter sind im heiratsfähigen Alter. Vorsicht ist geboten! Doch was soll ich tun? Richtig ist, dass sie den Blicken der Männer entzogen sind; dass Kadiga klug und treu ihrer Pflicht nachkommt, auch das ist wahr! Die Astrologen verlangten aber, dass ich selbst die Mädchen in Obhut nehme und sie keiner anderen Person anvertraue! Um künftigen Verdruss und ärger zu vermeiden, muss ich mich ab heute selbst um meine Töchter kümmern.«

So sprach Mohammed und ließ einen Turm auf der Alhambra zum Aufenthaltsort der Infantinnen ausbauen. Dann ritt er an der Spitze seiner Leibwache bis Salobrena, um die drei Schönheiten mit Kadiga und dem Hofstaat in höchst eigener Person auf die Königspfalz in Granada zu bringen.

Ungefähr drei Jahre waren verflossen, seitdem der König seine Töchter zum letzten Mal gesehen hatte. Er traute seinen Augen nicht, als er die wunderbare Veränderung gewahrte, die während dieses Zeitraums mit ihrem äußeren vor sich gegangen war. Sie hatten in wenigen Monaten jene mysteriöse Grenzlinie des weiblichen Lebens überschritten, welche das wilde, ungezähmte, eckige und gedankenlose Mädchen von der aufblühenden und selbstständig urteilenden jungen Frau trennt. Aus Kindern waren Erwachsene geworden! ähnliches erlebt der Reisende, der aus der reizlosen und kahlen Mancha des kastilischen Hochlandes in die üppigen Täler und schwellenden Hügel Andalusiens gelangt.

Zaida war schlank und schön gewachsen, von stolzer Haltung, und unter fein geschwungenen Brauen leuchteten durchdringend tief schwarze Augen. Sie trat mit gemessenen Schritten ein und machte vor Mohammed eine tiefe Verbeugung, die mehr dem König als dem Vater zu gelten schien.

Zoraida war von mittlerem Wuchs, sie hatte ein bezauberndes Wesen. Sie unterstrich es vorteilhaft durch ausgesuchte Kleidung und geschmackvollen Schmuck und Putz. Lächelnd kam sie auf ihren Vater zu, küsste ihm die Hände und begrüßte ihn mit einigen Versen aus einem arabischen Gedicht, was dem König große Freude bereitete.

Zorahaida war schüchtern und scheu, etwas kleiner als ihre Schwestern, und ihre Schönheit hatte jenen zarten einschmeichelnden Charakter, der Liebe und Schutz sucht. Sie war keine Herrschernatur, so wie ihre älteste Schwester, auch war sie nicht von blendender Schönheit, wie die zweite; sie schien dazu geschaffen, sich an die Brust des geliebten Mannes zu schmiegen, verwöhnt zu werden und sich glücklich zu fühlen. Schüchtern und zögernd näherte sie sich ihrem Vater und getraute sich nicht nach seiner Hand zu fassen, um sie zu küssen.

Erst als sie sein väterliches Lächeln sah, kam ihre Zärtlichkeit zum Durchbruch. Voll Freude warf sie sich an seine Brust, umarmte und küsste ihn mit kindlicher Liebe.

Mit Stolz, doch auch mit sorgenvoller Verwirrung blickte Mohammed der Linkshänder auf seine Töchter, denn während er sich über ihre große Schönheit freute, fiel ihm die ernste Prophezeiung der Astrologen ein.

»Drei Töchter! Drei Töchter!« murmelte er mehrmals in seinen weißen Bart hinein, »und alle im heiratsfähigen Alter! Das sind wahrhaftig lockende Hesperidenfrüchte, die einen Drachen zum Wächter brauchten! «

Bald hatte er alles geordnet und bereitete seine Rückkehr nach Granada vor. Doch vorher ließ er noch durch königliche Herolde verkünden, dass sich jedermann vom Wege fernzuhalten habe, den der König mit Töchtern und Gesinde nehmen wolle, und dass beim Herannahen des Zuges Fenster und Türen zu schließen seien, denn die Infantinnen sollten niemanden sehen.

Als so alles geregelt schien, brach er auf, geleitet von einem Trupp schwarzer Reiter hässlichsten Aussehens, deren Rüstungen im Schein der ersten Sonnenstrahlen funkelten.

Auf feurigen weißen Pferden ritten die Prinzessinnen neben dem Vater. Weite Seidenmäntel tarnten ihre wohlgeformten Leiber, und dichte Schleier verhüllten die so schönen Gesichtszüge der wundervollen Mädchen. Die Schimmel, auf denen sie im Sattel saßen, trugen samtene Decken, reich mit Gold und Silber bestickt; Kandare, Kinnkette und Steigbügel waren aus Gold, die seidenen Zügel mit Perlen und Diamanten verziert. Am Zaumzeug hingen Dutzende von silbernen Glöckchen, deren melodischer Klang das Ohr erfreute. Aber wehe dem Unglücklichen, der am Wege zögernd stehenblieb, wenn er den wohlklingenden Ton der Silberschellen hörte! Die Wachmannschaft hatte den strikten Befehl, ihn ohne Gnade niederzuhauen!

Der königliche Geleitzug näherte sich bereits Granada, als er am Ufer des Genil eine Abteilung maurischer Soldaten einholte, die einen Trupp christlicher Gefangener begleitete. Schon war es für die Soldaten zu spät, aus dem Weg zu gehen und sich seitlich in die Büsche zu schlagen, wie es befohlen war. Sie warfen sich also auf den Boden, mit den Gesichtern zur Erde versteht sich. Ihren Gefangenen befahlen sie, es ihnen nachzutun.

Unter den Gefangenen befanden sich aber auch die drei spanischen Ritter, welche den Infantinnen vor einigen Tagen im Pavillon zu Salobrena das Herz hatten höher schlagen lassen. Die Ritter hatten den Befehl des Hauptmanns der Wache wohl nicht verstanden, oder sie waren zu stolz, ihm zu gehorchen. Aufrecht blieben sie stehen und sahen voll Interesse dem prunkvollen Reiterzug entgegen.

Als Mohammed diese Missachtung seiner Befehle gewahr wurde, riss er zornig seinen Krummsäbel aus der Scheide, sprengte vorwärts und wollte gerade einen seiner linkshändigen Streiche führen, der wenigstens einen der trotzigen Gaffer zu Boden gestreckt hätte, als die Prinzessinnen ihn umringten und für die Gefangenen um Gnade baten. Sogar die zarte Zorahaida hatte plötzlich ihre Schüchternheit vergessen und setzte sich für die Christen ein. Noch hielt der Maure seinen Säbel hoch in der Luft, als der Führer der Wache vor ihm sein Knie beugte und sagte: »Möge Eure Majestät nicht eine Tat begehen, die im ganzen Reich großen ärger erregen würde. Dies sind drei spanische Ritter aus edelster Familie, die wir nach hartem Kampfe gefangen nehmen konnten; mutig wie Löwen kämpften sie, und erst als ihre Waffen unbrauchbar geworden waren, ergaben sie sich uns. Von hohem Adel sind sie und werden Euch ein hohes Lösegeld einbringen.«

Langsam ließ der König die Hand mit der Waffe sinken und rief: »Nun denn! Ich werde den Christen hier das Leben schenken! Doch ihre Verwegenheit und ihr Trotz verlangen Strafe. Bringt sie daher zu den Torres Bermejas und weist ihnen die härteste Arbeit an! «

Das war wieder einer der linkischen Streiche, die Mohammed hin und wieder zu machen pflegte. In dem Aufruhr und dem stürmischen Hin und Her der eben beschriebenen Szene wurde nämlich die außerordentliche Schönheit der drei Prinzessinnen nur allzu deutlich ins Bild gerückt, da sich bei den raschen und unüberlegten Bewegungen ihre Schleier verschoben und sich so der Glanz ihrer schönen Augen und ihre zarten Haut enthüllte.

Die spanischen Ritter hatten so Gelegenheit, den gütigsten Feen aus dem granadinischen Morgenland tief in die Augen zu blicken, was in ihren so jungen Herzen eine lohende Flamme entfachte.

In den damaligen Zeiten verliebten sich die jungen Leute viel schneller als heutzutage, und es darf daher nicht wundern, dass die junge Männer aus Córdoba von solche Schönheit zutiefst beeindruckt waren, um so mehr, als sich Dankbarkeit zur Bewunderung hinzugesellte.

Es ist jedoch seltsam und wirklich der Erwähnung wert dass sich jeder von ihnen in eine andere der Infantinnen verliebt hatte, die ihrerseits vom adeligen Auftreten de Gefangenen überrascht waren und alles, was sie von de männlichen Tapferkeit und ihrer spanischen Grandezza gehört hatten, wie Zauberblumen in ihrer Phantasie auf gehen ließen.

Der Reiterzug setzte seinen Weg fort; die drei Prinzessinnen ritten nachdenklich auf ihren Zeltern dahin, und von Zeit zu Zeit spähten sie mit verstohlenen Blicken zu den christlichen Gefangenen hinüber, in die sie sich so heftig verliebt hatten.

Auf der Alhambra angekommen, sahen sie noch, wie die drei Spanier in den roten Turm gebracht wurden. Da kaum begonnene Idyll schien schon zu Ende zu sein.

Die für die Infantinnen hergerichtete Wohnung war so vorteilhaft und schön, wie sie nur arabische Phantasie er sinnen konnte.

Das neue Heim der Königstöchter befand sich in einem Turm, der etwas abseits vom Hauptpalast der Alhambra stand, doch mit diesem durch die Burgmauer verbunden war, die die ganze Anhöhe umschloss. Auf der einen Seite,“,; überschaute man von dort das Innere der Festung und sah auf einen hübschen Blumengarten mit den seltensten Gewächsen. Auf der anderen Seite hatte man die Aussicht auf eine tiefe, schattige Schlucht, die das Gelände der Alhambra von dem des Generalife trennte.

Das Innere des Turms war in kleine, gemütliche Gemächer unterteilt. Sie waren im feinsten arabischen Stil gehalten, und ihre Wände waren mit kunstvollem Zierwerk geschmückt. Diese wundervollen Kemenaten umgaben eine hohe Halle, deren gewölbte Decke fast bis zur Spitze der Turms hinaufreichte. Hier konnte man Arabesken, sinnvolle Inschriften, Stuckarbeiten und Stalaktiten bewundern sowie zahlreiche in Gold und glänzenden Farben gehaltene Fresken. Der Boden war mit weißen Marmorplatten belegt, und in der Mitte stand ein fein gearbeiteter Alabasterbrunnen; duftende Sträucher und Blumen fassten ihn ein, und schillernde Wasserstrahlen kühlten den Raum, während ihr leises Plätschern ein sanft einschläferndes Geräusch verursachte.

Im Saal hingen Goldkäfige und Bauer aus Silberdraht geflochten, mit den schönsten Singvögeln, deren liebliches Zwitschern und Trillern jedes Ohr erfreute.

Wie man dem König berichtet hatte, waren die Prinzessinnen auf Schloss Salobrena immer heiter und guter Dinge gewesen; so erwartete er natürlich, dass es ihnen auf der Alhambra in ihrem Feenpalast ganz besonders gefallen werde.

Zu seinem großen Verdruss war das nicht der Fall; sie waren melancholisch, mit allem und jedem unzufrieden und schienen sich über irgend etwas tief zu grämen. Die Blumen teilten ihnen ihren Duft nicht mit, der Gesang der Nachtigall störte ihre Nachtruhe, und der Alabasterbrunnen mit seinem ewigen Rinnen und Plätschern, das vom Morgen bis zum Abend und wieder bis zum Morgen dauerte, war ihnen eine Qual und griff ihre Nerven an. Kurz gesagt, den drei jungen Frauen schien alles lästig zu sein und nichts eine Freude zu machen.

Der König, ein Mann von aufbrausender und tyrannischer Gemütsart, nahm dieses Verhalten anfangs sehr ungnädig auf; aber bald fiel ihm ein, dass seine drei Töchter ja eigentlich keine Kinder mehr waren, sondern bereits erwachsene junge Frauen, deren Interesse natürlich nicht durch Spielereien gefesselt werden könne.

»Da gehören jetzt andere Sachen her!« sagte er sich und verschaffte allen Schneidern, Schustern, Webern und Juwelieren, Goldschmieden und Silberarbeitern des ganzen Zacatin Granadas Beschäftigung.

Handwerker kamen und gingen, Kaufleute aus den fernsten Ländern brachten ihre Waren auf die Alhambra, Händler zogen reich beladen den Schlossberg hinauf und verkauften dem König ihre Kostbarkeiten.

Der besorgte Vater überschüttete seine gemütskranken Töchter mit Geschenken, nur um sie zufrieden zu sehen und ihren Sinn aufzuheitern. Es füllten sich die Kemenaten mit Gewändern von Seide, Goldstoffen und Brokat, mit feinen Schultertüchern und Kaschmirschals; auf den Tischen lagen Halsbänder von Perlen und schwere Goldketten mit klaren Edelsteinen besetzt, auf Samtkissen wieder sah man Armbänder und Ringe; in kunstvollen Fläschchen und Dosen dufteten wohlriechende Essenzen und milde Salben.

Doch das half alles nichts; die Prinzessinnen blieben bleich, bedrückt und traurig mitten in ihren Kostbarkeiten und glichen drei welken Rosenknospen, die von einem abgeschnittenen Zweige niederhingen. Der König wusste nun wirklich nicht mehr, was er anfangen sollte.

Für gewöhnlich vertraute er seinem eigenen Urteil, holte sich bei niemandem Rat und nahm natürlich auch keinen an. Die Launen und Einfälle dreier heiratsfähiger Töchter indessen reichen hin, um den klügsten Kopf in Verlegenheit zu bringen, und also suchte er zum ersten Mal in seinem Leben fremden Rat.

Er wandte sich an die erfahrene und kluge Duena und sagte zu ihr: »Kadiga, ich weiß, dass du eine der klügsten und treuesten Frauen auf der ganzen Welt bist. Dies war auch der ausschlaggebende Grund, dass ich dich immer bei meinen Töchtern ließ. Väter können in der Wahl solcher Vertrauenspersonen nicht vorsichtig genug sein! Ich wünsche jetzt von dir, dass du die geheime Krankheit ausfindig machst, die den Frohsinn der Prinzessinnen zum Schwinden brachte und an ihrem Gemüte nagt. Suche mir ein Mittel, das meine Töchter wieder gesund und froh macht! «

Kadiga versprach, sich der Sache anzunehmen und ihr auf den Grund zu gehen. In Wirklichkeit wusste sie natürlich mehr von der Krankheit der Prinzessinnen, als die Töchter selbst. Indessen blieb sie mit ihnen zusammen, ließ sie keinen Augenblick allein und bemühte sich, ihr unbedingtes Vertrauen in der Herzenssache zu erlangen.

»Meine lieben Kinder, warum seid ihr so traurig und betrübt an einem der schönsten Orte der Welt, wo ihr alles habt, was euer Herz begehrt?« fragte sie.

Die Infantinnen schauten gedankenlos im Zimmer herum und seufzten dann tief auf.

»Kinder, sprecht! Was fehlt euch denn? Soll ich euch den wunderbaren Papagei bringen lassen, der alle Sprachen spricht und von dem ganz Granada entzückt ist?«

»Greulich!« rief die energische Zaida. »Ein hässlich kreischender Vogel, der Worte ohne Gedanken plappert und schnattert. Nur Menschen ohne Verstand und Hirn können solch ein Tier um sich dulden. «

»Soll ich um einen Affen vom Felsen von Gibraltar schicken, damit ihr euch an seinen Possen ergötzen könnt?«

»Ein Affe? Nur nicht. Das hätte gerade noch gefehlt Der Affe ist der abscheulichste Nachahmer des Menschen, hässlich und von widerlichem Geruch. Mir ist dieses Tier ausgesprochen verhaßt! «

So sprach die hübsche Zoraida mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien.

»Und was sagt ihr zu dem bekannten schwarzen Sänger Casem aus dem königlichen Harem von Marokko? Man erzählt von ihm, dass seine Stimme so fein sei wie die eines Frauenzimmers«, schlug Kadiga vor.

»Wollt Ihr uns auf den Tod erschrecken«, sagte die zarte Zorahaida, »alle Freude an der Musik und am Gesang hat sich bei mir vollkommen verloren. «

»Ach, mein Kind, so würdest du bestimmt nicht reden«, erwiderte listig die Alte, »wenn du die Musik gehört hättest, die gestern abend die drei spanischen Ritter machten, als sie nach des Tages Arbeit ausruhten. Erinnerst du dich noch der gefangenen Edelleute, die wir auf unserer Reise trafen? Aber Gott steh mir bei, Kinder! Was gibt es denn, dass ihr so errötet und plötzlich vor Aufregung zittert?« »Nichts! Nichts, gute Mutter; bitte erzählt nur weiter. « »Gut, wie ihr wollt. Als ich gestern abends bei den Torres Bermejas vorbeikam, sah ich die drei Ritter am Fuß des roten Turms sitzen und musizieren. Der eine spielte rührend schön auf der Gitarre, und die beiden anderen sangen zum Klang der Saiten so anmutig und hinreißend, dass selbst die hartherzigen Wächter bewegungslos dastanden und verzauberten Bildsäulen glichen. Allah möge mir vergeben! Auch ich konnte mich der Wehmut und der Tränen nicht erwehren, als ich diese Lieder aus meiner Heimat hörte. Und dann erst drei so edle und hübsche Jünglinge in Ketten und als Sklaven zu sehen! «

jetzt wurde es für die gutherzige alte Frau wirklich zuviel. Laut schluchzte sie auf, und große Tränen kullerten ihr über die welken Wangen.

»Vielleicht, Mutter, könntest du es einrichten, dass wir die drei Ritter einmal sehen dürfen«, sagte Zaida.

»Etwas Musik würde bestimmt auch uns aufheitern«, warf Zoraida ein.

Die schüchterne Zorahaida schwieg und sagte gar nichts; doch legte sie liebevoll ihre schneeweißen Arme um den Hals der alten Kadiga.

»Der Himmel bewahre mich vor so einer unsinnigen Tat«, klagte die kluge alte Frau. »Was schwatzt ihr da, Kinder? Wisst ihr, was ihr da von mir verlangt? Euer Vater würde uns alle töten, wenn ihm so etwas zu Ohren käme. Gewiss, diese Ritter sind augenscheinlich edle und wohlerzogene Jünglinge; aber was liegt uns daran? Uns interessieren sie bestimmt nicht! Auch sind sie Feinde unseres heiligen Glaubens, und ihr dürft ohne Abscheu nicht an sie denken.«

Nun gibt es eine bewunderungswürdige Unerschrockenheit und Festigkeit in der weiblichen Willenskraft, die sich weder durch Gefahren noch Verbote einschüchtern lässt und besonders bei Frauen und Mädchen im heiratsfähigen Alter oft außergewöhnliche Formen annehmen kann.

Die drei Prinzessinnen ließen alle Register ihrer Überredungskunst spielen.

Sie umarmten ihre Duena, schmeichelten, flehten, weinten und erklärten, dass eine abschlägige Antwort ihnen das Herz brechen würde.

Was sollte sie tun? Sie war gewiss die klügste alte Frau auf der ganzen Welt und eine der treuesten Dienerinnen des Königs; aber konnte sie zusehen, wie drei schönen Prinzessinnen das Herz brach, wie ihre Gesundheit, ihr Frohsinn dahinschwanden?

Kadiga lebte nun schon viele Jahre unter den Mauren und hatte seinerzeit gleich ihrer Herrin den Glauben gewechselt und diente seither treu dem Propheten. Doch innerlich war sie Spanierin geblieben, und eine leise Sehnsucht nach dem Christentum, ihrem früheren Gottesglauben, konnte sie nie aus dem Herzen bannen. Sie sann daher nach, wie man die Wünsche der Prinzessinnen leicht und gefahrlos erfüllen könne, denn ganz so einfach war die Sache nicht.

Die im roten Turm eingeschlossenen Gefangenen standen unter der Aufsicht eines langbärtigen und breitschultrigen Renegaten namens Hussein Baba, von dem die Sage ging, dass er leicht zu bestechen wäre. Ihn besuchte Kadiga heimlich, ließ vorsichtig ein großes Goldstück in seine Hand gleiten und sagte mit leiser Stimme: »Hussein Baba, meine Herrinnen, die Königstöchter, die im Turm dort eingeschlossen sind, kommen vor Einsamkeit um, denn keine Unterhaltung zerstreut sie. Vor einigen Tagen wurde ihnen von den musikalischen Talenten der drei spanischen Ritter erzählt, und nun möchten sie gerne eine Probe ihrer Künste hören. Ich kenne dich, alter Freund, und weiß, dass du in deiner Gutherzigkeit den armen Mädchen nicht diese unschuldige Freude versagen wirst.«

»0 du alte Hexe! Fahr zum Teufel mit deinem Ansinnen! Du willst wohl meinen aufgespießten Kopf von der Spitze dieses Turms heruntergrinsen sehen? Denn das wäre der Lohn für die Untat, wenn der König sie entdeckte oder auch nur dieses Gespräch ihm zu Ohren käme

»Aufrichtig gesagt, ich sehe keine Gefahr dabei. Man muss nur die Sache so einrichten, dass die Laune der Prinzessinnen befriedigt wird und ihr Vater doch nichts davon erfährt. Du kennst die tiefe Klamm außerhalb der Burgmauer; vom Turm der Infantinnen sieht man direkt hinunter auf die grünen Hänge. Bring die drei Christen dorthin zur Arbeit und lasse sie in den Ruhestunden spielen und singen, und jedermann wird glauben, dass sie dies zu ihrer eigenen Unterhaltung täten. Die Prinzessinnen hören vom Fenster ihres Turms aus die Musik und den Gesang, und du kannst sicher sein, dass sie dich dafür gut und reichlich bezahlen werden. «

Als die gute alte Frau geredet hatte, drückte sie freundlich die rauhe Hand des Renegaten und ließ noch ein weiteres Goldstück darin zurück.

Einer solch wohlklingenden und so überzeugenden Beredsamkeit konnte natürlich niemand widerstehen, und auch Hassan nicht. Am nächsten Tag schon arbeiteten die Ritter mit ihren Kameraden in der Schlucht.

Während der Mittagszeit schliefen ihre Unglücksgefährten im Schatten der dicht belaubten Bäume, die drei spanischen Ritter aber setzten sich auf den weichen Rasen am Fuße des Turms der Infantinnen und sangen ein Lied aus ihrer Heimat, das einer von ihnen auf der Gitarre begleitete.

Die Wachen dösten auf ihren Posten und taten schläfrig ihre Pflicht.

Das Tal und die Schlucht waren tief, und der Turm ragte hoch in die Lüfte, aber die Stimmen der Sänger und der Klang der Gitarre stiegen in der Stille des heißen Sommermittags bis zu den Fenstern und dem Balkon empor. Dort lauschten die schönen Mädchen dem Lied, dessen Melodie und zärtlichen Worte sie zutiefst rührten, denn die Duena hatte sie die spanische Sprache so gut und genau gelehrt, dass sie auch die feinsten Tonschattierungen hören, verstehen und fühlen konnten. Die alte Kadiga tat hingegen furchtbar erschrocken und rief angstvoll: »Allah behüte uns! Sie singen ein Liebeslied, das an euch gerichtet ist. ja, kann sich jemand eine solche Frechheit vorstellen? Ich werde gleich zum Aufseher laufen und ihnen eine Bastonade geben lassen, denn das ist wirklich zuviel! «

»Was solch edlen Rittern willst du die Bastonade geben lassen, nur weil sie so schön und lieblich singen ?«

Voll Schauder schüttelten die Prinzessinnen ihre hübschen Köpfchen.

Bei all dieser tugendhaften Entrüstung war die Alte versöhnlicher Natur und ließ sich beruhigen und besänftigen. Zudem schien die Musik ihre jungen Herrinnen wirklich wohltuend zu beeinflussen. Die Wangen der Mädchen zeigten einen feinen rosa Schimmer, ihre Augen fingen an zu glänzen, und die zarten Lippen schienen zu lächeln.

Die kluge Kadiga dachte also nicht daran, das Liebeslied ‚der Ritter zu unterbinden.

`Als die letzte Strophe leise verklungen war, blieb alles eine still, nachdenklich schauten die Prinzessinnen vor hin. Dann aber griff Zoraida nach der Laute und sang lieblicher Stimme leise und gerührt eine hübsche maurische Weise mit dem vielsagenden Refrain: »Wenn die Rosenknospe sich auch hinter Blättern birgt, so lauscht sie doch mit Entzücken dem Sang der Nachtigall.«

Von dieser Zeit an arbeiteten die Ritter fast täglich in der Schlucht. Der gewissenhafte Hussein Baba wurde immer nachsichtiger und von Tag zu Tag schläfriger auf seinem Posten. Eine Zeitlang bestand ein gar seltsamer Verkehr zwischen Turm und Außenwelt. Dem gegenseitigen Gedankenaustausch dienten nämlich Lieder und Romanzen, deren Inhalt sich einigermaßen entsprach und dazu diente, den Gefühlen der Liebespaare Ausdruck zu geben.

Nach und nach zeigten sich die Prinzessinnen auf dem Balkon, wenn sie es, ohne von der Wache gesehen zu werden, tun konnten. Auch Blumen ließen die Mädchen sprechen, denn alle Beteiligten schienen das Blumenalphabet vorzüglichst zu kennen und zu deuten.

Die Schwierigkeit des Verkehrs erhöhte den Reiz des Liebesspiels und fachte die Leidenschaft der jungen Menschenkinder aufs heftigste an. Liebe kämpft ja bekanntlich gern, überwindet Schwierigkeiten.

Dieser geheime Verkehr wirkte wahre Wunder. Die Prinzessinnen wurden froh wie früher, ihre Augen glänzten feuriger als je, neckisch klangen ihre Stimmen, melodisch wie Lauten, Zimbeln und Gitarren. Niemand jedoch konnte glücklicher sein als der König selbst, den diese Veränderung so überraschte, dass er die kluge Kadiga reichlich beschenkte und voll Freude seine drei schönen Töchter besuchte.

Aber auch dieser fernschriftliche Verkehr hatte eines Tages sein Ende, denn die drei Ritter erschienen nicht mehr au dem Arbeitsplatz unterm Turm. Vergebens spähten die Prinzessinnen umher, vergebens beugten sie sich weit über den Balkon, um eine Spur ihrer Ritter zu finden, vergebens sangen sie wie Nachtigallen, vergebens schlugen sie die Saiten. Keine Stimme antwortete aus dem Gebüsch kein Lautenspiel war zu vernehmen, kein Ritter zeigte sich. Die kluge Kadiga ging besorgt fort, um etwas über die drei Spanier zu erfahren.

Bald kam sie mit kummervollem Gesicht wieder heim und‘, erzählte den drei verliebten Mädchen die traurige Neuigkeit, die man ihr mitgeteilt hatte.

»Ach, meine Kinder! Ich sah es voraus, dass alles so kommen würde! Doch ihr wolltet ja unbedingt euren Willen durchsetzen. Nun ist das Ende da, und ihr könnt eure` Lauten zerschlagen oder an einen Weidenbaum hängen. Die spanischen Ritter wurden von ihren Familien losgekauft und wohnen nun unten in Granada, wo sie ihre Heimreise vorbereiten.«

Untröstlich waren die drei Mädchen, als sie diese Nachricht vernommen hatten. Die schöne Zaida zürnte ihrem Ritter, dass er ohne Abschied dahin gegangen war, denn diese Geringschätzung ihrer Person konnte sie nicht verschmerzen. Zoraida rang die Hände und weinte, sah in den Spiegel, wischte die Tränen ab und begann wieder zu weinen. Die schöne Zorahaida lehnte an der Brustwehr des Balkons, und ihre Tränen fielen hinunter auf den Abhang, wo die Ritter oft gesessen hatten, ehe sie ihre angebetenen Maurenprinzessinnen so treulos verließen.

Die kluge Kadiga tat alles, um den großen Schmerz zu stillen, der die Mädchenherzen peinigte. So sagte sie oft: »Tröstet euch, meine Kinder. Das hat nichts zu bedeuten; man muss sich nur daran gewöhnen und sich mit derlei Dingen abfinden. Das ist eben der Lauf der Welt. Wenn ihr einmal so alt seid wie ich, dann werdet ihr die Männer schon kennen und wissen, wie man sie zu beurteilen hat.

Diese drei Ritter haben sicherlich in Córdoba oder Sevilla ihre Bräute oder Geliebten, unter deren Balkon sie bald Serenaden und Ständchen singen werden, ohne jemals wieder an die maurischen Schönheiten auf der Alhambra zu denken. Deshalb tröstet euch, meine lieben Kinder, und verbannt sie aus euren Herzen, denn Männer sind keine Träne wert. « Die tröstenden Worte der klugen Kadiga verdoppelten aber den tiefen Kummer der drei Prinzessinnen, die zwei Tage lang nicht aus ihren Zimmern zu bringen waren und nur still vor sich hin weinten. Am dritten Morgen nun kam die alte Frau außer sich vor Aufregung dahergelaufen, stürzte fassungslos in den großen Salon und rief voll Zorn: »Wer hätte einem sterblichen Menschen eine solche Frechheit zutrauen können! Aber mir geschieht ganz recht, denn nie hätte ich zugeben dürfen, dass euer ehrwürdiger Vater hintergangen wird. Erwähnt mir also mit keinem Worte mehr die spanischen Ritter, diese schlechten Menschen, die mich solcher Art beleidigt haben. « »Nun, beste Kadiga, was ist denn geschehen?« riefen die drei Mädchen aufgeregt durcheinander. »Was geschehen ist, fragt ihr? Verrat ist geschehen; oder was fast noch schlimmer ist, zum Verrat sollte ich verleitet, werden! Mir, der treuesten aller Untertanen, der vertrauenswürdigsten aller Duenas mutet man zu, dass ich meinen Herrn und König hintergehen könnte. ja, meine Kinder, staunt nur! Die spanischen Ritter haben es gewagt, mir vorzuschlagen, ich solle euch überreden, mit ihnen nach` Córdoba zu fliehen, um sie dort zu heiraten! « Bei diesen Worten bedeckte die treffliche alte Frau sich da Gesicht mit den Händen und ließ ihrem Kummer und Zorn freien Lauf. Die drei schönen Prinzessinnen ihrerseits wurden blass und rot und rot und blass, und zitterten, schauten sich verstohlen und vielsagend in die Augen, sprachen aber kein einziges Wort. Die alte Frau konnte sich nicht beruhigen. Heftig bewegte sie sich hin und her, schüttelte die Fäuste und rief von Zeit zu Zeit zornig aus: »Dass mir eine solche Beleidigung angetan wurde! Mir, der treuesten aller Dienerinnen!«

Endlich trat die älteste Infantin, die den meisten Mut hatte und immer die erste war, zu ihr hin, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte liebevoll: »Nun beste Mutter, angenommen wir wären bereit, mit den drei christlichen Rittern zu fliehen. Wäre so etwas überhaupt möglich?«

Die gute Alte hörte bei diesen Worten zu jammern auf und erwiderte schnell: »Möglich? Wäre das schon! Die Ritter haben schon den Hussein Baba bestochen und mit ihm den ganzen Plan besprochen. Wer kann aber euren Vater hintergehen, diesen besten aller Könige! Euren Vater, der so viel Vertrauen in mich setzt! «

Wieder begann die brave Frau zu weinen, und händeringend lief sie im Saale auf und ab.

»Aber dieser beste aller Väter hat nie Vertrauen zu uns gehabt«, rief die älteste Prinzessin selbstbewusst, »immer hielt er uns wie Gefangene hinter Schloss und Riegel! Nie konnten wir frei hingehen, wohin es uns behagte, nie tun, was wir wollten. «

»Freilich, das ist nur zu wahr«, ließ sich die Alte hören und blieb vor den jungen Damen stehen; »er hat euch wirklich recht hart behandelt. Eingeschlossen ward ihr immer und musstet die schönsten Jahre eurer Jugend in einem alten Turm verbringen, gleich den duftenden Rosen, die man in einem Blumentopf welken lässt. Aber bedenkt doch, was es bedeutet, aus eurer schönen Heimat zu fliehen! «

»Und ist nicht das Land, das uns aufnehmen will, die Heimat unserer guten Mutter? Werden wir dort nicht in Freiheit leben? Und wird nicht jede von uns statt des strengen Vaters einen jungen und liebenden Ehemann haben?«

»Freilich, das ist alles wohl wahr, und, ich muss gestehen, er war mit euch wirklich ein harter Tyrann; aber«, und wieder brach der Jammer aus ihr, »wollt ihr mich dann zurücklassen, allein und verlassen? Seid sicher, dass sein Zorn und seine Rache mich hier zerschmettert.«

»Doch gewiss nicht, meine gute Kadiga! Kannst du nicht mit uns fliehen?«

„Das wäre wohl möglich; und um bei der Wahrheit zu bleiben, muss ich euch sagen, dass ich darüber bereits mit Hussein Baba gesprochen habe. Er versprach, auch mir zu helfen, wenn ich euch auf eurer Flucht begleiten wollte. Aber Kinder, nein, schlagt euch das besser alles aus dem Kopf! Ihr könnt doch nicht euren Väterglauben verleugnen! «

»Der christliche Glaube war das ursprüngliche Religionsbekenntnis unserer Mutter, ehe sie auf die Alhambra kam«, sagte wieder die älteste Infantin, »und ich bin bereit, ihn anzunehmen, und meine Schwestern auch, davon bin ich überzeugt! «

»Recht hast du!« rief die alte Frau voll Freude aus; »ja, es war der Glaube deiner Mutter. Bitterlich beweinte sie oft ihren Abfall, und auf dem Totenbett musste ich ihr versprechen, für euer Seelenheil zu sorgen. Heute nun bin ich glücklich und froh, denn ich weiß, dass ihr auf dem richtigen Wege seid, auf dem Weg, der zur Taufe und ins Glück führt. Ich freue mich, dass ihr Christinnen werden wollt, weil auch ich es war und im Herzen immer geblieben bin. jetzt ist die Gelegenheit da, dass ich in den Schoß der wahren Kirche zurückkehren kann. Ich sprach darüber schon mit Hussein Baba; er ist Spanier von Geburt und übrigens ein freundlicher Mensch. Wir stammen aus der gleichen Gegend, und auch er will in seine alte Heimat zurück und sich mit der heiligen Kirche aussöhnen. Die drei edlen Ritter drunten in Granada sagten hochherzig ihre Hilfe zu und werden uns anständig ausstatten, wenn wir dann im Heimatdorf eine Ehe eingehen sollten.«

Kurz und gut, es ergab sich, dass diese außergewöhnlich kluge und vorsichtige Frau mit den Rittern und mit dem Renegaten bereits den ganzen Fluchtplan entworfen hatte, der nun verwirklicht werden sollte.

Die älteste Prinzessin war sofort einverstanden, und ihr energisches Verhalten bestimmte und beeinflusste wie immer den Willen ihrer beiden Schwestern. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss allerdings gesagt werden, dass die jüngste Prinzessin etwas zauderte und nicht gleich wusste, was sie machen sollte.

Ihr sanftes und schüchternes Wesen wollte keinen so brüsken Bruch, und allsogleich begann in ihrem kleinen Herzen ein schwerer Kampf, in dem sich das Gefühl kindlicher Pflicht und jugendlicher Leidenschaft gegenüberstanden. Wie es schon immer ging, siegte in diesem ungleichen Zwiespalt die Liebe zum fremden Ritter, der Drang nach Gattenliebe. Still und leise weinend schloss sie sich also ihren Schwestern an und rüstete sich zur Flucht.

Durch den Hügel, auf dem die Alhambra steht, führte in früheren Zeiten eine große Zahl von unterirdischen Gängen. Diese bildeten ein wahres Netz von Irrwegen, auf denen der Eingeweihte von der Alhambra ungesehen in die Stadt und selbst bis zu den entfernten Ausfallspforten und Schlupftüren an den Ufern des Darro und des Genil gelangen konnte. Im eigenen Interesse und aus Staatsräson ließen die Maurenkönige im Laufe der Jahrhunderte die Casabica durchbohren, und durch diese Gänge liefen sie, wenn Empörer ihnen nach dem kostbaren Leben trachteten; aber oft zogen sie auch diese geheimen Wege den öffentlichen Straßen vor, denn heikle Unternehmungen waren nie für jedermanns Auge und Ohr.

Viele dieser Tunnels sind jetzt eingestürzt, andere sind teilweise verschüttet, und wieder andere vermauerte man, um so jeden Unfug zu unterbinden und dem zahlreichen Gesindel einen schwer zu kontrollierenden Unterschlupf zu nehmen; und an der Zeit war es, dass diese Erinnerungszeichen an maurische Despoten in moderner Zeit verschwunden sind.

Dem Fluchtplan nach sollte Hussein Baba die Prinzessinnen durch einen der genannten Gänge bis zur geheimen Schlupfpforte jenseits der Stadtmauer führen, wo die Ritter mit schnellen Pferden zu warten versprachen, um alle über die Grenze in Sicherheit zu bringen.

Die vorherbestimmte Nacht kam: Der Turm der Infantinnen war wie gewöhnlich verschlossen worden, und die Alhambra lag in tiefem Schlummer.

Gegen Mitternacht bezog die kluge Kadiga ihren Horchposten auf dem Balkon und lauschte gespannt in den Garten hinab.

Bald kam Hussein Baba daher und gab das verabredete Zeichen. Die Duena befestigte sogleich das obere Ende einer Strickleiter am Balkon und ließ sie dann vorsichtig in den Garten hinab.

Mit großer Behendigkeit schwang sich die alte Frau über die Brüstung und stieg resolut hinunter. Ihr folgten klopfenden Herzens die beiden älteren Prinzessinnen. Als aber die Reihe an Zorahaida kam, da zauderte diese; mehrmals setzte sie ihren kleinen Fuß auf die Leiter, aber ebenso oft zog sie ihn wieder zurück. Ihr Körper zitterte, das kleine Herz pochte heftig, und zögernd blieb die jüngste Königstochter auf dem Balkon stehen. Sie warf einen kummervollen Blick ins Zimmer zurück, dessen Wandschmuck, Decken und Polster im hellen Mondlicht gleißten. Wie ein Vogel in seinem Käfig hatte sie im Turm gelebt, sorglos, ruhig und ohne Aufregungen, geborgen und beschützt waren die Tage dahingegangen. Wer konnte ihr sagen, was geschah, wenn sie frei in die weite Weit hinausflatterte! Aber schon erinnerte sie sich ihres Ritters aus dem Land der Christen, und rasch saß sie auf der Brüstung und setzte den Fuß auf die Leiter. Hinunter wollte sie zu ihm! Doch da kam ihr der alte Vater in den Sinn, und sie zuckte wieder zurück. Schrecklich war der Kampf, der im Herzen dieses zarten Wesens tobte.

Voll Ehrfurcht liebte sie ihren Vater; beim Gedanken an den jungen Christen wurde ihr heiß und kalt zugleich, und voll Liebe und Zuneigung erinnerte sie sich seiner. Aber sie war noch so jung, schüchtern und wusste nichts von der Welt, von Liebe und Familienglück.

Vergebens flehten ihre Schwestern, schalt die Duena und fluchte gottserbärmlich der Renegat. Das kleine Maurenfräulein stand oben am Balkon und schaute zu ihren Schwestern hinunter; sie konnte sich nicht entschließen. Der Gedanke an die Flucht und die Freiheit lockte sie, doch die Furcht vor ungewissen Gefahren riet ihr zum Bleiben.

Aus der Ferne erschollen nun gar noch Schritte! jeden Augenblick konnte man entdeckt werden! Rauh rief der Renegat zum Balkon hinauf: »Die Wachen machen die Runde; wenn wir zögern, sind wir verloren. Steigt augenblicklich herunter, oder wir gehen allein und lassen Euch zurück, denn keine Zeit ist mehr zu verlieren.«

Zorahaida kämpfte mit sich selbst, und niemand erfuhr jemals, was in diesen wenigen Sekunden im Innern des Mädchens vorgegangen war. Mit verzweifeltem Entschluss machte sie die Strickleiter los und warf sie in den Garten hinunter.

»Es ist entschieden!« rief sie, »ich kann nicht mit. Allah geleite und segne euch und schenke euch, meine geliebten Schwestern, Glück und Liebe.«

Schaudernd schrien die beiden Prinzessinnen auf und wollten noch zögern. Sie konnten doch ihre kleine Schwester nicht allein zurücklassen! Die Wache kam aber näher und immer näher, so dass also ein weiteres Warten Selbstmord gewesen wäre. Wütend stieß der Renegat die drei Frauen in ein dunkles Felsenloch und führte sie kreuz und quer sicher durch unterirdische Gänge, und sie gelangten glücklich an ein eisernes Tor vor der Stadt.

Hussein sperrte auf, und verabredungsgemäß nahmen sie die drei spanischen Ritter, die die Uniform der vom Renegaten befehligten Turmwache trugen, in Empfang.

Zorn und Trauer überkam Zorahaidas Anbeter, als er sah, dass das schöne Mädchen nicht gekommen war. Kurz berichtete Kadiga ihm, was sich ereignet hatte, und dass man keine Zeit verlieren dürfe. Die beiden Prinzessinnen wurden hinter ihre Verehrer gesetzt, und die kluge Duena stieg zum Renegaten aufs Pferd; dann sprengten alle im wildesten Tempo auf den Pass von Lope zu, über den sie durchs Gebirge nach Córdoba kommen wollten.

Doch bald darauf hörte man von der Alhambra her die Alarmzeichen; Hornsignale und Trompetenstöße tönten von den Zinnen des Wachtturms durch die Stille der Nacht.

»Unsere Flucht ist entdeckt worden«, sagte der Renegat.

»Wir haben flinke Rosse, der Mond hat sich verzogen, und die Nacht ist nun stockdunkel. Wir werden es schaffen! « erwiderten die Ritter.

Sie gaben ihren Pferden die Sporen und jagten durch die Vega. Schon kamen sie an den Fuß der Sierra Elvira, die wie ein Vorgebirge sich weit in die Ebene hineinerstreckt. Der Renegat hielt an und horchte: »Bis jetzt ist noch niemand auf unserer Spur; die Flucht in die Berge wird gelingen!«

Aber während er noch sprach, leuchtete auf der Wehrplatte des Bergfrieds der Alhambra eine helle Flamme auf.

»Hölle und Teufel! « brüllte der Renegat, »das Leuchtfeuer ruft die ganzen Wachmannschaften in den Bergen auf ihre Alarmposten. Fort und weiter! Gebt den Pferden die Sporen. Es ist keine Zeit zu verlieren!«

Es war ein halsbrecherischer Galopp. Dumpf tönten die Hufe der Pferde auf dem felsigen Weg, der um die Sierra Elvira herumführt. Von Augenblick zu Augenblick wurde die Lage dramatischer, und nun sahen die Reiter gar, dass von allen Berggipfeln und Hängen Lichtsignale aufflammten, als Antwort auf die Feuerzeichen von der Alhambra.

»Vorwärts! Vorwärts!« rief Hussein, fluchend dazwischen, »zur Brücke, zur Brücke, ehe das Alarmzeichen dort gesehen wird! «

Scharf ritten sie um eine Felsennase herum und erblickten die bekannte Puente de Pinos, die über einen reißenden Wildbach führende Holzbrücke, um deren Besitz sooft Christen und Mauren stritten. Zum Schrecken unserer Flüchtlinge lag der Brückenkopf schon im hellsten Kreidelicht und strotzte von bewaffneten Männern.

Der Renegat riss sein Pferd zurück, erhob sich in den Steigbügeln und sah wie suchend um sich. Alles dauerte nur wenige Augenblicke, dann winkte Hussein den Rittern und sprengte weiter, doch vom Weg ab, den Fluss entlang. Nach Minuten stürzte er sich Hals über Kopf und hoch zu Ross in das schäumende Wasser. Die Ritter ermahnten die Prinzessinnen, sich gut festzuhalten und folgten beherzt ihrem Führer. Hoch schlugen die Wogen, die Strömung trieb sie weit flussabwärts, und die Gischt durchnässte sie bis auf die Haut, doch glücklich erreichten sie alle das andere Ufer.

Auf schwer zugängigen und einsamen Pfaden, durch wilde Schluchten und über hohe Pässe führte der Renegat seine Schützlinge aus dem Maurenreich, und nach schweren Strapazen erreichten sie endlich Córdoba, die schönste Stadt am Guadalquivir.

Dort gab es helle Freude, und die Heimkehr der tapferen Ritter wurde festlich begangen und groß gefeiert, denn sie gehörten zu den ersten Familien des kastilischen Reiches.

Die Prinzessinnen wurden sofort getauft, und, in den Schoß der christlichen Kirche aufgenommen, heirateten sie darauf in wenigen Tagen im prächtigen Dom ihrer neuen Heimatstadt ihre Ritter und Retter.

In Liedern und Sagen erzählt man heute noch, dass sie glücklich und froh bis ans Ende ihrer Tage lebten.

In unserer Eile, um die Flucht der Infantinnen quer durch den Strom und über Berg und Tal durchs Gebirge hinauf zu einem glücklichen Ende zu führen, haben wir die kluge Kadiga ganz vergessen, was nachgeholt werden soll, denn auch ihr Schicksal ist erwähnenswert. Sie hatte sich beim wilden Ritt über die Vega wie eine Katze an Hussein Baba geklammert, schrie bei jedem Sprung zwar laut auf, entlockte dem bärtigen Renegaten manchen Fluch, saß aber fest auf der Kruppe hinterm Sattel.

Doch als ihr Reiter ins reißende Wasser setzte, da kannte ihre Angst keine Grenzen mehr.

»Umklammere mich nicht so fest«, schrie der Renegat; »fasse mit beiden Händen meinen Gürtel und fürchte nichts. «

Sie tat wie ihr geheißen und hielt sich am breiten Leibriemen Husseins fest. Als aber dieser nach dem Höllenritt endlich mit den Rittern auf der Passhöhe anhielt, um Atem zu schöpfen, da war die Duena nicht mehr zu sehen.

»Was ist aus Kadiga geworden?« riefen voll Schrecken die Prinzessinnen.

»Allah allein weiß es! « erwiderte der fromme Renegat. »Es war ein reines Unglück! Als wir mitten im Fluss waren, löste sich mein Gürtel und Kadiga wurde mit ihm stromabwärts gerissen. Allahs Wille geschehe! Aber es war ein schöner, golddurchwirkter Gürtel von großem Wert. «

Die Reiter hatten natürlich keine Zeit zu langen Klagen und mussten weiter, und die Prinzessinnen beweinten bitterlich den Verlust ihrer treuen Ratgeberin.

jene ausgezeichnete Frau aber verlor nur die Hälfte von den neun Leben, die sie, einer Wildkatze gleicht, besaß. Ein -1,1 Fischer zog sie nämlich weiter unten ans Ufer und dürfte über den seltsamen Fisch im Netz wohl gestaunt haben. Was dann aus der klugen Kadiga wurde, darüber schweigt die Geschichte. Doch so viel ist sicher, dass die ihre Klugheit abermals unter Beweis gestellt hat und sich niemals mehr in den Machtbereich Mohammeds des Linkshänders wagte.

Auch wissen wir nicht, was der scharfsinnige König tat, als ihm die Flucht seiner Töchter gemeldet wurde. Es war, wie gesagt, das erste Mal, dass er fremden Rat gesucht hatte. Und wie schnöde war er hintergangen worden! Nie hörte man wieder, dass er sich eine ähnliche Blöße gegeben hätte.

Seine jüngste Tochter, die ihm treu geblieben war, ließ er aufs strengste bewachen, und man glaubt, sie habe es bitter bereut, damals nicht mit ihren beiden Schwestern geflohen zu sein. Dann und wann sah man sie auf den Zinnen des Turmes; müde lehnte sie an der Brüstung und schaute traurig zu den Bergen hinüber, hinter denen Córdoba lag. Klagend sang sie zur Laute herzzerbrechende Lieder und beweinte den Verlust ihrer Schwestern und des geliebten Mannes. jung beschloss sie ihr einsames Leben und wurde, so erzählt man sich, in einem Gewölbe unterm Turm begraben. Viele Sagen erzählen uns von ihr und ihrem frühen Tod.

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