Heinrich Smidt
Hoch auf den Wellen bewegte sich still und unheimlich der mächtige Rumpf eines Ostindien-Fahrers, der sich der Tafelbai gegenüber befand.
Seit drei Tagen kämpfte er vergebens mit einer Windstille. Die kaum gefüllten Obersegel brachten ihn nur wenig von der Stelle, und die heftige Strömung des Meeres trieb ihn unwiderstehlich seitwärts.
Hundert Augen hingen an der blauen Himmelsdecke, ob nicht irgendwo ein Wölkchen zu erspähen sei, von dem man die Rettung aus der stets wachsenden Gefahr erhoffen könne; aber die war klar und durchsichtig und spiegelte sich in dem glatten Meer wider.
Ein trüber Geist des Unmuts, der noch eine verborgenere Ursache als den der Windstille hatte, beherrschte das Schiff, das den stolzen Namen ›Gelderland‹ führte und der Stolz der holländisch-ostindischen Handelsflotte war. Der böse Geist, der den Frieden aus seinen Kajüten und von seinem Verdeck verjagt hatte, war der Kapitän desselben, Mynheer Claas van Belem, ein stolzer, herrschsüchtiger Mann mit einem versteinerten Herzen und einem belasteten Gewissen. Die Offiziere gingen lautlos auf und ab und warfen verstohlene Blicke nach dem Eingang der Kajüte, fürchtend, dass ihr Oberhaupt erscheinen werde. Die Matrosen ließen sich gar nicht sehen; sie hockten hinter den Booten, dem Spill und den Wasserfässern und flüsterten sich scheu und verstohlen ihre Bemerkungen und Befürchtungen zu.
Ein alter, bärtiger Matrose, der dreimal sieben Jahre auf Ostindien gefahren war, lag auf dem Bugspriet in dem Netz des Stagsegels und schaute auf einen jüngeren Genossen, der dicht unter ihm auf der blinden Rah saß. »Wir gehen hier vielem Unglück aus dem Wege«, sprach der junge Seemann von unten herauf. »Der Dienst auf dem Bugspriet hat sein Gutes. Das auswehende Jacksegel macht, dass wir vom Deck aus nicht gesehen werden können, und das Rauschen vor dem Bug übertönt unsere Worte. Wir können ohne Scheu miteinander reden.«
»Bis uns einer über den Hals kommt, der stark genug ist, uns das Maul zu stopfen: uns hier vorne und denen auf dem Quarterdeck. Hier in der Tafelbai ist nimmer etwas Gutes für einen Seemann zu hoffen und der soll seinen Gott preisen, der sie mit leicht gerefften Segeln rasch durchschneidet. Wir liegen nun schon drei Tage darin, ohne von der Stelle zu kommen, und wenn der erscheint, dessen Namen ein frommer Seemann nicht aussprechen soll, ohne ein Gebet herzusagen –«
»Ich weiß schon«, unterbrach ihn jener. »Ihr meint Vanderdecken, den Fliegenden Holländer.«
»Still, du Unglücksbursche!«
»Nun? Ich werde doch wohl von ihm reden können? Ist sein Name so gefährlich, dass er Euch vergiftet, wenn Ihr ihn in den Mund nehmt? Alles Glück mit Hollands Flagge! Sie wird ebenso ungestört von unserer Gaffel wehen, wenn Kapitän Vanderdecken sich tausend Meilen von uns befindet, als wenn er auf Kanonen-Schussweite in unser Kielwasser steuert; denn, mein guter Schiffsmaat, ich muss Euch nur sagen, dass ich von der Geschichte nicht sonderlich viel glaube und sie eher für altes Weibergeklatsche als für Wahrheit halte.«
Der bärtige Matrose ward blutrot vor Zorn und richtete sich halb auf: »Die Pest auf deinen Leib, du Hund! Noch einmal stoße solche Lästerung aus, und ich gebe dir einen Fußtritt, dass du rücklings in die See fällst!«
Der junge Seemann eilte mit großer Schnelle nach dem Außenende der Rah und rief: »Seht zu, ob Ihr mich hier mit Eurem Fuß zu erreichen vermögt!« Er hielt einige Augenblicke in seiner gefährlichen Stellung aus, dann aber schwang er sich wieder einwärts und sagte: »Meine Ration Genever sollt Ihr zwei Tage hintereinander haben, wenn Ihr mir sagt, ob etwas an dieser Geschichte mit dem Fliegenden Holländer ist, und was Ihr von der Geschichte eigentlich wisst. Denkt nur, zwei Rationen!«
Dieser Versuchung konnte jener nicht widerstehen; er überwand seine Furcht vor dem Gespensterschiff und begann: »War der Kapitän eins großen und mächtigen Schiffs, dieser Vanderdecken; reiches Gut im Raum und böses Volk in seinen Kojen. Er selbst war der Ärgste an Bord und raste und tobte während einer ganzen Reise mit und ohne Ursache. Wenn er aber in seine Kajüte hinabstieg, schloss er sich ein.
Kein Mensch durfte versuchen, hereinzukommen, wenn ihm sein Leben lieb war, und dann gingen die Gräuel erst recht an. Er lärmte und tobte, stampfte mit den Füßen und sprach laut vor sich hin, doch so undeutlich, dass man nicht eine Silbe verstehen konnte. Oft erhielt er auch Antwort von einem Dritten, dessen Gegenwart niemand bemerkte, und wenn dieser sprach, war es ein Lärmen, als ob alle Geister der Hölle zugleich losgelassen würden. Manche wollen sogar gespürt haben, dass es nach höllischem Feuer roch. Gewiss ist es, dass nach einem solchen Versuch jedes Mal ein heftiger Sturm folgte, der das Schiff in die größte Gefahr brachte. Ging nun Kapitän Vanderdecken nach einer solchen, vom Teufel unterstützten, Reise vor Anker, dann begab er sich sogleich ans Land und brachte dort alle Teufeleien an, die er unterwegs von dem alten Höllenburschen gelernt hatte.«
»So trieb er es wohl nicht besonders in Zucht und Ehren«, fragte der junge Matrose, »und es ist am Ende wahr, dass er dem Weibsvolk absonderlich mitgespielt haben soll?«
»Der Teufel lasse ihm seine Niederträchtigkeiten wohl bekommen«, brummte jener. »Er büßt sie jetzt ab und wird büßen müssen bis an das Ende aller Tage. Hoch auf den Dünen der Nordsee und fern von jedem bewohnten Ort hatte er ein großes Haus zum Eigentum, darin trieb er sein Unwesen. Innerhalb der wohlverschlossenen Pforte saß ein altes Hexenweib als Wächterin, die war ihm treu ergeben und mit allen boshaften Ratschlägen schnell bei der Hand. Brachte ihm sein Gevatter Pferdefuß aus den Töchtern des Landes einen fetten Bissen zur Büßung seiner bösen Lust, dann nahm die Alte sie erst vor und richtete sie gehörig ab, damit der gestrenge Gebieter keinen Anlass zur Klage haben sollte. Dafür soll der Teufel dieser Alten besonders geneigt gewesen sein und hat versprochen, ihr den ganzen reichen Nachlass des Gebieters zuzuwenden, wenn er diesem eines Tages den Hals umdrehen werde.«
»Und hat die Hexe diese Erbschaft bekommen?«
»Nichts hat sie bekommen. Der Teufel sagte, sie solle erben, sobald er dem Vanderdecken den Hals umgedreht habe; aber dieser lebt gewissermaßen heute noch, und das ist ja eben die Teufelei, dass der Teufel seine eigene Base bei dieser Gelegenheit betrogen hat. Sie ging leer aus und er braucht das erbeutete Gold nun dazu, um unschuldiges Blut in seinen Schlingen zu fangen. Alle Goldstücke, welche die ostindische Compagnie uns zeigt, sind solche Teufels-Lockspeise, und das ehrliche Seemannsblut geht richtig in die Falle. Ich für mein Teil bin nun schon viermal hineingeplumst, denn eine Reise nach Batavia ist nichts anderes als ein Kreuzzug nach der Hölle, von dem Ihr mit leeren Taschen heimkehrt, und der ärgste Streich, den Euch der Teufel spielt, ist der, dass bei der Abrechnung jedes Mal Null mit Null aufgeht und Ihr von Glück sagen könnt, wenn Ihr eine Handvoll Silbergulden kriegt. Aber um wieder auf den Vanderdecken zu kommen und damit ich meinen Genever ehrlich verdiene: Es wurden in dem alten Hause arge Dinge angestellt und die Mädel waren dir so gelehrig, dass sie das tollste Zeug trieben, was nur von ihnen verlangt wurde. Nun dauerte aber eine solche Freude nicht lange, und wenn er einer Dirne satt war, gab er ihr nicht etwa eine Handvoll Gold und schickte sie fort; nein, er drehte ihr den Hals um, damit sie nicht ausplaudern sollte, wie es bei ihm zugehe. Brach dann die Nacht herein, so steckte er, mit Hilfe seiner Hexe, die Leiche in einen großen Sack; sie schleppten diesen an den Strand und warfen ihn in die See. Wenn nun der Sack hineinplumpste, und die See darüber zusammenschlug, lachten die beiden Bösewichter laut auf, und der Teufel antwortete ihnen von ferne.
Einstmals aber nahm das Ding ein unerwartetes Ende. Der Teufel hatte wieder ein kostbares Stück für seinen Freund ausgesucht und brachte es ihm. Es war ein Mädchen wie Milch und Blut und das Schönste, was Vanderdecken bisher gesehen hatte. Der Teufel hatte sie geraubt, als sie aus der heiligen Messe kam, in demselben Augenblick, als sie dem harrenden Diener das Messbuch zu tragen gab, denn vorher hatte er keine Macht über sie. Man sagt, die Jungfrau habe in jenem Augenblick an ein großes Kirmesfest gedacht, wo sie ihren Herzallerliebsten treffen sollte; darüber sei ihr Gemüt in weltliche Dinge versenkt und die Messe vergessen worden. Dies benutzte der Teufel und führte sie ungesehen nach dem Hause Vanderdeckens. Die alte Hexe gab sich mit dem schönen Kind die allererdenklichste Mühe, aber es wollte ihr nicht gelingen. Alles war vergebens, und wenn die Alte ihr das Sündenleben in den schönsten Farben malte, fiel die Jungfrau auf die Knie und betete um Erlösung aus diesem Elend. Da erwachte der Zorn der Alten und brach maßlos über das arme Kind herein. Sie schlug es und eilte zu Vanderdecken, die widerspenstige Dirne bei ihm zu verklagen. Dieser geriet ebenfalls in Wut und rannte nach dem Flur, wo sich das fromme Mägdelein befand, um sie auch zu züchtigen. Als er ihrer jedoch ansichtig ward und den Heiligenschein bemerkte, der von ihr ausging, bemächtigte sich seiner ein sanfteres Gefühl, und er suchte sie durch freundliche Worte zu kirren. Aber welche Künste er auch versuchen mochte, alles blieb fruchtlos, denn lieber wollte sie ihren Leib mit ihren Nägeln zerfleischen als zugeben, dass er ihn mit seinen unheiligen Händen berühre. Da wurde Vanderdecken noch dreimal zorniger und außer sich rief er: ›Wenn du der Bitte eines Mannes widerstehst, der sich zum ersten Male zu solcher Feigheit erniedrigte, so wollen wir sehen, was die Gewalt über dich vermag. Steh mir bei, Hexenweib! Wir wollen ihr zeigen, wie dem geschieht, der sich dem Willen Vanderdeckens widersetzt!‹ Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als beide über das arme Geschöpf herfielen und sie jämmerlich schlugen. Lange ertrug sie diese barbarische Behandlung nicht, sondern sank tot zu den Füßen ihrer Peiniger nieder. Darüber verzehrte sich Vanderdecken fast vor Zorn und goss all seine Wut auf den Nacken seiner Hexe aus; dann aber nähten sie auch dies Mägdelein in einen Sack und trugen es zum Meer.«
»Das ist eine grauenhafte Geschichte, Schiffsmaat«, sprach der junge Matrose, sich schüttelnd; »wie ward es denn weiter?«
Der Bärtige fuhr fort: »Ich will es zu Ende bringen. Sie schleppten also den Leichnam nach dem Strand und stürzten ihn in die See. Diesmal lachten sie nicht dabei, aber desto lauter lachte der Teufel: denn das ist ein feiner Bursche und er mochte wohl merken, dass er seinen Freund Vanderdecken jetzt beim Schopf habe. Kaum aber war das Gelächter des Teufels verhallt, als man ein helles Klingen vernahm, und obgleich der Himmel von düsteren Wolken eingehüllt war, verbreitete sich doch ein so heller Schein auf dem Meer, als ob es vom Mond beschienen würde. Und in diesem Augenblick tauchte auch die Leiche der frommen Jungfrau aus den Wellen auf, das bleiche Antlitz zu Vanderdecken gewendet und ihm unaufhörlich die Worte zurufend: ›Folge mir! Folge mir!‹ Das brachte ihn so sehr außer sich, dass er sich kopfüber in die See gestürzt hätte, wenn ihn die Hexe nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte, wobei sie vom Teufel tüchtig unterstützt wurde, denn der hatte ihm ein weit schlimmeres Ende zugedacht. Darum flüsterte er dem halb besinnungslosen Kapitän zu, die Jungfrau sei gar nicht tot, und er könne sie für seine Lust retten, wenn er nur wolle.
Kaum hatte der Teufel das gesagt, als auch ein großes Schiff sichtbar wurde, das Vanderdecken bis dahin nicht gesehen hatte, und als er genauer hinsah, entdeckte er, dass es sein eigenes war. Jetzt trieb es ihn an Bord und kaum war er über das Fallreep, so stiegen alle Segel am Mast wie von selbst in die Höhe. Er aber befahl, dem hellen Schein nachzusteuern, der um das Haupt des jungen Mädchens strahle, und den nur er ganz allein erblickte. So trieb er durch die Nordsee, durch den Kanal, am Pic von Teneriffa vorüber, durch den weiten Atlantischen Ozean. Die Mannschaft war nicht wenig über eine so schnelle Abreise verwundert gewesen, und die Offiziere wagten es, bescheiden darum zu fragen. Sie aber erhielten keine andere Antwort als Verwünschungen und dass ein Mädchenhaupt vor ihnen auf der See herumtanze, das von einem Heiligenschein umgeben sei und das er haben müsse. Wenn die Männer solche Äußerungen vernahmen, zuckten sie die Achseln und gingen auf die Seite, denn sie konnten nicht anders glauben, als dass ihr Kapitän um seinen Verstand gekommen sei, und dachten schon daran, ihn abzusetzen. So erreichten sie nun die Tafelbai, eben den Punkt, wo wir uns befinden und wo –«
Die Furcht übermannte den Erzähler abermals; er hielt inne und blickte nach allen Seiten um sich.
»Die Sonne sinkt immer tiefer und bald wird es stockfinster sein; dann ist die Zeit, wo der böse Vanderdecken sich sehen lässt, darum laß uns rasch enden. Er erreichte nun die Tafelbai und hier ging das Ungemach erst recht an; der Wind blies ihm heftig entgegen. Wochen und Monate vergingen, ohne dass er die Bai zu durchschneiden vermochte; bald lag das Schiff über Steuerbords-, bald über Backbords-Halsen, aber immer trieb es während des einen Ganges ebenso viel rückwärts, wie es im vorigen gewonnen hatte, und alle Mühe und Arbeit war vergebens gewesen. Da ergriff den Vanderdecken eine ungeheure Wut. Er lästerte den Namen Gottes und rief: ›Nun will ich hier segeln bis an das Ende aller Tage! Soll ich mir selbst ein Schrecken und Grauen sein, will ich es auch für alle diejenigen werden, die in mein Kielwasser steuern, solange der Wind weht und der Hahn kräht!‹ Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Hahn, der sich in den Hühnerhocken befand, überlaut zu krähen anfing. In demselben Augenblick brach ein heftiger Sturm aus und das Schiff raste, fast auf die Seite geworfen, mit einer solchen Schnelligkeit dahin, wie es noch jetzt die Unglückskinder sehen, die das Schicksal haben, sein Kielwasser zu schneiden.«
Der junge Seemann, der ein sehr aufmerksamer Zuhörer gewesen war, schüttelte sich vor Furcht, denn er hatte schon anderswo gehört, dass derjenige, der des Fliegenden Holländers Kielwasser kreuzt, sich selbst den Lebensfaden durchschneidet und leise wiederholte er sich die Worte Vanderdeckens:
»Solange der Wind weht,
Und der Hahn kräht.«
Die Pfeife des Bootsmanns unterbrach das Gespräch der beiden Maaten. Der Wind hatte etwas geraumt, und die Rahen wurden aufgebraßt. Kaum war die Ordnung wieder hergestellt, als Kapitän Claas van Belem das Deck der ›Gelderland‹ betrat. Er grüßte seine Offiziere mit einem mürrischen Kopfnicken und begann dann nach seiner Gewohnheit das Quarterdeck auf- und abzuschreiten. Überall war sein Auge und überall fand er etwas zu tadeln. Die Offiziere erhielten entweder offene Verweise oder ironische Lobsprüche, und die Matrosen wurden bis in die höchsten Toppe geschickt, um die Launen des Kapitäns auszuführen. Die rascheste Befolgung der Befehle reichte nicht aus, den Unmut des Gebieters zu besiegen, sondern dieser wuchs, und wer in seine Nähe kam, war gewiss, die nachdrücklichsten Beweise seiner Unzufriedenheit zu empfangen.
Auf der Bramsahling des Fockmastes trafen zwei junge Toppgasten zusammen, die hierher auf den Udkiek geschickt waren.
»Hörst das Donnerwetter unter uns, Jantje?«
»Höre es. Ist gerade so, als ob du auf einem Berg stehst; da blitzt und donnert es auch unter dir.«
»Mag sein. Bin niemals auf einem Berg gewesen, außer auf dem Hamburger, da hat es aber nicht gedonnert und geblitzt, wohl aber gepaukt und trompetet. Was, zum Teufel, ist denn wieder los?«
»Weißt es nicht? Der Kapitän trägt in seiner Brust eine Art Ding, das man Gewissen nennt. So groß er auch ist, so ist das kleine Ding doch größer und will subtil behandelt sein, darum hat er es am liebsten, wenn es ruhig schläft. Nun aber wacht das unverschämte Ding mitunter auf und dann soll es ihn unbarmherzig zwicken und zwacken. Sage mir doch, was tat deine Mutter, als du ein kleines Kind warst, und sie dich in den Schlaf bringen wollte?«
»Sie sang mir etwas vor vom weißen Gänschen.«
»So macht’s der da unten auch. Er singt seinen Leuten so viel vom Teufelholen und vom Donnerwetter vor, bis das Gewissen die Kneifzange ruhen lässt.«
»Was hat es denn mit dem bösen Gewissen auf sich? Ist es wahr, dass er eine hübsche Frau hatte?«
»So ist es, Backsmaat! Sie war so schön, dass man sie das Auge von Brabant nannte, denn sie war in Brabant geboren. Sie trug auch ihren Mann auf Händen, aber der hat sich nicht sonderlich um sie gekümmert und sie stets rau und kurz behandelt. Darüber hat sich das arme Weib gegrämt und ist ihm aus dem Wege gegangen. Eines Tages, als der Kapitän unverhofft in den Garten tritt, sieht er seine Frau in einer Laube sitzen und ihr zur Seite einen Mann, der sein Angesicht an der Brust des schönen Weibchens verbirgt. Er soll sehr aufgebracht gewesen sein von Galle und Wein, sonst hätte er doch wohl erst ein wenig näher hingesehen, aber der Teufel hatte ihn schon in den Krallen, darum zog er den Degen und stach beide durch und durch.«
»Alle Wetter!»
»Durch und durch, sage ich dir! Und die Folge davon war, dass er ein paar Tage darauf seine Frau samt ihrem Vater begraben musste.«
»Halt ein mit deiner Geschichte, mich packt der Schwindel!«
»Sei kein Narr, Bursche! Es ist auch schon aus. Weißt du nun, warum ihn sein Gewissen wie das höllische Feuer brennt? Das ist kein Brand, den man so leicht löschen kann.«
»Haben sie ihn denn nicht für seine Untat gestraft?«
»Hat sich was! Mynheer Claas van Belem ist ein reicher, angesehener Mann, und reiche, angesehene Leute haben immer recht. Er wurde zwar in Gewahrsam gebracht, aber die Doktoren steckten sich dazwischen und sagten – gib acht, Junge, du sollst hören, dass ich durch die hohe Schule gelaufen bin, und sollst Respekt vor mir kriegen! – sie sagten, er leide an momentanem Wahnsinn und da könne ihm keiner etwas anhaben.«
»Ein Segel! Ein Segel!« rief der Udkiekmann vom großen Topp.
Die beiden Vortopp-Männer fuhren bei diesem Ruf erschrocken von ihrer Sahling auf; ihr Blick schweifte über den Horizont hin und gleich darauf schrien auch sie: »Ein Segel!«
Es dämmerte schon. Die Nebel brauten auf dem Meere und machten den Blick in die Ferne unsicher. Man sah hoch im Luv etwas Weißes auf den Wellen zittern, es konnte ein Segel, aber auch irgendeine Luftspiegelung sein. In wenigen Minuten war es ganz und gar verschwunden. Die Mannschaft war in Aufruhr. Der Ruf: »Ein Segel!« war den Matrosen durch Mark und Bein gedrungen, sie sahen schon den verdammten Vanderdecken sich ihnen nähern und sie in den Abgrund ziehen. Überall steckte man die Köpfe zusammen, überall war ein unheimliches Flüstern: »Wenn er es ist, haben wir ihn in einer Stunde längsseits.«
»Und dann setzt er ein Boot aus.«
»Das tut er immer. Und Gnade uns Gott, wenn er an Bord kommt; dann bringt er Briefe, über deren Bestellung uns der Atem ausgehen kann.«
»Verdammt sei mein Eifer, an Bord dieses heillosen Schiffes zu gehen! Nun muss ich doch in den Rachen dieses Teufels fahren und kann nicht mit meiner Gesche Hochzeit machen.«
Auch auf dem Halbdeck herrschte einige Aufregung; die Offiziere warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Der Kapitän trat zu ihnen: »Wollen die Offiziere den Matrosen nachäffen, die schon alle den Verstand verloren haben und nach einem Gespenst Ausschau halten, das nirgends als in ihrem Gehirn spukt?«
»Doch, Kapitän!« entgegnete der erste Offizier, ein alter, sturmfester Seemann. »Der Mord hat den Fliegenden Holländer auf das flüchtige Element gebannt, und leicht wittert er Blut. Ich gehöre nicht zu den starken Geistern, die alles hinwegleugnen wollen, was über ihren Horizont geht, und nie werde ich es mir einfallen lassen, das Dasein jenes unheilvollen Schiffes zu leugnen. Mag er immerhin kommen; fest und ruhig will ich ihm entgegensehen, denn ich habe ein unbelastetes Gewissen.«
Der Kapitän biss sich auf die Lippen und ging hastig auf und nieder; die Offiziere erwarteten mit kalter Resignation den Zornesausbruch ihres Gebieters.
»Ein Segel! Ein Segel!« schrie es wieder, und derselbe gespenstische weiße Streifen flog in Luv hin.
»Bootsmann!« rief der Kapitän überlaut. »Achtet auf die Leute! Der erste, der wieder ruft: Ein Segel! soll an den Mast gebunden und gepeitscht werden, bis ihm der Atem ausgeht. Ruhe überall! – Für jedes Wort, das aus dem ungewaschenen Maul eines Matrosen geht, ein Dutzend Hiebe mit der Katze.«
Grabesstille herrschte an Bord des Ostindien-Fahrers; stumm und scheuen Blickes schlichen die Leute aneinander vorüber. Düstere Nebel schaukelten sich auf den Wellen, die Nacht brach unheilverkündend herein.
Ein junger Offizier, ein Verwandter des Kapitäns, wagte es endlich, diesen anzureden. Er erhielt eine kurze, beleidigende Antwort. Jener erwiderte lebhaft. Der Wortwechsel wurde heftiger und außer sich schrie der Kapitän: »Schlagt den Rebellen in Ketten.«
Der junge Offizier trat ganz nahe an ihn heran: »Mich wunderts, dass ihr das Richteramt nicht stehenden Fußes ausübt, und mich dahin sendet, wohin Ihr meinen Oheim und Euer Weib gesendet habt, sollte es auch abermals in momentanem Wahnsinn geschehen.«
Da wich alles Blut aus dem Gesicht des Kapitäns, seine Hände ballten sich krampfhaft, und der Schaum trat ihm vor den Mund. Er griff nach dem Dolch, ein Stoß, und der junge Mann lag röchelnd am Boden.
Ein Schrei des Entsetzens entfuhr den Offizieren, die ihrem sterbenden Kameraden zu Hilfe eilten.
»Jesus Maria und Joseph!« schrie ein junger Portugiese, der hoch auf dem Spill stand und deutete mit der Hand vor sich hin.
Durch die Finsternis wurde die unförmige Gestalt eines riesenhaften Schiffes sichtbar und schwankte geräuschlos vor dem Bug der ›Gelderland‹ vorüber.
Es war der Fliegende Holländer!
Mit stillem Grauen starrten die Matrosen die unheilvolle Erscheinung an, die sich langsam fortbewegte und endlich im Nebel verschwand.
Der Kapitän zog sich in seine Kajüte zurück. Die Offiziere standen auf einem Haufen zusammengedrängt und berieten miteinander, während einige unerschrockene Toppmänner, unter Anleitung des Bootsmanns, die Leiche des jungen Mannes unter Deck trugen. Die Leute rannten in großer Unordnung durcheinander. Keine Ermahnung, kein Befehl der Backsoffiziere vermochte sie zur Ruhe zu verweisen; sie verweigerten den Gehorsam und schickten sich an, Gewalt mit Gewalt zu beantworten.
So ging die Nacht vorüber und der anbrechende Morgen fand den Aufruhr im vollen Gange. Aber als der erste Strahl des Tages über das Deck hinflog, wich der Zorn von den erbleichenden Gesichtern, denn das gespenstische Schiff des entsetzlichen Vanderdecken dehnte sich vor ihnen auf den Wogen und seine Schaluppe stieß von Bord.
Mit Entsetzen sahen Offiziere und Matrosen diesem Schauspiel regungslos zu. Nur der Kapitän blickte trotzig um sich; auf seinem Gesicht sah man keine Furcht und halb drohend, halb spottend rief er über das Deck hin: »Haltet ein starkes Tauende bereit, um es diesem Burschen zuzuwerfen. Wir wollen hören, was er uns zu sagen hat.«
Dieser Befehl ward nicht befolgt, denn alle starrten nach der Schaluppe, die ohne Ruder über die Wellen glitt und gerade auf die ›Gelderland‹ zuhielt. Nur ein Mann befand sich darin und starrte das Schiff unverwandten Blickes an.
Zum ersten Mal beschlich jetzt ein Gefühl der Furcht das Herz des Kapitäns und er unterließ es, seinem Befehl den gehörigen Nachdruck zu geben. Auch sein Auge haftete auf der Schaluppe, die jetzt den Bug streifte und darauf am Fallreep des Steuerbords wie gefesselt lag. Der Seemann, der sich darin befand, stieg das Deck hinan, ging gerade auf den Kapitän zu, der sich an die Spitze seiner Offiziere gestellt hatte und fragte mit einer hohlen Grabesstimme: »Wer seid Ihr und woher kommt Ihr?«
»Wir kommen von Amsterdam. Dies ist das Schiff ›Gelderland‹, und ich bin Claas van Belem, der Befehlshaber desselben.«
»Claas van Belem, Ihr wollt so gut sein, diese Briefe, die Euch mein Kapitän, Mynheer Vanderdecken sendet, mit nach Holland zu nehmen und sie gewissenhaft zu besorgen.«
»Was fällt Euch ein? Wann soll ich diese Briefe besorgen? Jetzt segle ich nach Batavia und erst in sieben Jahren kehre ich nach Amsterdam zurück.«
»Eine kurze Frist! Ihr kehrt immer noch früher zurück als wir, denn wir kreuzen hier in der Tafelbai und finden nimmer das Ende. Nehmt die Briefe!«
Der Ton des gespenstischen Seemannes war so dringend, so Mitleid erregend und furchtbar zugleich; der Blick, den er auf den Kapitän warf, verwirrte diesen so sehr, dass er die Hand ausstreckte und zum großen Entsetzen aller die Briefe annahm.
In diesem Augenblick hob sich eine hohe Gestalt über die Galerie des Gespensterschiffes empor; sie breitete die Arme aus, wie zum Gruße, dann brachte sie das Sprachrohr an den Mund und rief über das Meer hin: »Grüßt die Heimat!« Und gleich darauf war sie wieder verschwunden.
»Das ist Vanderdecken!« sprach der gespenstische Seemann. »Er sendet nur dem einen Gruß, den er dieser Ehre besonders wert hält.«
Und als er das gesagt hatte, war er vom Deck und seine Schaluppe vom Fallreep verschwunden, das Gespensterschiff aber schien vor den Augen der ganzen Mannschaft in den Abgrund zu sinken.
Der Kapitän hielt noch immer die Briefe vor sich hin und las:
»An den ehrenwerten Kaufmann, Mynheer Berend van den Stagen, wohnhaft Stubenhuik 3.«
Der erste Offizier unterbrach ihn: »Das Haus Berend van Stagen ist bereits verschollen und Stubenhuik seit länger als hundert Jahren niedergerissen, um an dieser Stelle eine neue Kirche zu bauen. Ihr seht, der Fliegende Holländer ist nun doch bei uns an Bord gewesen und wir sind verloren.«
Der ausbrechende Sturm verschlang seine Worte und brachte die Tafelbai in solche Aufregung, dass das Schiff binnen wenigen Minuten in die äußerste Gefahr geriet. Schwere Gewitterwolken senkten sich immer tiefer herab und umleuchteten es mit ihren Blitzen. Der Notschrei der Mannschaft verhallte ungehört im Brausen des Sturmes.
Das Schiff ›Gelderland‹ ist nie in Batavia angekommen.
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