Märchen aus Italien
In der Provinz Genua lebte eine Witwe, die drei Söhne hatte, Francesco, Tonino und Angiolino. Angiolino wollte immer schlafen, nicht nur nachts, sondern auch den ganzen Tag. So verschlief er seine Kindheit und das Jünglingsalter, und während Francesco und Tonino arbeiteten und den Lebensunterhalt für die Familie verdienten, lag Angiolino daheim und schlief. Die beiden wurden immer ärgerlicher über ihren faulen Bruder, tadelten ihre Mutter oft, die ihren Jüngsten stets entschuldigte und in Schutz nahm, und schließlich sagten sie: „Mutter, es kann nicht so weitergehen mit unserem Bruder. Also überlegt, was man tun kann, denn wir sind sehr erzürnt gegen ihn.“
Die Mutter aber antwortete: „Liebe Kinder, ich kann ihn nicht verstoßen, da er mein Sohn ist so gut wie ihr. Versuchen wir, ihn zu verheiraten, dann wird er aufwachen.“
Die Brüder waren einverstanden. Sie suchten eine Frau für Angiolino, und er heiratete sie. Am Morgen nach der Hochzeit wollte die Frau aufstehen, er aber sagte: „Was tust du?“
Und Carolina sagte: „Ich will aufstehen, damit deine Brüder nicht schelten können. “
„Nein, solange ich nicht aufstehe, hast du dich nicht von hier zu rühren.“ Und erst zur Essensstunde standen sie auf. Und so ging es weiter Tag für Tag. Angiolino schlief, und seine Frau musste mit ihm schlafen. Da wurden die Brüder zornig und sagten zur Mutter: „Früher war er allein, jetzt sind sie zu zweien. Wir wollen nun unser Erbe teilen, ihm das seine geben, und dann soll er mit seiner Frau fort aus dem Hause.“ Und so geschah es.
Angiolino und Carolina nahmen ihre Habe und zogen fort nach der Hauptstadt des Landes. In kurzer Zeit hatten sie alles, was sie besaßen, aufgezehrt und waren genötigt, sich in ein kleines Dorf zurückzuziehen, das an einem Flüsschen lag.
Eines Tages, als sie nichts zu essen hatten, sagte Angiolino zu Carolina: „Der Hunger hat mir den Schlaf vertrieben, und ich habe nachgesonnen. Da unten im Fluss gibt es Fische. Ich will angeln gehen. Vielleicht habe ich Glück und fange etwas.“ Und er nahm ein Netz und ging. Als er am Fluss war, warf er das Netz aus und zog. ,,O Gott!“ rief er, „was ist das für ein riesiger Fisch!“ Er kehrte geschwind nach Hause zurück und rief: „Sieh nur, Carolina, was für einen riesigen Fisch ich gefangen habe!“
Voller Freude erwiderte Carolina: „Wir wollen ihn gleich verkaufen; dann können wir Essen für eine ganze Weile kaufen, denn er ist ein solches Wundertier, dass kein Mensch je einen ähnlichen gesehen haben kann.“
„Nein“, antwortete Angiolino der Frau, „ich will gehen und ihn dem König zum Geschenk machen.“ Und so gingen sie beide hin zur Stadt. Als sie am Tor angelangt waren, riet die Frau noch einmal, ihn doch lieber zu verkaufen. Sie sagte: „Wer weiß, ob der König dich mit Geld belohnt. Vielleicht bekommst du bloß einen Orden, und dafür können wir uns nichts kaufen. “
„Aber ich habe nun einmal beschlossen, ihm den Fisch zu bringen, und will ihn nicht verkaufen.“ Und die liebe Gattin musste mit trockenem Mund vor dem Tor bleiben.
Als Angiolino beim ersten Eingang des Palastes anlangte, fragte ihn die Schildwache, die dort stand: „Wohin willst du, und was ist dein Begehr?“
„Ich will zum König und ihm dieses Geschenk bringen. Darf ich das nicht?“ Die Schildwache antwortete: „Wenn du mir die Hälfte der Belohnung geben willst, will ich dich einlassen. Wo nicht, kannst du dahin zurückkehren, woher du gekommen bist.“ Angiolino, der schon wieder müde war, da er nachts zuvor nicht genug geschlafen hatte, dachte bei sich, dass die Hälfte immer noch besser sei als gar nichts, bewilligte die Forderung und ging weiter.
Als er dann auf die Höhe der gewundenen Treppe gekommen war, traf er eine andere Wache. Auch diese fragte ihn, was P“ beim König wolle, und er antwortete wieder: „Ich will ihm ein Geschenk machen. Sieh hier, ich habe einen Fisch gefangen, dessen nur er würdig ist.“
„Wie? Eine solche Seltenheit ist er?“
„Ja, das siehst du wohl?“
„Aber wenn du mir nicht die Hälfte der Belohnung, die er dir geben wird, abtrittst, lass ich dich nicht weiter vordringen.“
Angiolino sagte, dass das nur noch die Hälfte von der Hälfte sein werde, denn die Hälfte von der ganzen Belohnung habe er schon der ersten Wache bewilligt. Der Soldat war einverstanden, und Angiolino ging weiter.
Als er dann in den Vorsaal gekommen war, fragte ihn dort gleich die dritte Schildwache, was er wolle. Er antwortete: „Ich will mit dem König sprechen.“ Der Soldat aber, dem schon die erste Schildwache einen Wink gegeben hatte, begann gleich von dem Anteil an der Belohnung zu sprechen, die der König ihm gewiss geben werde.
Inzwischen hatte sich Angiolino schon überlegt, was er tun wollte, bewilligte alles und ließ sich beim König melden. Sofort wurde er eingelassen. Als er dann vor seiner Majestät stand, überreichte er ihm das Wundertier, und der König rief beim Anblick des Fisches: „Wo in aller Welt hast du denn den gefangen?“ Darauf wurde die Königin gerufen, damit auch sie ihn sehen solle, und der König fragte sie: „Sage mir, was soll ich ihm zur Belohnung geben für ein so großes Geschenk?“ – „Man kann ihm jetzt hundert Gulden geben und später für ihn sorgen.“
Angiolino überlegte bei sich und antwortete dann: „Dieses Geschenk nehme ich nicht an.“
„Oho! Was willst du also?“ – „Ich will hundert Hiebe mit einer Lederpeitsche.“ – „Wie? Bist du verrückt oder stellst du dich nur so?“
Da sagte die Königin: „Gib ihm hundert Gulden und schicke den Dummkopf weg!“
“ Ich habe schon gesagt, dass ich hundert Peitschenhiebe will“, sagte Angiolino, „und ich bitte, mir diese Belohnung zu gewähren.“
„Nun“, sagte der König, „wenn du sie durchaus willst, sollst du sie bekommen.“ Er ließ seinen Hofstaat rufen, vier Soldaten kommen und befahl ihnen, alles Nötige vorzubereiten, um Angiolino die Schläge im Saal zu verabfolgen, damit alle mitansehen könnten, wie dieser törichte Mensch seine unsinnige Belohnung erhielt.
In einem Augenblick war alles herbeigebracht, und alle riefen: „Dieser Mensch ist nicht bei Sinnen!“
Der König aber sagte: „Nehmt ihn und gebt ihm hundert Hiebe!“ „Ja, das ist recht“, sagte Angiolino, „ich bitte noch um eine Gnade.“ „Was für eine Gnade willst du?“
„Ihr sollt die erste Schildwache rufen lassen.“
Sogleich wurde sie geholt, und Angiolino gefragt, was er von ihr wolle. „Ich will“, antwortete er, „dass dieser Schurke die Hälfte von der Belohnung erhält, die Eure Majestät mir geben wollen. Ich habe sie ihm versprechen müssen, und es ist gerecht, dass er sie auch bekommt.“ Und er erzählte, welch unverschämte Forderung die erste Schildwache an ihn gestellt habe. Alle Zuschauer erkannten nun, dass er vollkommen vernünftig und richtig gehandelt hatte, und die Schildwache wurde hingelegt und erhielt zu ihrer Schande fünfzig Hiebe, und für jeden Schlag bedankte sich Angiolino.
Nachdem die erste Wache bedient war, ließ Angiolino die zweite kommen und sagte: „Auch dieser Schuft wollte mich zurückschicken, wenn ich ihm nicht ein Viertel der Belohnung versprach. Er soll fünfundzwanzig bekommen.“ Und so geschah’s.
„Auch der aus dem Vorsaal muss belohnt werden!“ Der zitterte wie ein Rohr, als er gerufen wurde, denn er hatte gehört, was vorgegangen war. Und er empfing seine Belohnung wie die anderen.
Dann sagte der König: „Nun bleiben noch zwölf für dich.“ – „Ja, es ist gerecht,“ antwortete Angiolino. „Aber ich will sehen, ob ich einen finde, der sie mir abkauft.“
Damit ging er weg und suchte einen alten geizigen Wucherer auf, der ein paar Straßen weiter seinen Laden hatte, wo er den Leuten schlechte Ware für einen viel zu hohen Preis verkaufte. Angiolino fragte ihn, ob er lederne Peitschen zu verkaufen habe, und was sie kosteten. „Eine kostet zehn Gulden“, antwortete der Wucherer.
„Ich habe zwölf als Belohnung vom König zu bekommen,“ sagte Angiolino. „Ich lasse sie Euch für drei Gulden das Stück.“
„Ich nehme sie.“
„Aber Ihr müsst mit mir kommen.“
Als sie in den Saal gekommen waren, sagte Angiolino: „Das ist der Mann, der die zwölf gekauft hat, die ich von Euch zu bekommen habe.“ Der König lächelte und sagte:
„Du bist also der, der sie gekauft hat?“ „Ja, Euer Majestät.“
„Und für wie viel ?“
„Das Stück für drei Gulden.“
Da sagte der König, sie sollten ihm die zwölf geben. Die vier Soldaten ergriffen ihn und begannen, ihm die Hiebe aufzuzählen. Er schrie, er habe Peitschen gekauft und keine Schläge, aber der König entgegnete: „Du hast selbst gesagt, dass du die zwölf gekauft hast, die ich Angiolino versprochen habe. Jetzt bekommst du sie.“
Und es half nichts, er musste sie empfangen und bezahlen.
Alle Zuschauer stimmten darin überein, dem Angiolino und seiner Frau sollten zur Belohnung täglich fünf Lire gezahlt werden, und damit sollten sie frohgemut nach Hause gehen. Das geschah denn auch, und sie luden die Mutter und die Brüder ein und genossen alle ein friedliches Leben, und Angiolino konnte so viel schlafen, wie er Lust hatte.
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