Märchen – Geschichte – Sage aus Herzogenrath
Raubüberfall auf altes Brauhaus vor 260 Jahren
Es war Ende Oktober 1741. Ein kurzer, regenschwerer Tag ging früh zur Ruhe. Kalter, rauer Wind tobte draußen, riss die Blätter von den Bäumen, streifte pfeifend die Fensterscheiben, dass sie klirrten und warf hier und da Dachziegel von Häusern und Stallungen. Alles in allem schien sich ein früher Winter anzukündigen. Aber wie ungemütlich und unheimlich es auch draußen war – in dem behaglichen großen Wohnraum des alten Brauhauses in Pannesheide merkte man nichts davon.
In dem freundlich erleuchteten Zimmer saß die Bäuerin mit mehreren Mägden über den Spinnrocken gebeugt, der Altbauer rauchte behaglich die lange Pfeife, während sich die Knechte laut scherzend beim Kartenspiel vergnügten. Nach geraumer Zeit holte die große Standuhr in der Ecke zum zehnten Schlag aus, und die Bewohner schickten sich an, sich zur Ruhe zu begeben. Bald lag das große, geräumige Brauhaus in tiefes Dunkel gehüllt, da der Hofherr, der Jungbauer Matthias Kockelkorn sich auf einer Geschäftsreise im Jülicher Land befand und für heute nicht mehr zurückerwartet wurde.
Die gefürchteten Bockreiter
Kockelkorn galt als ein vermögender Mann, der nicht nur die umliegenden Dörfer wie Kohlscheid, Richterich, Bardenberg und Kerkrade mit Gerstensaft versorgte, sondern daneben auch noch seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse weit ins Jülicher und limburgische Land hinein verkaufte. Gegen Mitternacht – draußen herrschte tiefe Dunkelheit – erwachte der Großknecht plötzlich durch ein klirrendes Geräusch, während draußen der Kettenhund Nero Alarm schlug. In der Annahme, der starke Sturm habe in seiner Dachkammer, durch die ein kalter Luftzug streifte, eine Fensterscheibe eingedrückt, erhob er sich -von seiner Lagerstatt und fand sich urplötzlich mehreren vermummten Gestalten gegenüber.
Ein blitzschnelles Ringen entspann sich; denn dass es sich um Einbrecher handelte, war dem Großknecht sofort klar. Nach kurzem, hartem Kampfe unterlag er der Übermacht. Man knebelte und fesselte ihn. Inzwischen war es auch in den Schlafkammern nebenan lebendig geworden. Möbelstücke zerbrachen und fielen polternd zur Erde. Überall spielten sich blitzschnelle Kämpfe zwischen den Eindringlingen und den Hofknechten ab, die aber schließlich der Übermacht erlagen. Eins war den Hofbewohnern klar geworden: Sie befanden sich einer gewaltigen Bande gegenüber, die die Abwesenheit des Hofherrn benutzt hatte, um ihr dunkles Gewerbe im Brauhaus in Pannesheide auszuüben. Kein Zweifel: Es waren die gefürchteten Bockreiter, die das Pannhaus in dieser stockdunklen Nacht mit ihrem Besuch beehrten.
Die gefesselten Knechte, die auf einen derartigen blitzschnellen und mit großer Übermacht geführten Überfall nicht gefasst waren, wurden auf die Hauswiese geschleppt und in Abständen auf den Boden gelegt, damit sie keine Gelegenheit fanden, sich gegenseitig zu helfen und zu befreien. Unter wuchtigen Rammstößen krachte die Haustür zusammen. Ein Jungknecht, der sich den Einbrechern hier entgegenwarf und einen von ihnen an der Gurgel fasste, wurde von zehn, zwölf Fäusten zurückgerissen und halbtot geprügelt, so dass er regungslos zusammensank. Man band ihm Hände und Füße, und die beiden Bockreiter Pierre Myters und Andreas Contzen warfen den Ohnmächtigen in den Bierkeller, wohin man auch die im Hause anwesenden Mägde geschleift hatte, die vor Kälte, Schreck und Aufregung zitternd geduckt in einer Ecke kauerten.
Gausame Misshandlungen
Der Bockreiter Peter D. aus Chävremont versetzte dem wütend bellenden Nero einen Flankentritt, dass das Tier sich winselnd in eine Ecke seiner Hofhütte verkroch. Inzwischen waren die Bockreiter in die Schlafkammer des Altbauern gedrungen, den sie mit vorgehaltenen Pistolen aufforderten, das Geldversteck zu verraten. Doch der Alte weigerte sich standhaft und blieb stumm. „Wir werden den alten Hahn schon munter machen und ihn zum Krähen bringen, er schläft noch!“ zischelte das „Mannweib“ Fey Dovermans ihren Genossinnen Marie Schruff, Marie Katrin Groenewald und Marie Nottermanns, der Frau des älteren Bruders des Chirurgen Kirchhoff aus Merkstein zu. „Schnell das Talglicht herbei, es ist eine wunderbare Medizin für Geizsäcke, die sich taubstumm stellen!“
Der Altbauer wurde nun von einigen Verbrechern gefesselt, ein Talglicht angezündet, mit dem die entmenschten Weiber Fey Dobermanns und Marie Schruff dem alten Mann unter die entblößtem Füße fuchtelten. Der Bauer verzog das Gesicht vor Schmerzen, aber trotz dieser grausamen Misshandlungen blieben seine Lippen stumm, worüber sich selbst die abgefeimten Frauennaturen wunderten. „Das Mittel ist zu schwach“, keifte die Schruff, „gebt die Strohfackel her! Der Affe wird schon bekennen!“ Im Nu hatten die Nottermanns und Groenewald eine Strohfackel entzündet, die sie dem entsetzten Bauern an den entblößtem Leib hielten, um ein Geständnis von ihm zu erpressen! Der Gefolterte ächzte und stöhnte vor Schmerzen, bekannte aber nichts.
Als die Bockreiter sahen, dass sie bei dem Altbauern nicht zum Ziele kamen, warfen sie ihn in den Bierkeller, an Händen und Füßen gebunden. Jetzt drangen sie in die Schlafkammer der jungen Bäuerin, der Ehefrau des Matthias Kockelkorn ein, die entsetzt ihr kaum sechs Wochen altes Kind an ihr Herz drückte. „Du hast die Wahl, entweder das Kind oder das Geld!“ herrschte die Nottermanns sie an. Dabei griff sie nach dem Säugling und wollte ihn den Armen der Mutter entreißen. In ihrer Not verriet die Bäuerin das Geldversteck. Fast 500 harte Taler fielen den Raubgesellen in die Hände. Was man an Kleidern, Bettwäsche, Leinwand, Silbersachen, Schuhen erbeuten konnte, wurde in große Bündel geschnürt und weggeschafft. Außerdem nahm jeder Bockreiter einen zentnerschweren Weizensack mit.
Doch noch nicht genug damit! Jetzt musste der Sieg gebührend gefeiert werden! Ein großes Saufgelage hub an, das sich mehrere Stunden hinzog! Zum Schluss zerschlugen die Einbrecher die großen Lagerfässer, in denen das Bier lagerte, so dass das Bier in den Keller strömte und die dort gefesselt Liegenden ihre liebe Not hatten, nicht den Tod des Ertrinkens zu sterben. „Sauft doch, sauft doch! Es ist Euch vergönnt!“ riefen die betrunkenen Bockreiter den entsetzten Hausbewohnern zu. Als die Morgenröte sich im Osten zeigte und zum Aufbruch mahnte, hatten die Bockreiter es plötzlich eilig. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren!
Der Aachener Henker
Erst zwei Jahre später gelang es, den Rädelsführer zu fassen, und das scharfe Examen des Meisters Tyliburg, wie der oft beanspruchte Aachener Henker genannt wurde, brachte es mit sich, dass der gefolterte Muyters die Namen seiner Komplicen bekannte, die dann der strafenden Gerechtigkeit zugeführt wurden. Jetzt erst stellte sich heraus, dass an dem Überfall auf das Brauhaus in Pannesheide eine große Anzahl Spießgesellen beteiligt gewesen war, die in Herzogenrath, in Kerkrade, in Chevremont, in Merkstein, in Valkenburg und in Bardenberg beheimatet waren.
Als der Hofbesitzer Matthias Kockelkorn am nächsten Tag in sein einsam gelegenes Gut zurückkehrte, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Sein Vater, der alte Kockelkorn, starb kurze Zeit später an den erlittenen Misshandlungen, seine Frau hatte einen Nervenschock erlitten, an dem sie zeitlebens zu leiden hatte. Die anderen geschundenen und übel zugerichteten Hausbewohner genasen erst nach langem Krankenlager. Da die Überfälle der Bockreiterbande auch in den folgenden Jahren auf einsam gelegene Gehöfte nicht aufhörten, entschloss sich Kockelkorn, sein Gut zu verkaufen und sich eine neue Existenz in Jülich zu suchen.
Das alte Brauhaus in Pannesheide steht aber heute noch fast unverändert wie vor 200 Jahren hart an der holländisch-deutschen Grenze. Es ist ein steinerner Zeuge dafür, wie schnell Menschenglück und Wohlstand durch rohe Gewalt zerstört werden können.
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