Ganz am Ende eines Eskimodorfes lebte eine alte Frau mit ihrem Enkel. Es war eine böse, gehässige Alte, zanksüchtig und geizig wie keine zweite. Und wenn die Leute im Dorf flüsterten, dass sie mit den bösen Geistern im Bunde stehe, so hatten sie nicht einmal so unrecht. Alle gingen ihr lieber aus dem Weg und hüteten sich, sie gegen sich aufzubringen.
Im Nachbarzelt lebte ein junger Jäger, und da er ihr Nachbar war, ließ er es sich angelegen sein, mit der Alten im Guten auszukommen. Von jedem erlegten Wild schnitt er ein Stück Fleisch ab und schickte seine Frau damit zu der Alten. Aber statt Dank bekam die Frau nur jedes Mal zu hören, ihr Mann hätte gut und gern ein größeres und besseres Stück schicken können.
,Das nächste Mal bekommt sie gar nichts‘, nahm sich der Jäger dann immer vor, aber es blieb doch alles so wie bisher, weil er sich nämlich fürchtete, die Alte könne sich an ihm rächen.
Einmal kam ein Fremder zu dem jungen Ehepaar. Niemand wusste, woher er gekommen war, niemand fragte ihn, wie lange er zu bleiben gedenke. Auf jeden Fall musste er ein erfahrener Jäger sein, denn er zog jeden Morgen in die Tundra hinaus und brachte jedes Mal seinen Gastgebern reichen Fang heim. Der junge Mann wollte wie immer auch der Nachbarin davon abgeben, aber der Fremde gebot ihm Einhalt.
„Wer es sich nicht verdient hat, der bekommt auch nichts“, erklärte er.
Und so ließen sie sich’s halt allein schmecken.
Der verlockende Duft, der vom Nachbarzelt aufstieg, trieb die Alte schier zum Wahnsinn. Sie konnte sich wohl denken, wer daran schuld war, dass die Quelle, aus der es sich so gut gelebt hatte, plötzlich versiegt war, und sie schwor sich, den Fremden aus der Welt zu schaffen.
Sie kochte eine Suppe aus Wolfshirn, streute ein giftiges Kraut hinein und murmelte dabei geheimnisvolle Sprüche über dem Kessel.
Dann schickte sie den Enkel zu den Nachbarn, um den fremden Mann einzuladen. „Sage ihm, er möge mich mit seinem Besuch beehren, denn ich hätte für ihn etwas so Gutes gekocht, wie er sein Lebtag noch nicht gegessen und auch nie mehr essen wird“, trug sie dem Jungen auf.
Der Junge ging und richtete den Nachbarn die Einladung der Großmutter aus.
Der Fremde kratzte sich hinterm Ohr und fragte nachdenklich:
„Und was hat deine Großmutter denn für mich gekocht? Ist es vielleicht Fleisch vom Wolf?“
„Ja. . .“, stotterte der Junge, weil die Großmutter ihn ermahnt hatte, die Zunge im Zaum zu halten.
„Also gut“, meinte der Mann lachend. „Sag der Großmutter, ich käme gern, ich würde mich sogar sehr freuen.“
Und dann überlegte er, wie er die Alte überlisten könne. Und es dauerte nicht lange, da hatte er es. Doch ehe er der Einladung nachkam, weihte er seinen Gastgeber ein, dessen Unterstützung er zur Ausführung seines Planes brauchte.
Dann begab er sich gemächlich zu der Alten, die ihn mit geheuchelter Freundlichkeit empfing und ihm eine Schüssel Suppe vorsetzte.
Kaum hatte sich der Fremde gesetzt, da klangen draußen Schritte, und der junge Jäger trat ein und teilte der Nachbarin mit, er wolle ihr ein Stück Fleisch von dem Ren abschneiden, das er eben erlegt hätte, sie möchte doch so gut sein und es sich selbst aussuchen.
Die habgierige Alte konnte natürlich nicht widerstehen und ging mit dem jungen Mann hinaus. Diesen Augenblick nutzte der Fremde, goss schnell die Suppe in einen mitgebrachten Lederbeutel, und aus einem zweiten füllte er die leere Schüssel mit einer anderen Suppe, die ihm die Frau des Jägers gekocht hatte. Als die Alte wieder ins Zelt trat, saß ihr Gast über der Schüssel und löffelte sie gerade schmatzend leer.
Dann wischte er sich zufrieden den Mund ab und erklärte: „So etwas Gutes habe ich wirklich schon lange nicht gegessen. Aber auch ich bin nicht mit leeren Händen gekommen. Bei uns zu Hause ist es Brauch, dass der Gast dem Gastgeber eine Kostprobe vom Besten, was er im Haus hat, mitbringt.“ Er zog unter seiner Jacke den Lederbeutel hervor und goss dessen Inhalt in die Schüssel zurück. „Und nun koste von meiner Suppe!“
Die Alte musste wohl oder übel zulangen. Aber kaum hatte sie ein paar Löffel gegessen, da fiel sie tot um.
Der geheimnisvolle Fremde verschwand noch am gleichen Tag aus dem Dorf und ward nie wieder gesehen.
Und alle waren heilfroh, dass sie die böse Alte endlich loswaren.
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