Nordamerikanisches Indianermärchen
Es war einmal ein großer Häuptling, der hieß Donner und wohnte im Himmel. Er hatte drei Töchter, die alle junge Männer von der Erde zu heiraten wünschten, aber dem Vater war keiner als Freier recht. Wenn die jungen Männer kamen und um die Töchter warben, wurden sie von Donner getötet.
Er ließ die Freier ins Haus ein, gab ihnen zu essen, aber das Haus war in Wirklichkeit ein
Bärengrube, und die Bären zerrissen die jungen Männer, sobald sie ihren Fuß über die Schwelle gesetzt hatten.
Endlich aber kam ein junger Mann, der auch eine der Töchter gern zum Weibe gehabt hätte. Er näherte sich dem Haus des Häuptlings. Da sah er einen kleinen See, in dem drei Frauen badeten. Der junge Mann versteckte sich und schlich sich zu der Stelle, an der die Kleider der Frauen lagen. Als die Frauen das sahen, schämten sie sich und wollten nicht aus dem Wasser kommen. Sie blieben im Wasser und hielten Rat. Die älteste der Frauen sagte, der junge Mann könne ihre jüngste Schwester haben, wenn er ihr nur ihre Kleider zurückgäbe, aber der junge Mann lehnte ab. Dann sagte sie, er könne ihre beiden Schwestern haben, doch der junge Mann sagte, er wolle sie. Also sprach die Frau schließlich:
»Nun, ich bin ein armes Weib, aber wenn du mir meine Kleider zurückgibst, will ich dir gehören.«
Der junge Mann war einverstanden. Er wandte sich um, und die Frauen kleideten sich an.
Dann gingen sie alle zusammen mit dem jungen Mann zurück zum Haus ihres Vaters.
Unterwegs erklärten ihm die Frauen, dass Donner jeden Mann töte, und wie er es anstellen müsse, um ihm zu entkommen.
Als sie das Haus erreicht hatten, bat Donner den jungen Mann herein und forderte ihn auf, etwas zu essen. Er trat über die Schwelle, wie all die anderen Freier auch, aber es gab eine Tür auf der anderen Seite des Zimmers, durch die entkam er, ehe die Bären ihn packen und zerreißen konnten. Seine Frau wartete auf ihn, und zusammen gingen sie zu ihrem Haus, und sie gab sich ihm hin. Zeitig am Morgen stand der junge Mann auf und lief zum Haus des Häuptlings Donner zurück.
Donner sprach zu ihm:
»Mein Haus ist zu alt. Wenn du mir ein neues Haus machen kannst, sollst du meine Tochter haben.«
Der junge Mann setzte sich hin, stützte seinen Kopf auf die Hände und dachte nach. Sehr angestrengt dachte er nach, und als er den Kopf wieder hob, da stand da ein neues Haus.
Aber Donner weigerte sich, ihm das Mädchen zur Frau zu geben. Er sprach zu dem jungen Mann:
»Mein Garten ist völlig verwildert. Überall liegen Steine, überall wachsen Diesteln. Wenn du meinen Garten in Ordnung bringst, sollst du meine Tochter haben.«
Der junge Mann setzte sich hin, stützte seinen Kopf auf die Hände und dachte nach, und als er nach einer kleinen Weile wieder aufsah, war der Garten sauber und ordentlich. Immer noch weigerte sich Donner, ihm das Mädchen zur Frau zu geben.
Jede Nacht aber ging der junge Mann zum Frauenhaus zu seiner Freundin. Er schlief mit ihr. Sie aber verriet ihm all die Arten, auf die ihr Vater junge Männer zu töten pflegte, doch immer empfand sie Furcht, dass ihr Geliebter dem Donner noch in die Falle gehen könne. Endlich schlug sie vor, in das Dorf des jungen Mannes davonzulaufen. Sie hatten so viele Kleider und Gegenstände, dass man damit mehrere Häuser hätte füllen können, aber der junge Mann machte daraus eine kleine Rolle, die hüllte er in seine Decke, und dann machten sie sich auf den Weg.
Am nächsten Tag entdeckte Donner, dass der junge Mann ihm seine Tochter gestohlen hatte. Sofort machte er sich daran, die Liebenden zu verfolgen.
Der Mann und das Mädchen kamen an einen großen See. Sie verwandelten sich in Schwan und Ente und schwammen zum anderen Ufer.
Als Donner an den See kam, sah er nichts als zwei Wasservögel. Da zog er wieder heim, während die Liebenden ihre wahre Gestalt annahmen und weiterreisten. Donner kam nach Haus und erzählte seiner Frau, was geschehen war.
Sie lachte und sprach:
»Du Dummkopf, die Wasservögel waren der Mann und die Frau.«
Da wurde Donner zornig und machte sich noch einmal an die Verfolgung. Wieder hörten ihn die Liebenden
hinter sich kommen. Der junge Mann sah sich nach einem Versteck um. Da entdeckte er eine Eule, und sie
verbarg den jungen Mann und die junge Frau unter ihrem Gefieder. Als Donner heran war, konnte er keine
Spur von ihnen entdecken. Er sah die Eule, hieb auf sie ein, riss ihr alle Federn vom Leib, aber unter ihren Flügeln vergaß er nachzusehen.
Ohne die Flüchtenden entdeckt zu haben, kehrte er heim, während der junge Mann und die Frau ihren Weg fortsetzten.
Als sie sich nun dem Dorf des Mannes näherten, sagte die junge Frau:
»Ich will hier warten, geh du voraus und erzähl deiner Familie, dass du nicht allein bist.«
Kaum dass der junge Mann gegangen war, begann die Frau vier Häuser zu bauen. Sie holte die Sachen aus der Rolle hervor und füllte die Räume mit Kleidern
und Dingen. Und eines der Häuser bereitete sie für die Mutter des jungen Mannes.
Nicht lange darauf, stürmte der Donner wieder heran. Diesmal wollte er alle Menschen des Dorfes vernichten. Aber seine Tochter zauberte einen Spalt in den Boden. Der Donner fiel hinein bis zur Hüfte und blieb darin stecken. Dann baute die Tochter ein Zelt über seinem Kopf und fütterte ihn durch ein Loch im Zeltdach. Dort blieb er zwei Jahre. Aber schließlich wurde er es leid. Er sagte zu seiner Tochter:
» Wenn du mich herauslässt, will ich heimgehen und euch weiter keine Schwierigkeiten mehr machen.
« Da befreite sie ihn, und er zog fort. Der junge Mann und seine Frau aber lebten in Frieden.
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