Vietnamesisches Märchen

Es war einmal ein alter buddhistischer Mönch, der lange in einem turmartigen Tempelbau gelebt hatte. Er aß nie etwas, außer Reis und Gemüse, um sich rein zu halten.

Sein ganzes Leben lang vermied er Böses zu tun, in der Hoffnung, in das Paradies zu gelangen. Eines Nachts, während er betete, erschien Buddha in einem strahlenden Heiligenschein vor ihm. „Ich bin Buddha“, sagte er. „Ich habe dein gutes Herz erkannt. Mache dich morgen auf den Weg zum Paradies. Halte dich westwärts, bis du einen hohen Berg erreichst, der mit einer fünffarbigen Wolke bedeckt ist. Das ist das Tor, an dem ich dich erwarten werde.“ Nachdem sich der Mönch in der Pagode von allen verabschiedet hatte, machte er sich am nächsten Tag eilig auf den Weg: Mit einem Bambusstock, einer Bibel und einem hölzernen Fisch als Gebetsgong. Das war alles, was er auf seine Reise mitnahm.

Der Mönch ließ Berg um Berg hinter sich und setzte seinen Weg fort. Seine einzige Nahrung bestand aus Früchten und Wasser, die er im Wald fand. Eines Tages begegnete er einem verwundeten Mann, der fast tot am Weg lag. Er näherte sich dem Mann und zog seinen Mantel aus, um damit die Wunden des Verletzten zu verbinden. Er fragte sanft: „Habt ihr Schmerzen? Ich möchte Euch gern helfen.“ Der Mann antwortete: „Ich bin ein bekannter Geächteter in diesem Gebiet. Ich wurde letzte Nacht beim Diebstahl verwundet. Mein letzter Tag ist gekommen, denn ich habe in meinem Leben viele Diebstähle und Morde begangen.“ Um ihn zu trösten, sagte der alte Mönch: „Ich möchte versuchen, Eure Wunde zu heilen. Aber wo kann ich Medikamente finden, wenn wir so weit von den Dörfern entfernt sind?“ Der Geächtete antwortete flüsternd: „Ich danke Euch, Verehrter. Bitte, macht Buch wegen mir keine Sorgen. Aber warum durchquert ihr so ein einsames Gebiet?“ „Ich bin auf dem Weg zum Paradies“, antwortete der Mönch. Der Verwundete lächelte. Seine Augen glühten hoffnungsvoll: „Ich habe viele Verbrechen begangen, aber ich bitte Buch trotzdem um einen Gefallen. Bringt Buddha mein Herz als Opfer. Er könnte mir alle meine Sünden vergeben.“

Plötzlich nahm der Verwundete das Messer aus seiner Tasche und stieß es tief in seine Brust, bevor der Mönch ihn daran hindern konnte. Der Mönch sah ein rotes Herz in der Brust des Geächteten. Der Mönch weinte, als er das Herz aufhob. Er nahm seinen Umhang ab, um das Herz hineinzuwickeln und band es an den Bambusstock. Dann setzte er seinen Weg fort. Nach einigen Tagen begann das Herz einen schrecklichen Geruch zu verbreiten. Aber bei dem Gedanken an die Aufrichtigkeit und Reue des Geächteten behielt der Mönch das verwesende Herz, um sein Versprechen zu erfüllen.

Sieben Tage, zehn Tage gingen vorüber. Der Mönch war vom Gehen müde geworden. Umso weniger konnte er den schlechten Geruch ertragen. So warf er das Herz an den Straßenrand.

Einige Tage später erreichte der Mönch das Tor des Paradieses. Auf beiden Seiten des Weges wuchsen viele seltsame Blumen und Vögel sangen auf den Bäumen. Buddha erschien auf einem gelben Lotus mit einem strahlenden Heiligenschein auf seinem Haupt und Duft verbreitete sich um ihn. Buddha sagte: „Ich habe auf dich gewartet. Es ist Zeit, dich ins Paradies zu holen. Aber du hast etwas vergessen, was ich erwartet habe.“ Der alte Mönch warf sich auf den Boden und betete: „O mein Herr, was habe ich außer meinem armen Körper?“ Buddha lächelte: „Wo ist das Herz des Geächteten? Ich habe seine Reue angenommen. Du kannst ohne das Herz nicht in das Paradies kommen.“ Buddha verschwand. Der arme alte Mönch ging eilig seinen Weg zurück in der Hoffnung, das Herz zu finden. Tag für Tag suchte er überall nach dem Herzen, aber es blieb verschwunden. Schließlich starb der Mönch an Erschöpfung.

Jetzt wurde er ein Vogel mit dem Namen „Bim Bip“ und lebte in einem Gebüsch. Diese Vögel haben braune Federn wie die Farbe der Talare, die die buddhistischen Mönche heute tragen. Vielleicht sucht der Geist des armen Mönchs noch immer nach dem Herz des Geächteten in der Hoffnung, eines Tages in das Paradies eintreten zu können.


Dieses Märchen wurde mir von Norbert Buschmann (buschma@uni-muenster.de ) zur Verfügung gestellt.

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