Englisches Märchen
Im Gotenreiche, das der weise König Hygelac beherrschte, lebte vorzeiten der junge Beowulf, der zu des Landes tapfersten und stärksten Kriegern zählte. Schon als Knabe hatte er sich durch seine Kühnheit hervorgetan, als er einst in voller Rüstung weit ins Meer hinausgeschwommen war, um die Seeungeheuer zu bekämpfen. Eine ganze Nacht hatte er dort in dem brandenden Meer zugebracht und viele der Unholde, die ihre Fangarme nach ihm ausstreckten, besiegt.
Eines Tages kam an des Königs Hof ein dänischer Spielmann, der sang von der herrlichen Burg, die sein Herr, der König Rudigar von Dänemark, sich erbaut hatte. Staunend hörten die Helden von den säulengeschmückten, schimmernden Hallen, und mit Ingrimm vernahmen sie von Grendel, einem schrecklichen Moorgeist, der dort sein Wesen trieb und den König mit seinen Mannen in Furcht und Schrecken hielt.
Nachdem der Sänger sein Lied beendet hatte, trat Beowulf vor König Hygelac und bat um Urlaub. Er wollte den Kampf wagen und den Dänenkönig aus seiner schweren Bedrängnis befreien. Der König und seine Ratgeber billigten die gefährliche Reise, obgleich ihnen der tapfere Beowulf lieb war.
Mit vierzehn Waffengefährten bestieg der junge Recke ein wohlausgerüstetes Schiff, fuhr übers Meer und erreichte glücklich Dänemarks Küste und die Hirschburg, die mitten in der Heide lag. Wie staunten die Goten, als sie das mächtige Bauwerk mit Türmen und Zinnen erblickten, das in der Morgensonne funkelte und glänzte wie Walhall, der herrliche Wohnsitz der Götter!
Der alte König Rudigar empfing die Gäste freundlich und ließ sie ihre reisemüden Glieder ausruhen. Aber nur mit Sorge hörte er von dem Entschluss Beowulfs, den grimmigen Moorgeist zu bekämpfen. „Schon so viele meiner besten Mannen hat er umgebracht“, seufzte der König, „dass wir uns zur Nachtzeit immer vor ihm bergen müssen.“
Beowulf jedoch blieb entschlossen, Grendel zu besiegen oder sein Leben zu lassen.
Als die Dämmerung kam, wagte keiner der Dänenkrieger, in der Halle zu bleiben. Beowulf aber gebot seinen Kriegern zu ruhen. Er selber löste den Harnisch und legte das Schwert beiseite; denn er wusste, dass der Unhold Grendel mit Waffen nicht zu besiegen war. Auch wollte Beowulf den Kampf mit dem Gegner unter gleichen Bedingungen bestehen.
Mitternacht war es, als ein riesenhafter Schatten lautlos über die Schwelle glitt. Er griff nach dem ersten der schlafenden Gotenkrieger und verschlang ihn. Dann streckte er seine gewaltige Faust nach Beowulf aus. Dieser ergriff sie mit solcher Kraft, dass der Unhold wild aufbrüllte. Nun begann ein hartes Ringen, immer fester umklammerte Beowulf den feuchten, scheußlichen Leib. Die Halle erbebte unter dem Stampfen der Kämpfenden, und todesmutig stürzten die Gotenkrieger herbei, ihrem Herrn zu helfen. Doch nicht Schwert noch Speer konnten der Zauberkraft des schrecklichen Grendel etwas anhaben. Umso fester aber war Beowulfs klammernder Griff. Zwar entkam ihm der Unhold mit grausigem Geheul, aber den Arm samt der Achsel musste er dem Helden zurücklassen.
Die dänischen Recken eilten herbei, mit Grauen und mit Jubelruf bestaunten sie Beowulfs Siegesbeute. Man folgte der Blutspur des Todwunden, die sich durch die Heide bis an den Rand des brodelnden und gärenden Moores hinzog. Schon auf dem Heimritt kündete der Sänger in einem Preislied von Beowulfs Tat. Zu Ehren des Helden ließ König Rudigar ein großes Fest herrichten und beschenkte Beowulf und seine Männer mit kostbaren Gaben.
Bis in die Nacht währte das Fest bei Met und fröhlichem Saitenspiel, bei Jubel und Becherklang.
Doch es gab ein schreckliches Erwachen. Denn war Grendel auch tot, so lebte seine Mutter, das schreckliche Moorweib. Lechzend nach Rache, mit Feuerflammen in den Augen, stieg sie aus der Tiefe des Moores herauf, folgte der Todesspur ihres Sohnes und drang in die Hirschburg ein. Sie packte den ersten besten der Schlafenden, einen Vertrauten König Rudigars, schlug ihre Krallen in seinen Leib und entkam mit ihrer Beute, ehe die Krieger zum Schwerte greifen konnten. Wie Hohn hallte aus der Ferne das schrille Gelächter der Unholdin durch die Nacht.
Entsetzt über solchen neuen Frevel, standen die Goten ratlos. Doch Beowulf sprach ihnen Mut zu. „Allvater hat den Weltenlauf so geordnet,“ rief er, „dass gute Tat den Sieg behält über bösen Spuk und über alle bösen Geister!“
Dann ritten Rudigar und Beowulf mit ihren Mannen dem Grendelmoore zu, dessen brodelndes Brausen schon aus der Ferne zu hören war. Die Pferde bäumten sich, zitterten vor Furcht, je mehr sie sich dem unheimlichen Ort näherten. Auch den Waffengefährten bebten die Hände, als sie Beowulf wappneten. Der junge Recke wandte sich zum Abschied an König Rudigar, dann fasste er seinen mächtigen Speer und sprang in voller Rüstung in die gähnende Tiefe.
Auf dem Grunde des Moores musste er einen Kampf auf Leben und Tod mit dem furchtbaren Moorweib bestehen. Mochte Beowulf auch sein gutes Schwert Rausching auf ihr Haupt niedersausen lassen, der Zauber schützte sie vor jeder Verwundung. Sie packte den Helden mit den Eisenkrallen ihrer Hände, trug ihn in ihre trockene Halle und rang ihn mit übermenschlicher Kraft zu Boden. Nur der gute Harnisch schützte Beowulf vor dem Tode. Da gewahrte er an der Wand des Gewölbes ein altes Schwert des Riesengeschlechtes, eine Waffe aus der Vorzeit. Es gelang ihm, dieses zauberstarke Schwert zu fassen, und mit ihm tötete er die Moorfrau. Dann schlug er Grendels Leichnam, den er in der Halle fand, das Haupt ab.
Lange Stunden hatten die Waffengefährten auf Beowulfs Rückkehr warten müssen. Wie jubelten sie, als der Strudel ihn plötzlich jäh in die Höhe riss und aus dem quirlenden Schaum emporhob! Bei sich führte er als Siegeszeichen den Schwertgriff der Riesenwaffe und das blutige Haupt Grendels.
Bald darauf schied Beowulf reich beschenkt von Rudigars Hofe. Der greise König, dem der Abschied sehr schwer fiel, vergoss Tränen des Dankes, als er den Helden ziehen ließ.
In hohen Ehren diente Beowulf nun wieder seinem König im Gotenlande. Als Hygelac und sein Sohn darauf im Kriege unter den scharfen Schwertern der Friesen den Tod fanden, schien niemand würdiger, die Krone zu tragen, als der tapfere Beowulf. In Milde und Gerechtigkeit führte er das Zepter, und kein Feind wagte es, sich gegen ihn und sein Reich zu erheben.
Doch eines Tages wurde der Friede plötzlich gestört. Feuersglut wälzte sich von den Bergen herab in die friedlichen Täler und verbrannte Burgen und Gehöfte, mit dem Morgen klomm der Brand wieder die Höhen hinan. Und Nacht für Nacht geschah das gleiche.
Ein Drache war es, der sich dort oben im Gebirge eingenistet hatte. König Beowulf, ob er auch alt geworden war, zögerte nicht, den Kampf gegen das Ungeheuer aufzunehmen. Er ließ sich einen Schild schmieden, der ihn vor dem Drachengift schützen sollte, und wagte mit elf ausgewählten Männern den furchtbaren Kampf. Ein Funkenregen sprühte über die Helden hin und nahm ihnen den Atem. Beowulf versuchte, den Kampf gegen den Feuer speienden Drachen allein zu bestehen; aber an der Zauberkraft der schuppigen Hornhaut zersprang sein gutes Schwert, und er empfing von dem Ungeheuer eine schwere Wunde. Seine Gefährten hatten sich in den Wald geflüchtet. Nur Wiglaf, sein treuer Waffenbruder, kam ihm zu Hilfe und traf den Drachen in die ungeschützten Weichen. Und Beowulf, obwohl aus furchtbaren Wunden blutend, stieß dem Untier den Speer in die Seite, dass sein glühender Atem verwehte und es röchelnd verendete.
Aber der Sieg über das Ungeheuer kam die Goten teuer zu stehen; denn der Drache riss Beowulf, den herrlichen Helden, mit sich in den Tod: das Drachengift und die schweren Wunden hatten Beowulfs Lebenskraft zerstört. Bevor Beowulf starb, hatte er Wiglaf die Schätze vor sich ausbreiten lassen, die er dem Drachen entrissen hatte.
Mit hohen Ehren bestatteten die Goten ihren toten Heldenkönig, der ein Vorbild tapferen, ruhmreichen Lebens gewesen war. Ein mächtiger Scheiterhaufen wurde aufgeschichtet, auf dem Beowulf in blinkender Rüstung, so wie er stets zum Kampfe ausgezogen war, ruhte; er sollte nicht waffenlos einziehen in die strahlende Halle der Götter. Die Edelinge umritten den riesigen Feuerbrand, und dann errichteten sie einen hohen Grabhügel am Vorgebirge, der weithin über die See sichtbar war. Der fluchbeladene Schatz wurde – wie es Beowulf befohlen hatte – dem Helden mit ins Grab gegeben.
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