Aus den Geschichten von Tausendundeiner Nacht
In einer großen Stadt Chinas lebte ein armer Schneider namens Mustafa. – Durch sein Gewerbe verdiente er kaum so viel, dass er mit seiner Frau und seinem Sohne leben konnte. Dieser Sohn, Aladdin mit Namen, war ein Tunichtgut. Der Vater hatte nicht viel Zeit und Geld auf seine Erziehung verwenden können, und der Sohn hatte auch nichts gelernt. Er war vielmehr immer halsstarrig, boshaft und ungehorsam geblieben. Seit seiner Kindheit hatte er am liebsten mit andern Gassenjungen auf den Straßen und Plätzen der Stadt herumgetollt.
Nun wollte ihn der Vater in der eigenen Werkstatt das Schneiderhandwerk lehren. Aber der Sohn war nicht mehr zu bessern. Kaum kehrte der alte Meister seinem Sohn den Rücken, flugs war dieser aus der Stube hinaus. Und er kam den ganzen Tag nicht wieder. Scheltworte und Drohungen nützten nichts. Auch Schläge vermochten den flatterhaften Sinn des Jungen nicht zu ändern. Schließlich musste ihn der Vater zu seinem großen Bedauern dem liederlichen Leben überlassen. Da grämte sich der alte Schneider so sehr, dass er krank wurde und nach einigen Monaten starb.
Aladdins Mutter sah, dass sie von ihrem Sohn keine Hilfe zu erwarten habe. Also schloss sie den Laden und machte das wenige Handwerkszeug des Gatten zu Geld. Davon und vom Ertrag des Baumwollspinnens hoffte sie, mit dem Sohn leben zu können.
Dieser ging jetzt ungehemmt seinen Neigungen nach. Er kümmerte sich nicht im geringsten um die Ermahnungen seiner Mutter. Ja, er stieß sogar Drohungen gegen sie aus. ohne Unterlass spielte er mit Jungen seines Alters. Nach Hause ging er nur mehr zur Essenszeit. Sonst ließ er sich den lieben langen Tag nicht blicken. So trieb er es, bis er fünfzehn Jahre alt geworden war. Und er dachte keinen Augenblick daran, was aus ihm werden sollte.
Während Aladdin eines Tages wie gewohnt mit den Gassenbuben spielte, ging ein Fremder vorüber. Er blieb stehen und sah dem Spiel zu; besonders Aladdin betrachtete er aufmerksam. Der Fremde war ein afrikanischer Zauberer. Er konnte Berge aufeinandertürmen und verstand sich auch auf die Sternkunde. Erst vor zwei Tagen hatte er seine Heimat Afrika verlassen. Nun sah er Aladdin eine Weile genau zu. Dabei erkundigte er sich unauffällig bei einem andern Knaben nach dessen Namen und Familienverhältnissen.
Dann trat er auf Aladdin zu und sagte:
„Mein Sohn, ist dein Vater nicht der Schneider Mustafa?“ „Ja, Herr“, erwiderte Aladdin, „aber er ist schon lange tot.“ Bei diesen Worten fiel der Fremde dem Jungen um den Hals. Er umarmte und küsste ihn wiederholt. Tränen flossen über seine Wangen. „Warum weint Ihr, Herr?“ fragte Aladdin. „Und woher kennt Ihr meinen Vater?“
Traurig erwiderte der Afrikaner: „Wie sollte ich nicht weinen! Dein Vater war ja mein Bruder. Ich bin daher dein Oheim. Einige Jahre schon bin ich auf der Reise. Jetzt, da ich hoffte, ihn wiederzusehen, muss ich erfahren, dass er tot ist. Dies schmerzt mich unendlich. Der einzige Trost ist mir, in deinem Gesicht seine Züge zu erkennen.“ Dann fragte er Aladdin nach der Wohnung seiner Mutter und drückte dem Jungen einen Beutel voll Kleingeld in die Hand.
Dazu sagte er: „Nun geh gleich zu deiner Mutter. Grüße sie von mir. Und sag ihr, ich werde sie morgen besuchen, wenn es meine Zeit erlaubt. Ich möchte das Haus sehen, in dem mein lieber Bruder gelebt hat und wo er gestorben ist.“ Aladdin, den der Fremde eben zu seinem Neffen gemacht hatte, lief mit dem Geld stracks nach Hause. Er rief seiner Mutter zu: „Liebe Mutter, sag mir doch, ob ich einen Oheim habe!“
„Nein“, erwiderte die Mutter, „du hast keinen Oheim, weder väterlicherseits noch von meiner Seite.“ „Und doch“, meinte Aladdin, „hat eben jetzt ein Mann zu mir gesagt, dass er mein Oheim sei. Er weinte über den Tod meines Vaters, der sein Bruder gewesen wäre. Dabei fiel er mir um den Hals und küsste mich. Er hat mir auch dieses Geld gegeben.“ Nun wies Aladdin die Handvoll Geld vor. „Auch hat er versprochen, dass er morgen zu dir kommen werde. Er möchte Vaters Haus und Wohnung sehen. Inzwischen soll ich viele Grüße an dich ausrichten.“
„Mein Sohn“, entgegnete die Mutter, „es ist wahr, dein Vater hatte einen Bruder. Aber der ist schon lange tot. Und von einem andern Bruder habe ich nie gehört.“ Damit endete das Gespräch zwischen Mutter und Sohn.
Am andern Tag kam der Zauberer wieder zu den spielenden Knaben. Er trat zu Aladdin und umarmte und küsste ihn wie am Vortag. Dazu gab er ihm zwei Goldstücke mit den Worten: „Mein Sohn, bring dieses Geld deiner Mutter. Sag ihr, ich werde am Abend zu ihr kommen; sie soll um das Geld etwas für das Nachtmahl einkaufen. Denn ich möchte bei euch speisen. Zeig mir jetzt das Haus, in dem ihr wohnt. Ich will sicher sein, am Abend hinzufinden“
Der Junge zeigte ihm das Haus, und der Zauberer verließ ihn.
Aladdin lief nach Hause. Er gab seiner Mütter die zwei Goldstücke und richtete die Botschaft des Oheims aus. Die Mutter ging sofort auf den Markt und kaufte allerlei Vorräte. Da es am Nötigsten mangelte, entlieh sie von der Nachbarin das Tischgeschirr. Dann bereitete sie das Abendessen.
Am Abend, als alles fertig war, sagte sie zu dem Jungen: „Nun geh und suche den Oheim! Führ ihn her, vielleicht weiß er den Weg nicht!“ Aladdin wollte soeben gehen, als es an die Tür klopfte. Er öffnete und erkannte den Fremden. Ein Diener folgte ihm mit Früchten und Weinflaschen; nachdem er diese niedergestellt hatte, entfernte er sich. Der Zauberer begrüßte Aladdins Mutter und sprach: „Nun zeig mir die Stelle, wo mein Bruder bei seiner Arbeit saß!“ Sie zeigte ihm den Platz. Der Zauberer aber warf sich zu Boden. Er küsste die Steile unter Tränen und rief aus: „Mein armer Bruder, wie unglücklich bin ich, dich nicht mehr am Leben zu treffen! Wie gerne möchte ich dich umarmen und dir in die Augen blicken!“
Aladdins Mutter musste nun glauben, dass er wirklich der Bruder ihres Gatten sei. Sie lud ihn ein, sich auf ihres Mannes Platz zu setzen. Aber er lehnte es ab. Er bat, sich gegenüber setzen zu dürfen; so könne er sich wenigstens einbilden, der Bruder sitze noch dort. Da drang sie nicht weiter in ihn und ließ ihn Platz nehmen, wo er wollte.
Nun begann er zu plaudern und sagte: „Liebe Schwägerin, wundere dich nicht, dass du mich nie gesehen und nie von mir gehört hast. Es sind jetzt genau vierzig Jahre, seit ich das Land verließ. Ich bin weit in der Welt herumgekommen. Ich habe Indien, Persien und Afrika gesehen. Ich bin in den schönsten Städten dieser Länder gewesen. Lange Jahre habe ich mich auch im Westen aufgehalten. Dann aber erwachte die Sehnsucht nach der Heimat in mir, und sie hat mich nie mehr verlassen. Wo der Mensch geboren ist, dorthin zieht es ihn immer wieder. Ich dachte an meinen Bruder. Da ergriff mich heißes Verlangen, ihn wiederzusehen. Ich sagte mir auch, dass ich reich sei; aber mein Bruder müsse vielleicht in Armut sein Leben fristen, und ich könnte ihm helfen!
Daher machte ich mich auf die weite Reise. Frage nicht, was für Mühen und Beschwerden ich unterwegs ertrug! Nur die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Bruder hielt mich aufrecht. Darum war mein Schmerz unsäglich, als ich von seinem Tod erfuhr. Als ich nun auf der Straße deinen Sohn sah, fiel mir sofort die Ähnlichkeit mit meinem Bruder auf. Mein Herz zog mich zu ihm. Darum sprach ich ihn an. Und ich freute mich, doch wenigstens einen Sohn meines Bruders gefunden zu haben.“
Als der Zauberer sah, wie sehr seine Worte Aladdins Mutter ergriffen, lenkte er ab.
Er wandte sich schnell an Aladdin: „Mein Sohn, wie heißt du?“
„Aladdin“, sagte dieser.
„Nun, Aladdin“, fuhr der Zauberer fort, „hast du ein Handwerk oder eine andere Fertigkeit gelernt?“
Bei dieser Frage wurde Aladdin verlegen. Beschämt senkte er den Kopf.
Seine Mutter aber rief: „Nichts hat er gelernt. Er ist ein Taugenichts. Den ganzen Tag strolcht er auf den Gassen herum und verbringt mit seinesgleichen unnütz die Zeit. Sein Vater hat sich alle Mühe gegeben, ihn ein Handwerk lernen zu lassen. Er wollte einen anständigen Menschen aus ihm machen. Aber alle Mühe war vergebens. Er folgte ihm nicht, war eigensinnig und boshaft. Der Kummer um ihn hat meinen Mann unter die Erde gebracht. Ich bringe mich mit Baumwollspinnen mühselig durchs Leben. Er aber streicht trotz meiner Reden und Mahnungen auf den Straßen herum. Er schämt sich nicht, mit fünfzehn Jahren noch mit den Kindern zu spielen. Und was aus ihm werden soll, ist ihm gleichgültig. Ich kann ihn nicht mehr erhalten. Ich bin eine alte Frau, die selbst mit ihrem knappen Verdienst nicht auskommt. Demnächst werde ich ihm die Tür verschließen und ihn nicht mehr hereinlassen. Er soll sehen, wo er unterkommt und wie er sich fortbringt.“
Der Zauberer hatte den Jungen während dieser Klagen seiner Mutter unverwandt angeblickt. Als sie geendet hatte, sagte er zu ihm: „Was
du treibst, ist nicht gut, mein lieber Neffe. Du solltest schon verständig genug sein, an einen Erwerb zu denken. Deine Mutter kann dich nicht ewig erhalten. Denk nach, ob dir nicht doch ein Gewerbe zusagt. Wenn dir das Handwerk deines Vaters nicht gefällt, dann such dir ein anderes! In dieser Stadt sind sicher viele Handwerker, die dich gerne in die Lehre nähmen. Aber wenn du gar keine Lust zum Handwerk hast, dann will ich dir einen Kaufladen einrichten. Ich will ihn mit den feinsten Stoffen ausstatten, damit du Handel treiben kannst. Auf diese Art wirst du ein genügendes Einkommen finden und ein geachteter Mann werden.
Dieses Anerbieten lockte Aladdin sehr. Er wusste, dass die Kaufläden immer stark besucht waren. Die Aussicht, ein reicher Handelsherr zu werden, schmeichelte seinem Stolz. Daher erklärte er seinem Oheim, dass ihn dieser Beruf freuen würde. Und er dankte ihm für die Wohltat, die er ihm erweisen wolle.
„Da dir dieses Gewerbe gefällt“, sagte der Zauberer, „werde ich dich morgen in die Stadt mitnehmen. Ich werde dir feine Kleider kaufen, wie es sich für einen Kaufmann schickt. Und übermorgen wollen wir einen Laden suchen, wie ich dir versprochen habe.“
Bisher hatte Aladdins Mutter nicht recht geglaubt, dass der Mann ihr Schwager sei. Nun zweifelte sie nicht mehr daran. Ein fremder Mann würde ihrem Sohn nicht so glänzende Versprechungen machen. Sie ermahnte ihn daher, sich nun alle Torheiten aus dem Kopfe zu schlagen. Er solle sich der Güte des Oheims würdig erweisen. Dann trug sie das Abendessen auf. während des Mahles unterhielten sie sich weiter über den Kaufmannsberuf. Schließlich bemerkte der Zauberer, dass die Nacht schon weit fortgeschritten sei. Er verabschiedete sich von Mutter und Sohn und suchte seine Herberge auf.
Am nächsten Morgen holte der Zauberer den Jungen zum verabredeten Gang in die Stadt ab. Er führte ihn zu einem großen Handelshaus. Dort gab es Kleider aus den besten Stoffen für Personen jeden Alters und Standes.
Der Zauberer verlangte mehrere der schönsten Gewänder zur Auswahl. Dann sagte er zu Aladdin: „Lieber Neffe, wähl dir aus, was dir am besten gefällt!“
Aladdin war über die Freigebigkeit des Oheims hocherfreut. Er suchte sich das schönste Gewand aus. Und der Oheim bezahlte den Kaufmann bar, ohne zu handeln.
Nachdem Aladdin von Kopf bis Fuß prächtig gekleidet war, dankte er seinem Oheim, küsste ihm die Hand und bat ihn, sich auch ferner seiner anzunehmen. Der Zauberer versprach, ihm bei seinem Erwerb behilflich zu sein. Er führte ihn zunächst in die Straße, wo sich die reichsten Kaufläden mit den feinsten Stoffen befanden.
Hier sagte er: „Auch du wirst bald ein Kaufmann sein. Darum ist es vorteilhaft, dass du diese Kaufleute besuchst. Sie sollen dich kennenlernen.“
Der Zauberer zeigte Aladdin auch die schönsten und prächtigsten Moscheen. Schließlich geleitete er ihn durch den Palast des Sultans, soweit man dort freien Zutritt hatte. Nach diesem langen Spaziergang nahm er ihn mit in sein Absteigquartier. Dort machte er ihn mit einigen Kaufleuten bekannt und stellte ihn als seinen Neffen vor. Sie nahmen ein reichliches Mahl ein, und Aladdin sprach den guten Gerichten ausgiebig zu.
Gegen Abend geleitete der Zauberer seinen Neffen zum Hause seiner Mutter zurück. Diese war außer sich vor Staunen, als sie den Sohn so fein gekleidet sah. Sie wünschte den Segen des Himmels über den großzügigen Schwager herab.
„Lieber Schwager“, sagte sie, „ich weiß nicht, wie ich dir für deine Großmut danken soll. Mein Sohn wäre ganz nichtswürdig, wenn er sich jetzt nicht deiner Fürsorge würdig erweisen wollte. Ich danke dir von ganzem Herzen. Der Herr möge dich durch ein langes und glückliches Leben belohnen. Ich hoffe, dass auch mein Sohn dankbar deinen Rat und deine Wohltaten anerkennen wird.“
Hierauf erwiderte der Zauberer: „Aladdin ist ein guter Junge. Er stammt von trefflichen Eltern. Wir werden schon einen tüchtigen Menschen aus ihm machen. Übrigens tut es mir leid, dass ich ihm nicht schon morgen einen Laden kaufen kann. Aber morgen ist Freitag, da werden die Läden geschlossen sein. Die Kaufleute werden die Stadt verlassen und sich in den Gärten aufhalten. Wir müssen daher bis Samstag warten. Doch komme ich morgen trotzdem zu euch. Ich will Aladdin mit mir nehmen und ihm die Gärten und Plätze vor der Stadt zeigen. Dort werden wir auch viele Kaufleute mit ihren Familien antreffen; so kann ich ihn gleich bekannt machen. Er muss ja jetzt auch den Verkehr mit Erwachsenen lernen.“
Nach diesen Worten entfernte sich der Zauberer.
Am folgenden Tag stand Aladdin sehr zeitig auf. Vor Freude hatte er nicht mehr schlafen können und sich den Morgen herbeigewünscht. Er zog nun seinen neuen Anzug an. Dann erwartete er ungeduldig den Oheim. Wiederholt öffnete er die Tür und blickte nach ihm aus. Als er ihn von ferne kommen sah, verabschiedete sich Aladdin von seiner Mutter und eilte ihm freudestrahlend entgegen.
Der Zauberer begrüßte ihn freundlich. „Da bist du ja, Junge“, sagte er. „Heute will ich dir Dinge zeigen, die du in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen hast.“
Sie gingen zusammen vor die Stadt und besahen die prunkvollen Häuser und Gärten. Bei jedem besonders schönen Schloss oder Garten blieb der Zauberer stehen. Und jedes Mal fragte er den Jungen, ob sie ihm gefielen.
Aladdin hatte noch nie so schöne Bauten und Plätze gesehen. Vergnügt gab er zur Antwort: „Oheim, alles ist wunderbar. Ich kann mich gar nicht Sattsehen.“
So schritten sie immer weiter, bis sie müde wurden. Um ein wenig auszuruhen, betraten sie einen großen, herrlichen Garten und setzten sich nieder. Der Zauberer zog einen Beutel aus der Tasche. Diesem entnahm er Früchte und Esswaren. Sie aßen und plauderten und waren lustig und guter Dinge. Dann setzten sie ihren Weg fort und gingen weiter an den Gärten vorbei ins Freie.
Aladdin hatte noch nie einen so langen Marsch gemacht. Als er sich allmählich müde fühlte, fragte er: „Lieber Oheim, wohin gehen wir denn? Wir haben die Gärten schon weit hinter uns. Wenn wir noch länger so fortgehen, weiß ich nicht, ob ich für den Rückweg stark genug sein werde. Ich bin nämlich schon sehr müde.“
„Nur Mut“, entgegnete der Oheim. „Wir haben nicht mehr weit, mein Junge. Ich will dir nur noch einen Garten zeigen, der alle bisherigen an Pracht übertrifft.“ So sprach er freundlich auf Aladdin ein. Auch erzählte er ihm Geschichten, um den Weg zu verkürzen.
Endlich kamen sie in ein schmales Tal zwischen zwei nicht allzuhohen Bergen. Das war die Stätte, deretwegen der Zauberer aus Afrika bis hierher gereist war.
„Nun sind wir an Ort und Stelle“, sagte er zu Aladdin. „Ich werde dir hier wunderbare Dinge zeigen, die noch kein Mensch gesehen hat. Du wirst mir zu höchstem Dank verpflichtet sein. Nun wirst du etwas erblicken, was allen Menschen unbekannt ist. Wenn du dich ausgeruht hast, sammle dürres Holz Wir brauchen auch Reisig, damit wir Feuer machen können.“
Als Aladdin das hörte, konnte er seine Neugierde kaum mehr bezähmen. Er sprang im Walde hin und her und sammelte einen großen Haufen von Holz und trockenen Reisern.
Schließlich sagte der Oheim: „Nun ist es genug, mein Sohn.“ Er entzündete den Haufen, und dieser brannte hellauf. Dann warfen Räucherwerk hinein. Dicker Rauch stieg empor. Durch Zauberworte zog der Zauberer den Rauch bald auf diese, bald auf jene Seite.
Plötzlich wurde es finster. Es donnerte und blitzte, und die Erde bebte. Vor Aladdin und dem Zauberer tat sich ein Spalt in der Erde auf, und eine Steinplatte kam zum Vorschein. Diese maß viermal einen Fuß und war etwa halb so dick; daran war ein Messingring befestigt. Aladdin erschrak und machte Miene davonzulaufen. Da wurde der Zauberer zornig. Er packte ihn heftig beim Arm und gab ihm eine Ohrfeige. Der Junge fiel der Länge nach hin und begann heftig zu weinen.
„Oheim“, schluchzte er, „was habe ich getan, dass du mich schlägst?“
Da suchte ihn der Zauberer zu beruhigen. Er sagte: „Ich vertrete jetzt Vaterstelle an dir und meine es nur gut. Du brauchst dich auch nicht zu fürchten. Aber du musst mir in allem gehorchen, wenn du Nutzen von meinem Tun haben willst.“
Aladdin fasste sich und hörte zu weinen auf.
Der Zauberer aber fuhr fort: „Du hast gesehen, was ich durch das Räucherwerk und meine Zauberworte bewirkte. Unter dem Stein, den du vor dir siehst, liegt ein verborgener Schatz. Er ist für dich bestimmt und wird dich reicher als den mächtigsten König machen. Aber nur du darfst den Ring an der Platte berühren. Nur du darfst den Stein auf heben. Selbst mir ist es verboten, an den Stein zu rühren. Auch darf ich keinen Fuß in das Schatzgewölbe setzen, wenn es geöffnet ist. Deshalb musst du ausführen, was ich dir sagen werde, du darfst nicht das Geringste versäumen. Achte genau auf meine Weisungen! Es ist für dich und für mich von größter Wichtigkeit!“
Mit Staunen lauschte Aladdin den Worten seines Oheims. Er freute sich nun unbändig, dass er reicher werden sollte als ein König. Schrecken und Schmerz waren vergessen. Und er sagte zum Zauberer: „Lieber Oheim, sag mir, was ich tun soll. Ich will alles genau ausführen.“
„Gut, mein Sohn“, erwiderte der Zauberer und umarmte ihn. „Ich freue mich, dass du vernünftig bist. Jetzt fass diesen Ring und hebe den Stein in die Höhe!“
„Aber Oheim“, entgegnete Aladdin, „dieser Stein wird mir zu schwer sein. Ich kann ihn nicht heben. Hilf mir dabei!“
„Nein“, versetzte der Zauberer, „das darf ich nicht. Wollte ich dir dabei helfen, wäre alle unsere Mühe vergebens; wir brächten den Stein nicht empor. Fass den Ring nur an! Sprich dazu den Namen deines Vaters und Großvaters und zieh daran! Der Stein wird sich heben, ohne dass du sein Gewicht spürst.“
Da tat Aladdin, wie ihn der Zauberer geheißen. Er hob den Stein mühelos in die Höhe und legte ihn beiseite.
Kaum war die Platte gehoben, sah Aladdin Stufen vor sich, die in die Tiefe führten.
„Lieber Neffe“, sagte der Zauberer, „nun höre, was ich dir sagen werde! Steig diese Stufen hinunter, bis du auf dem Grunde der Höhle bist! Dort wirst du eine offene Tür finden; sie führt in eine gewölbte Halle. Diese ist in drei aneinanderstoßende Säle geteilt. In jedem Saal wirst du links und rechts vier große, bronzene Vasen finden, die mit Gold und Silber angefüllt sind. Hüte dich, etwas davon zu berühren oder an dich zu nehmen! Hebe dein Kleid in die Höhe und schließ es eng um den Leib, damit du nirgends anstreifst; du müsstest sonst auf der Stelle sterben. Geh ohne stehenzubleiben durch alle drei Räume! Im letzten Saal wirst du eine Tür finden; sie führt in einen schönen, großen Garten mit vielen fruchtbeladenen Bäumen. Wenn du in diesem Garten geradeaus gehst, wirst du auf eine Treppe von fünfzig Stufen stoßen. Auf dieser steig zu einer Terrasse empor, und dort sieh dich um! Du wirst eine Nische finden, in der eine brennende Lampe steht. Diese Lampe nimm, lösch sie aus und schütte das Öl weg! Dann stecke sie in dein Gewand und bring sie zu mir. Das Öl wird auf deinem Kleid keine Flecken hinterlassen. Wenn es dich verlangt, von den Früchten im Garten zu kosten, so iss, soviel dein Herz begehrt. Solange du die Lampe bei dir hast, gehört dies alles dir.“ Nach diesen Worten steckte der Zauberer seinen Sigelring an Aladdins Finger. Dabei sagte er: „Mein Sohn, dieser Ring wird dich vor jeder Not und Gefahr schützen. Steig nun hinab! Aber befolge alles genau, was ich dir gesagt habe! Wenn du zurückkommst, werden wir unser Leben lang reiche Leute sein.“
Aladdin sprang leichtfüßig die Stufen hinunter. Vorsichtig durchschritt er die drei Säle. Er schürzte sein Gewand und presste es eng an den Körper; er wollte ja nirgends anstreifen und so in Lebensgefahr kommen. Er fand den Ausgang in den Garten und eilte schließlich die Treppe hinauf auf die Terrasse. Dort sah er die Lampe stehen. Er löschte sie aus und schüttete das Öl weg. Sodann steckte er sie zu sich und machte sich auf den Rückweg. Im Garten bewunderte er die Früchte an den Bäumen; sie leuchteten in den verschiedensten Farben.
Aber alle Früchte waren kostbare Edelsteine. Die weißen waren Perlen. Andere leuchteten hell und durchsichtig wie Kristall; das waren Diamanten. Die dunkelroten Früchte waren Rubine, die grünen Smaragde, die blauen Türkise ; und so ging es fort. Alle waren rein und vollkommen. Kein König konnte solche Kostbarkeiten sein eigen nennen. Aber Aladdin kannte den Wert der Steine nicht; er hielt sie für buntes Glas. Ihm wären wirkliche Trauben und Äpfel lieber gewesen. Doch gefielen ihm die Buntheit und der Glanz der Steine. So pflückte er einige ab und steckte sie in die Taschen seines Gewandes. Auch füllte er zwei Beutel, die er bei sich trug, und legte einige Steine in die Falten seines dicken Seidengürtels. Schließlich steckte er noch mehrere zwischen Kleid und Hemd.
Ohne es zu wissen, hatte sich Aladdin mit Reichtümern beladen. Rasch eilte er nun durch die drei Säle zurück; er wollte den Oheim nicht zu lange warten lassen. Eilig stieg er die Stufen zum Ausgang empor.
Dort erwartete ihn der Zauberer schon mit Ungeduld.
Die letzte Stufe war etwas höher als die übrigen. Darum rief ihm Aladdin zu: „Oheim, da bin ich! Hilf mir die letzte Stufe hinauf!“
„Mein Sohn“, sagte der Zauberer, „gib mir die Lampe! Sie könnte dir hinderlich sein.“
„Nein“, rief der Junge, „sie hindert mich nicht! Hilf mir zuerst heraus, dann geb‘ ich dir die Lampe.“
So stritten sie hin und her. Der Zauberer wurde immer ungeduldiger. Aber Aladdin konnte die Lampe nicht erreichen. Sie steckte ja unter den Edelsteinen, die er zwischen Kleid und Hemd verborgen hatte. Nun geriet der Zauberer in fürchterliche Wut. Er meinte nämlich, der Junge wolle die Lampe für sich allein behalten. Murmelnd warf er etwas von dem Räucherwerk ins Feuer. Kaum hatte er zwei Zauberworte gesprochen, schloss sich die Platte über dem Eingang, Erde häufte sich darüber, und alles sah aus wie zuvor.
Der afrikanische Zauberer stammte tatsächlich aus dem feinsten Afrika. Vierzig Jahre lang hatte er alle Geheimwissenschaften studiert und sich dabei alle Arten von Zauberei und Beschwörungsformeln an geeignet. Dabei hatte er entdeckt, dass es irgendwo in der Welt eine Wunderlampe gab, die ihren Besitzer zum reichsten und mächtigsten Mann der Erde machen konnte. Er hatte auch herausgebracht, wo sich diese Lampe befand, nämlich an einem unterirdischen Ort in der Nähe von Aladdins Heimatstadt. Darum also war der Zauberer vom äußersten Ende Afrikas bis in diese Stadt gekommen. Aber nicht er selbst durfte diese Lampe holen. Ein anderer musste in das Gewölbe hinabsteigen und ihm die Lampe bringen. Deshalb hatte er sich an Aladdin gewandt. So bald die Lampe in seinem Besitz war, wollte er den armen Jungen in die unterirdische Höhle einschließen. Die Lampe sollte ihm ganz allein gehören.
Aber nun war sein schlauer Plan vereitelt. Aladdin hatte ihm die Lampe nicht ausgefolgt. So fürchtete der Zauberer, ein Fremder könne hinter das Geheimnis kommen. Daher hatte er den Jungen mit der Lampe unter der Erde eingeschlossen.
Er selbst aber kehrte sogleich nach Afrika zurück. Er machte einen Umweg um die Stadt, damit es den Leuten nicht auffalle, dass er ohne Aladdin von seinem Ausflug zurückkam.
Der Zauberer war also fort. Wie erging es nun unserem Aladdin? Zu Tode erschrocken stand er in der Finsternis. Er rief laut nach seinem Oheim und versicherte immer wieder, dass er die Lampe sogleich hergeben wolle. Tränen liefen über seine Wangen. Aber all sein Rufen und Klagen war vergeblich. Nichts rührte sich. Kein Laut drang an sein Ohr. Er tappte umher, ohne eine Tür zu finden. Der Zauberer hatte nämlich durch sein Machtwort auch alle Türen ins Innere der Halle verschlossen. Verzweifelt setzte sich der Junge auf die kalten Stufen nieder. Er hatte keine Hoffnung, je wieder das Tageslicht zu sehen.
Gewiss würde er hier umkommen. Zwei Tage und zwei Nächte saß Aladdin in dieser unheimlichen Finsternis. Er hatte weder Speise noch Trank. Am dritten Tag ergab er sich in den Willen Gottes.
Mit gefalteten Händen betete er zu Allah: „Es gibt keine Macht und Kraft als in Dir allein, all mächtiger Gott.“ So flehte er in seiner Not. Ohne zu denken, rieb er dabei an dem Ring des
Zauberers, der noch immer an seinem Finger steckte. Da stand auf einmal ein Geist von gewaltiger Größe vor ihm. Er ragte mit dem Kopf bis zur Decke des Gewölbes und war furchtbar anzusehen.
Dieser Geist sprach: „Ich bin dein Diener. Was verlangst du von mir? Ich bin bereit zu gehorchen. Ich bin der Diener aller, die diesen Ring meines Herrn am Finger tragen. Ich und alle übrigen Diener des Ringes werden dir gehorchen.“
Aladdin war sehr erschrocken, aber er fasste sich schnell. Mutig und ohne zu stocken antwortete er: „Wer du auch sein magst, bring mich sofort an die Oberfläche der Erde!“
Kaum hatte er den Wunsch aus gesprochen, stand er schon draußen im Freien. Er befand sich gerade dort, wohin ihn der Zauberer geführt hatte. Das helle Tageslicht schien ihm ins Gesicht; er war wie geblendet. Verwundert betrachtete er die Erde. Er konnte sich nicht erklären, wie er herausgekommen war. Schon glaubte er, an einer andern Stelle im Wald zu sein. Aber ganz in der Nähe entdeckte er die Spuren des verbrannten Reisighaufens ; und hinter den Gärten, durch die sie gekommen waren, lag die Stadt. Er erkannte auch den Weg, auf dem er mit dem falschen Oheim hierher gegangen war. Nun dankte er Gott für seine wunderbare Rettung. Dann wanderte er in die Stadt zurück. Am Abend langte er todmüde im Hause seiner Mutter an. Schwäche überfiel ihn, und er sank ohnmächtig zu Boden; er hatte ja drei Tage nichts zu sich genommen. Seine Mutter hatte schon die Hoffnung aufgegeben, ihn wiederzusehen. Nun war sie glücklich, dass er am Leben war. Zwar er schrak sie sehr, als er ohnmächtig wurde, aber scharfe Essenzen brachten ihn bald wieder zu sich und belebten ihn.
Seine ersten Worte waren: „Liebe Mutter, gib mir zu essen! Ich habe drei Tage keinen einzigen Bissen genossen.
Rasch brachte die Mutter herbei, was sie vorrätig hatte. Sie sagte:
„Da, mein lieber Sohn, iss und trink. Aber sei nicht zu hastig und heiß hungrig und sprich jetzt nicht. Später wirst du Zeit genug haben, mir deine Erlebnisse zu schildern.“
Aladdin folgte dem Rat der Mutter. Er aß langsam und trank nur in kleinen Schlucken. Als er satt war, lehnte er sich im Diwan zurück. Stockend begann er zu erzählen.
„Weißt du, liebe Mutter“, sagte er, „dieser fremde Mann war gar nicht mein Oheim. Er machte uns zwar große Versprechungen und beschenkte mich reich. Aber er war ein Zauberer, ein Bösewicht und Betrüger. Schließlich wollte er mich sogar ums Leben bringen. Ich wäre jetzt tot, einsam im Finstern verhungert, wenn nicht Allah mich durch ein Wunder gerettet hätte. Höre nur, Mutter, wie er es angefangen hat!“
Und nun erzählte Aladdin alles, was er erlebt hatte. Er sprach von dem einsamen Tal und den Zauberworten über dem Feuer. Er schilderte, wie sich die Erde geöffnet hatte. Und er vergaß auch die Ohrfeige und den Zauberring nicht. Er beschrieb die unterirdischen Säle und die herrlichen Gärten, und wie er die Lampe gefunden und zu sich gesteckt hatte. Dabei holte er die Lampe aus seinem Gewand und zeigte sie der Mutter. Auch die glitzernden Steine zog er hervor. Die Mutter ahnte so wie ihr Sohn nichts von ihrem Wert. Sie legte die Edelsteine beiseite, und Aladdin steckte die zwei vollen Beutel hinter den Polster des Diwans. Dann setzte er die Erzählung fort. Er berichtete, wie er in der Höhle begraben gewesen sei. Die Tränen kamen ihm in die Augen, als er von seiner Verzweiflung sprach. Aber die Güte des Allmächtigen hatte ihn nach dem Drehen des Ringes wieder ans Tageslicht gebracht.
Aladdin schlief bis weit in den nächsten Tag hinein. Schließlich hatte er die ganze Zeit in der Höhle ja kein Auge zugemacht.
Als er erwachte, waren seine ersten Worte: „Mutter, ich habe Hunger. Bring mir zu essen!“ „Mein lieber Sohn“, sagte die Mutter, „ich habe nicht einmal ein Stückchen Brot im Haus. Was ich hatte, hast du gestern gegessen. Du musst dich gedulden. Ich habe noch Baumwollgarn; das werde ich in der Stadt verkaufen. Dafür kann ich dann Brot und etwas zum Mittagessen besorgen.
„Liebe Mutter“, entgegnete der Sohn, „behalte die Baumwolle. Gib mir lieber die Lampe, die ich aus der Höhle mitgebracht habe. Ich werde in die Stadt gehen und sie verkaufen. Ich glaube, wir werden für die Lampe mehr bekommen als für das Garn. Vielleicht können wir dafür außer Frühstück und Mittagmahl auch noch das Abendessen kaufen.“
Aladdins Mutter brachte die Lampe herbei und sagte: „Da hast du sie! Aber sie ist sehr schmutzig. Ich werde sie vorher blank putzen, damit sie wie neu aussieht.“
Sie nahm Wasser und Sand und begann die Lampe zu reiben. Kaum hatte sie begonnen, erschien ein riesiger Geist vor ihr.
Er sprach mit Donnerstimme: „Was willst du von mir? Ich bin dein Diener und der Diener aller, die diese Lampe in der Hand haben. Ich und alle übrigen Diener der Lampe werden dir gehorchen.“
Darüber erschrak Aladdins Mutter sehr. Sie war nicht imstande, zu reden, so furchtbar war der Geist anzusehen; eine Ohnmacht umfing ihre Sinne. Aladdin aber hatte schon in der Höhle eine ähnliche Erscheinung gehabt. Ohne sich lang zu besinnen, griff er nach der Lampe.
Er rief laut: „Diener der Lampe, ich habe Hunger. Bring mir etwas zu essen!“
Der Geist verschwand, erschien aber sofort wieder. Auf einer großen silbernen Tasse brachte er zwölf verdeckte Schüsseln aus Silber; sie waren mit den köstlichsten Speisen gefüllt. Ferner stellte er zwei Flaschen Wein und zwei silberne Becher auf den Tisch. Das Brot war weiß wie Schnee. Nachdem er alles vor Aladdin hingelegt hatte, verschwand er wieder.
Noch immer lag Aladdins Mutter in Ohnmacht. Eben wollte sich der Sohn um die Mutter bemühen, da erwachte sie von selbst durch den Duft der Speisen.
„Mutter“, rief Aladdin, „steh auf!. Schau diese köstlichen Speisen an. Wir wollen sie sogleich essen, damit sie nicht kalt werden. Das wird dir wieder Kraft geben und meinen Hunger stillen.“
Als die Mutter die gedeckte Tafel sah, rief sie erstaunt: „Welcher Wohltäter hat uns denn das gebracht? Sollte vielleicht gar der Sultan von unserer Armut gehört haben?“
„Liebe Mutter“, erwiderte der Sohn, „frag nicht lange, sondern iss und stärke dich. Du hast es nötig. Zum Reden haben wir später noch Zeit.“
Sie setzten sich an den Tisch und speisten mit bestem Appetit. Beide waren noch nie an einer so wohlgedeckten Tafel gesessen.
Während des ganzen Mahles hörte Aladdins Mutter nicht auf, das prunkvolle Tafelzeug zu bewundern. Sie hatte ebenso wenig eine Ahnung von dem wahren Wert dieser Dinge wie ihr Sohn. Ob sie aus Silber oder aus einem andern Metall seien, wusste sie nicht. So kostbare Sachen hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.
Zur Mittagszeit saßen sie noch immer beim Essen. So groß war ihr Appetit und so vorzüglich schmeckten die Speisen, dass sie gleich Frühstück und Mittagessen in einem nahmen. Es blieb noch so viel, dass es für ein Abendessen und für den nächsten Tag ausreichte.
Als sie satt waren, hob die Mutter die übriggebliebenen Speisen auf. Dann setzte sie sich zu ihrem Sohn auf den Diwan. Aladdin erzählte ihr, was sich während ihrer Ohnmacht zugetragen hatte.
Die Mutter wunderte sich sehr über die Erscheinung und sagte:
„Du sprichst von Geistern. Aber keiner meiner Bekannten hat jemals einen Geist gesehen. Auch mir ist bisher keiner erschienen. Warum hat sich dieser furchtbare Geist gerade an mich gewendet? Warum fragte er nicht dich? Dir ist er doch in der Schatzhöhle schon einmal erschienen.“‚
„Liebe Mutter“‚ erwiderte der Sohn, „dieser Geist ist ein anderer als jener, der mir in der Höhle erschienen ist. Sie haben zwar einige Ähnlichkeit miteinander; aber der eine sagte, er sei ein Sklave des Ringes, und der andere nannte sich einen Sklaven der Lampe, die du in der Hand hieltest.“
„Wie“, rief die Mutter, „diese Lampe ist die Ursache, dass der hässliche Geist sich an mich wandte? Dann nimm sie und schaffe sie mir aus den Augen! Versteck oder verkauf sie oder wirf sie weg! Ich mag sie nicht mehr anrühren. Wenn mir dieser Geist nochmals erschiene, stürbe ich vor Schrecken. Ich bitte dich, gib auch den Zauberring weg! Unterlass überhaupt jeden Verkehr mit den Geistern. Sie sind der Teufel aus der Hölle, wie der Prophet uns gelehrt hat.“
„Nein, Mutter“, erwiderte Aladdin, „jetzt werde ich die Lampe nicht mehr verkaufen. Siehst du denn nicht, welche Wohltat sie uns erwiesen hat? Sie hat uns zu essen gegeben, als wir hungrig waren. Und sie wird uns in Zukunft immer den Lebensunterhalt verschaffen. Denk nur an den afrikanischen Zauberer! Er hat die weite, beschwerliche Reise hierher unternommen, nur um die Wunderlampe zu gewinnen. Er wollte nichts von dem Gold in den unterirdischen Sälen. Er wusste, dass diese Lampe mehr wert ist als alles Gold und Silber der Welt. Wir kennen nun die geheime Kraft der Wunderlampe. Wir wollen sie sorgsam hüten und aufbewahren. Vor allem werden wir sie so benützen, dass die Nachbarn nichts merken. Sie sollen nicht neidisch und eifersüchtig werden. Ich will dir die Lampe gerne aus den Augen schaffen; du sollst keine Angst vor dem Geist haben. Ich bewahre sie dort auf, wo ich sie gleich zur Hand habe, wenn ich sie brauche. Den Ring aber, Mutter, kann ich auch nicht wegwerfen oder verkaufen. Bedenke, dass er mir in der Schatzhöhle das Leben gerettet hat! Wer weiß, wie oft ich noch in Gefahren kommen werde! Dann kann mich immer dieser Ring befreien.“
Das musste auch Aladdins Mutter zugeben. Sie sagte: „Mein Sohn, tu was du willst. Ich aber möchte die Lampe nicht mehr sehen und mit Geistern nie mehr zu tun haben.“
Am folgenden Tag verzehrten sie die restlichen Speisen. Aladdin aber wollte nicht warten, bis ihn wieder der Hunger bedrängte. Darum nahm er eine silberne Schüssel, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Unterwegs begegnete ihm ein Händler. Dem zeigte er die Schüssel. Er fragte ihn, ob er sie kaufen wolle.
Der Händler nahm die Schüssel und untersuchte sie von allen Seiten. Er überzeugte sich davon, dass sie aus reinem Silber war. Nun fragte er den Jungen, was sie kosten solle. Aladdin aber kannte den wahren Wert der Schüssel nicht. Er hatte noch nie mit derlei Waren gehandelt. Darum sagte er, dass er sich ganz auf die Ehrlichkeit verlasse. Dadurch geriet der schlaue Händler einigermaßen in Verlegenheit. Er zögerte mit seinem Angebot; schließlich wusste er ja nicht, ob Aladdin den wirklichen Wert kenne. Endlich holte er aus seiner Tasche ein Goldstück hervor. Das war nicht viel mehr als der fünfzigste Teil des Wertes der Schüssel. Aladdin nahm das Goldstück und ging eilig weg. Verblüfft sah ihm der Händler nach. Nun ärgerte er sich, dass er nicht noch weniger geboten hatte. Der Junge hatte offensichtlich keine Ahnung vom Wert der Schüssel gehabt. Schon wollte er ihm nacheilen und einen Teil des Geldes zurückverlangen. Aber Aladdin lief so schnell, dass er ihn kaum eingeholt hätte.
Aladdin ging geradewegs in einen Bäckerladen. Dort ließ er das Goldstück wechseln und kaufte einen Vorrat an Brot. Brot und Wechselgeld gab er seiner Mutter. Und sie ging auf den Markt und kaufte Lebensmittel für einige Tage.
So lebten sie eine Zeitlang. Sooft der Erlös für eine Schüssel aufgebraucht war, trug Aladdin eine andere zum Händler. Dieser kaufte alle zwölf Schüsseln. Für die erste Schüssel hatte er ein Goldstück gegeben. Nun wagte er nicht, für die folgenden weniger zu bieten. Der Handel war zu vorteilhaft für ihn.
Als das letzte Geld ausgegeben war, griff Aladdin zu der Tasse. Diese war zehnmal so schwer als eine Schüssel. Er wollte sie einem Kaufmann anbieten, aber das Stück war zu schwer; er konnte es nicht wegtragen. Darum holte er den Händler in das Haus seiner Mutter. Dieser prüfte das Gewicht der Tasse und zahlte ihm auf der Stelle zehn Goldstücke. Damit war Aladdin zufrieden.
Solange diese zehn Goldstücke ausreichten, bestritten sie davon die täglichen Ausgaben. Aladdin war den Müßiggang gewohnt. Aber seit dem Abenteuer mit dem Zauberer spielte er nicht mehr mit den Jungen in den Straßen. Er vertrieb sich die Zeit mit Spaziergängen oder unterhielt sich mit Erwachsenen, denen er begegnete. Häufig blieb er auch bei den größeren Kaufläden stehen. Dabei lauschte er den Gesprächen angesehener und erfahrener Männer. Auf diese Weise eignete er sich all mählich eine gewisse Weltkenntnis an.
Als von den zehn Goldstücken nichts mehr übrig war, nahm Aladdin seine Zuflucht zur Lampe. Er rieb sie an der Stelle, wo seine Mutter sie gerieben hatte. Sofort stieg derselbe Geist vor ihm empor.
Da Aladdin die Lampe weniger fest als seine Mutter gerieben hatte, sprach der Geist in milderem Ton: „Was willst du von mir? Ich bin dein Diener und der Diener aller, die diese Lampe in der Hand haben. Ich und alle übrigen Diener der Wunderlampe werden dir gehorchen.“
Aladdin sagte: „Ich habe Hunger. Bring mir etwas zu essen!“
Der Geist verschwand. Nach einigen Augenblicken erschien er wie der mit ähnlichem Tafelzeug wie das erste Mal. Die Schüsseln waren voll der köstlichsten Speisen. Der Geist stellte seine Last vor Aladdin hin und verschwand.
Aladdins Mutter hatte dem Geiste nicht begegnen wollen. Darum war sie hinausgegangen, als ihr Sohn nach der Lampe gegriffen hatte. Jetzt kam sie zur Tür herein und war starr vor Staunen. Wieder war der Tisch mit silbernen Schüsseln voll duftender Speisen gedeckt. Sie setzten sich zu Tisch und schmausten. Nach der Mahlzeit war noch genug für die nächsten Tage vorhanden.
Als sie ihre Vorräte aufgezehrt hatten, wollte Aladdin wieder zum Händler gehen. Er nahm eine der silbernen Schüsseln, um sie zu verkaufen. Unterwegs kam er an dem Laden eines ehrlichen Goldschmiedes vorbei. Dieser bemerkte den Jungen und rief ihn in seinen Laden.
„Mein Sohn“, sagte er zu Aladdin, „was hast du da? Ich habe dich schon oft mit einer Ware vorübergehen und mit einem Händler verhandeln sehen. Zurück gingst du immer mit leeren Händen. Ich glaube, du hast ihm die Gegenstände verkauft. Wahrscheinlich willst du jetzt wieder etwas loswerden. Nun weißt du vielleicht nicht, dass dieser Händler ein argerer Betrüger ist als alle andern Händler. Niemand, der ihn kennt, will etwas mit ihm zu tun haben. Hast du etwas zu verkaufen, so zeig es mir. Wenn du es hergeben willst, zahle ich dir den Preis, den die Ware wert ist. Ich will dich nicht beschwindeln, so wahr mir Allah gnädig sein soll!“
Nun zeigte Aladdin dem Goldschmied die Schüssel. Er gestand ihm auch, dass er dem Händler schon zwölf solcher Schüsseln verkauft habe. „Für jede habe ich ein Goldstück erhalten.“
Da rief der Goldschmied: „Der Spitzbub hat dich betrogen! Diese Schüssel hier ist aus reinem Silber.“ Dann nahm er die Waage, um die Schüssel abzuwiegen. Er sagte, dass sie fünfzig Goldstücke wert sei. Diesen Preis bot er auch und zahlte ihn bar auf die Hand. Aladdin nahm das Geld und dankte dem Goldschmied für seinen guten Rat.
Sooft Aladdin nun eine Schüssel verkaufen wollte, wandte er sich an den Goldschmied. Er brachte ihm auch die Tasse und erhielt jedes Mal den vollen Wert.
Aladdin und seine Mutter waren jetzt wohlhabende Leute, denn sie hatten ja an der Lampe eine nie versiegende Geldquelle. Dennoch trieben sie keinen Auf wand und blieben mäßig und bescheiden. Die Mutter beschäftigte sich immer noch mit Baumwollspinnen; von dem Ertrag kaufte sie ihre Kleider. Bei dieser einfachen Lebensweise reichte das Geld jedes Mal für lange Zeit.
Während dieser Zeit verkehrte Aladdin im Kreise angesehener Kaufleute. Sie handelten mit Kleidern, feinen Stoffen und Juwelen. Und er unterhielt sich mit ihnen über Waren und Preise. Auf diese Weise erweiterten sich seine kaufmännischen Kenntnisse. Allmählich wurde er gewandt im Umgang mit besseren Leuten. Bei den Goldschmieden lernte er alle Edelsteine kennen und ihren Wert schätzen. So kam er zu der Einsicht, dass seine bunten Früchte aus dem unterirdischen Garten kostbare Juwelen waren. Aber nirgends bemerkte er Steine, die den seinen an Größe und Reinheit gleichkamen. Bald begriff er, dass die beiden Beutel hinter dem Diwanpolster einen unvergleichlichen Schatz bargen. Aladdin war klug genug, niemandem etwas davon zu sagen. Auch seine Mutter weihte er nicht ein. Diesem Stillschweigen verdankte er sein Glück.
Eines Tages befand er sich auf dem Weg zum Basar der Goldschmiede. Da hörte er einen Befehl des Sultans ausrufen. Es hieß, jedermann solle seinen Laden und sein Haus verschließen. Niemand dürfe sich bei Todesstrafe im Freien blicken lassen. Prinzessin Badrulbudur, die Tochter des Sultans, wolle sich ins Bad begeben.
Als Aladdin diesen Befehl hörte, überkam ihn das verlangen, die Prinzessin unverschleiert zu sehen. Aladdin hatte gehört, dass sie von unvergleichlicher Schönheit sei. Er versteckte sich also hinter der Tür des Bades. Dort musste er sie sehen können, ohne selbst gesehen zu werden.
Er brauchte nicht lange zu warten. Bald erschien die Prinzessin in Begleitung vieler Frauen und Dienerinnen. Er betrachtete sie durch eine Ritze in der Tür. Beim Eingang des Bades nahm sie den Schleier ab. Aladdin konnte ihr gerade ins Gesicht blicken. Ihr Antlitz war jugendlich frisch und von strahlender Schönheit.
Aladdin hatte bisher keine Frau außer seiner Mutter unverschleiert gesehen; und sie war nicht mehr jung und von Sorgen verhärmt. Wohl hatte er gehört, dass es Frauen von hervorragender Schönheit gäbe. Aber es ist ein Unterschied, von Schönheit zu hören oder sie selber zu schauen.
Nachdem Aladdin die Prinzessin gesehen hatte, verwirrten sich seine Gedanken und Gefühle. Verzaubert starrte er ihr nach. Sein Herz war erfüllt von Liebe und Verlangen nach dem reizenden Mädchen.
Endlich kam er wieder zur Besinnung und beschloss, nach Hause zu gehen. Daheim angelangt, konnte er seine Unruhe und Verwirrung nicht verbergen. Schließlich fragte ihn seine Mutter erstaunt, ob ihm etwas Unangenehmes zugestoßen oder ob er krank sei. Aber Aladdin gab keine Antwort. Er warf sich auf den Diwan, und seine Gedanken kreisten unablässig um die Prinzessin.
Die Mutter bereitete unterdessen das Abendessen. Schweigend setzte sich Aladdin zu Tisch, genoss aber nur wenig. Da setzte sich die Mutter neben ihn und versuchte, ihn auszufragen. Aber sie konnte ihm kein einziges Wort entlocken.
Aladdin verbrachte eine unruhige Nacht. Am nächsten Morgen brach er endlich das Stillschweigen und sagte: „Du hast wohl gemeint, ich sei krank, Mutter, und das hat dir Kummer gemacht. Ich war aber nicht krank und bin es auch jetzt nicht. Ich kann dir nicht sagen, was ich empfinde; vielleicht ist mein Zustand noch schlimmer als eine Krankheit. Aber ich werde dir erzählen, was gestern geschah; dann kannst du mir vielleicht einen Rat geben. Du wirst nicht davon gehört haben, dass sich die Prinzessin Badrulbudur gestern ins Bad begeben hat. Ich hörte es von den Ausrufern, als ich in der Stadt spazieren ging. Man verkündete nämlich, alle Leute sollten die Läden schließen; und bei Todesstrafe dürfe keiner auf der Straße verweilen, damit die Prinzessin freien Durchgang zum Bad habe. Da packte mich die Neugier. Ich wollte die Prinzessin mit unverschleiertem Gesicht sehen. Darum versteckte ich mich hinter der Tür zum Bade. Und wirklich: an der Tür nahm sie den Schleier ab. Ich hatte das Glück, ihr Antlitz zu sehen. Das ist der Grund meiner Unruhe und meines Schweigens. Als ich ihr Gesicht und ihre herrliche Gestalt sah, ergriff mich heiße Liebe zu ihr. Meine Sehnsucht nach ihr wird immer größer. Ich finde keine Ruhe mehr, wenn ich die Prinzessin nicht für mich gewinne. Darum bin ich fest entschlossen, sie vom Sultan zur Frau zu erbitten.“
Aladdins Mutter hatte aufmerksam zugehört. Aber als ihr Sohn von seinen Heiratsabsichten sprach, musste sie laut auflachen. Er wollte fort fahren, aber sie ließ ihn gar nicht zu Wort kommen und sagte: „Mein Lieber, was fällt dir ein? Bist du wahnsinnig geworden, dass du solche Reden führst?“
„Nein, Mutter“, entgegnete Aladdin, „mein Verstand war nie so hell wie jetzt. Ich habe deine Einwürfe vorausgesehen. Aber alle deine Worte werden meinen Entschluss nicht ändern. Ich sage dir nochmals, dass ich um die Hand der schönen Prinzessin anhalten werde.“
„Ach, mein Sohn“, sagte die Mutter, „ich bitte dich, rede nicht solchen Unsinn! Selbst wenn du deinen Entschluss ausführen wolltest, wer sollte denn deine Bitte dem Sultan vortragen? Wer sollte denn für dich um die Prinzessin anhalten?“
„Kein anderer als du“, entgegnete Aladdin. „Ich wünsche, liebe Mutter, dass du meine Werbung vorbringst.“
„Ich?“ rief die Mutter. „Ich werde mich hüten, so etwas zu unternehmen. Wie kannst du überhaupt an die Tochter des Sultans denken? Vergiss doch nicht, dass du nur der Sohn eines armen Schneiders bist! Ihr Vater gibt sie nicht einmal Prinzen oder Sultanssöhnen zur Ehe. Wie kannst dann du es wagen, die Tochter des Sultans als Frau zu begehren!“
„Liebe Mutter“, antwortete Aladdin, „ich sagte dir schon, dass ich alle diese Vorstellungen vorausgeahnt habe. Ich weiß auch, was du noch einwenden wirst. Das alles habe ich bedacht. Trotzdem werden deine Reden meinen Entschluss nicht zum Wanken bringen. Ich flehe dich an, tu mir den Gefallen! Wenn du mich lieb hast, geh zum Sultan und wirb für mich. Du wirst mir dadurch zum zweiten Mal das Leben schenken. , Wird die Prinzessin nicht meine Frau, so will ich nicht länger leben.“
Aladdins Mutter geriet durch diese Hartnäckigkeit ihres Sohnes in größte Verlegenheit. Sie wollte ihm ja gern seinen Wunsch erfüllen; aber diesen Plan hielt sie für närrisch und undurchführbar.
Daher sprach sie zu ihm: „Mein Sohn, ich bin deine Mutter und liebe dich von Herzen. Soweit ich es vermag, will ich dir jeden vernünftigen Wunsch erfüllen. Wenn du es wünschst, werde ich dir eine Frau aus unserem Stande suchen. Ich würde auch um die Tochter eines unserer Nachbarn anhalten. Freilich müsstest du auch da etwas Vermögen und Einkommen besitzen oder ein Gewerbe erlernt haben. Jedermann fragt zuerst, wie der Freier seine Frau und später seine Familie erhalten werde. Du aber hast nichts und bist nichts. Wie kannst du es dann wagen, deine Augen zur Tochter des Sultans zu erheben! Überlege dir das! Wie kommst du auf den Gedanken, ich solle beim Sultan für dich freien? Selbst wenn ich so unverschämt wäre, wie bekäme ich Zutritt? An wen sollte ich mich wenden, dass er mich vorstellt? Und wollte ich den Zweck meiner Vorsprache angeben, würde man mich für eine Närrin halten und verjagen! Und gelänge es mir wirklich, bis zum Sultan zu kommen, was sollte ich dann sagen? Hast du dich um dein Land verdient gemacht? Bist du der Gnade des Sultans überhaupt würdig? Wie also kann ich mit einem solchen Ansinnen vor ihm erscheinen? Der Anblick seiner Macht und der königliche Prunk allein würden mir schon die Rede verschlagen. Ich zitterte bereits, wenn ich von deinem Vater etwas erbitten musste. Wie könnte ich nun gar vor diesem hohen Herrn etwas vorbringen? Dann fällt mir noch etwas ein: Wer den Sultan um eine Gnade bitten will, der muss ein Geschenk mitbringen. Aber was für ein Geschenk hast du ihm anzubieten? Wenn du nun gar seine Tochter zur Frau verlangst, welches Geschenk könnte diese Bitte unterstützen?“
Aladdin hörte alle Einwände seiner Mutter ruhig an. Er überlegte Punkt für Punkt. Dann sagte er: „Liebe Mutter, du hast recht. Ich hätte alles das bedenken sollen. Mein Verlangen war verwegen und unbesonnen. Ich hätte vorher daran denken müssen, dir Zutritt und günstige Aufnahme beim Sultan zu verschaffen. Verzeih mir! Die Liebe zur Prinzessin hat meine Gedanken verwirrt. Aber ich liebe sie so sehr, dass ich sie unbedingt heiraten werde. Ich danke dir, dass du mich an das Geschenk erinnert hast. Du hast daran gezweifelt, dass ich ein würdiges Geschenk für diesen Anlass besitze. Allein ich habe eines, das wert ist, dem Sultan überreicht zu werden; es ist ein Geschenk, um das ihn Fürsten und Könige beneiden werden. Du weißt, Mutter, ich habe aus dem unterirdischen Garten buntfarbige Steine mitgebracht. Wir meinten, diese Steine seien aus Glas. Es sind aber kostbare Edelsteine von höchster Schönheit; ihresgleichen gibt es in keinem Lande der Welt. In den Läden der Goldschmiede habe ich viele herrliche Edelsteine gesehen; aber sie alle halten den Vergleich mit meinen Steinen nicht aus. Und doch werden sie zu unbeschreiblich hohen Preisen verkauft. Wie hoch muss dann erst der Wert meiner Steine sein! Du hast eine hohe Porzellanvase, Mutter. Gib sie mir, wir wollen sie mit Edelsteinen füllen. Dann magst du die strahlende Pracht bewundern. Ich glaube, auch der Sultan hat so etwas noch nie gesehen.“
Die Mutter brachte die Vase herbei. Aladdin nahm die Steine aus den Beuteln und legte sie schön geordnet hinein. Da strahlte und blitzte es aus der Vase, dass Mutter und Sohn geblendet die Augen schließen mussten. Solchen Glanz und solches Feuer hatten sie noch nie an den Steinen bemerkt; freilich hatten sie diese bisher nur bei Lampenlicht gesehen. Nun aber lockte der helle Sonnenschein sprühende Funken hervor.
Nachdem sie die Schönheit des Geschenkes eine Weile bewundert hatten, sagte Aladdin: „Glaubst du nun, Mutter, dass dies ein passendes Geschenk für den Sultan ist? Jetzt kannst du den Gang zu Hofe wagen. Mit diesem Geschenk wirst du sicher gnädig empfangen werden.“
Aladdins Mutter war von dem Wert des Geschenkes nicht so überzeugt wie ihr Sohn. Trotzdem hoffte sie, es werde wohl Gnade finden. Aber als sie der Bitte ihres Sohnes gedachte, wurde sie abermals unsicher. Er und die Prinzessin!
„Lieber Sohn“, sagte sie, „dieses Geschenk ist prächtig und wert voll. Es wird seine Wirkung tun und mir gnädige Aufnahme beim Sultan verschaffen. Aber ich werde nicht den Mut haben, deine Werbung um des Sultans Tochter vorzubringen; da wird mein Mund stumm bleiben. So wird nicht nur mein Gang vergeblich sein, sondern auch das Geschenk; und ich werde dir bestürzt verkünden müssen, dass deine Hoffnung vergeblich war. Sollte ich aber doch imstande sein, deinen Wunsch auszusprechen, wird uns der Sultan für Narren halten und mich mit Schimpf und Schande davonjagen oder uns beide bestrafen.“
Aladdins Mutter führte noch mehr Gründe an, die gegen einen Empfang beim Sultan sprachen. Aber das Bild der Prinzessin war zu tief in seinem Herzen verankert. Er wollte seinen Plan, sie zu seiner Frau zu machen, nicht aufgeben. Darum drängte und bat er seine Mutter, bis sie aus Furcht vor seiner Unbesonnenheit nachgab.
An diesem Tag aber war es für die Anmeldung beim Sultan zu spät. So wurde die Sache auf den nächsten Tag verschoben. Bis dahin sprachen Mutter und Sohn nur vom morgigen Gang zu Hofe. Aladdin schärfte ihr neuerlich ein, was sie tun und sagen solle.
Die Mutter aber fragte ihn noch: „Mein Sohn, wenn mich der Sultan wirklich anhört, was soll ich sagen, wenn er nach deinem Besitz und Vermögen fragt?“
„Liebe Mutter“, erwiderte Aladdin, „wenn es zum Äußersten kommt, muss uns die Lampe helfen. Sie sorgt seit einigen Jahren für unsern Unterhalt. Ich hoffe, dass sie mich auch in dieser Not nicht im Stich lassen wird.“
Hierauf wusste Aladdins Mutter nichts zu entgegnen. Sie dachte, die Lampe habe wirklich bisher Wunder vollbracht; nun könne man auch noch Größeres von ihr erhoffen.
Aladdin erriet die Gedanken seiner Mutter. Er sagte zu ihr: „Liebe Mutter, sprecht zu keinem Menschen von der Lampe! Sie ist unser größter Schatz. Der glückliche Ausgang unseres Beginnens wird ganz von ihr abhängen.“
Erst tief in der Nacht suchten sie ihr Lager auf. Aber schon vor Tagesanbruch weckte Aladdin die Mutter wieder. Er bestürmte sie, sich rasch anzukleiden und zum Tor des Palastes zu eilen. Dann könne sie zugleich mit dem Großwesir und den übrigen Großen des Reiches den Palast betreten und ihnen in die Ratsversammlung folgen. Dieser pflegte der Sultan stets beizuwohnen.
Aladdins Mutter tat alles, was ihr Sohn wünschte. Sie hüllte die Porzellanvase in feines, weißes Linnen. Darüber band sie ein gröberes Tuch, um das leichter forttragen zu können. Endlich machte sie sich zur großen Freude Aladdins auf den Weg zum Palast des Sultans.
Soeben betrat der Großwesir mit allen Würdenträgern des Hofes den Palast. Eine große Menge von Bittstellern schloss sich ihnen an. Die Mutter folgte dem Zuge und gelangte so in den großen Prunksaal; dort hielt der Sultan die Versammlung ab. Sie stellte sich gerade dem Thron des Sultans gegenüber au£ Die Großen des Reiches waren rechts und links von ihm versammelt. Dann wurden dem Sultan die Rechtsfälle vor getragen. Man rief die Parteien in der Reihenfolge, in der sie ihre Gesuche eingebracht hatten. Viele Angelegenheiten wurden verlesen, beraten und entschieden, bis die Versammlung wieder geschlossen wurde. Schließlich erhob sich der Sultan und ging in seine Gemächer zurück. Der Großwesir und alle übrigen Mitglieder des Staatsrates entfernten sich. Auch die Parteien, die Gesuche vorgelegt hatten, gingen nach Hause. Manche waren vergnügt über den Ausgang ihres Rechtsfalles, andere wieder unzufrieden über das gefällte Urteil. Einige hofften, ein andermal mit ihrer Sache vorzukommen.
Als Aladdins Mutter sah, dass sich der Sultan zurückzog, ging sie gleichfalls nach Hause. Als ihr Sohn sie mit dem Geschenk zurückkamen sah, erschrak er; er konnte sich nicht erklären, was das bedeuten solle. Er fürchtete, seine Sendung sei misslungen, und er getraute sich gar nicht, die Mutter zu fragen.
Die Mutter, die noch niemals bei einer Ratsversammlung gewesen war, begann treuherzig zu erzählen: „Gott sei Dank, dass ich heute im Sultanspalast war. Wenn ich auch heute noch nicht mit dem Sultan gesprochen habe, so hoffe ich doch, morgen mit ihm zu reden. Heute habe ich den Sultan gesehen. Ich stand ihm gerade gegenüber. Ich bin überzeugt, dass er auch mich bemerkt hat. Aber er war sehr beschäftigt mit den Leuten, die rechts und links von ihm saßen. Er tat mir leid, als ich sah, mit wie viel Mühe und Geduld er sie anhörte. Das dauerte sehr lange. Zuletzt mag es ihm schon langweilig geworden sein, weil er auf einmal aufstand und wegging. Es waren zwar noch viele Leute da, die mit ihm sprechen wollten. Aber ich war sehr froh darüber, denn auch mir wurde die Sache schon langweilig. Außerdem war ich sehr müde vom langen Stehen. Es ist also nichts verloren. Ich werde dir zuliebe morgen wieder hingehen. Vielleicht hat der Sultan dann mehr Zeit.“
Aladdin hat die Entscheidung ungeduldig erwartet. Aber gegen die Entschuldigung seiner Mutter konnte er nichts vorbringen; er musste sich bis zum nächsten Tag gedulden. Das eine hatte er wenigstens schon erreicht, dass die Mutter den gefürchteten Gang angetreten und den Anblick des Sultans ertragen hatte, ohne vor Angst von Sinnen zu kommen. Er hoffte, dass sie morgen in einem günstigen Augenblick ihr Anliegen vorbringen werde.
Am nächsten Morgen eilte sie mit ihrem Geschenk wieder zeitlich zum Palast des Sultans. Das Tor aber war verschlossen. Von andern Leuten erfuhr sie, dass nur jeden zweiten Tag Ratssitzung sei. Also ging sie wieder heim und brachte ihrem Sohn diese Nachricht. Aladdin musste sich wieder mit Geduld wappnen.
Sechsmal ging die Mutter in die Ratsversammlung. Jedes Mal stellte sie sich dem Sultan gegenüber auf. Aber nie fand sie den Mut, vor zu treten oder ein Wort zu sagen. Sie wäre wahrscheinlich noch hundertmal vergebens hingegangen, wenn nicht der Sultan selbst auf sie aufmerksam geworden wäre.
Als er nach der Sitzung in seine Gemächer zurückgekehrt war, sagte er zu seinem Großwesir: „Wesir, seit einiger Zeit fällt mir bei jeder Sitzung eine Frau auf. Immer steht sie mir gerade gegenüber. Sie trägt etwas in der Hand, das in Leinwand gehüllt ist. Vom Anfang bis zum Ende der Sitzung bleibt sie dort stehen. Aber sie sagt nie ein Wort. Weißt du, was für ein Anliegen sie hat?“
Der Großwesir wusste sowenig davon wie der Sultan. Er wollte aber seinem Herrn nicht die Antwort schuldig bleiben; darum sagte er:
„Herr, die Frauen beschweren sich doch oft über die geringfügigsten Dinge. Vielleicht will diese über ihren Mann oder einen ihrer Verwandten Klage führen. Vielleicht aber hat man ihr schlechtes Mehl verkauft oder sonst ein kleines Unrecht zugefügt.“
Der Sultan gab sich mit dieser Antwort des Großwesirs nicht zufrieden. Er befahl ihm, die Frau bei der nächsten Sitzung rufen zu lassen. Er wolle sie anhören. Der Großwesir küsste die Hand des Sultans und legte sie auf seinen Kopf. Das bedeutete, dass er bereit sei, sich den Kopf abschlagen zu lassen, wenn er diesen Befehl nicht ausführe.
Am nächsten Sitzungstag ging Aladdins Mutter wieder in die Ratsversammlung. Sie war es ja schon gewohnt. Zwar war bisher jeder Gang vergeblich gewesen; doch aus Liebe zu ihrem Sohn wollte sie alles tun, um endlich zu einem Erfolg zu gelangen. Sie stellte sich wieder dem Sultan gegenüber auf.
Als dieser sie erblickte, war er gerührt über ihre Geduld und Ausdauer. Er sagte zum Großwesir: „Wesir, da steht ja die Frau, von der ich neulich gesprochen habe. Lass sie hierher kommen. Wir wollen sie anhören, damit wir ihr Anliegen erfahren und ihre Sache entscheiden.“
Sofort ging der Großwesir und gab der Frau ein Zeichen, näher zutreten. Sie folgte ihm bis an die Stufen des Thrones. Dort tat sie, wie sie es bei andern gesehen hatte: Sie berührte mit ihrer Stirn die Stufen des Thrones.
In dieser Stellung verharrte sie, bis der Sultan zu ihr sprach: „Gute Frau, ich sehe dich schon lange in den Ratssaal kommen. Du bleibst vom Anfang bis zum Ende der Sitzung am Eingang stehen, ohne dass du ein Wort sagst. Nun verrate mir, welche Angelegenheit dich hierher führt!“ Wieder warf sich Aladdins Mutter zu Boden. Sie küsste die Stufen des Thrones und flehte den Segen des Himmels über den Sultan herab. Dann stand sie auf und sagte: „Erhabener Herrscher, ich habe ein Anliegen. Aber bevor ich es Euch unterbreite, bitte ich, mir die unglaubliche Kühnheit zu verzeihen. Mein Ansuchen ist so ungewöhnlich, dass ich zittere und bebe. Ich habe große Scheu, Herr, es Euch vorzutragen.“
Um ihr Sicherheit und Freiheit im Reden zu geben, befahl der Sultan, ihn mit der Frau und dem Großwesir allein zu lassen. Dann sagte er, sie könne ohne Furcht sprechen.
Aladdins Mutter aber war noch nicht ganz zufrieden. Sie wollte sich auch vor seinem Zorne sicherstellen, den sie bei ihrem seltsamen Antrag befürchten musste.
„Herr“, fuhr sie fort, „ich bitte Euch untertänigst, gewährt mir im voraus gütigst Eure Gnade und Verzeihung. Vielleicht werdet Ihr mein Anliegen töricht oder beleidigend finden.“ „Was es auch sein mag“, erwiderte der Sultan, „ich werde dir verzeihen. Nicht die geringste Strafe soll dich treffen. Sprich ohne Scheu!“
Nun erzählte sie ihm treuherzig, wie ihr Sohn die Prinzessin Badrulbudur gesehen und sich in sie verliebt habe. Sie sprach von den Plänen und Wünschen Aladdins. Sie erwähnte aber auch die Bedenken, die sie dagegen erhoben hatte.
„Aber“, fuhr sie fort, „statt auf mich zu hören, bestand er nur um so nachdrücklicher auf seinem Wunsch. Er drohte sogar, sich ein Leid anzutun, wenn ich mich weigerte, für ihn zu werben. Trotzdem hat es mich die größte Überwindung gekostet, Euch mit dieser Sache zu be lästigen. Ich bitte Euch vielmals, verzeiht mir mein verwegenes Unternehmen. Verzeiht auch meinem Sohne die Dreistigkeit, an eine so er habene Verbindung zu denken.“
Der Sultan hatte die Rede der Mutter voll Güte angehört. Er äußerte nicht den mindesten Zorn oder Unwillen. Auch schien er die ganze Angelegenheit gar nicht lächerlich zu finden. Bevor er aber eine Antwort erteilte, fragte er sie lächelnd nach ihrem leinenen Bündel. Aladdins Mutter sah nun, dass der Sultan nicht unwillig war, ja sogar lächelte. Da warf sie sich nieder, enthüllte die Vase und überreichte sie dem Sultan.
Geblendet blickte der Sultan auf die Edelsteine. Zuerst war er vor Überraschung keines Wortes mächtig. Er hatte noch nie so viele kostbare Steine beisammen gesehen. Auch waren sie von einer Größe, wie sie ihm bisher noch nie vor Augen gekommen.
Begeistert nahm er die Vase aus den Händen der Frau in Empfang und rief aus: „Wie schön und einzigartig, wie kostbar sind diese Edelsteine!“ Er nahm einen Stein nach dem andern in die Hand und pries ihr Feuer und ihre Reinheit.
Dann wandte er sich an den Großwesir, zeigte ihm die Vase und sagte: „Sieh dir diese Steine an! Du wirst gestehen müssen, dass man auf der ganzen Welt nichts Herrlicheres und Vollkommeneres finden kann!“ Der Großwesir stimmte in begeisterten Worten zu. Der Sultan aber fuhr fort: „Ja, wer mir solche kostbare Juwelen schenken kann, ist wert, der Gatte meiner Tochter zu werden.“
Diese Worte des Sultans versetzten den Großwesir in eine peinliche Unruhe. Erst kürzlich hatte ihm sein Herr angedeutet, dass er die Prinzessin mit seinem Sohn vermählen wolle. Dieses prachtvolle Geschenk kam ihm ungelegen. Nun fürchtete er nicht ohne Grund, der Sultan werde sich anders besinnen. Er flüsterte ihm daher ins Ohr, er möge mit seiner Entscheidung gnädigst noch drei Monate zuwarten. Schließlich habe der Sultan seinem Sohn die Prinzessin früher versprochen. Und bis dahin werde er ein noch weit kostbareres Geschenk darbringen. Der Sultan war zwar überzeugt, dass das unmöglich sei. Aber er geruhte, den Aufschub von drei Monaten zu gewähren.
Er wandte sich also an Aladdins Mutter und sagte zu ihr: „Geh nach Hause, gute Frau! Sag deinem Sohne, dass ich seinen Antrag genehmige!
„Doch muss er sich noch drei Monate gedulden. Es müssen große Vorbereitungen für die Hochzeit getroffen werden. Nach drei Monaten aber magst du wiederkommen.“
Strahlend bedankte sich Aladdins Mutter beim Sultan und eilte nach Hause. Ihre Freude war groß. Hatte sie doch gefürchtet, der Sultan werde sie gar nicht anhören. Nun brachte sie ihrem Sohn die günstige Botschaft. Er sah die Mutter früher als sonst und ohne Bündel heimkehren. Als sie lächelnd das Zimmer betrat, wurde ihm froh und leicht zumute. Er schloss daraus auf einen guten Bescheid.
„Liebe Mutter“, fragte er, „bringst du mir gute Kunde? Hat sich der Sultan gnädig erwiesen und das Geschenk angenommen? Was hat er zu deiner Werbung gesagt?“
Die Mutter legte den Schleier ab und setzte sich zu ihrem Sohn auf den Diwan. Dann begann sie: „Ich möchte dich nicht lange im Ungewissen lassen. Darum will ich dir gleich sagen, dass du Ursache hast, dich zu freuen. Der Sultan hat mir versprochen, dass seine Tochter deine Frau werden soll.“
Dann schilderte sie ihm, wie alles gekommen war. Sie berichtete, mit welchen Worten sie die Werbung eingeleitet hätte. Schließlich wieder holte sie genau, was der Sultan zu dem Geschenk gesagt hatte. Es war ihr aber nicht entgangen, dass der Großwesir mit dem Bescheid des Sultans nicht ganz einverstanden war. Er hatte den Herrscher an scheinend bereden wollen, sie abzuweisen.
Freudig und voll froher Hoffnung verbrachte Aladdin die nächsten Tage. Er dünkte sich reicher und glücklicher als alle Menschen. Seiner Mutter aber war er unendlich dankbar. Die drei Monate Wartezeit er schienen ihm wie eine Ewigkeit. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Geduld zu warten. Das Wort des Sultans schien ihm eine sichere Gewähr, das Ziel seiner Sehnsucht zu erreichen. Trotzdem zählte er die Stunden, Tage und Wochen.
Zwei Monate der angesetzten Frist waren schon verstrichen, als seine Mutter eines Abends kein Öl für die Lampe hatte. Sie ging also, um Öl einzukaufen. Zu ihrer Verwunderung war die Stadt festlich beleuchtet.
Die Bewohner hatten ihre Häuser mit Blumen und Kränzen geschmückt; einer suchte den andern an Glanz und Pracht zu übertreffen. In den Straßen bewegte sich eine festlich gekleidete Menge. Aus allen Gesichtern strahlten hellste Freude und Fröhlichkeit. Hofbeamte ritten auf reich geschmückten Pferden in feierlichem Aufzug durch die Stadt. Überall gab es brennende Fackeln und Lichter. Schließlich kam sie zum Ölhändler. Ihn fragte sie, was dieses festliche Treiben bedeute.
„Woher kommst du denn, liebe Frau?“ erwiderte der Ölhändler. „Weißt du denn wirklich nicht, dass heute die Prinzessin Badrulbudur mit dem Sohn des Großwesirs vermählt wird? Gleich wird sie aus dem Bade kommen. Alle diese Herren hier haben sich versammelt, um ihr das Ehrengeleit zum Palaste zu geben. Dort wird die Feierlichkeit vor sich gehen.“
Aladdins Mutter wollte gar nichts mehr hören. Bestürzt lief sie nach Hause. Sie traf ihren Sohn in ruhiger Stimmung an. Auf eine so schlimme Nachricht war er ja nicht gefasst.
„Mein Sohn“, rief sie noch unter der Tür, „es ist alles verloren! Der Sultan wird sein Wort nicht halten.“ „Warum sollte er es nicht halten?“ entgegnete Aladdin. „Wer hat dir denn das gesagt?“ „Noch heute“, versetzte die Mutter, „wird die Prinzessin den Sohn des Großwesirs heiraten. Die ganze Stadt ist festlich geschmückt. Alle Leute sprechen davon.“ Sie berichtete ihm alles, was sie gesehen und gehört hatte. Nun konnte er an der Wahrheit nicht mehr zweifeln.
Aladdin war von dieser Nachricht wie vom Blitz getroffen. Aber er fasste sich rasch. Sein erster Gedanke war die Lampe. Sie musste jetzt helfen.
Ohne mit einem Wort den Sultan oder den Großwesir zu schmähen, sagte er nur: „Liebe Mutter, ich glaube, der Sohn des Großwesirs wird nicht so glücklich sein, wie er hofft. Doch reden wir nicht weiter darüber. Bring uns lieber das Abendessen! Dann will ich ein wenig in die Kammer gehen. Es wird schon alles gut werden.“
Aladdins Mutter ahnte, was ihr Sohn vorhatte. Er würde wohl die Wunderlampe gebrauchen, um die Heirat der Prinzessin zu hinter treiben. Und sie täuschte sich nicht. Nach dem Abendessen ging Aladdin in sein Zimmer und verschloss die Tür hinter sich. Dann holte er die Lampe hervor und rieb sie.
Augenblicklich zeigte sich der Geist und sprach zu ihm: „Was verlangst du? Ich bin dein Diener und der Diener aller, die diese Lampe in der Hand haben. Ich und alle übrigen Diener der Lampe werden dir gehorchen.“
Da sagte Aladdin: „Höre, du hast mir bisher auf meinen Wunsch immer zu essen gebracht. Diesmal habe ich einen andern Auftrag für dich. Der Sultan hat mir die Hand seiner Tochter versprochen. Nun hält er sein Wort nicht. Noch vor Ablauf der Frist von drei Monaten vermählt er sie mit dem Sohn des Großwesirs. Nun befehle ich dir als treuem Diener der Lampe, die Neuvermählten zu entführen und hierher zu bringen.“
„Mein Gebieter“, erwiderte der Geist, „ich werde diesen Befehl ausführen. Hast du noch einen Wunsch?“
„Für den Augenblick keinen“, sagte Aladdin. Da verschwand der Geist.
Aladdin aber begab sich zu seiner Mutter zurück. Ruhig verbrachte er den Abend. Er unterhielt sich mit ihr über die Vermählung der Prinzessin. Aber er sprach so, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Nach einiger Zeit ging er in seine Kammer, ohne sich jedoch zu Bett zu begeben. Er erwartete die Rückkehr des Geistes und den Vollzug seines Befehles.
Es dauerte gar nicht lange, da brachte auch schon der Geist die beiden Neuvermählten. Zu ihrem großen Erstaunen setzte er sie mitten im Zimmer Aladdins nieder. Aladdin hatte diesen Augenblick voll Ungeduld erwartet. Nun sagte er hocherfreut zu dem Geist:
„Nimm diesen jungen Ehemann und trag ihn hinaus in ein anderes Gemach! Morgen früh bei Tagesanbruch komm wieder zu mir!“
Augenblicklich trug der Geist den Sohn des Großwesirs fort. In einer kleinen Kammer legte er ihn nieder. Dort hauchte er ihn an; dadurch wurde er betäubt und konnte sich die ganze Nacht nicht rühren. Aladdin war glücklich, die Prinzessin so nahe zu sehen. Aber er wahrte ehrerbietigste Zurückhaltung und sagte nur in zärtlichem Ton: ,Fürchtet Euch nicht, erlauchte Prinzessin! Ihr seid in Sicherheit: Nichts soll Euch zuleide geschehen. Wie groß auch meine Liebe zu Euch ist, nie werde ich die Schranken der Ehrfurcht überschreiten, die ich Euch schulde.“
Die Prinzessin war wie betäubt von dem unerwarten, rätselhaften Ereignis. Sie hörte kaum auf die Reden Aladdins. Auch war sie so verstört, dass sie kein Wort hervorbrachte. Aladdin aber war zufrieden mit dem Gang der Ereignisse. Er suchte sein Lager auf und war bald in ruhigen Schlummer versunken. Nicht so die Prinzessin. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich in einer so engen, düsteren Kammer befand. In ihrem ganzen Leben hatte sie keine schlimmere Nacht verbracht. Noch ärger erging es dem Sohn des Großwesirs, der sich in seinem finsteren Loch nicht einmal rühren konnte.
Am nächsten Morgen brauchte Aladdin nicht erst die Lampe zu reiben, um den Geist zu rufen. Zeitlich am Morgen stand dieser an seinem Lager und sagte: „Mein Herr und Gebieter, hier bin ich! Befiehl, und ich werde mit Freuden gehorchen.“
„Geh“, sagte Aladdin, „und hole den Sohn des Großwesirs von dem Ort, wohin du ihn gebracht hast. Dann trag ihn und die Prinzessin wieder in den Palast des Sultans zurück!“
Sogleich nahm der Geist die beiden auf. Er trug sie in dasselbe Gemach des Schlosses zurück, aus dem er sie entführt hatte.
Der Geist war aber weder der Prinzessin noch ihrem Gatten sichtbar. Sie wären wahrscheinlich zu Tode erschrocken, hätten sie seine schreckliche Gestalt gesehen. Auch von dem Gespräche zwischen Aladdin und dem Geist hatten sie nichts gehört. Sie merkten nur, dass sie von einem Ort zum andern getragen wurden; das allein genügte, um ihnen den größten Schrecken einzujagen.
Kaum hatte der Geist die beiden in ihr Zimmer gebracht, öffnete sich schon die Tür. Der Sultan trat herein, um guten Morgen zu wünschen und nach ihrem Befinden zu fragen. Nun hatte der Sohn des Großwesirs die ganze Nacht in der Kälte gelegen; kaum hatte er sich jetzt in seinem Bett erwärmt, musste er wieder heraus. So unbehaglich ihm auch zumute war, er musste sich in seine Kleider werfen. Der Sultan trat zum Bett seiner Tochter, küsste sie auf die Stirn und fragte, wie es ihr gehe. Sie aber gab keine Antwort. Als er sie aufmerksamer betrachtete, sah er in ihrer Miene tiefe Schwermut; traurig blickte sie ihn an. Aber sie antwortete nicht auf seine Fragen.
Der Sultan war überzeugt, dass dieses Schweigen eine tiefe Ursache haben müsse. Deshalb begab er sich in das Zimmer seiner Gemahlin und teilte ihr mit, wie ihn die Prinzessin empfangen habe.
„Herr“, sagte die Sultanin, „das braucht Euch nicht zu wundern. Nach der Hochzeit sind alle jungen Frauen zurückhaltend. Wartet nur, in ein paar Tagen wird sich dies ändern, und dann wird sie ihren Vater empfangen, wie es sich gebührt. Doch will ich gleich zu ihr gehen; ich müsste mich sehr täuschen, wenn sie mich ebenso empfinge wie Euch.“
Die Sultanin begab sich also in das Zimmer der Prinzessin. Sie war sehr erstaunt, als auch ihr Morgengruß nicht erwidert wurde. Ihre Tochter sah sehr niedergeschlagen aus. Etwas Besonderes musste sich ereignet haben, sonst könnte sie nicht so verstört sein. Aber was?
„Liebe Tochter“, begann sie, „warum sprichst du kein Wort? Warum erwiderst du meine Zärtlichkeit nicht? Sag mir, was sich ereignet hat. Lass mich nicht so lang in dieser peinlichen Ungewissheit:“
Da hob die Prinzessin ihr Haupt und seufzte tief: „Ach, liebe Mutter, seid nicht böse, wenn ich Euch nicht geziemend empfangen habe. Aber in dieser Nacht sind so seltsame Dinge geschehen. Mein Geist kann sie noch immer nicht fassen. Ich habe Mühe, wieder zu mir selber zu kommen.“
Die Prinzessin schilderte nun, was sich in der Nacht ereignet hatte. Sie berichtete, wie sie mit ihrem Gatten in eine armselige Kammer entführt und dann von ihm getrennt worden sei. In der Kammer sei ein fremder junger Mann gewesen. Dieser habe zu ihr gesprochen; aber in ihrer Aufregung habe sie nichts verstanden. Dann sei der Jüngling zu Bett gegangen und ruhig eingeschlafen. Sie aber habe dort die schlimmste Nacht ihres Lebens verbracht. Am Morgen seien sie und ihr Gemahl wieder ins Schloss zurückgebracht worden.
„Kaum waren wir hier“, fuhr sie fort, „trat schon mein Vater ins Zimmer. Ich aber war noch nicht imstande, eine Antwort auf seine Fragen zu geben. Sicherlich zürnt er mir nun, weil ich die Ehre seines Besuches nicht gebührend gewürdigt habe. Doch wird er meinen traurigen Zustand verstehen, wenn er von meinem schrecklichen Abenteuer erfährt. Ich hoffe, dass er mir dann verzeihen wird.“
Die Sultanin hörte die Erzählung ihrer Tochter ruhig an. Aber sie fand sie so unglaubwürdig, dass sie entgegnete: „Liebe Tochter, du hast gut daran getan, nichts von all dem deinem Vater zu erzählen. Sag auch keinem andern Menschen ein Sterbenswort davon! Man würde dir nicht glauben, dich sogar für eine Närrin halten.“
„Mutter“, antwortete die Prinzessin, „ich bin nicht wahnsinnig, sondern bei klarem Verstand. Ich habe das alles wirklich erlebt. Fragt nur meinen Gemahl; er wird Euch dasselbe erzählen.“
Dann begab sie sich in das Zimmer des Sultans. Sie sagte ihm, ihre Tochter habe in der Nacht böse Träume gehabt. Deshalb sei sie am Morgen noch sehr beunruhigt gewesen; jetzt aber sei alles wieder gut. Dann ließ sie den Sohn des Großwesirs rufen. Ihn fragte sie, was an den Worten seines jungen Weibes Wahres sei. Der Sohn des Großwesirs fürchtete, durch diese Geschichte seine Gattin zu verlieren; darum erklärte er, er wisse von nichts. Da war die Sultanin überzeugt, dass ihre Tochter nur geträumt habe.
Die Lustbarkeiten dauerten den ganzen Tag. Es wurde getanzt und gesungen, und unaufhörlich erklang fröhliche Musik. Die Sultanin wich ihrer Tochter nicht von der Seite. Sie bemühte sich eifrig, die Prinzessin zu allerlei Vergnügungen aufzumuntern; dadurch sollte sie ihren Kummer vergessen. Aber die Erlebnisse der Nacht waren zu groß gewesen. Sie hatte für nichts anderes Sinn.
Aladdin war auch in die Stadt gegangen, um sich die Festlichkeiten anzusehen. Die Leute redeten über das Glück und die Ehre, die dem Sohn des Großwesirs zuteil geworden sei. Als Aladdin das hörte, musste er lächeln. Er dachte bei sich: Ihr wisst ja nicht, wie es ihm heute Nacht ergangen ist; sonst würdet ihr ihn wohl nicht beneiden. Als die Zeit vorgerückt war, ging er nach Hause. Dort holte er die Lampe hervor und rieb sie. Sogleich erschien der Geist und bot ihm seine Dienste an. Aladdin beauftragte ihn, das junge Paar so wie gestern hierherzubringen.
Der Geist zögerte nicht und verschwand. Und nun ereignete sich das gleiche wie in der vergangenen Nacht. Der Sohn des Großwesirs lag wieder furchterstarrt allein in seinem kalten Raum; und die Prinzessin versuchte vergebens, in der engen, dumpfen Kammer zu schlafen. Nur Aladdin schlummerte ruhig und fest. Am Morgen nahm der Geist die Prinzessin und ihren Gemahl und trug sie in das Schloss zurück.
Neugierig hatte der Sultan den nächsten Tag erwartet. Ob ihm seine Tochter wieder einen so kühlen Empfang bereiten würde? Am frühen Morgen trat er in ihr Gemach, um sie zu begrüßen.
Eben war der Sohn des Großwesirs zähneklappernd ins Bett gestiegen. Aber als er den Sultan kommen hörte, sprang er eilig heraus. Verbittert stürzte er in sein Ankleidezimmer.
Die Prinzessin blickte traurig vor sich hin. Aber sie gab keine Antwort. Der Sultan bemerkte, dass sie noch verstörter war als das erste Mal. Nun zweifelte er nicht mehr, dass ihr etwas Außerordentliches zugestoßen sein müsse. Er war erbittert darüber, dass sie ihn keines Wortes würdigte. Darum riss er den Säbel aus der Scheide.
„Gesteh, was du mir verbirgst“, rief er zornentbrannt, „oder ich schlage dir augenblicklich den Kopf ab!“
Daraufhin berichtete die Prinzessin dem Sultan alles, was vorgegangen war. Sie erzählte mit so rührenden Worten, dass ihn tiefes Mitleid mit seiner Tochter ergriff. Sie schloss mit den Worten: „Mein Vater, ich hoffe, Ihr glaubt mir! Aber wenn Ihr an der Wahrheit meiner Erzählung zweifelt, so fragt meinen Gatten. Er wird Euch alles bestätigen.“
Der Sultan war tief bekümmert über diesen Bericht seiner Tochter. Er sagte: „Liebe Tochter, warum hast du mir diese seltsame Geschichte nicht schon gestern erzählt? Ich wollte nur dein Glück, als ich dich verheiratete. Nun aber bist du so unglücklich. Doch verscheuche die düsteren Gedanken und fasse Mut! Du sollst von nun an gut bewacht werden und keine solche Nacht mehr durchmachen müssen.“
Hierauf kehrte der Sultan in seine Gemächer zurück. Sofort ließ er den Großwesir rufen.
„Wesir“, sprach er zu ihm, „wie geht es deinem Sohn? Hast du ihn schon gesprochen? Was erzählt er von den beiden letzten Nächten?“
Der Großwesir antwortete, er habe ihn noch nicht gesehen. Nun teilte ihm der Sultan mit, was die Prinzessin ihm soeben erzählt hatte.
„Und ich zweifle nicht“, setzte er fort, „dass meine Tochter die Wahrheit gesagt hat. Doch wäre es mir lieb, wenn dein Sohn es bestätigte. Geh also zu ihm und frag ihn, wie sich die Sache verhält!“
Der Großwesir suchte sogleich seinen Sohn auf. Er teilte ihm den Befehl des Sultans mit und forderte, er solle die volle Wahrheit sagen und nichts verheimlichen.
„Mein Vater“, rief der Jüngling, „ich brauche nichts zu verhehlen! Alles, was die Prinzessin gesagt hat, ist wahr. Dabei hat sie gar nicht alles erzählt. Wie es mir ergangen ist, weiß sie ja nicht. Seit meiner Vermählung habe ich zwei schreckliche Nächte verbracht; mir fehlen die Worte, sie eingehend zu schildern. Aber es war unheimlich, viermal emporgehoben und an einen andern Ort getragen zu werden. Ich begreife jetzt noch nicht, wie das möglich war. Aber der Ort, wo ich mich aufhalten musste, war scheußlich. Der Raum war kalt, finster und übelriechend. Die Zähne klapperten mir vor Kälte. Bei aller Liebe zur Prinzessin und trotz der hohen Ehre möchte ich lieber sterben, als mich noch länger einer solchen Behandlung auszusetzen. Sicher denkt die Prinzessin ebenso wie ich. Darum, lieber Vater, erwirke beim Sultan, dass unsere Ehe für ungültig erklärt wird.“
Als der Großwesir den verzweifelten Bericht seines Sohnes gehört hatte, begab er sich zum Sultan. Er meldete, dass die Erzählung der Prinzessin auf Wahrheit beruhe. Deshalb bat er um die Erlaubnis, dass sein Sohn den Palast verlassen und nach Hause zurückkehren dürfe. Die Prinzessin solle seinetwegen nicht einen Augenblick länger der Angst vor einer abermaligen Entführung ausgesetzt sein.
Der Sultan hatte selbst schon die Auflösung der Ehe erwogen. Darum gab er dem Wesir ohne weiteres seine Einwilligung. Sofort erging der Befehl, die Feiern im ganzen Land einzustellen. In kurzer Zeit hörten alle Festlichkeiten auf.
Alle Leute wunderten sich darüber. Verschiedene Gerüchte wurden in der Stadt laut, allein niemand wusste etwas Bestimmtes. Man hatte nur den Großwesir und seinen Sohn traurig aus dem Palast kommen sehen. Der einzige, der das Geheimnis genau kannte, war Aladdin. Aber er sagte nichts und lachte sich ins Fäustchen. Nun hatte er keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten. Und er bedurfte auch nicht mehr der Hilfe des Geistes.
Der Sultan dachte schon lange nicht mehr an das Versprechen, das er Aladdin gegeben hatte. Auch der Großwesir hatte die Angelegenheit längst vergessen. Daher kamen sie beide nicht auf die Idee, daß Aladdin an der Zauberei Anteil haben könne.
Aladdin ließ die drei Monate Frist, die der Sultan ursprünglich gesetzt hatte, verstreichen. Dann schickte er sogleich seine Mutter in den Palast. Sie sollte vom Sultan die Erfüllung seines Versprechens erbitten.
Im Ratssaal stellte sie sich so wie früher dem Sultan gegenüber auf. Kaum hatte er sie erblickt, da erinnerte er sich schon an sein Versprechen.
„Da ist ja die Frau wieder“, sagte er zum Großwesir, „die uns vor einigen Monaten das schöne Geschenk gebracht hat. Bring sie gleich zu mir. Deinen Bericht kannst du später fortsetzen.“
Der Großwesir führte die Frau vor den Sultan. Aladdins Mutter warf sich vor den Stufen des Thrones nieder. Sie wünschte dem Sultan Macht, Glück und langes Leben. Als sie sich wieder erhoben hatte, fragte der Sultan nach ihren Wünschen.
„Großmächtiger König“, antwortete sie, „die drei Monate sind um. Nach dieser Frist wolltet Ihr Euer Versprechen einlösen. Ich komme nun abermals im Namen meines Sohnes Aladdin vor Euren Thron. Und ich bitte Euch, Eure Tochter Badrulbudur mit meinem Sohne zu vermählen.“
Der Sultan hatte gehofft, dass nach drei Monaten von einer Ehe mit diesem Aladdin keine Rede mehr sein würde. Er sah ja, dass die Mutter Aladdins dem niedersten Volke angehörte. Also hielt er eine Verbindung seiner Tochter mit dem Sohn dieser Frau nicht für angemessen. Ratlos blickte er jetzt den Großwesir an.
„Was meinst du?“ fragte er ihn. „Ich habe dieser Frau mein Wort gegeben. Aber jeder kann sehen, dass es arme Leute sind. Sie passen nicht in die Kreise der Vornehmen. Außerdem kenne ich den Sohn dieser Frau gar nicht.“
Der Großwesir hatte das Unglück seines Sohnes noch nicht überwunden. Er gönnte die Prinzessin keinem anderen. Am allerwenigsten aber sollte sie dieser armselige Bursche aus dem untersten Volk besitzen. Er zögerte nicht, seinem Herrn seine Meinung zu sagen.
„Herr“, entgegnete er, „es gibt ein Mittel, diesen Fremdling von uns fernzuhalten. Ihr könnt Eure Tochter nicht einem Kerl geben, von dem man nicht weiß, wer er ist. Aladdin selbst wird sich darüber nicht beklagen dürfen. Ihr braucht nur einen sehr hohen Preis für die Prinzessin festzusetzen. Dazu werden seine Reichtümer nicht ausreichen. Das wird ein gutes Mittel sein, ihn von seiner frechen Bewerbung abzubringen.“
Der Sultan billigte den Rat des Großwesirs. Aber er dachte noch eine Weile darüber nach.
„Gute Frau“, sagte er dann, „bringe deinem Sohn folgende Botschaft: Ich werde mein Versprechen halten; er soll meine Tochter zur Frau bekommen. Aber er muß eine entsprechende Brautgabe beschaffen. Ich verlange von ihm vierzig große Becken aus gediegenem Gold. Sie sollen von oben bis unten mit solchen kostbaren Edelsteinen angefüllt sein, wie du mir schon einmal gebracht hast. Ferner verlange ich vierzig schwarze Sklaven, die sie tragen. Und vierzig junge weiße Sklaven, von schönstem Wuchs und prächtiger Kleidung, sollen sie begleiten. Wenn dein Sohn diese Bedingungen erfüllte, werde ich gern bereit sein, ihn mit meiner Tochter zu vermählen.“
Aladdins Mutter bezeigte dem Sultan ihre Verehrung. Dann machte sie sich auf den Heimweg. Unterwegs zerbrach sie sich den Kopf, wo Aladdin all diese Schätze hernehmen sollte. Die Edelsteine könnte er vielleicht in der Schatzhöhle von den Bäumen pflücken. Aber die vielen Sklaven, wo sollte er die hernehmen! Und sie glaubte, daß Aladdin nun von seinem Ziele weiter denn je entfernt sei. Unter diesen Gedanken war sie zu Hause angelangt.
„Mein Sohn“, sagte sie zu Aladdin, „denk nicht mehr an eine Ehe mit der Prinzessin Badrulbudur. Ich kam in den Palast und wurde zum Sultan gerufen; und ich erinnerte ihn an sein Versprechen. Da unter hielt er sich eine ganze Weile leise mit dem Großwesir. Dieser ist sicher dein Feind. Er hat den Sultan nämlich auf den Gedanken gebracht, dir unerfüllbare Bedingungen zu stellen. Du sollst sogleich hören, wie sie lauten.“
Nun erzählte sie ihm ausführlich, was der Sultan als Brautgabe für die Prinzessin wünsche.
„Mein Sohn“, sagte sie abschließend, „der Sultan erwartet deine Antwort. Ich glaube, er wird lange warten müssen.“
Aber Aladdin sagte lächelnd: „Nicht so lange, Mutter, wie du viel leicht glaubst. Der Sultan irrt. Seine Forderungen sind nicht so unerfüllbar, wie er meint. Ich dachte, er würde einen weit höheren Preis für die Prinzessin verlangen. Was er fordert, ist für mich eine Kleinigkeit. Ich würde noch tausendmal mehr geben, um die Prinzessin zu besitzen. Geh jetzt, besorg ein Mittagessen und laß mich nur machen!“
Die Mutter ging also einkaufen. Aladdin aber holte die Lampe und rieb sie. Sogleich erschien der Geist und bot seine Dienste an.
Aladdin sprach: „Der Sultan ist bereit, mir seine Tochter zur Frau zu geben. Nur verlangt er vorher von mir vierzig schwere Becken aus gediegenem Gold. Sie sollen bis zum Rand mit solchen Früchten gefüllt sein, wie ich sie im Garten der Höhle pflückte. Vierzig schwarze Sklaven sollen diese Becken tragen. Ebenso viele weiße Sklaven in prächtigen Gewändern sollen sie begleiten. Geh und bring mir alles sofort! Noch ehe die Sitzung zu Ende ist, will ich die Sklaven in den Ratssaal senden!“
„Ich höre und gehorche, mein Gebieter“, entgegnete der Geist und verschwand.
Schon nach kurzer Zeit stand er wieder vor Aladdin. Vierzig schwarze Sklaven begleiteten ihn. Jeder von ihnen trug ein schweres Becken von gediegenem Gold auf dem Kopf, und jedes war mit Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlen von erlesener Schönheit angefüllt und mit gewirktem Goldstoff bedeckt. Im Hofe des kleinen Häuschens aber standen vierzig weiße Sklaven von prächtigem Wuchs. Sie waren mit kostbaren Gewändern angetan und sollten die Geschenkträger zum Sultan geleiten.
Der Geist sagte zu Aladdin: „Herr, hier ist alles, was du verlangst. Hast du noch weitere Befehle für mich?“
Aladdin erwiderte, dass er zufrieden sei. Da verschwand der Geist auf der Stelle.
Als Aladdins Mutter vom Markt zurückkam, wunderte sie sich außer ordentlich. Das ganze Haus und der Garten waren voll von schwarzen und weißen Sklaven. Da bemerkte sie die Kostbarkeiten. Nun wusste sie, dass alles der Lampe zu danken war. Gott erhalte sie meinem Sohne immerdar, dachte sie. Sie stellte die Lebensmittel weg und wollte den Schleier ablegen. Der Sohn aber hinderte sie daran.
„Liebe Mutter“, sagte er, „wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich will, dass du die Morgengabe sogleich zum Sultan in den Palast bringst. Noch bevor er die Ratsversammlung schließt, sollen seine Forderungen erfüllt sein. Aus meiner Eile soll er erkennen, wie sehr mir an dieser Verbindung mit seiner Tochter gelegen ist.“
Ohne eine Antwort der Mutter abzuwarten, öffnete er die Türen weit. Paarweise schritten die Sklaven aus Haus und Garten auf die Straße. Jeder schwarze Sklave, der ein goldenes Becken auf dem Kopf trug, war von einem weißen begleitet. Als die Mutter hinter dem letzten Sklaven das Haus verlassen hatte, verschloss Aladdin die Tür. Ruhig setzte er sich auf das Sofa. Nach diesem Geschenk konnte ihm der Sultan seine Tochter nicht versagen.
Als die achtzig Sklaven zum Sultanspalast zogen, blieben alle Leute stehen und bewunderten das herrliche Schauspiel. Von allen Seiten strömte das Volk herbei. Es bewunderte die kostbar gekleideten Sklaven, und es erfreute sich am Glanz der Steine, die an ihren Gürteln und Turbanen im Sonnenlicht erstrahlten. Der feierliche Zug erregte überall Aufsehen und Bewunderung. Das Gedrange wurde schließlich so groß, daß sich niemand mehr vom Platz rühren konnte.
Endlich langte der erste der achtzig Sklaven am Tor des Palastes an. Die Pförtner hielten ihn für einen König und wollten ihm den Saum des Kleides küssen. Doch der Sklave hielt sie zurück.
„Wir sind nur Sklaven“, sprach er feierlich. „Unser Herr wird erscheinen, wenn es an der Zeit ist.“
Dann schritten sie in den Schlosshof hinein. Dort war der Hofstaat des Sutans, der an der Sitzung nicht teilnahm, aufgestellt. Man sah prunkvolle Gewänder und herrlichen Schmuck. Aber alles verblich vor dem Glanz, der von den fremden Sklaven ausstrahlte.
Der Sultan hatte bereits von der Ankunft der Sklaven erfahren. Er befahl, sie in den Ratssaal vor seinen Thron zu führen. In schönster Ordnung betraten sie den Saal. Vor dem Thron des Herrschers bildeten sie einen Halbkreis. Nachdem sie die Becken vor sich auf den Teppich gestellt hatten, warfen sie sich zu Boden. Mit der Stirn berührten sie den Teppich und erwiesen dem Sultan ihre Ehrerbietung. Zu gleicher Zeit standen sie alle wieder auf und enthüllten die Becken. Dann blieben sie mit gekreuzten Armen in ehrfürchtiger Haltung stehen.
Indessen nahte Aladdins Mutter dem Thron. Demütig warf sie sich zu Füßen des Sultans.
„Erhabener Herr“, sagte sie, „mein Sohn schätzt die Prinzessin über alles. Er schätzt sie weit höher, als er mit diesem Geschenk bezeigen kann. Doch hofft er, dass Ihr es huldvoll entgegennehmen werdet. Es soll die Bedingungen erfüllen, die Ihr ihm vorgeschrieben habt.“
Der Sultan war von der Kostbarkeit und der Pracht der Geschenke überwältigt und geblendet von der Schönheit und dem Glanz der Edelsteine. Vor Staunen verstand er nicht einmal die Begrüßungsworte der Mutter Aladdins. Woher konnte der Reichtum in dieser kurzen Spanne Zeit gekommen sein? Es war knapp eine Stunde vergangen, seit er seine Bedingungen gestellt hatte.
„Was sagst du nun, Wesir?“ fragte er seinen Berater. „Ist dieser Mann nicht wert, meine Tochter zu heiraten?“
Der Großwesir war von der Pracht der Geschenke noch mehr überrascht als sein Herr. Neid und Eifersucht fraßen an ihm. Ein Fremder sollte nun seinem Sohn den Rang ablaufen und Schwiegersohn des Sultans werden. Am liebsten hätte er die Vermählung der Prinzessin mit Aladdin abermals hintertrieben. Aber er wagte nicht, seine wahre Gesinnung zu äußern.
„Herr“, antwortete er dem Sultan, „es gibt keine Kostbarkeiten, die den Wert Eurer Tochter aufwiegen könnten. Aber dieser Mann hat ein kostbares Geschenk gesandt. Daher muss man ihn der Ehre, Euer Schwiegersohn zu werden, für würdig erachten.“
Auch die übrigen Herren des Gefolges gaben ihre Zustimmung durch lauten Beifall zu erkennen.
Der Sultan verschob jetzt die Sache nicht länger. Er erkundigte sich nicht einmal, ob sein künftiger Schwiegersohn einer so hohen Stellung gewachsen sei. Der Anblick der gewaltigen Reichtümer war ihm Beweis genug. Er war überzeugt, daß er einen untadeligen Mann vor sich habe. Daher wandte er sich nun an Aladdins Mutter.
„Gute Frau“, sagte er, „geh jetzt zu deinem Sohn und sag ihm, daß ich die Morgengabe angenommen habe. Ich stimme der Vermählung meiner Tochter mit ihm zu! Weiter sag ihm, dass ich ihn erwarte. Er wird von mir mit offenen Armen empfangen werden. Noch heute abend soll die Hochzeit sein.“
Da eilte die Mutter freudestrahlend nach Hause zurück, um ihrem Sohn die frohe Botschaft zu überbringen. Der Sultan aber befahl, die Ratsversammlung zu schließen. Dann ließ er die Diener der Prinzessin kommen. Er ordnete an, dass sie die goldenen Gefäße zu seiner Tochter bringen sollten. Sogleich befolgten sie seinen Befehl.
Die achtzig weißen und schwarzen Sklaven mussten sich ins Innere des Palastes begeben. In langer Reihe stellten sie sich vor den Zimmern der Prinzessin auf.. Der Sultan hatte seiner Tochter bereits von ihrer Schönheit und von dem Prunk der Gewänder erzählt. Nun war sie neugierig und wollte sich selbst davon überzeugen. Sie war vom Glanz der Steine entzückt und freute sich über die prächtigen Sklaven; und ihr Vater freute sich mit ihr. Endlich blickte sie wieder heiter in die Welt.
„Liebe Tochter“, rief er aus, „ich glaube, dein neuer Gemahl wird dir besser gefallen als der Sohn des Wesirs. Ich flehe zu Gott, daß du viel Freude mit ihm erleben mögest.“
Inzwischen war Aladdins Mutter glückstrahlend nach Hause ge kommen. Die Freude über die gute Nachricht war deutlich an ihrer Miene abzulesen.
„Mein Sohn“, rief sie, „freue dich, du bist am Ziel deiner Wünsche! Der Sultan hat erklärt, dass du würdig seist, der Gatte seiner Tochter zu werden. Dein Geschenk hat er angenommen. Du bist ihm willkommen, und nun erwartet er dich mit Ungeduld. Noch heute soll die Hochzeit sein. Bereite dich auf die Zusammenkunft vor! Du hast schon so viele Wunder vollbracht, daß mir nun nicht mehr bange ist.“
Aladdin küßte seiner Mutter die Hand und dankte ihr von Herzen. Dann ging er in die Kammer und rieb an der Lampe. Sogleich stand der Geist vor ihm.
„Ich bin dein Diener“, sprach er. „Was wünschest du?“
„Geist“, erwiderte Aladdin, „bereite mir sofort ein wohlriechendes Bad. Weiter wünsche ich, dass du mir Kleider besorgst. Sie sollen so reich und prächtig sein, wie sie noch kein König getragen hat.“
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, machte der Geist ihn unsichtbar. Er trug Aladdin in ein herrliches Bad, wie es noch kein König gesehen hatte. Es war aus feinstem, buntgestreiftem Marmor erbaut. Köstliche Gemälde schmückten die Wände. Eine Halle war ganz mit Edelsteinen ausgelegt. Hier wurde er entkleidet; aber er sah nicht, wer ihn bediente. Dann führte man ihn in den Baderaum. Dort wurde er mit wohlriechenden Essenzen und Wassern gewaschen. Nach dem Bade fühlte er sich wie ein anderer Mensch. Seine Gesichtsfarbe war rosig und die Haut frisch und weich.
Sodann betrat Aladdin wieder die Halle, in der er die Kleider abgelegt hatte. Aber er fand sie nicht mehr vor; an ihrer Stelle hatte der Geist ein kostbares Gewand hingelegt. Aladdin schien es, etwas Herrlicheres könne es nicht geben. Er kleidete sich mit Hilfe des Geistes an und bewunderte jedes einzelne Stück. Als er fertig war, trug ihn der Geist in seine Kammer zurück. Dort fragte er ihn, ob er noch etwas wünsche.
„Ja“, erwiderte Aladdin, „ich möchte, daß du mit auf der Steile ein Pferd herbeiführst. Seine Schönheit und seine Schnelligkeit dürfen von keinem Pferd des Sultans übertroffen werden. Sattel und Zaumzeug müssen zehntausend Goldstücke wert sein. Dann verschaffe mir zwanzig Sklaven. Sie sollen so kostbar gekleidet sein wie die Diener, die ich dem Sultan sandte. Ich brauche sie als mein Gefolge. Ferner schicke noch zwanzig andere, die in zwei Reihen vor mir herziehen sollen. Auch meiner Mutter bring sechs Sklavinnen zu ihrer Bedienung. Sie müssen mindestens so schön gekleidet sein wie die Sklavinnen der Prinzessin Badrulbudur. Jede von ihnen soll ein kostbares Gewand mitbringen, so prächtig, als gehöre es für die Sultanin. Schließlich benötige ich zehn Beutel mit je tausend Goldstücken. Das ist alles, was ich noch brauche. Geh und schaff es eiligst herbei!“
Der Geist verschwand und kam nach kurzer Zeit wieder. Er führte einen prächtigen arabischen Hengst mit kostbarem Sattelzeug. Hinter ihm folgten die vierzig Sklaven. Jeder vierte trug einen Beutel mit Goldstücken. Die sechs Sklavinnen waren mit herrlichen Gewändern beladen; sie alle waren für Aladdins Mutter bestimmt. Von den zehn Beuteln mit Gold ließ Aladdin den Sklaven nur sechs; die übrigen vier gab er seiner Mutter für den Norfall. Aus den sechs Beuteln sollten die Sklaven auf dem Wege zum Palast Gold unter das Volk streuen. Drei von ihnen hatten rechts, drei links vor ihm zu gehen. Seiner Mutter aber übergab er die sechs Sklavinnen mit den prächtigen Gewändern.
Hierauf entließ er den Geist. Einen der Sklaven sandte er in den Palast des Sultans. Durch ihn ließ er anfragen, ob sein Besuch genehm sei. Der Sklave machte sich im Laufschritt auf den Weg. Bald kehrte er mit der Meldung zurück, der Sultan erwarte ihn mit Ungeduld.
Nun schwang sich Aladdin auf sein Pferd. Die Sklaven stellten sich in der anbefohlenen Ordnung auf. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Er bot einen prächtigen Anblick. Aladdin saß in stolzer Haltung zu Pferd. Niemand hätte erkannt, dass er noch nie ein Pferd geritten hatte. Die Straßen waren im Nu von einer staunenden Volksmenge erfüllt. Beifalls- und Segensrufe ertönten, besonders wenn es rechts und links Goldmünzen regnete. Aber nicht nur der Pöbel drängte sich heran. Auch ehrsame Bürgersleute blieben stehen und winkten Aladdin Beifall, als sie seine Freigebigkeit sahen. Viele erkannten ihn kaum, so sehr hatten sich seine Gesichtszüge verändert. Er strahlte eine Würde und Schönheit aus, als wäre er ein anderer geworden. Dies alles hatte er der Wunderlampe zu danken. Denn dieses unscheinbare Ding konnte jedem Stand und Würde verleihen.
Als Aladdin am Tor des Palastes eintraf wollte er der Sitte gemäß vom Pferde steigen. Aber einer der Würdenträger des Sultans hinderte ihn daran.
„Mein Herr“, sagte er, „der Sultan hat befohlen, dass Ihr zu Pferde inzieht. Erst bei der Pforte des Staatssaales sollt Ihr absteigen.“
Die Würdenträger gingen alle vor ihm her. Als er dann vom Pferd steigen wollte, hielten sie trotz seines Sträubens die Steigbügel und halfen ihm vom Pferd. Dann schritten sie ihm voran in den Saal. Sie bildeten rechts und links ein Ehrenspalier, während ihn zwei vor die Stufen des Thrones führten.
Als der Sultan Aladdin erblickte, war er überrascht. Eine so königliche Kleidung und würdevolle Haltung hatte er nicht erwartet. Der armselige Aufzug seine’r Mutter war ihm noch allzugut in Erinnerung. Nun erhob er sich vom Thron und ging Aladdin einige Schritte entgegen. Er gestattete nicht, daß sich dieser zu Boden warf. Stattdessen umarmte er ihn herzlich. Dann führte er ihn die Stufen empor. Er hieß ihn an seiner Seite neben dem Großwesir Platz nehmen.
Aladdin sprach Segenswünsche und flehte den Schutz des Himmels über den Herrscher herab.
„Erhabener Herr“, fuhr er fort, „Ihr habt mir die Hand Eurer Tochter bewilligt. Und doch bin ich einer Eurer niedrigsten Diener. Verzeiht, daß ich wagte, meine Augen zur Prinzessin zu erheben. Aber die Liebe zu ihr war zu mächtig. Ich wäre gestorben, hättet Ihr sie mir versagt.“
„Mein Sohn“, antwortete der Sultan, „ich habe versprochen, sie dir zu vermählen. Und ich bereue nicht, mein Wort gehalten zu haben.“
Nach diesen Worten gab er ein Zeichen und Musik setzte mit vollen Tönen ein. Gleichzeitig führte der Sultan ihn in einen prunkvollen Saal.
Dort wurde ein köstliches Festmahl aufgetragen. Der Sultan speiste mit Aladdin allein. Während der Unterhaltung bewies Aladdin so viel Verstand, dass der Sultan in seiner guten Meinung noch bestärkt wurde. Nach dem Mahle ließ der Sultan den obersten Richter seiner Hauptstadt rufen und gab ihm den Befehl, sogleich den Ehevertrag zwischen der Prinzessin Badrulbudur und Aladdin zu schließen. Inzwischen unterhielt er sich weiter mit Aladdin in Gegenwart vieler hoher Herren vom Hofe. Wieder Freute er sich über den gründlichen Verstand des Jünglings und bewunderte die Feinheit und Höflichkeit seiner Reden.
Als der Richter den Ehevertrag vollendet hatte, wollte Aladdin sich erheben und fortgehen. Aber der Sultan hielt ihn zurück. Er fragte. ob er nicht heute noch Hochzeit feiern wolle.
„Herr“, erwiderte Aladdin, „meine Sehnsucht nach der Prinzessin ist groß. Trotzdem bitte ich Euch um eine kurze Frist. ich will der Prinzessin einen Palast erbauen, der ihrem Rang und ihrer Würde angemessen ist. Dazu erbitte ich mir einen Platz in der Nähe Eures Schlosses. Dann kann ich Euch recht oft meine Aufwartung machen. Der Bau wird in Kürze vollendet sein.
„Mein Sohn“, sagte der Sultan, ,such dir eine Stelle aus, die dir gefällt. Der weite Platz hier, meinem Palaste gegenüber, ist für deinen Plan wie geschaffen. Doch beeile dich: Ich möchte dich möglichst bald mit meiner Tochter vermählt sehen.“
Nach diesen Worten umarmte der Sultan den jungen Mann. Aladdin verabschiedete sich so formvollendet vom Herrscher, als habe er hier bei Hofe seine Erziehung genossen.
Vor dem Tor stieg er zu Pferd. Im gleichen Aufzug, wie er gekommen war, ritt er nach Hause zurück. Wieder jubelten ihm die Menschen zu und wünschten ihm Glück und Segen. Kaum war er vom Pferde gestiegen, begab er sich in seine Kammer, um mit Hilfe der Lampe den Geist herbeizurufen. Und schon stand dieser vor ihm und bot seine Dienste an.
„Geist“, sagte Aladdin, „ich bin mit deinen Diensten bisher zufrieden gewesen. Du hast alle meine Befehle rasch und pünktlich ausgeführt. Heute aber sollst du mir einen besonders wichtigen Dienst erweisen, der noch mehr Sorgfalt und Eifer von dir verlangt. Errichte auf dem freien Platz vor dem Sultansgebäude einen Palast. Er soll ein würdiger Aufenthalt für die Prinzessin Badrulbudur, meine Gemahlin, sein. Die Wahl des Baumaterials und der Einrichtung überlasse ich dir. Doch wünsche ich, dass du auch einen großen Kuppelsaal baust; die Wände müssen mit Gold und Silber ausgelegt sein, und der Saal soll auf jeder Seite sechs Fenster haben; die Gitter schmücke mit Diamanten, Rubinen und Smaragden. Achte darauf, dass die Steine von einer Herrlichkeit und Pracht sind, wie man dergleichen noch nie auf der Welt gesehen hat. Ein Fenster jedoch soll unvergittert bleiben. Ferner wünsche ich, dass sich bei diesem Palast ein Hof, ein Vorhof und ein Garten befinden. Vor allem aber soll auch eine Schatzkammer im Schlosse sein mit einem großen Vorrat an Gold, Silber und Edelsteinen. Speisesäle, Küchen, Vorratshallen mit allem Nötigen dürfen nicht fehlen. Richte mir Stallungen voll der schönsten und feurigsten Pferde ein. Sorge auch dafür, dass Diener und Sklavinnen für den Dienst bei der Prinzessin bereit stehen. Du wirst jetzt begreifen, wie ich es haben will. Geh nun und komm wieder, wenn alles fertig ist!“
Es war bereits Abend, als Aladdin den Geist entließ. Aber die Liebe zur Prinzessin ließ ihn keinen Schlaf finden. Darum erhob er sich zeitig vom Lager. Kaum war er aufgestanden, erschien auch schon der Diener der Lampe.
„Herr“, sagte der Geist, „dein Palast ist fertig. Wenn du ihn sehen willst, komm mit mir. Sage mir dann, ob du zufrieden bist!“
Und er nahm den Jüngling und trug ihn zu dem neuerbauten Palast.
Aladdin fand alles über Erwarten gelungen und freute sich über den herrlichen Bau, Der Geist führte ihn im ganzen Schloss herum, er zeigte ihm alle Räume; und überall fand Aladdin Reichtum, Schönheit und Pracht. Diener und Sklaven sah er, alle reich und sauber gekleidet. Sodann zeigte ihm der Geist die Schatzkammer. Sie war bis zum Gewölbe mit Gold- und Silbersachen, gemünztem Gold und Edelsteinen angefüllt. Bei diesem Anblick lachte Aladdin das Herz im Leibe. In der Küche waren die Köche eifrig am Werk, jeder mit goldenem und silbernem Küchengerät ausgerüstet. Die Schränke waren mit den herrlichsten Gewändern und Stoffen angefüllt. Hierauf führte ihn der Geist in die Ställe. Dort zeigte er ihm die schönsten Pferde der Welt. Stall meister und Stallknechte waren eifrig mit der Wartung dieser kostbaren Tiere beschäftigt. Dann durchschritten sie die Vorratshallen. Diese warteten wohlgefüllt auf ihre Herrin. Das Wunderbarste in dem Schloss aber war der Kuppelsaal mit den vierundzwanzig Fenstern, deren Gitter ringsum mit blitzenden Edelsteinen ausgelegt waren.
Nachdem Aladdin die Pracht des Palastes bewundert hatte, wandte er sich an den Geist.
„Ich wünsche noch etwas von dir“, sprach er. „Ich habe es dir zu sagen vergessen: Ein großer, golddurchwirkter Teppich von allerschönstem Samt soll vom Tor des Sultanspalastes bis hierher zum Zimmer der Prinzessin führen. Darauf soll die Prinzessin einherschreiten. Ihr Fuß darf den Boden nicht berühren und an keinen Stein stoßen.“
Der Geist verschwand, erschien aber im nächsten Augenblick wieder und sagte: „Dein Wunsch ist erfüllt.“
Da sah Aladdin zu seinem Erstaunen den gewünschten Teppich bereits ausgebreitet. Nun trug der Geist Aladdin in sein Haus zurück.
Der Morgen graute, und man öffnete das Tor des Sultanspalastes. Die Pförtner wollten ihren Augen nicht trauen. Auf der weiten Fläche vor dem Palast erstreckte sich ein prunkvolles Gebäude. Ein wunderschöner Teppich führte zu ihm hinüber. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit im Palast.
Da erwachte auch der Sultan aus dem Schlafe. Er erhob sich vom Lager und öffnete das Fenster. Als er hinausblickte, glaubte er zu träumen. Vor ihm stand ein herrlicher Bau mit mächtiger Kuppel. Und ein prunkvoller Teppich verband seinen Palast mit dem neuen Schloss. Da kam auch schon der Wesir. Er war nicht weniger verwundert als der Sultan, aber er versuchte, das Wunder als ein Werk der Zauberei hinzustellen. Denn kein Mensch auf der Welt könne in einer einzigen Nacht ein solches Bauwerk aufführen.
„Wesir“, antwortete der Sultan, „warum sprichst du von Zauberei? Du weißt, dass der künftige Gemahl meiner Tochter hier einen Palast erbauen wollte. Bei den reichen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, scheint mir das nicht befremdend. Nut Geld kann man Wunder wirken. Ich glaube, du bist es ihm neidig, deshalb sprichst du Schlechtes von ihm.“
Als Aladdin nach Hause kam, legte seine Mutter gerade eines der prächtigen Kleider an. Er bat sie, sich in Begleitung der Sklavinnen in den Sultanspalast zu begeben. Der Sultan solle ihr die Erlaubnis geben, die Prinzessin am Abend in ihren neuen Palast zu geleiten. Die Mutter tat nach dem Wunsch des Sohnes, und als sie wie eine Sultanin gekleidet mit ihren Sklavinnen zum Palast schritt, blieben wieder alle Leute stehen. Aber die Volksmenge war weitaus geringer als am Vortag. Die Frauen waren ja verschleiert und streuten keine Münzen.
Aladdin aber verließ seine Wohnung, um nicht mehr dorthin zurückzukehren. Seine Wunderlampe vergaß er nicht, er nahm sie mit sich, bat aber vorher den Geist nochmals um zehntausend Goldstücke. Diese streuten seine Sklaven wieder unter die jubelnde Menge, während sie zum Palast zogen.
Aladdins Mutter wurde vom Sultan mit allen Ehren empfangen. Er führte sie sogleich in die Gemächer der Prinzessin. Die Prinzessin nahm sie herzlich auf und ließ sie mit köstlichen Speisen bewirten. Sie selbst ließ sich unterdessen von ihren Frauen ankleiden. Als Schmuck legte sie die kostbaren Juwelen aus Aladdins Geschenk an. Dann kam der Sultan in das Zimmer seiner Tochter, er wollte noch einmal mit ihr beisammen sein, ehe sie ihren neuen Palast bezog. Zu Aladdins Mutter war er überaus freundlich. Ihr stattliches Aussehen und ihre kostbaren Gewänder setzten ihn in Verwunderung.
Am Abend verabschiedete sich die Prinzessin unter Tränen von ihrem Vater. Sie umarmten einander immer wieder, bis der Sultan endlich den Befehl gab, seine Tochter zum Schloss ihres Gemahls zu geleiten. Sogleich bestiegen die Würdenträger des Reiches ihre Pferde; sie ritten zu beiden Seiten der Prinzessin. Die Musikchöre gingen an der Spitze des Zuges und spielten fröhliche Weisen. Ihnen folgten die Krieger, hierauf die Diener und Sklaven. Edelknaben mit Fackeln in den Händen gingen zu beiden Seiten des Zuges. Aladdins Mutter hielt sich zur Linken der Braut inmitten des Ehrengeleites. Hundert Sklavinnen in der prachtvollsten Kleidung bildeten den Abschluss des Zuges.
Mit diesem Gefolge schritt die Prinzessin über den Teppich zum Palaste Aladdins. Von dorther klang ihnen Musik entgegen; diese vermischte sich mit den Weisen der voranmarschierenden Musikchöre zu vollkommenem Wohlklang. Das Volk wusste nicht, worüber es mehr staunen sollte: über diesen Aufzug oder über den prachtvollen Palast, von dem am Vortag noch kein Stein gestanden hatte.
Endlich war die Prinzessin bei dem neuen Schloss angelangt. Aladdin wartete am Eingang der Gemächer, um sie zu empfangen. Die Prinzessin erkannte ihn inmitten seines prachtvollen Gefolges sofort als ihren Gatten, denn seine Schönheit und Würde überstrahlten alle Umstehenden.
„Teuerste Prinzessin“, sprach Aladdin sie an und verneigte sich ehrerbietig, „verzeiht, dass ich es wagte, Euch zur Frau zu begehren. Aber Eure Schönheit hat mich bezwungen. Ohne Euch hätte ich nicht weiterleben können.“
„Mein Prinz“, antwortete die Prinzessin, „ich gehorche dem Wunsche meines Vaters. Jetzt, da ich Euch kenne, tu ich es gern und ohne Widerstreben.“
Aladdin ergriff ihre Hand und küsste sie zärtlich. Dann führte er die Prinzessin in einen großen, hellerleuchteten Saal zur Festtafel. Man aß aus goldenen Schüsseln und trank aus goldenen Bechern. Auch die Tafelaufsatze und Vasen waren aus gediegenem Gold und mit Juwelen verziert. Der ganze Saal funkelte von Pracht und Herrlichkeit.
Kaum hatte man sich zu Tisch gesetzt, begann ein wundersamer, ergreifender Gesang. Die Prinzessin war wie verzaubert und dachte bei sich, dass sie nie zuvor schönere Weisen gehört habe. Sie wusste nicht, dass die Sängerinnen Feen waren, die der Geist zu ihrem Hochzeitsmahl bestellt hatte.
Nach dem Abendessen traten Tänzer und Tänzerinnen auf. Sie tanzten die schönsten Volkstänze des Landes und erfreuten die Zuschauer durch nie gesehene Anmut und Gewandtheit der Bewegungen Schließlich aber tanzte Aladdin mit der Prinzessin. Und sie tanzten so schön, dass die ganze Gesellschaft in Beifallsrufe ausbrach. Damit schloss die Hochzeitsfeier. Nun nahm Aladdin seine Braut an der Hand und führte sie in ihre Gemächer. Die Gäste aber verließen den Palast
Am nächsten Morgen brachten die Kammerdiener Aladdin ein neues prächtiges Gewand und halfen ihm, sich anzukleiden. Hierauf ließ er sich eines seiner edlen Reitpferde vorführen. Hoch zu Roß begab er sich mit zahlreichem Gefolge zum Palast des Sultans. Als er den Thronsaal betrat, eilte ihm der Sultan entgegen und umarmte und küsste ihn herzlich. Dann bat er ihn, sich an seine Seite zu setzen. Gemeinsam nahmen sie das Frühstück zu sich. Nun wandte sich Aladdin an den Sultan.
„Herr“, sprach er, „ich habe eine Bitte an Euch. Erweist mir die Ehre, mit dem Wesir und den Großen des Hofes das Mahl im Palast der Prinzessin einzunehmen.“
Erfreut sagte der Sultan zu und begab sich sogleich mit Aladdin und den Herren des Gefolges zu dem Palast der Prinzessin.
Als der Sultan den Wunderbau betrat, stieg sein Erstaunen ins Ungemessene. Ein Zimmer übertraf das andere an Schönheit und Pracht. In dem großen Kuppelsaal konnte er seine Verwunderung nicht länger verbergen; vor allem die vierundzwanzig Fenster mit den kostbaren, edelsteinbesetzten Gittern schienen ihm unvergleichlich. Er staunte und starrte. Plötzlich bemerkte er überrascht, dass eines der Fenster unvollendet geblieben war.
„Wesir“, sagte er zu seinem obersten Minister, „weißt du, warum dieses eine Fenster nicht fertig ist?“
„Herr“, erwiderte der Großwesir, „gewiß ist Aladdin die Zeit zu kurz geworden. Er wird bestimmt daran weiterarbeiten lassen. Edelsteine hat er ja in Hülle und Fülle.“
Inzwischen hatte Aladdin seiner Gemahlin die Ankunft des Vaters mitgeteilt. Nun kam er gerade zurück zum Sultan.
„Mein Sohn“, sagte dieser, „dieses Schloss mit seinen prächtigen Räumen ist ein Wunderbau. Der große Saal aber mit der Kuppel ist das Prächtigste, was ich je gesehen habe. Sag mir nur das eine: Warum ist dieses Gitterfenster hier unvollendet geblieben? Hat man darauf vergessen? War es Nachlässigkeit der Handwerker? Oder hat die Zeit nicht mehr ausgereicht, an das herrliche Werk letzte Hand anzulegen?“
„Herr“, erwiderte Aladdin, „keiner dieser Gründe trifft zu. Dieses Fenster wurde mit Absicht nicht fertig gemacht. Denn Euch allein gebührt der Ruhm, diesen Saal und Palast vollenden zu lassen. Und ich bitte Euch, diesen Wunsch zu erfüllen.“
„Ich weiß dir Dank für deine edle Absicht“, sagte der Sultan. „Ich will dieses Fenster vollenden. Sogleich sollen die notwendigen Befehle ergehen.“ Und er ließ Juweliere und Goldschmiede rufen.
Unter diesen Gesprächen war die Zeit zum Mahle gekommen. Aladdin führte den Sultan in den großen Saal, wo die Hochzeitsfeier statt gefunden hatte. Hier waren zwei Tafeln gedeckt. An der einen nahm der Sultan mit seiner Tochter und Aladdin Platz. An der andern wurden der Großwesir und alle übrigen Gäste bewirtet. Beide Tafeln erglänzten von Gold und Edelsteinen. Geschirr und Tafelaufsätze waren von gediegener Goldschmiedearbeit. Es gab die erlesensten Speisen und Getränke. Schließlich erklärte der Sultan, er habe noch nie so gut gespeist. Achtzig Sklavinnen‘ schön wie Vollmondschein, bedienten die hohen Gäste. Liebliche Weisen ertönten und ließen jeden Kummer vergessen. Und der Sultan war heiter und wohlgelaunt. Er meinte, es sei dies eine der schönsten Stunden seines Lebens.
Als man vom Tisch ging, waren die Juweliere und Goldschmiede bereits versammelt. Der Sultan hieß sie in den großen Kuppelsaal mitkommen. Dort zeigte er ihnen die dreiundzwanzig Fenster, besonders aber die kostbare Vergitterung mit dem Edelsteinschmuck. Dann wies er auf das unvollendete Fenster hin.
„Ich habe euch rufen lassen«, sagte er, „damit ihr mir dieses Fenster vollendet. Es soll ebenso schön und kunstvoll werden wie die andern. Tut euer Möglichstes, um eine ebenso prächtige Arbeit zu liefern. Aber verliert keine Zeit!“
Die Juweliere und Goldschmiede betrachteten nochmals eingehend Arbeit und Schmuck an den dreiundzwanzig Fenstern. Sie beratschlagten über das Material, das ihnen zur Verfügung stand. Dann waren sie sich einig, daß keiner von ihnen die Arbeit durchführen konnte. So auserlesene Steine besaßen sie nicht. Sie meldeten das Ergebnis ihrer Beratung dem Sultan.
„Herr“, sagte einer der Juweliere, „trotz aller Kunstfertigkeit können wir eine so vollendete Arbeit nicht liefern. Wir haben alle mitsammen weder so viele noch so großartige Edelsteine, um Euren Wunsch zu erfüllen.“
„So kommt mit in meinen Palast“, sagte der Sultan. „Sucht euch aus meinem Edelsteinschatz aus, was ihr braucht!“
Die Juweliere gingen nun in den Sultanspalast. Dort wählten sie aus den vorgelegten Steinen die größten und schönsten aus. Sie nahmen vor allem jene Steine, die Aladdin dem Sultan geschenkt hatte. Doch waren es immer noch nicht genug. Der Sultan befahl, auch die Juwelen des Großwesirs und der Vornehmsten des Reiches zu nehmen. Aber nach Verlauf eines Monats war kaum die Hälfte des Fensters vollendet. Die Schönheit des Werkes blieb weit hinter der Pracht der andern Fenster zurück.
Eines Tages betrat Aladdin wieder den Kuppelsaal. Er wollte die Arbeit der Juweliere besichtigen. Da sah er nun, dass noch viel zur Vollendung des Fensters fehlte. Der Sultan hatte sich vergeblich bemüht, das Fenster ebenso herrlich wie die übrigen machen zu lassen. Darum befahl Aladdin den Juwelieren, die Arbeit einzustellen. Alles. was sie bisher zuwege gebracht hatten, wurde wieder auseinandergenommen. Die Edelsteine ließ er dem Sultan und dem Großwesir zurückgeben. Dann begab er sich in seine Kammer und rieb die Lampe. Sofort erschien der Geist.
„Verlange, was du willst“, sagte der Diener der Lampe, „und ich werde gehorchen.“
„Geist“, sagte Aladdin, „vollende nun das Fenster im großen Saal, das du unfertig gelassen hast.“
Der Geist verschwand. Als Aladdin nach einer Weile in den Kuppelsaal hinaufstieg, fand er das Fenster vollendet. Es glich den übrigen an Schönheit und Pracht.
Inzwischen waren die Juweliere zum Sultan gegangen, um ihm seine Edelsteine zurückzugeben und ihm zu melden, dass sie auf Wunsch Aladdins ihre ganze Arbeit vernichtet hätten. Der Sultan fragte nach dem Grund. Jedoch sie wussten ihn nicht. Da ließ der Sultan sein Pferd satteln. Nur von einigen Leuten begleitet, ritt er zum Palast Aladdins. Dort stieg er ab. Dann eilte er die Treppe zum Kuppelsaal hinauf Am Eingang des Saales traf er Aladdin.
„Mein Sohn“, rief er ihn an, „ich komme, um dich selbst zu fragen. Warum mussten die Handwerker ihre Arbeit wieder vernichten?“
Aladdin konnte den wahren Grund nicht sagen. Es waren nämlich zu wenig Edelsteine vorhanden gewesen. Selbst alle Edelsteine des ganzen Landes hätten nicht zur Vollendung des Fensters gereicht.
„Herr“, erwiderte er darum, „Ihr habt diesen Saal unvollendet gesehen. Aber seht jetzt einmal, ob noch etwas daran fehlt.“
Der Sultan ging geradewegs auf das Fenster zu, das er unvollendet gesehen hatte. Er bemerkte, dass es ganz wie die übrigen aussehe. Also glaubte er, sich getäuscht zu haben, und ging zu den anderen Fenstern. Aber eines glich dem anderen. Und alle waren von vollendeter Schönheit. Da blickte er Aladdin an.
„Mein lieber Sohn“, sagte er kopfschüttelnd, „was bist du für ein Mann! Was andere in Monaten nicht fertigbringen, vollendest du in einer Nacht. Bei Gott, niemand auf der ganzen Welt kann sich mit dir vergleichen.“
Aladdin nahm die Lobsprüche des Sultans in aller Bescheidenheit entgegen. Er versicherte, stets alles tun zu wollen, um den Beifall seines Königs zu verdienen.
Nach einem kurzen Besuch bei seiner Tochter ritt der Sultan in seinen Palast zurück. Dort erwartete ihn der Großwesir. Ihm berichtete er voll Staunen, was er soeben gesehen hatte. Der Grosswesier wurde dadurch nur in seiner Meinung bestärkt, dass Aladdins Palast ein Werk der Zauberei sei. Aber der Sultan ließ ihn kaum zu Wort kommen.
„Wesir“, sagte er, „du hast die Vermählung deines Sohnes mit meiner Tochter noch immer nicht vergessen. Ich sehe, der Neid frißt in deinem Innern.“
Der Großwesir sah ein, daß er mit seinem Herrn über diesen Punkt nicht sprechen könne. Darum ließ er die Sache auf sich beruhen. Der Sultan aber bewunderte täglich von seinem Fenster aus den Palast Aladdins.
Aladdin verschloß sich indessen nicht in seinem Palast. Jeden Tag ritt er durch die Stadt. Und seine Sklaven warfen vor und hinter ihm Goldstücke unter das Volk. Alle priesen ihn wegen seiner Freigebigkeit. Er spendete reichlich den Armen, ja er verteilte mit eigener Hand Gaben an sie. Um seine Gebete zu verrichten, besuchte er die Moscheen. Manchmal speiste er beim Großwesir, und dieser machte auch ihm dann und wann seine Aufwartung. Häufig lud Aladdin vornehme Männer aus dem Hofstaat des Sultans zu sich, und gelegentlich beehrte auch er sie mit seinem Besuch. Er ging gern auf die Jagd und beteiligte sich an Turnierspielen. Sein Ruhm wuchs im ganzen Land von Tag zu Tag. Das Herz seiner Gattin schlug höher, wenn sie vom Fenster ihres Gemaches aus ihren Gemahl hinwegreiten sah. Sie dankte Allah, daß er ihr dies hohe Glück beschert habe.
So lebte Aladdin glücklich und hochgeehrt einige Jahre lang. Aber dann erinnerte sich eines Tages der Zauberer aus Afrika wieder an ihn. Dieser harte die ganze Zeit in Trübsal verbracht, denn alle seine Bemühungen, die Wunderlampe zu erringen, waren ja vergeblich gewesen. Er war der Meinung, Aladdin müsse in der Höhle schon längst umgekommen sein. Trotzdem verfluchte er ihn, sooft er an ihn dachte. Aber nun wollte er genau wissen, welches Ende er genommen habe. Darum nahm er seine Zaubergeräte zur Hand. Er warf Zaubersand zu Figuren und erkannte daraus, daß die Lampe nicht mehr in der Höhle war. Von Aladdin sah er nichts. Da warf er neuerlich den Sand; nun las er aus den Figuren, daß Aladdin auf Erden lebe und die Lampe be sitze. Wutentbrannt sprach er zu sich:
„Ich habe soviel Leid und Mühsal ertragen, um die Lampe zu erwerben; aber alles war umsonst. Und dieser Taugenichts nimmt sie ohne Anstrengungen. Sicher hat er die Zauberkraft der Lampe erkannt und ist nun ein reicher Mann.“
Abermals forschte er im Zaubersand. Da sah er, daß Aladdin reich und hochgeehrt als Gatte einer lieblichen Sultanstochter sein Leben verbringe Nun loderte sein Zorn hellauf, sein Gesicht wurde gelb vor Neid. Er überlegte nicht lange; gleich am nächsten Tag machte er sich hoch zu Roß auf die Reise. Er zog von Land zu Land von Stadt zu Stadt. Keine Mühe war ihm zu groß, und kein Aufenthalt dauerte länger, als das Pferd brauchte, um sich auszuruhen. So kam er in die Hauptstadt des Sultans, dessen Tochter Aladdin geheiratet hatte. Dort mietete er in einer Herberge ein Zimmer, um sich von den Beschwerden der Reise zu erholen.
Aber schon am nächsten Tag ging der afrikanische Zauberer in die Stadt. Er wollte herum horchen, was man von Aladdin spreche. So trat er in ein Speisehaus, das er von seiner letzten Reise her kannte. Viele Männer waren hier versammelt und tauschten Neuigkeiten aus. Während er einen Trunk schlürfte, horchte er nach links und rechts; und immer hörte er nur von Aladdins Palast reden. Als er ausgetrunken hatte, wandte er sich an einen dieser Männer und fragte ihn, was denn das für ein wunderbarer Palast sei, von dem alle redeten.
Wo her bist du denn?“ sagte der Mann. „Du mußt eben von einer Reise gekommen sein; sonst hättest du den Palast des Prinzen Aladdin schon gesehen.“
Denn seit Aladdin die Prinzessin Badrulbudur geheiratet hatte, war er selbst zum Prinzen geworden.
„Sein Schloß“, fuhr der Mann fort, „ist mehr als ein Weltwunder. Es ist der wunderbarste Bau auf der Weit. Geh hin und überzeuge dich selbst davon!“
„Verzeih meine Unwissenheit“, sagte der afrikanische Zauberer. „Aber ich bin erst gestern aus dem fernen Afrika hier eingetroffen. Unterwegs habe ich mir kerne Zeit genommen, auf die Reden der Leute zu hören; daher habe ich von der Sache bisher nichts erfahren. Doch jetzt will ich mir sofort dieses Schloß ansehen. Wenn du mir einen Gefallen erweisen willst, so führe mich dorthin!“
Der Mann führte ihn bereitwillig zum Palast Aladdins. Nun betrachtete der Zauberer den Bau. Er war sicher, daß Aladdin nur mit Hilfe der Lampe dieses Prunkgebäude errichtet haben konnte. Zornig rief er aus:
„Dieser Schurke! Ich werde ihm eine Grube graben! Er war nicht einmal imstande, das Schneiderhandwerk zu erlernen. Und jetzt lebt er in einem Palast. Ich werde ihn töten! Seine Mutter aber soll Wolle spinnen wie vorher.“ Grollend und voll Ärger über das Glück Aladdins kehrte er in seine Herberge zurück.
Dort nahm er sofort seine Schachtel mit dem Zaubersand und warf Figuren, und so sah er, wo Aladdin die Lampe aufbewahrt hatte. Sie befand sich in einem abseits gelegenen Raum des Palastes. Das freute den Zauberer, denn nun durfte er hoffen, die Lampe zu bekommen. Aladdin selbst war gerade nicht in der Stadt, er hatte einen längeren Jagdritt unternommen; erst nach einigen Tagen sollte er zurückkehren. Dies hatte der Zauberer vom Wirt seiner Herberge erfahren.
Mehr wollte der Zauberer nicht wissen. Jetzt ist der günstigste Augenblick, dachte er bei sich. Und er ging in den Laden eines Mannes, der Lampen herstellte.
„Guter Freund“, sagte der Zauberer zu ihm, „ich brauche ein Dutzend kupferne Lampen. Kannst du sie mir liefern? Aber es müßte rasch sein.
Der Mann versprach, die Lampen bis zum nächsten Tag fertig zu haben. Der Zauberer verlangte noch, sie müßten recht blank sein. Dann versprach er gute Bezahlung und ging in seine Herberge zurück.
Am nächsten Morgen holte er die fertigen Lampen. Er bezahlte sie und legte sie in einen Korb, und damit begab er sich zum Palaste Aladdins. Unterwegs rief er imrner wieder aus: „Wer will alte Lampen gegen neue vertauschen?“
„Dieser Nlann ist verrückt“, sagten die Leute auf den Straßen. „Wie könnte er sonst alte Lampen gegen neue zum Tausch anbieten?“
Die kleinen Kinder liefen hinter ihm drein. Sie lachten ihn aus und Spotteten über ihn wie über einen Narren. So kam er in die Nähe des Palastes. Er kümmerte sich nicht um das Gespött der Kinder und das Gelächter der Erwachsenen. Laut rufend bot er seine Ware weiter an. Und die Kinder schrien: „Ein Narr, ein Narr “
Diese Rufe hörte auch die Prinzessin Badrulbudur. Sie hielt sich eben im Saal mit den vierundzwanzig Fenstern auf Aber wegen des großen Kindergeschreies konnte sie nicht verstehen, was der Mann rief Des halb schickte sie eine ihrer Sklavinnen hinunter. Diese kam bald lachend zurück
„Prinzessin“, sagte sie zu ihrer Herrrn, „es ist zum Lachen! Da unten geht ein Mann mit schönen neuen Lampen herum und ruft fortwährend:
,Wer vertauscht alte Lampen gegen neue?‘ Den Lärm machen die Kinder, die in Scharen um ihn herumlaufen und ihn ausspotren.“ Über diesen sonderbaren Menschen mußte auch die Prinzessin herzlich lachen.
Aladdin hatte die Wunderlampe nach dem letzten Gebrauch offen stehen gelassen und sie nicht zurück in die Schatzkammer getragen. Daher hatte eine der Skiavinnen die Lampe gesehen.
„Herrin“, sagte diese nun zur Prinzessin, „im Gemach Eures Gemähls steht eine ganz alte Lampe. Eine neue würde viel besser dorthin passen. Wenn es Euch recht ist, könnten wir versuchen, sie einzutauschen. Dann wird sich zeigen, ob er wirklich verrückt ist.“
Die Prinzessin kannte den Wert der Lampe nicht. Sie hatte keine Ahnung, daß Aladdin den Palast und alle seine Schätze den Zauberkräften der Lampe verdankte, und ging daher auf den Scherz ein. Ein Sklave bekam den Auftrag, die Lampe bei dem Mann gegen eine neue einzutauschen. Er lief hinunter vor den Palast und ging auf den Zauberer zu.
„Hier ist eine Lampe“, rief er ihm zu, „gib mir eine neue dafür!“
Der Zauberer war überzeugt, dass diese alte Lampe die gesuchte Wunderlampe sei. Denn sonst war in diesem Palast sicher alles aus Gold und Silber. Daher nahm er dem Sklaven die Lampe rasch aus der Hand und hielt ihm dafür den Handkorb hin, damit er eine neue Lampe auswählen könne. Der Sklave nahm eine Lampe und kehrte damit zur Prinzessin zurück. Als diese die neue Lampe sah, lachte sie hellauf. Nun glaubte sie, dass der Mann wahrhaftig ein Narr sei.
Die Kinder tollten, aufs neue um den Zauberer herum und spotteten über den Tausch. Er aber ließ sie schreien, soviel sie nur wollten. Die Lampen, die er noch hatte, überließ er den Leuten, die mit ihm tauschen wollten. Den leeren Korb stellte er in einer Hausnische nieder. Dann machte er sich schnell und unbemerkt aus dem Staube. Hastig schritt er durch eines der Stadttore. In der Vorstadt kaufte er sich Lebensmittel, und schließlich kam er auf das freie Feld. An einem abgelegenen Ort erwartete er die Nacht.
Gegen Mitternacht zog er endlich die Lampe aus seinem Kleid hervor und rieb sie. Sogleich erschien der Geist vor ihm.
„Was willst du?“ sprach er. „Ich bin dein Diener und der Diener aller, die die Lampe in der Hand haben. Ich und die anderen Diener der Lampe werden dir gehorchen.“
„Ich befehle dir“, erwiderte der Zauberer, „Aladdins Palast mit allen seinen Bewohnern und mich selbst augenblicklich nach Afrika zu versetzen. Der Palast soll in der Stadt stehen, in der ich wohne.“
„Ich höre und gehorche“, sprach der Geist.
Und im Nu war der Zauberer samt dem Palast Aladdins an den bezeichneten Ort geschafft.
Aber verlassen wir nun den Zauberer und das Schloß in Afrika samt seinen Bewohnern und kehren wir zum Sultan und zu Aladdin zurück. Jeden Morgen trat der Sultan an das Fenster im Erker, um von dort einen Blick auf Aladdins Palast zu werfen und dabei in Liebe seiner Tochter zu gedenken. Auch diesmal schaute er hinüber, aber da sah er nichts als einen leeren Platz. Er rieb sich die Augen, denn er glaubte zu träumen. Aber er konnte kein Schloß entdecken, so lange er auch schaute. Es war ihm unbegreiflich, was geschehen war. Wäre der Palast zusammengestürzt, hätten Schutt und Trümmer auf der Stelle liegen müssen. Hätte ihn die Erde verschlungen, wären doch Spuren davon zu sehen gewesen. Aber so lange er auch wartete, der Platz vor seinem Schloss blieb leer. Da kam ihm seine Tochter in den Sinn, und schon liefen Tränen über seine Wangen. Endlich ging er in sein Zimmer zurück. Eilig befahl er, den Großwesir zu rufen; er selbst wusste nicht ein noch aus. Wirre Gedanken bestürmten ihn.
Der Großwesir ließ seinen Herrn nicht lange auf sich warten. Er kam in großer Eile und sah daher gar nicht, dass der Palast Aladdins verschwunden war. Als er vor den Herrscher trat, bemerkte er dessen Verstörtheit.
„Verzeiht, Herr“, sagte er, „warum seid Ihr in solcher Betrübnis? Ist etwas Außerordentliches vorgefallen?“
„Ja“, erwiderte der Sultan, „etwas ganz Sonderbares hat sich ereignet, und du wirst mir sogleich recht geben. Sag, wo ist der Palast Aladdins?“
„Der Palast Aladdins?“ fragte der Wesir verwundert. „Ich ging soeben vorbei. Und mich dünkt, er ist an seinem Platz. Wie sollte es denn anders sein?“ „Dann geh ins Nebengemach“, antwortete der Sultan, „und schau beim Fenster hinaus! Danach sag mir, was du gesehen hast!“
Kopfschüttelnd ging der Großwesir zum Erker. Von dort schaute er zum Palast Aladdins hinüber. Aber da war nichts zu sehen, weder der Palast noch sonst etwas, solange er auch schaute. Verwirrt kam er zum Sultan zurück. „Nun“, fragte ihn dieser, „hast du Aladdins Palast gesehen?“
„Herr“, erwiderte der Großwesir, „Ihr habt mir nicht glauben wollen! Ich habe schon früher gesagt, dass dieses Schloss ein Werk der Zauberei sei. Aber Ihr wolltet nicht auf mich hören!“
Dies konnte der Sultan nicht leugnen. Aber gerade deshalb wurde er sehr zornig.
„Wo ist Aladdin, dieser Betrüger, dieser Schurke!“ rief er. „Ich lasse ihm sofort den Kopf abschlagen.“
„Herr“, anrwortete der Großwesir, „er hat sich vor einigen Tagen für einen längeren Jagdritt von Euch beurlaubt. Wenn er zurückkommt, wollen wir ihn fragen. Er wird wohl wissen, wo der Palast geblieben ist.“
„Das wäre zu viel Schonung für ihn“, erwiderte der Sultan. „Gib sofort Befehl, daß dreißig Soldaten ihn suchen sollen! Wenn Sie ihn finden, sollen sie ihn in Ketten geschlossen hierher bringen.“
Der Großwesir führte den Befehl sogleich aus. Die Soldaten ritten ab und trafen Aladdin etwa fünf bis sechs Stunden vor der Stadt auf der Heimkehr von der Jagd. Der Anführer ritt an ihn heran. Er grüßte ehrerbietig. Dann sagte er, dass der Sultan Aladdin zu sehen wünsche. Darum wären sie ihm entgegengeritten, und nun wollten sie ihn nach Hause begleiten.
So setzte Aladdin, von der königlichen Leibwache Begleiter, ahnungslos seinen Weg fort. Etwa eine halbe Stunde vor der Stadt umringten ihn die Reiter plötzlich.
„Prinz Aladdin“, sagte der Anführer, „seid uns nicht böse. Der Sultan hat befohlen, Euch zu verhaften und gefesselt vorzuführen. Wir bitten Euch, uns zu verzeihen. Aber wir tun nur unsere Pflicht.“
Als Aladdin dies vernahm, war er wie vor den Kopf geschlagen. Er fühlte sich unschuldig und ahnte nicht, wessen man ihn bezichtige. Er fragte den Anführer, was man ihm vorwerfe. Aber weder dieser noch seine Leute konnten ihm antworten. Da sprang er vom Pferd. „Hier bin ich“, sagte er, „tut mit mir, wie euch der Sultan befohlen hat. Ich bin mir zwar keines Verbrechens bewusst, aber dem Befehl des Herrschers muss ich gehorchen.“
Da nahmen die Soldaten eine lange, dicke Kette. Die warfen sie ihm um den Hals und wanden sie um seinen Leib; dadurch waren auch die Arme gebunden. Einer der Reiter fasste das Ende der Kette. Dann stieg er zu Pferd und ritt mit den andern davon. Aladdin musste zu Fuß hinter her laufen. So wurde er in die Stadt gebracht.
Die Leute in der Vorstadt sahen Aladdin gefesselt wie einen Staatsverbrecher vorbeiziehen. Sie zweifelten nicht, dass es ihm den Kopf kosten werde. Aladdin aber war wegen seiner Freundlichkeit und Freigebigkeit beim Volke äußerst beliebt. Darum bewaffnete sich die Menge mit Säbeln und Steinen und machte Miene, gegen die Reiter vorzugehen und ihn zu befreien. Die letzten Reiter des Zuges machten zu nächst kehrt und suchten die Leute abzuwehren, aber deren Haltung wurde immer drohender. Es blieb den Soldaten nichts anderes übrig, als in der ganzen Straßenbreite zu reiten und so die Menschen an die Hausmauern zu drängen. Die Soldaten waren schließlich froh, mit heiler Haut bis zum Palasttor zu gelangen. Dort nahm der Anführer die Kette und zog Aladdin rasch hinter das schützende Tor.
Aladdin wurde sofort vor den Sultan geführt. Dieser erwartete ihn mit dem Großwesir auf dem Balkon. Der Scharfrichter war schon zugegen, und der Sultan befahl ihm, Aladdin sogleich den Kopf abzuschlagen. Er wollte den Verurteilten weder anhören noch eine Frage an ihn richten. Der Scharfrichter nahm die Kette ab und verband ihm die Augen, hierauf ließ er ihn niederknien. Mit gezogenem Schwert ging er dreimal um Aladdin herum. Währenddessen wartete er auf ein Zeichen des Sultans, den tödlichen Streich zu führen.
Aber die Leute vor dem Tor hatten die ganze Szene beobachtet. Sie sahen, daß Aladdin in höchster Gefahr war. Daher schrien sie, sie würden den Palast erstürmen und dem Erdboden gleich machen, wenn Aladdin das geringste Leid geschehe Der Wesir hörte das Geschrei.
„Herr“, sagte er zum Sultan, „das Volk droht, den Palast zu besetzen. Wir schweben in größter Gefahr. Darum bitte ich Euch, schenkt Aladdin das Leben. Die Leute lieben ihn mehr als uns.“
Da erblaßte der Sultan. Er sah, daß die Menge bereits Miene machte, in den Palast einzudringen. Darum befahl er dem Henker, Aladdin freizugeben. Zugleich ließ er von seinen Herolden dem Volk verkünden, daß er Aladdin begnadige. Jeder möge nun wieder nach Hause gehen.
Diese Nachricht ging von Mund zu Mund. Nun legte sich die Unruhe, und allmählich leerte sich der Platz vor dem Palast.
Aladdin war wieder frei. Er hob sein Haupt und schaute nach dem Balkon hinauf Dort sah er den Sultan stehen.
„Herr“, rief er, „ich danke Euch für die mir erwiesene Gnade. Aber ich bitte Euch, mir eine weitere zu gewähren. Lasst mich gnädig wissen, worin mein Verbrechen besteht.“
„Du kennst dein Verbrechen noch nicht?“ erwiderte der Sultan. „Komm herauf, Schurke, ich werde es dir zeigen!“
Aladdin stieg hinauf „Folge mir“, befahl der Sultan und ging vor ihm her an das Fenster. Er wies mit dem Arm hinaus und sagte: „Nun sieh dich nach deinem Palast um. Du wirst ja wissen, was aus ihm geworden ist.
Aladdin konnte keine Spur seines Palastes erblicken. Er starrte fassungslos hinüber und wusste keine Erklärung. Was sollte er dem Sultan antworten?
„Doch was kümmert es mich, wo dein Schloss ist“, fuhr der Sultan fort. „Tausendmal mehr wert ist mir meine Tochter. Wo ist sie? Schaffe sie mir wieder zur Stelle, sonst lasse ich dir den Kopf abhauen!“
„Herr“, erwiderte Aladdin, „ich weiß ja nicht, wie das geschehen ist. Ich bitte Euch um eine Frist von vierzig Tagen, um alles zu erforschen. Wenn ich innerhalb dieser Frist Eure Tochter nicht herbeischaffe, so will ich selber meinen Kopf zu Euren Füßen hinlegen. Dann könnt Ihr nach Belieben über mich verfügen.“
„Ich gewähre dir die Frist von vierzehn Tagen“, sagte der Sultan. „Aber glaube nicht, diese Gnade missbrauchen zu können. Meinem Zorn wirst du nicht entrinnen. Ich werde dich zu finden wissen, auch wenn du dich im entferntesten Winkel der Erde versteckst!“
Tief gedemütigt entfernte sich Aladdin aus dem Sultanspalast. Er schlich durch den Hof und wagte nicht, die Augen zu erheben. Keiner der Würdenträger des Hofes achtete jetzt mehr auf ihn. Selbst die niedrigen Hofbeamten sahen über ihn hinweg. Viele erkannten ihn gar nicht, so sehr hatte er sich verändert. Er glaubte, den Verstand verlieren zu müssen. Ja, er war wirklich nahe daran. Er ging nun von Haus zu Haus und fragte jeden, ob er seinen Palast nicht gesehen habe. Solche Fragen brachten die Leute auf den Gedanken, dass er irrsinnig sei. Einige lachten, die meisten aber hatten Mitleid mit ihm und gaben im Speise und Trank. Drei Tage irrte Aladdin ziellos in der Stadt umher, und dann wusste er noch immer nicht, wie er seine junge Frau und den Palast wiederfinden sollte.
Endlich verließ er die Stadt. Er achtete nicht darauf, welche Richtung er nahm. Mit Einbruch der Nacht kam er völlig verzweifelt an das Ufer eines breiten Flusses.
„Wo soll ich meinen Palast suchen?“ fragte er sich. „Und wo werde ich meine liebe Frau wiederfinden? In welchem Winkel der Erde mag sie verborgen sein? Nie werde ich das ausfindig machen. Darum ist es besser, ich mache ein Ende.“
Schon war er entschlossen, sich in den Fluss zu stürzen. Aber als frommer Moslem wollte er zuerst sein Gebet verrichten. Er kniete am Ufer des Flusses nieder, um mit den Händen Wasser zu schöpfen. Gemaß dem Gebot wollte er Hände und Gesicht waschen. Da aber die Stelle abschüssig war, glitt er aus, fast wäre er in den Strom gefallen. Im letzten Augenblick konnte er ein aus der Erde ragendes Felsenstück packen und sich daran festhalten. An der Hand trug er immer noch den Ring, den ihm der Zauberer gegeben hatte; mit seiner Hilfe war er in die Schatzhöhle gestiegen, um die Wunderlampe zu holen. Als er sich nun am Felsen festhielt, rieb sich der Ring am Gestein. Sofort erschien der Geist, der ihn damals aus dem unterirdischen Gewölbe befreit hatte.
„Was wünschest du ?“ sagte der Geist. „Ich bin bereit, dir zu gehorchen. Denn ich bin dein Diener und der Diener aller, die den Ring am Finger tragen. Ich und alle übrigen Diener des Rings werden dir gehorchen.“
Aladdin war durch die unerwartete Erscheinung des Geistes aufs höchste überrascht. Aber er fasste sich sofort.
„Geist“, rief er, „zeige mir an, wo sich mein Palast befindet. Oder bring ihn unverzüglich an die Stelle, an der er früher stand.“
„Mein Gebieter“, erwiderte der Geist, „du begehrst Unmögliches von mir. Was du vedangst, ist Sache der Diener der Lampe. Ich aber bin nur Diener des Ringes.“
„Dann nimm mich“, entgegnete Aladdin, „und trage mich zu meinem Palast, in weichem Land er auch sein mag!“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, trug ihn der Geist bereits fort. Mitten auf einer großen Wiese in Afrika setzte er ihn ab. Da stand Aladdin nun gerade unter den Fenstern der Prinzessin Badrulbudur vor seinem Palast. Das alles war das Werk eines Augenblicks. Dankerfüllt betete er zu Allah, er möge ihn seine Gemahlin wiedersehen lassen. Sein Kummer linderte sich bei dem Gedanken, wie nahe er ihr jetzt schon sei. Da es bereits Nacht geworden war, herrschte im Palast völlige Ruhe. Darum trat er unter einen Baum und setzte sich ins Gras. Und weil er schon sechs Tage nicht geschlafen hatte, überwältigte ihn der Schlaf
Als eben die Morgenröte aufstieg, weckte ihn der Gesang der Vögel aus dem Garten seines Palastes. Sein erster Blick fiel auf den wundervollen Bau. Er hatte wieder Hoffnung, seine Prinzessin bald in die Arme schließen zu dürfen, und das machte sein Herz froh und leicht. Nun spazierte er eine Weile unter ihren Fenstern auf und ab. Er hoffte, dass sie ihn erblicken werde.
Die Prinzessin war über die Trennung von ihrem Gatten und ihrem Vater sehr betrübt. Traurig verbrachte sie die Tage. Der Zauberer fand sich jeden Tag bei ihr ein und machte ihr das Leben vollends zur Qual. Die Sorge über ihr ungewisses Schicksal schaffte ihr schlaflose Nächte. Zeitlich am Morgen pflegte sie sich zu erheben. So war sie auch an diesem Morgen wach, als sich der erste Schimmer im Osten zeigte. Als eine Sklavin das Fenster öffnete, bemerkte sie Aladdin. Mit froher Stimme rief sie ihre Herrin herbei. Ungläubig eilte die Prinzessin ans Fenster und schaute hinaus. Da sah sie Aladdin unten an der Mauer stehen. Er hob soeben sein Haupt und erkannte sie sogleich. Er grüßte sie, sie grüßte ihn. Überschwängliche Freude war in beider Mienen zu lesen.
„Kommt rasch durch die geheime Tür in den Palast“, rief die Prinzessin. „Der Elende ist jetzt nicht hier.“
Eine Sklavin öffnete sofort die Geheimtür. Aladdin betrat den Palast. Da kam ihm schon die Prinzessin entgegen. Sie flogen einander in die Arme und weinten vor Glück und Freude. Nach langer Trennung waren sie endlich wieder veremt. Eng umschlungen gingen sie in das Gemach der Prinzessin. Nun wollte Aladdin alles mit ihr besprechen, was zu tun sei.
„Teure Gemahlin“, begann er, „sagt mir vorerst, wo ist die alte Lampe aus meinem Zimmer hingekommen?“
Da erwiderte die Prinzessin seufzend: „Ach, das ist die Ursache meines Elends.“ Und sie erzählte ihm all ihre Erlebnisse vom Umtausch der Lampe bis zu ihrer Entführung.
„Und am nächsten Morgen“, sagte sie abschließend, „befanden wir uns in einer ganz fremden Gegend. Höhnisch teilte mir der Zauberer mit, wie er uns betrogen habe. Mit Hilfe der Lampe hatte er uns hierher nach Afrika versetzt.“
„Wenn dieses Land Afrika ist“, rief Aladdin, „dann kenne ich auch den Bösewicht Er hat mir schon genug angetan. Ich will Euch von all seinen Bosheiten erzählen. Doch sagt mir vorerst, wo er die Lampe verborgen hält!“
„Er trägt sie immer bei sich in seinem Gewande“, erwiderte die Prinzessin. „Ich weiß dies, weil er sie in meiner Gegenwart hervorgezogen hat, um mir Angst einzujagen.“
„Was will dieser Elende von Euch?“ fragte Aladdin besorgt. „Was spricht er, was hat er im Sinn? Ich bitte Euch, sagt mir alles.“
„Seitdem ich hier bin“, erwiderte die Prinzessin, „kommt er täglich einmal zu mir. Er dringt in mich, dass ich Euch vergessen und mein Wort brechen soll; ich solle seine Gattin werden. Dazu behauptet er, Ihr wäret nicht mehr am Leben, der Sultan habe Euch enthaupten lassen. Er sagt auch, Ihr wäret ganz armer Leute Kind, und nur ihm hättet Ihr Eure Reichtümer zu verdanken. Mit süßen Worten versuchte er, mich zu umgarnen, aber ohne Erfolg. Ich habe ihm noch kein freundliches Wort geschenkt. Vielleicht kommt er deshalb nicht öfter zu mir. Trotz dem fürchtete ich, dass er am Ende Gewalt brauchen werde. Doch Eure Ankunft hat mir diese Sorge genommen.“
„Ihr sollt nicht umsonst an meine Ankunft Hoffnungen knüpfen“, unterbrach sie Aladdin. „Ich glaube, ich habe ein Mittel gefunden, das uns von unserem gemeinsamen Feind befreien soll. Ich will jetzt in die nahe Stadt gehen, gegen Mittag werde ich wiederkommen. Dann werde ich Euch meinen Plan und Eure Aufgabe darin mitteilen. Wundert Euch nicht, wenn ich in Verkleidung erscheine. Lasst eine Sklavin bei der geheimen Pforte stehen, wenn ich klopfe, soll sie mir sofort öffnen.“
Die Prinzessin versprach, Aladdins Anweisungen genau zu befolgen. Dieser verließ den Palast durch die Geheimtür und schritt die Wiese entlang. Unfern des Palastes traf er einen Bauern bei der Feldarbeit. Ihm machte er den Antrag, die Kleider mit ihm zu tauschen. Der Bauer weigerte sich zuerst. Aber Aladdin ließ nicht locker, bis der Bauer nachgab. Hinter einem Gebüsch wechselten sie schließlich die Kleider, und Aladdin ging in dem abgetragenen, unscheinbaren Bauerngewand der Stadt zu. Der Landmann aber machte sich mit Aladdins kostbaren Gewändern davon.
Nach mehrmaligem Fragen kam Aladdin in der Stadt in die Gasse der Spezereihändler. Vor dem größten Laden blieb er stehen, trat ein und verlangte von dem Händler ein bestimmtes Pulver. Der Kaufmann sah auf Aladdins ärmliche Kleidung und meinte, das Pulver werde ihm zu teuer sein. Da zog Aladdin aus seinem Beutel ein Goldstück heraus. Nun wog der Kaufmann sofort so viel von dem Pulver aus, wie das Goldstück wert war. Aladdin zahlte und ging. Er brauchte nicht lange an der geheimen Tür zu warten und begab sich sogleich in das Zimmer seiner Gattin.
„Prinzessin“, sagte er, „ich weiß, Ihr hasst Euren Entführer. Was ich Euch zu tun bitte, wird Euch daher nicht schwerfallen. Aber es ist notwendig, mit List und Verstellung vorzugehen. Vielleicht müsst Ihr Euch dabei Zwang antun; aber schließlich wollt Ihr Euren Vater und die Heimat wiedersehen. Hört also meinen Vorschlag: Schmückt Euch so gleich mit den schönsten Gewändern. Legt Diamanten und Perlen an. Wenn der Zauberer kommt, empfangt ihn mit freundlicher Miene und seid so unbefangen, als ob nichts vorgefallen wäre! Ladet ihn zum Abendessen ein; er wird sich darüber freuen. Erwähnt auch, daß Ihr gerne den Wein des Landes kosten wolltet. Er wird dann sogleich Wein holen. Beim Mahle reicht ihm fleißig den Becher! Ist er nach einiger Zeit achtlos geworden, so schüttet dieses Pulver in Euren Becher. Füllt ihn dann wieder mit Wein und bietet dem Zauberer an, die Becher zu tauschen! Er wird diese Gunst zu schätzen wissen und Euren Becher in einem Zug leeren. Wenn er den Wein mit dem Pulver aus- getrunken hat, wird er sofort wie tot hinsinken. Ihr müsst Euch wohl so stellen, als tränket Ihr aus dem Becher; aber Ihr habt dabei nichts zu befürchten. Die Wirkung des Pulvers stellt sich sehr rasch ein. Der Zauberer wird keine Zeit haben, lange auf Euch zu achten.“
„Ich bin bereit zu tun, was Ihr von mir verlangt“, sagte die Prinzessin. „Es wird mich gar große Überwindung kosten, dem Zauberer freundlich zu begegnen. Aber ich will es gerne tun.“
Sodann speiste Aladdin mit seiner Gemahlin. Rechtzeitig verließ er nachher das Schloß; erst bei Anbruch der Nacht wollte er sich wieder bei der Geheimtür einfinden.
Die Prinzessin hatte seit ihrer Entführung ihr Äußeres sehr vernachlässigt. Ihr Schmerz um Aladdin und den Vater war zu groß gewesen. Außerdem wollte sie sich dem Zauberer gar nicht im besten Licht zeigen.
Jetzt aber setzte sie sich an ihren Putztisch. Sie ließ sich aufs prächtigste schmücken und legte das kostbarste Kleid an. Ihr Gürtel strahlte von Diamanten. Um den Hals trug sie ein kostbares Perlenband. Als die Prinzessin völlig angekleidet war, zog sie den Spiegel zu Rate. Es fehlte nichts, was der törichten Eitelkeit des Zauberers schmeicheln mochte. Also setzte sie sich auf den Diwan und erwartete seine Ankunft.
Zur gewohnten Stunde fand sich der Zauberer ein Die Prinzessin erwartete ihn im Kuppelsaal. Im Glanze ihres Schmuckes und ihrer Schönheit begrüßte sie ihn mit freundlichem Lächeln. Sie lud ihn ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Dieses Entgegenkommen war ihm ungewohnt; er war überrascht und geblendet von ihrem Liebreiz und wagte gar nicht, sich an ihre Seite zu setzen. Sie aber wies nochmals auf den Platz zu ihrer Rechten. Da gehorchte er.
Sobald er neben ihr saß, blickte sie ihn liebevoll an. Nun musste er glauben, er sei ihr nicht mehr verhasst.
„Ihr wundert Euch wohl“, sagte sie, „dass ich heute anders bin als sonst. Aber ich habe mir Eure Worte durch den Kopf gehen lassen. Ich bin nun überzeugt, dass mein Gatte Aladdin nicht mehr lebt. Sicher hat ihm mein Vater den Kopf abschlagen lassen. Ich habe keine Hoffnung mehr, ihn wiederzusehen; auch meine Tränen werden ihn nicht mehr zum Leben erwecken. Ich mag aber nicht länger in Trübsal und Kümmernis leben. Darum möchte ich Euch einladen, heute bei mir das Abendessen einzunehmen. Ich bitte Euch auch, einen Schluck Wein mit mir zu trinken. Gerne würde ich den Wein dieses Landes kosten, denn ich kenne bisher nur den Wein aus meiner Heimat, und vielleicht ist Euer Wein besser als der unsere. Ich würde mich sehr freuen wenn Ihr meine Bitte nicht absehlagen wolltet.“
Der Zauberer war außer sich vor Freude. Nun durfte er hoffen, bald weitere Fortschritte in der Gunst der Prinzessin zu machen. Dankbar nahm er die Einladung an und versprach, auch den Wein sogleich herbei zu schaffen. Zu Hause habe er einen Krug voll der besten Sorte. Dieser Wein sei schon acht Jahre in der Erde vergraben und übertreffe die köstlichsten Weine der Welt.
„Prinzessin“, fuhr er fort, „erlaubt mir, zwei Flaschen von diesem Wein zu holen. Ich werde gleich wieder da sein.
„Schickt doch einen Diener“, erwiderte die Prinzessin. „Es tut mir leid, wenn Ihr Euch selbst diese Mühe macht.“
„Herrin“, entgegnete er, „es ist notwendig, dass ich selbst gehe. Niemand kennt nämlich den Ort, an dem sich der Krug befindet. Ich werde nicht lange fortbleiben.“
„Wenn das so ist“, antwortete die Prinzessin, „so geht und kommt bald wieder. Ich will Eure Gesellschaft nicht zu lange missen.“
Der Zauberer war in bester Stimmung über sein vermeintliches Glück. Er lief, so rasch er konnte, um seinen Wein zu holen. In kurzer Zeit war er wieder zurück. Darauf setzten sie sich zu Tisch und speisten zusammen, sie waren fröhlich und guter Laune. Eine Sklavin schenkte die Becher voll. Die Prinzessin trank auf sein Wohl, und er wünschte ihr Gesundheit und langes Leben. So leerten sie manchen Becher. Die Gastgeberin aber hielt sich beim Trinken vorsichtig zurück. Seine Stimmung wurde immer ausgelassener, und die Prinzessin verstand es, ihn mit süffigen Reden noch mehr zu betören. Ahnungslos meinte er, die schönen Worte kämen ihr wirklich vom Herzen. Er glaubte, vor Glück vergehen zu müssen. Seine Sinne verwirrten sich allmählich. Die Prinzessin hatte bemerkt, dass dem Zauberer der Wein bereits zu Kopf gestiegen war.
„ln unserem Land ist es Sitte“, sagte sie zu ihm, „dass zwei gute Freunde beim Trinken die Becher vertauschen. Ist dies in Afrika nicht üblich?“
Ohne seine Antwort abzuwarten, griff sie nach seinem Becher und reichte ihm dafür den ihren. Das Pulver hatte sie in einem unbewachten Augenblick bereits hinein geschüttet. Der Zauberer musste glauben, dass er die Frau völlig erobert habe; er hielt sich für den glücklichsten aller Sterblichen, weil sie ihm einen solchen Liebesbeweis gab.
Ehe er trank, sagte er: „Prinzessin, jetzt weiß ich, wie hoch ich Eure Gunst zu schätzen habe. Nie werde ich vergessen, dass ich aus Eurem Becher trinken durfte. Eure frühere Grausamkeit ist vergessen. Ihr habt mir das Leben wiedergegeben.“
Die Prinzessin langweilte sich bei dem leeren Geschwätz des Zauberers. Deshalb unterbrach sie ihn. „Jetzt wollen wir trinken!“ sagte sie. „Ihr könnt ja nachher weiterreden.“
Sogleich setzte sie den Becher an den Mund und tat, als ob sie trinke. Er aber beeilte sich, es ihr zuvorzutun. Daher leerte er den Becher mit einem Zug. Im selben Augenblick verdrehten sich seine Augen; der Becher entfiel seiner Hand, und er sank wie tot zu Boden. Wie freute sich da die Prinzessin! Alle ihre Dienerinnen jubelten und eilten um die Wette zu der geheimen Tür, um Aladdin ins Schloss zu lassen.
Aladdin kam herauf und betrat den Speisesaal. Dort sah er den Zauberer auf dem Boden liegen. Die Prinzessin kam ihm mit offenen Armen entgegen. Er aber wehrt sie ab.
„Prinzessin“, sagte er, „noch ist es nicht Zeit, das Wiedersehen zu feiern. Ich bitte Euch, geht mit den Sklavinnen in Euer Gemach. Sorgt dafür, daß ich ungestört bleibe. Ich will indessen hier meine Vorbereitungen treffen. Ihr sollt ebenso rasch in die Heimat zurückkommen, wie Ihr von dort weggeführt wurdet.“
Die Prinzessin gehorchte sofort und zog sich mit ihren Dienerinnen zurück. Aladdin schloss hinter ihnen die Tür des Saales, dann trat er zu dem Zauberer und nahm die Lampe aus seinem Gewand. Hierauf zog er seinen Säbel und schlug dem Zauberer den Kopf ab. Anschließend enthüllte er die Lampe und rieb sie. Sogleich erschien der Geist.
„Mein Gebieter“, sprach dieser, „hier bin ich. Was wünschest du?“ „Geist“, entgegnete Aladdin, „trage dieses Schloss unverzüglich in meine Heimat zurück und setze es an dieselbe Stelle hin, wo es früher stand, genau dem Palast des Sultans gegenüber!“
Nach diesen Worten ging Aladdin in das Gemach seiner Gattin. Nun plauderten sie, von Sorgen befreit, über die letzten Ereignisse. Währenddessen nahm der Geist den Palast und setzte ihn an die befohlene Stelle. Sie verspürten dabei nur zwei leichte Erschütterungen, als der Palast aufgehoben und niedergesetzt wurde.
Da Aladdin nichts gegessen hatte, wurde ein reichliches Mahl gerichtet. Sie setzten sich zu Tisch, aßen die köstlichsten Speisen und tranken vom Wein des Zauberers. Fröhliches Geplauder verkürzte ihnen die Zeit. Ehe sie sich versahen, dämmerte der Morgen. Nun erst begaben sie sich zur Ruhe.
Wie war es unterdessen dem Sultan ergangen? Seit der Entführung der Prinzessin hatte er sich immer tiefer in seinen Schmerz verbohrt. Er verbrachte schlaflose Nächte, und tagsüber war er für niemanden zu sprechen. Er suchte keine Ablenkung Für seine trüben Gedanken. Fast stündlich trat er ans Fenster, um nach dem verschwundenen Palast auszuschauen. Er gedachte mit Schmerzen seiner Tochter, denn er wähnte, sie nie wiederzusehen. Tag für Tag vergoss er Tränen um sein einziges Kind, bis seine Augen fast erblindeten.
Auch in diesem Tag eilte der Sultan früh am Morgen zum Fenster, um auf den leeren Platz hinauszustarren. Er rieb sich die Augen – es war keine Täuschung. Vor ihm stand Aladdins Palast. Freude und Fröhlichkeit ergriffen sein Herz. Rasch ließ er sein Pferd satteln. Dann ritt er zu dem Schloss hinüber.
Aladdin hatte den Besuch des Schwiegervaters erwartet. Darum war er schon aufgestanden und hatte sein bestes Staatskleid angelegt. Auch seine Gattin hatte sich von ihren Dienerinnen schmücken lassen. Sie freute sich, den geliebten Vater bald wiederzusehen. Ihre Augen leuchteten und blitzten mit den Edelsteinen ihres Geschmeides um die Wette.
Als Aladdin den Sultan heranreiten sah, eilte er ihm entgegen. Er wollte ihn empfangen und ihm vom Pferde helfen.
„Aladdin“, sagte der Sultan, „zuerst muss ich meine Tochter sehen und sprechen. Dann erst werde ich mit dir reden.“ Da eilte auch schon die Prinzessin die Treppe herunter. Jubelnd warf sie sich ihrem Vater an die Brust. Der Sultan umarmte und küsste sie innig. Tränen der Freude netzten seine Wangen. Dann geleitete Aladdin Vater und Tochter die Treppe empor. Im Gemach der Prinzessin setzten sie sich, um die Freude des Wiedersehens vollends zu genießen.
„Liebe Tochter“, begann der Sultan, „wie ist es dir ergangen? Macht es die Freude des Wieder sehens, dass du mir gar nicht verändert vorkommst? Ich denke, du musst Schreckliches ausgestanden haben. Erzähle rasch, wie alles sich begeben hat.“‚
Da erzählte ihm die Prinzessin ausführlich, was sich seit dem Umtausch der Lampe ereignet hatte. Sie schilderte die Person des Zauberers und erzählte von seiner Zudringlichkeit. Dann berichtete sie von Aladdin und wie er wieder in den Besitz der Lampe gekommen war. Nochmals kam sie auf den widerlichen Zauberer und ihr Unglück zu sprechen.
„Am unglücklichsten aber fühlte ich mich“, fuhr sie fort, „dass ich von Euch und von meinem Gemahl getrennt war. Es schien ja keine Hoffnung vorhanden, Euch je wiederzusehen. Kummer und Schmerz hatten mein Äußeres sehr verändert. Ihr hättet mich kaum mehr er kannt, lieber Vater. Aber der Anblick meines Gatten hat mir schon gestern wieder Freude am Leben gegeben. Da ich Euch in die Augen sehen darf, bin ich nun vollkommen glücklich. Aber vielleicht hat Aladdin noch etwas zu berichten.“
Aladdin hatte nur weniges hinzuzufügen. „Als ich den Zauberer betäubt am Boden liegen sah“, erzählte er weiter, „schickte ich Eure Tochter und die Sklavinnen ins Nebenzimmer. Ich holte die Lampe aus der Brusttasche des Toren. Dann hieb ich ihm den Kopf ab. Durch die Wunderkraft der Lampe ließ ich den Palast wieder hierher versetzen. Und Eure Tochter, erhabener Herr, kann ich Euch unversehrt ans Herz legen. Dass ich meine Gattin wiederhabe, macht mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Von der Wahrheit unserer Erzählung könnt Ihr Euch leicht überzeugen, denn nebenan im Saal liegt noch der Leichnam des verruchten Bösewichts.“
Der Sultan erhob sich und ging mit Aladdin in den Saal. Da lag der tote Zauberer. Der Sultan ließ sogleich die Leiche wegschaffen und sie verbrennen. Die Asche sollte in alle Winde verstreut werden. Aladdin aber umarmte er väterlich.
„Mein Sohn“, sagte er zu ihm, „meine Vaterliebe zwang mich, deinen Tod anzubefehlen. Ich glaubte mein einziges Kind verloren. Daher wollte ich dich als den vermeintlichen Übeltäter bestrafen. Verzeih mir um der Liebe willen, die du zu meiner Tochter hegst!“
Aladdin antwortete: „Herr, ich habe keinen Grund, mich zu beklagen. Was Ihr getan, ist verständlich. Aber ich hatte keine Schuld. Alles Unglück hat nur dieser schändliche Zauberer angerichtet. Er allein war die Ursache, dass ich Eure Gnade verlor. Jetzt hat ihn die gerechte Strafe ereilt.“
Nun ließ der Sultan in der Stadt ein zehntägiges Freudenfest ankünden. Die Rückkehr seiner Tochter und ihres Gemahls sollte gebührend gefeiert werden. Aladdin war nun zum zweiten Mal einer Todesgefahr entronnen.
Wenige Jahre später starb der Sultan, und Aladdin bestieg den Thron. Er herrschte gerecht über seine Untertanen, die ihn liebten und verehrten. Mit seiner Gemahlin aber lebte er ferner in Glück und Freuden. Keine Gefahr bedrohte mehr ihr Leben.
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