Märchen aus Tirol

Es lebten einmal zwei Schwestern, von denen jede ein kleines Mädchen hatte. Bald starb die eine von ihnen, und die andere musste das Kind der verstorbenen Schwester zu sich nehmen. Sie war aber selbst arm und hatte kaum Brot und Kleider für sich und ihre Tochter. Deshalb musste das Mädchen den Unterhalt sauer verdienen und fast alle Arbeiten im Haus verrichten. Eines Tages gab ihr die Pflegemutter einen Krug, um aus einer benachbarten Quelle Wasser zu holen. Allein das Mädchen zerbrach den Krug; darüber wurde die Pflegemutter sehr zornig und sagte: „Du darfst nicht wieder zu mir kommen, bis du einen ähnlichen Krug bringst.“

Das Mädchen bat und weinte, allein sie musste fort. Als sie einige Stunden gegangen war, kam sie zu einem Baum, unter welchem eine Frau mit abgehauenem Kopf saß. Das Mädchen staunte, und noch größer war sein Erstaunen, als das Weib fragte: ob sie an ihr etwas Besonderes bemerkte?

Das Mädchen sagte: „Nein“, und ging weiter.

Bald kam es wieder zu einem großen Baum, unter dem abermals eine Frau saß, die auch keinen Kopf hatte. Diese stellte an das Mädchen die nämliche Frage.

Das Mädchen sagte: „Nein“, und ging schnell weiter, denn es war schon hungrig und durstig.

Da kam sie wieder zu einem Baum unter dem ein Weib saß, welches aber einen Kopf hatte. Das Mädchen bat die Alte um Brot; diese aber sagte: „Geh in die Hütte, die am Ende des Feldes steht, und iss dort den Reis, welchen du in einem Topf finden wirst; wenn aber eine schwarze Katze zu dir kommt, so gib ihr auch von dem Reis.

Das Mädchen ging in die Hütte, fand den Reis und aß, und die Katze bekam auch etwas. Darauf trat das Weib in die Hütte, führte es in eine Kammer, in der Eier auf einem Tisch lagen, und gab ihm die Erlaubnis, drei Eier zu nehmen, aber nur solche, die nicht reden. Dann trug sie dem Mädchen auf, es solle unter jedem Baum, wo früher ein Weib gesessen war, ein Ei zerschlagen. Das Mädchen nahm die drei kleinsten Eier, weil sie die einzigen waren, die nicht sprachen, und ging fort.

Bei dem ersten Baum zerschlug es ein Ei, und es stand ein Wasserkrug vor ihm, der so aussah wie der zerbrochene. Aus dem zweiten Ei wurde ein Wagen mit Pferden, aus dem dritten ein Kästchen mit Gold. Das Mädchen fuhr nun zu seiner Pflegemutter und brachte ihr den Krug, kaufte sich ein Landhaus und lebte in Frieden für sich allein.

Die Pflegemutter wurmte das, und sie schickte nun auch ihre Tochter zu dem Weib. Als das erste Weib das Mädchen fragte, ob es etwas Ungewöhnliches sehe, antwortete es: „Ja, ein Weib ohne Kopf.“ Beim nächsten Baum antwortete es dasselbe. Von dem letzten Weib erhielt auch dieses Mädchen die Erlaubnis, Reis zu essen, aber es solle auch der schwarzen Katze etwas geben. Allein das Mädchen gab der Katze nichts und aß allein. Dann bekam es die Erlaubnis, die drei Eier zu nehmen, welche nicht reden. Und es nahm die größten und ging fort.

Dann wollte es wissen, was in den Eiern enthalten wäre. Es schlug daher ein Ei auf und fand es leer. Deshalb warf das Mädchen das zweite zu Boden, dass es zerbrach; aber siehe da, es kam eine große Schlange hervor. Erschreckt wollte das Mädchen die Flucht ergreifen, da fiel es zu Boden, und das dritte Ei zerbrach. Und es kam aus demselben das Weib ohne Kopf, setzte sich auf die Schlange, die mit Flügeln versehen war, und flog davon. Das Mädchen hatte nun nichts als die zerbrochenen Eier. Das war die Strafe für seinen Ungehorsam und Vorwitz.

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