Gebr. Grimm
Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn, er konnte ihn aber nicht mehr ernähren. Da sprach der Sohn: „lieber Vater, es geht euch so kümmerlich, ihr könnt mir das Brot nicht mehr geben, ich will fort und sehen, wie ich mir durch die Welt helfe.“ Da gab ihm der Vater seinen Segen und nahm mit großer Trauer Abschied, der Sohn aber ward Soldat und zog mit ins Feld. Als er vor den Feind kam, da ging’s scharf her und regnete blaue Bohnen, dass seine Kameraden von allen Seiten niederstürzten. Endlich fiel auch ihr Anführer, da wollten die übrigen fliehen, aber der Jüngling trat heraus, sprach ihnen Muth ein und rief: „unser Vaterland wollen wir nicht lassen!“ Da folgten sie ihm und er drang ein und schlug den Feind. Wie die Nachricht zum König kam, dass dieser allein die Schlacht gewonnen hätte, erhob er ihn, machte ihn zu einem mächtigen und angesehenen Manne und gab ihm große Schätze.
Dieser König hatte eine schöne aber wunderliche Tochter, die einen seltsamen Schwur getan. Wer nämlich ihr Herr und Gemahl werden wolle, müsse versprechen, sie nicht zu überleben, also dass wenn sie zuerst stürbe, er sich lebendig mit ihr müsse begraben lassen; dagegen wollte sie ein gleiches tun, wenn er zuerst stürbe. Dieser Schwur aber hatte alle Freier abgeschreckt, weil ein jeder sich fürchtete, lebendig ins Grab gehen zu müssen. Nun sah der Jüngling, als einer der ersten an des Königs Hof, die schöne Tochter und ward von ihrer Schönheit ganz eingenommen, dass er endlich bei dem alten König um sie anhielt. Da antwortete der König: „wer meine Tochter heiratet, muss sich nicht fürchten lebendig in das Grab zu gehen;“ und erzählte ihm, was sie für einen Schwur getan. Aber seine Liebe war so groß, dass er das Versprechen tat und an die Gefahr nicht dachte, und da ward ihre Hochzeit mit großer Freude gefeiert.
Nun lebten sie eine Zeit lang glücklich und vergnügt mit einander, da geschah es, dass die junge Königin krank ward und kein Arzt ihr helfen konnte, also dass sie starb. Und als sie tot da lag, fiel ihm mit Schrecken ein, was er versprochen hatte, dass er sich lebendig mit ihr wolle begraben lassen und der alte König ließ alle Thore mit Wachen besetzen, damit er nicht entfliehen sollte und sprach, nun müsste er halten was er gelobt hätte. Als der Tag kam, wo die Leiche in das königliche Gewölbe beigesetzt wurde, da ward er mit hinab geführt und dann das Thor verriegelt und verschlossen. Neben dem Sarg stand ein Tisch, darauf ein Licht, vier Laibe Brot und vier Flaschen Wein, wenn das zu Ende ging, musste er verschmachten.
Nun saß er da bei dem Sarg voll Schmerz und Trauer und aß jeden Tag nur ein Biss lein Brot, trank nur einen Schluck Wein, und sah doch, wie der Tod immer näher rückte. Da geschah es, dass er einmal aus der Ecke des Gewölbes eine Schlange hervorkriechen sah, die sich der Leiche näherte. Und weil er dachte, sie käme um die Leiche zu verletzen, zog er sein Schwert und sprach: „so lang ich lebe, sollst du sie nicht anrühren“ und hieb die Schlange in drei Stücke. Über eine Weile sah er, wie eine zweite Schlange aus der Ecke herauskroch, doch als sie die andere da tot und zerstückt liegen fand, kroch sie eilig zurück, kam aber bald wieder und hatte drei Blätter im Munde. Dann nahm sie die drei Stücke von der Schlange, legte sie zusammen wie sich’s gehörte, und tat auf jede Wunde eins von den Blättern. Alsbald fügte sich das Getrennte aneinander und die Schlange regte sich, war lebendig und beide eilten fort; die Blätter aber blieben auf der Erde liegen. Der Mann hatte alles mit angesehen und dachte: „welche wunderbare Kraft muss in den Blättern stecken! haben sie die Schlange wieder lebendig gemacht, so helfen sie vielleicht auch einem Menschen.“ Da hob er sie auf und legte eins davon auf den Mund der Toten und auf jedes Auge eins. Alsbald bewegte sich das Blut in ihrem Leib und stieg in das bleiche Angesicht, dass es sich wieder rötete. Da zog sie Atem, schlug die Augen auf und öffnete den Mund und sprach: „Ach Gott! wo bin ich?“ „Du bist bei mir, liebe Frau,“ antwortete er, und gab ihr etwas Wein und Brot um sie zu stärken, und erzählte ihr dann alles, wie es gekommen, und er sie wieder ins Leben erweckt. Da stand sie fröhlich auf und sie klopften an der Türe; so laut, dass es die Wachen hörten und dem Könige meldeten. Der König kam selbst und öffnete die Türe; da standen beide frisch und gesund und er führte sie hinauf und freute sich mit ihnen, dass nun alle Not überstanden war. Die drei Schlangenblätter aber, die der junge König mitgenommen, gab er einem treuen Diener und sprach: „verwahr sie sorgfältig und trag sie zu jeder Zeit bei dir, wer weiß, wie sie uns noch helfen können.“
Es war aber, als ob der Frau, seit sie ihr Mann wieder ins Leben erweckt, das Herz sich ganz verändert und umgekehrt hätte. Und als nach einiger Zeit eine Fahrt nach seinem alten Vater geschehen sollte und sie aufs Meer kamen, vergaß sie gänzlich seine große Liebe und Treue, und es erwuchs in ihr eine böse Neigung zu dem Schiffer. Und als der junge König einmal da lag und schlief, ging ihre Bosheit so weit, dass sie zu dem Schiffer sprach: „komm und hilf mir, wir wollen ihn ins Wasser werfen und zurück fahren dann will ich sagen, er wär gestorben und du wärst würdig, mein Mann zu werden und die Krone meines Vaters zu erben.“ Da fasste sie ihm am Kopf und der Fischer an den Füßen und warfen ihn über Bord, dass er im Meer ertrinken musste. Nun wäre der Frau ihr Anschlag gelungen, wenn nicht der treue Diener alles mit angesehen hätte, der machte heimlich ein kleines Schifflein von dem großen los und fuhr der Leiche nach, und fischte sie wieder auf. Darauf nahm er die drei Schlangenblätter und legte sie ihm auf Augen und Mund, davon ward er alsbald wieder lebendig.
Nun sprach er zu dem Diener: „wir wollen rudern Tag und Nacht, damit wir früher bei dem alten König anlangen.“ Der König aber, als er sie wieder sah, verwunderte sich und sprach: „was ist euch begegnet?“ Da erzählte ihm der junge König alles und der alte sprach: „ich kann’s nicht glauben, dass meine Tochter so schlecht soll gehandelt haben,“ und hieß sie beide in eine verborgene Kammer gehen, da sollten sie sich vor jedermann heimlich halten. Bald darauf landete die Frau mit dem großen Schiff und kam vor ihren Vater mit ganz betrübtem Gesicht. Sprach er: „meine Tochter, warum kommst du allein, wo ist dein Mann?“ „Ach, antwortete sie, wie in großer Trauer, er ist plötzlich auf dem Meer krank geworden und gestorben; dieser gute Schiffer hat mir beigestanden und weiß, wie alles zugegangen ist.“ Da öffnete der König die Kammer und hieß die beiden herausgehen und als sie ihren Mann erblickte, war sie wie vom Donner berührt und sank auf die Knie und rief um Gnade. Der König sprach ‚da ist keine Gnade, er war bereit, mit dir zu sterben, und hat dir dein Leben wiedergegeben, du aber hast ihn im Schlaf umgebracht, und sollst deinen verdienten Lohn empfangen.‘ Da ward sie mit ihrem Helfershelfer in ein durchlöchertes Schiff gesetzt und hinaus ins Meer getrieben, wo sie bald in den Wellen versanken.
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