Zwei Diebe sahen einmal einen Mann auf der Landstraße, welcher einen Esel am Zaume hinter sich führte. Der Mann sah etwas einfältig aus, und der eine Dieb sagte deshalb zu dem andern: „Ich werde diesem Mann den Esel stehlen!“ „Was, am helllichten Tage?“ rief der andere erstaunt. – „Gewiss! Komm nur mit!“ sagte der erste. Er ging, ohne dass der Führer des Esels es bemerkte, an das Tier heran, nahm demselben den Zaum ab und hing ihn sich selbst um den Hals. Der Eseltreiber ging ruhig weiter, weil er glaubte, der Esel folge ihm noch immer. Währenddessen ging der andere Dieb mit dem Esel ab. Nach einiger Zeit blieb der Dieb, welcher sich den Zaum umgelegt hatte, plötzlich stehen und ging nicht mehr vom Flecke, so sehr der Treiber auch ziehen mochte. Ärgerlich wandte sich dieser um und war sehr erstaunt, anstatt des Esels einen Mann im Zaume zu finden. „Wer bist du?“ rief er erschrocken. – Ich bin der Esel“, antwortete der Dieb. „Ich war früher ein Mensch. Weil ich sehr viel in schlechter Gesellschaft lebte, wurde meine alte, fromme Mutter ernstlich böse. Sie prügelte mich gehörig durch, und damit ich ernstlich einmal arbeiten lernte, verwandelte sie mich auf zehn Jahre in einen Esel. Als solcher habe ich dir bisher treulich gedient. Heute nun sind die zehn Jahre um, und deshalb habe ich meine menschliche Gestalt und meinen Verstand wieder bekommen.“
Der Besitzer des Esels machte sich Vorwürfe, dass er so lange Zeit einen Menschen, ohne es zu wissen, als Esel hatte arbeiten lassen. „Es tut mir aufrichtig leid“, sagte er, „dass es dir so schlecht gegangen ist; aber ich kann es doch nicht mehr ändern. Hier, nimm diese Geldbörse als Belohnung für deine Dienste und fang ein ordentliches Leben an.“ Damit entließ er den Dieb.
Dieser ging den Weg zurück und fand bald seinen Genossen mit dem gestohlenen Esel wieder. Sie freuten sich über den Spaß und verkauften den Esel in der Stadt.
Der frühere Besitzer des Esels wollte sich nun einige Tage darauf einen neuen kaufen. Er kam auf den Markt und betrachtete sich mehrere, welche dort feilgeboten wurden. Da bemerkte er auf dem Rücken des einen Esels ein bekanntes, eingebranntes Zeichen. Er betrachtete ihn genauer, und siehe da! es war richtig sein alter Esel! „O du Bösewicht!“ rief er aus. „Kaum warst du ein paar Tage wieder Mensch, hast du schon wieder gebummelt, und deine Mutter hat dich gewiss deswegen wieder verwandelt! Dich kaufe ein andrer!“ Er ließ ihn stehen und ging weiter.
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