Ich habe einmal ein Bild gesehen, da war ich noch sehr klein, ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Aber es war ein Mann darauf zu sehen, der eine weiße Perücke trug. Diesen Mann vergesse ich nicht, er war alt, silberne Knöpfe prangten auf seiner gelben, seidenen Weste. Wenn es Abend wurde, begann der Greis zu erzählen wie ein richtiger Mensch, und ich hörte zu. Wenn heute die Uhr in meiner Kammer schlägt, ich meine, am Abend, dann höre ich die Geschichte noch. „Komm her“, sagte der Mann mit der weißen Perücke, „ich will dir den Teich zeigen, in dem sie wohnt, die Allerschönste. Ihre Haare sind braun, ihre Augen grün, nein, du musst nicht lachen, sie sind dennoch wunderbar. Auf dem Grunde des Teiches liegt das Schloss, aus grünem Glas, aus blauem Glas, aus rotem Glas. Die Türme sind wie kleine Kronen, aus Silber, mit Perlen an den Rändern. Hier wohnt sie, die Allerschönste, um ihre Füß liegen sieben Ketten, und diese Ketten liegen in den Händen eines silbernen Engels. Der Engel steht auf einem zerschmetterten Schiff. Unter der Erde führt ein Strom in das Meer. Jedes Mal, wenn die Nixe an die Oberfläche des Wassers kommt, ziehen die Ketten sie auf den Grund zurück. Die Ketten sind lang, aber nicht so lang, dass die Allerschönste die Menschen sehen. Aber sie hören ihren Gesang über dem Wasser. Und der Gesang ist mächtig, er ist stärker als das Rauschen der Wellen, er ist wie eine Burg aus Tönen. „Ich will die Singenden sehen“, sagte die Allerschönste zu sich selbst, „ich will sie sehen!“ Sie nimmt den Ast eines Wasserbaumes mit großen, sonderbaren Blumen in die Hand. „Kann ich mein Gesicht nicht über das Wasser hinausheben?“ denkt die Nixe, „die Singenden, sie sind stark, sie reißen mich vielleicht von den Ketten los.“ Die Nixe steigt empor, und sie trägt einen Zweig mit weißen und blauen Blüten, einen Zweig mit sternförmigen Blättern. Und das Schiff kommt näher, die Allerschönste zittert. „Welche Blumen“, ruft eine Stimme, und ein Angesicht beugt sich dicht über das Wasser. Und sie erblicken einander, der junge Mensch und die Nixe. Aber nun löst sich ihre Hand von dem blühenden Ast, und die Ketten ziehen sie hinunter. „0, ich sah sie, die Allerschönste“, ruft der junge Mensch, er ist wie von Sinnen und schwimmt dem Ast nach, den die Wellen mit sich nahmen. Die anderen halten den jungen Mann fest. „Du Narr“, rufen sie.“ Aber er schüttelt sein dunkles Haupt, er sagt: „Ich muss sie haben!“ Die Allerschönste zerrte weinend an den Ketten ihrer Füße, und sie sagt: „Ich muss ihn haben!“ Da läuft eine Eidechse über die silberne Schulter des Engels, und sie spricht: „Wenn du den Wogen dieses Wassers versprichst, sie zu verlassen, sollst du ihn bekommen, aber er ist euer Unglück!“ „Ich muss ihn haben“, sagt die Nixe. Sie nimmt einen rosa Blütenzweig und steigt wieder an die Oberfläche des Meeres. Diesesmal ist es der Jüngling allein, der auf das Zeichen der Nixe wartet. Er sitzt in einem Nachen und streckt verlangend die Hand nach den Blumen aus. Als er den Ast mit beiden Händen an sich reißt, lösen sich die Ketten von den Füßen der Nixe, sie schwebt empor, der Jüngling umfasst ihre Schultern und zieht sie in den Nachen. „Willst du mich verlassen?“ fragt die Nixe. „Niemals“, ruft der Jüngling, und über dem Nachen spannt sich ein seidener Baldachin. Aus den Fluten steigen blumengeschmückte Schiffe mit Masten und Segeln. Goldene Stege führen von einem zum andern, es ist eine Stadt auf dem Wasser, eine schwankende Stadt ohne Grund. Flammende Fackeln erhellen die Nacht, und die Allerschönste lebt mit ihrem Liebsten wie in Schlössern und Gärten. – Aber da sagt der Mann eines Tages: „Verzeih, doch ich muss meine Mutter noch einmal sehen!“ Da weint die Nixe, sie schmückt einen Nachen mit Ketten und Blumen, und dann lässt sie sich in die Fluten nieder und schwimmt ihm nach. Ihre Kraft verlässt sie, je näher das Ufer kommt. Er sieht sie nicht. Er geht an das Land, sie folgt ihm. Das Haus seiner Kindheit ist längst zerfallen, die Mutter tot. – Traurig wendet er sich dem Ufer zu. Und er findet die Allerschönste zusammengesunken und leblos auf den zerbrochenen Stufen im Sande. Da nimmt er sie auf seine Arme und trägt sie in das Meer. Und er sieht in der Ferne die Schiffe versinken, er sieht wie das Wasser alles an sich reißt, die Säulen, die goldenen Stege, die purpurnen Baldachine. Und aus der Tiefe empor leuchtet der silberne Engel mit der zerbrochenen Kette.
Ich habe einmal ein Bild gesehen, da war ich noch sehr klein, ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Aber es war ein Mann darauf zu sehen, der eine weiße Perücke trug. Diesen Mann vergesse ich nicht, er war alt, silberne Knöpfe prangten auf seiner gelben, seidenen Weste. Wenn es Abend wurde, begann der Greis zu erzählen wie ein richtiger Mensch, und ich hörte zu. Wenn heute die Uhr in meiner Kammer schlägt, ich meine, am Abend, dann höre ich die Geschichte noch. „Komm her“, sagte der Mann mit der weißen Perücke, „ich will dir den Teich zeigen, in dem sie wohnt, die Allerschönste. Ihre Haare sind braun, ihre Augen grün, nein, du musst nicht lachen, sie sind dennoch wunderbar. Auf dem Grunde des Teiches liegt das Schloss, aus grünem Glas, aus blauem Glas, aus rotem Glas. Die Türme sind wie kleine Kronen, aus Silber, mit Perlen an den Rändern. Hier wohnt sie, die Allerschönste, um ihre Füß liegen sieben Ketten, und diese Ketten liegen in den Händen eines silbernen Engels. Der Engel steht auf einem zerschmetterten Schiff. Unter der Erde führt ein Strom in das Meer. Jedes Mal, wenn die Nixe an die Oberfläche des Wassers kommt, ziehen die Ketten sie auf den Grund zurück. Die Ketten sind lang, aber nicht so lang, dass die Allerschönste die Menschen sehen. Aber sie hören ihren Gesang über dem Wasser. Und der Gesang ist mächtig, er ist stärker als das Rauschen der Wellen, er ist wie eine Burg aus Tönen. „Ich will die Singenden sehen“, sagte die Allerschönste zu sich selbst, „ich will sie sehen!“ Sie nimmt den Ast eines Wasserbaumes mit großen, sonderbaren Blumen in die Hand. „Kann ich mein Gesicht nicht über das Wasser hinausheben?“ denkt die Nixe, „die Singenden, sie sind stark, sie reißen mich vielleicht von den Ketten los.“ Die Nixe steigt empor, und sie trägt einen Zweig mit weißen und blauen Blüten, einen Zweig mit sternförmigen Blättern. Und das Schiff kommt näher, die Allerschönste zittert. „Welche Blumen“, ruft eine Stimme, und ein Angesicht beugt sich dicht über das Wasser. Und sie erblicken einander, der junge Mensch und die Nixe. Aber nun löst sich ihre Hand von dem blühenden Ast, und die Ketten ziehen sie hinunter. „0, ich sah sie, die Allerschönste“, ruft der junge Mensch, er ist wie von Sinnen und schwimmt dem Ast nach, den die Wellen mit sich nahmen. Die anderen halten den jungen Mann fest. „Du Narr“, rufen sie.“ Aber er schüttelt sein dunkles Haupt, er sagt: „Ich muss sie haben!“ Die Allerschönste zerrte weinend an den Ketten ihrer Füße, und sie sagt: „Ich muss ihn haben!“ Da läuft eine Eidechse über die silberne Schulter des Engels, und sie spricht: „Wenn du den Wogen dieses Wassers versprichst, sie zu verlassen, sollst du ihn bekommen, aber er ist euer Unglück!“ „Ich muss ihn haben“, sagt die Nixe. Sie nimmt einen rosa Blütenzweig und steigt wieder an die Oberfläche des Meeres. Diesesmal ist es der Jüngling allein, der auf das Zeichen der Nixe wartet. Er sitzt in einem Nachen und streckt verlangend die Hand nach den Blumen aus. Als er den Ast mit beiden Händen an sich reißt, lösen sich die Ketten von den Füßen der Nixe, sie schwebt empor, der Jüngling umfasst ihre Schultern und zieht sie in den Nachen. „Willst du mich verlassen?“ fragt die Nixe. „Niemals“, ruft der Jüngling, und über dem Nachen spannt sich ein seidener Baldachin. Aus den Fluten steigen blumengeschmückte Schiffe mit Masten und Segeln. Goldene Stege führen von einem zum andern, es ist eine Stadt auf dem Wasser, eine schwankende Stadt ohne Grund. Flammende Fackeln erhellen die Nacht, und die Allerschönste lebt mit ihrem Liebsten wie in Schlössern und Gärten. – Aber da sagt der Mann eines Tages: „Verzeih, doch ich muss meine Mutter noch einmal sehen!“ Da weint die Nixe, sie schmückt einen Nachen mit Ketten und Blumen, und dann lässt sie sich in die Fluten nieder und schwimmt ihm nach. Ihre Kraft verlässt sie, je näher das Ufer kommt. Er sieht sie nicht. Er geht an das Land, sie folgt ihm. Das Haus seiner Kindheit ist längst zerfallen, die Mutter tot. – Traurig wendet er sich dem Ufer zu. Und er findet die Allerschönste zusammengesunken und leblos auf den zerbrochenen Stufen im Sande. Da nimmt er sie auf seine Arme und trägt sie in das Meer. Und er sieht in der Ferne die Schiffe versinken, er sieht wie das Wasser alles an sich reißt, die Säulen, die goldenen Stege, die purpurnen Baldachine. Und aus der Tiefe empor leuchtet der silberne Engel mit der zerbrochenen Kette.
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