von Dr. Heinrich Hoffmann

Struwwelpeter

Wenn die Kinder artig sind,

Kommt zu ihnen das Christkind;

Wenn sie ihre Suppe essen

Und das Brot auch nicht vergessen,

Wenn sie, ohne Lärm zu machen,

Still sind bei den Siebensachen,

Beim Spaziergehn auf den Gassen

Von Mama sich führen lassen,

Bringt es ihnen Gut’s genug

Und ein schönes Bilderbuch.


Sieh einmal, hier steht er,

Pfui! der Struwwelpeter!

An den Händen beiden

Ließ er sich nicht schneiden

Seine Nägel fast ein Jahr;

Kämmen ließ er nicht sein Haar.

Pfui! ruft da ein jeder:

Garst’ger Struwwelpeter


Die Geschichte vom bösen Friederich

vom bösen Friederich

Der Friederich, der Friederich,

Das war ein arger Wüterich!

Er fing die Fliegen in dem Haus

Und riss ihnen die Flügel aus.

Er schlug die Stühl‘ und Vögel tot

Die Katzen litten große Not.

Und höre nur, wie bös er war:

Er peitschte seine Gretchen gar!

Am Brunnen stand ein großer Hund,

Trank Wasser dort mit seinem Mund.

Da mit der Peitsch‘ herzu sich schlich

Der bitterböse Friederich;

Und schlug den Hund, der heulte sehr,

Und trat und schlug ihn immer mehr.

Da biss der Hund ihn in das Bein,

Recht tief bis in das Blut hinein.

Der bitterböse Friederich,

Der schrie und weinte bitterlich. –

Jedoch nach Hause lief der Hund

Und trug die Peitsche in dem Mund.

Ins Bett muss Friedrich nun hinein,

Litt vielen Schmerz an seinem Bein;

Und der Herr Doktor sitzt dabei

Und gibt ihm bitt’re Arzenei.

Der Hund an Friedrichs Tischchen saß,

Wo er den großen Kuchen aß;

Aß auch die gute Leberwurst

Und trank den Wein für seinen Durst.

Die Peitsche hat er mitgebracht

Und nimmt sie sorglich sehr in acht.


Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug

die traurige Geschichte mit dem Feuerzeug

Paulinchen war allein zu Haus,

Die Eltern waren beide aus.

Als sie nun durch das Zimmer sprang

Mit leichtem Mut und Sing und Sang,

Da sah sie plötzlich vor sich stehn

Ein Feuerzeug, nett anzusehn.

„Ei“, sprach sie, „ei, wie schön und fein

Das muss ein trefflich Spielzeug sein.

Ich zünde mir ein Hölzchen an,

Wie’s oft die Mutter hat getan.“

Und Minz und Maunz, die Katzen,

Erheben ihre Tatzen.

Sie drohen mit den Pfoten:

„Der Vater hat’s verboten!

Miau! Mio! Miau! Mio!

Lass stehn! Sonst brennst du lichterloh!“

Paulinchen hört die Katzen nicht!

Das Hölzchen brennt gar hell und licht,

Das flackert lustig, knistert laut,

Grad wie ihr’s auf dem Bilde schaut.

Paulinchen aber freut sich sehr

Und sprang im Zimmer hin und her.

Doch Minz und Maunz, die Katzen,

Erheben ihre Tatzen.

Sie drohen mit den Pfoten;

„Die Mutter hat’s verboten!

Miau! Mio! Miau! Mio!

Wirf’s weg! Sonst brennst du lichterloh!.“

Doch weh! die Flamme faßt das Kleid,

Die Schürze brennt; es leuchtet weit.

Es brennt die Hand, es brennt das Haar,

Es brennt das ganze Kind sogar.

Und Minz und Maunz, die schreien

Gar jämmerlich zu zweien:

„Herbei! Herbei! Wer hilft geschwind?

In Feuer steht das ganze Kind!

Miau! Mio! Miau! Mio!

Zu Hilf‘! das Kind brennt lichterloh!“

Verbrannt ist alles ganz und gar,

Das arme Kind mit Haut und Haar;

Ein Häuflein Asche bleibt allein

Und beide Schuh‘, so hübsch und fein.

Und Minz und Maunz, die kleinen,

Die sitzen da und weinen:

„Miau! Mio! Miau! Mio!

Wo sind die armen Eltern? Wo?“

Und ihre Tränen fließen

Wie’s Bächlein auf den Wiesen.


Die Geschichte von den schwarzen Buben

vom schwarzen Buben

Es ging spazieren vor dem Tor

Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr.

Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,

Da nahm er seinen Sonnenschirm.

Da kam der Ludwig hergerannt

Und trug sein Fähnchen in der Hand.

Der Kaspar kam mit schnellem Schritt.

Und brachte seine Bretzel mit.

Und auch der Wilhelm war nicht steif

Und brachte seinen runden Reif.

Die schrie’n und lachten alle drei,

Als dort das Mohrchen ging vorbei,

Weil es so schwarz wie Tinte sei!

Da kam der große Nikolas

Mit seinem großen Tintenfaß.

Der sprach: „Ihr Kinder, hört mir zu

Und laßt den Mohren hübsch in Ruh‘!

Was kann denn dieser Mohr dafür,

Daß er so weiß nicht ist wie ihr?“

Die Buben aber folgten nicht

Und lachten ihm ins Angesicht

Und lachten ärger als zuvor

Über den armen schwarzen Mohr.

Der Niklas wurde bös und wild,

Du siehst es hier auf diesem Bild!

Er packte gleich die Buben fest,

Beim Arm, beim Kopf, bei Rock und West,

Den Wilhelm und den Ludewig,

Den Kaspar auch, der wehrte sich.

Er tunkt sie in die Tinte tief

Wie auch der Kaspar: „Feuer.“ rief.

Bis übern Kopf ins Tintenfass

Tunkt sie der große Nikolas.

Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,

Viel schwärzer als das Mohrenkind!

Der Mohr voraus im Sonnenschein,

Die Tintenbuben hinterdrein;

Und hätten sie nicht so gelacht,

Hätt‘ Niklas sie nicht schwarz gemacht.


Die Geschichte vom wilden Jäger

vom wilden Jäger

Es zog der wilde Jägersmann

Sein grasgrün neues Röcklein an;

Nahm Ranzen Pulverhorn und Flint‘

Und lief hinaus ins Feld geschwind.

Er trug die Brille auf der Nas‘

Und wollte schießen tot den Has.

Das Häschen sitzt im Blätterhaus

Und lacht den wilden Jäger aus.

Jetzt schien die Sonne gar zu sehr,

Da ward ihm sein Gewehr zu schwer.

Er legte sich ins grüne Gras;

Das alles sah der kleine Has.

Und als der Jäger schnarcht‘ und schlief,

Der Has ganz heimlich zu ihm lief

Und nahm die Flint‘ und auch die Brill‘

Und schlich davon ganz leis‘ und still.

Die Brille hat das Häschen jetzt

Sich selbst auf seine Nas‘ gesetzt;

Und schießen will’s aus dem Gewehr.

Der Jäger aber fürcht‘ sich sehr.

Er läuft davon und springt und schreit.

„Zu Hilf‘, ihr Leut‘, zu Hilf‘, ihr Leut‘.“

Da kommt der wilde Jägersmann

Zuletzt beim tiefen Brünnchen an.

Er springt hinein. Die Not war groß;

Es schießt der Has die Flinte los.

Des Jägers Frau am Fenster saß

Und trank aus ihrer Kaffeetass‘.

Die schoss das Häschen ganz entzwei;

Da rief die Frau: „O wei! O wei!‘

Doch bei dem Brünnchen heimlich saß

Des Häschens Kind, der kleine Has.

Der hockte da im grünen Gras;

Dem floss der Kaffee auf die Nas‘.

Er schrie: „Wer hat mich da verbrannt?“

Und hielt den Löffel in der Hand.


Die Geschichte vom Daumenlutscher

vom Daumenlutscher

„Konrad!“ sprach die Frau Mama,

„Ich geh‘ aus und du bleibst da.

Sei hübsch ordentlich und fromm,

Bis nach Haus ich wieder komm‘.

Und vor allem, Konrad, hör‘!

Lutsche nicht am Daumen mehr;

Denn der Schneider mit der Scher‘

Kommt sonst ganz geschwind daher,

Und die Daumen schneidet er

Ab, als ob Papier es wär‘.“

Fort geht nun die Mutter und

Wupp! den Daumen in den Mund.

Bauz! da geht die Türe auf,

Und herein in schnellem Lauf

Springt der Schneider in die Stub‘

Zu dem Daumen-Lutscher-Bub.

Weh! Jetzt geht es klipp und klapp

Mit der Scher‘ die Daumen ab,

Mit der großen scharfen Scher‘!

Hei! da schreit der Konrad sehr.

Als die Mutter kommt nach Haus,

Sieht der Konrad traurig aus.

Ohne Daumen steht er dort,

Die sind alle beide fort.


Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

vom Suppen-Kaspar

Der Kaspar, der war kerngesund,

Ein dicker Bub und kugelrund,

Er hatte Backen rot und frisch

Die Suppe aß er hübsch bei Tisch.

Doch einmal fing er an zu schrei’n:

„Ich esse keine Suppe! Nein!

Ich esse meine Suppe nicht!

Nein, meine Suppe ess‘ ich nicht!“

Am nächsten Tag, – ja sich nur her!

Da war er schon viel magerer.

Da fing er wieder an zu schrei’n:

„Ich esse keine Suppe! Nein!

Ich esse meine Suppe nicht!

Nein, meine Suppe ess‘ ich nicht!“

Am dritten Tag, O weh und ach!

Wie ist der Kaspar dünn und schwach!

Doch als die Suppe kam herein,

Gleich fing er wieder an zu schrei’n.

„Ich esse keine Suppe! Nein!

Ich esse meine Suppe nicht!

Nein, meine Suppe ess‘ ich nicht!“

Am vierten Tage endlich gar

Der Kaspar wie ein Fädchen war.

Er wog vielleicht ein halbes Lot –

Und war am fünften Tage tot.


Die Geschichte vom Zappel-Philipp

vom Zappel-Philipp

„Oh der Philipp heute still

Wohl bei Tische sitzen will?“

Also sprach in ernstem Ton

Der Papa zu seinem Sohn,

Und die Mutter blickte stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Doch der Philipp hörte nicht,

Was zu ihm der Vater spricht.

Er gaukelt

Und schaukelt,

Er trappelt

Und zappelt

Auf dem Stuhle hin und her.

„Philipp, das mißfällt mir sehr!“

Seht, ihr lieben Kinder, seht,

Wie’s dem Philipp weiter geht!

Oben steht es auf dem Bild.

Seht! Er schaukelt gar zu wild,

Bis der Stuhl nach hinten fällt

Da ist nichts mehr, was ihn hält;

Nach dem Tischtuch greift er, schreit.

Doch was hilft’s? Zu gleicher Zeit

Fallen Teller, Flasch‘ und Brot,

Vater ist in großer Not,

Und die Mutter blicket stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Nun ist Philipp ganz versteckt,

Und der Tisch ist abgedeckt.

Was der Vater essen wollt‘,

Unten auf der Erde rollt;

Suppe, Brot und alle Bissen,

Alles ist herabgerissen;

Suppenschüssel ist entzwei,

Und die Eltern stehn dabei.

Beide sind gar zornig sehr,

Haben nichts zu essen mehr.


Die Geschichte vom Hanns Guck-in-die-Luft

von Hanns Guck in die Luft

Wenn der Hanns zur Schule ging,

Stets sein Blick am Himmel hing.

Nach den Dächern, Wolken, Schwalben

Schaut er aufwärts, allenthalben:

Vor die eignen Füße dicht,

ja, da sah der Bursche nicht,

Also dass ein jeder ruft:

„Seht den Hanns Guck-indie-Luft!“

Kam ein Hund daher gerannt;

Hännslein blickte unverwandt

In die Luft.

Niemand ruft:

„Hanns! gib acht, der Hund ist nah!“

Was geschah?

Bauz! Perdauz! – da liegen zwei!

Hund und Hännschen nebenbei.

Einst ging er an Ufers Rand

Mit der Mappe in der Hand.

Nach dem blauen Himmel hoch

Sah er, wo die Schwalbe flog,

Als dass er kerzengrad

Immer mehr zum Flusse trat.

Und die Fischlein in der Reih‘

Sind erstaunt sehr, alle drei.

Noch ein Schritt! und plumps! der Hanns

Stürzt hinab kopfüber ganz! –

Die drei Fischlein, sehr erschreckt,

Haben sich sogleich versteckt.

Doch zum Glück, da kommen zwei

Männer aus der Näh‘ herbei,

Und die haben ihn mit Stangen

Aus dem Wasser aufgefangen.

Seht! Nun steht er triefend nass!

Ei! das ist ein schlechter Spaß!

Wasser läuft dem armen Wicht

Aus den Haaren ins Gesicht,

Aus den Kleidern, von den Armen;

Und es friert ihn zum Erbarmen.

Doch die Fischlein alle drei,

Schwimmen hurtig gleich herbei;

Strecken ’s Köpflein aus der Flut,

Lachen, daß man’s hören tut,

Lachen fort noch lange Zeit;

Und die Mappe schwimmt schon weit.


Die Geschichte vom fliegenden Robert

vom fliegenden Robert

Wenn der Regen niederbraust,

Wenn der Sturm das Feld durchsaust,

Bleiben Mädchen oder Buben

Hübsch daheim in ihren Stuben. –

Robert aber dachte: Nein!

Das muss draußen herrlich sein! –

Und im Felde patschet er

Mit dem Regenschirm umher.

Hui, wie pfeift der Sturm und keucht,

Dass der Baum sich niederbeugt!

Seht! den Schirm erfasst der Wind,

Und der Robert fliegt geschwind

Durch die Luft so hoch, so weit;

Niemand hört ihn, wenn er schreit.

An die Wolken stößt er schon,

Und der Hut fliegt auch davon.

Schirm und Robert fliegen dort

Durch die Wolken immerfort.

Und der Hut fliegt weit voran,

Stößt zuletzt am Himmel an.

Wo der Wind sie hingetragen,

Ja! das weiß kein Mensch zu sagen.

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