Märchen aus der Türkei
Es war einmal oder es war einmal nicht, und wenn es auch war, so war es zur Zeit, als meine Mutter noch mein Vater, und ich meiner Mutter Tochter war; als meine Mutter noch meine Tochter und ich meiner Mutter Mutter war. Damals geschah es, dass wir uns auf den Weg machten und gingen, gingen und gingen, wir gingen wenig, wir gingen viel, wir gingen über Berg und Tal, wir gingen sechs Monate lang ununterbrochen, da blickten wir einmal zurück, da hatten wir erst einen gerstenlangen Weg zurückgelegt. Wir machten uns also wieder auf den Weg und gingen so lange, bis wir den Garten des Padischah von Tschinimatschin erreichten. Wir traten ein, dort mahlte ein Müller das Mehl, eine Katze stand neben ihm. Der Katze – wehe die Augen, der Katze wehe die Nase, der Katze wehe der Mund, der Katze wehe die Hände, der Katze wehe die Füße, der Katze wehe die Kehle, der Katze wehe die Ohren, der Katze wehe die Wangen, der Katze wehe das Fell, der Katze wehe der besch …. Schweif.
In der Nähe dieses Landes lebte ein Holzhacker, der nichts anderes als seine Armut besaß und eine sehr zänkische Gattin. Alles Geld, das dieser arme Mann sich erwarb, das nahm ihm seine Frau weg, sodass er nie einen einzigen Para hatte. Wenn das Nachtmahl versalzen war, – und dies geschah wahrlich gar oft, – und der Mann zufällig sagte: »Du hast das Essen versalzen, Mütterchen!« so konnte er Gift darauf nehmen, dass am nächsten Tage nicht einmal ein Salzkörnlein in der Speise sein wird. Wagte er aber zu sagen: »Heute ist die Speise ungesalzen, Mütterchen«, »so tat sie am nächsten Tage so viel Salz in die Speisen, dass ihr Gatte sie kaum kosten konnte«.
Was geschah nun einmal mit diesem armen Mann? Er hielt sich von seinem Verdienst einige Groschen zurück und wollte sich dafür einen Strick kaufen. Aber auch dies fand sein verwünschtes Weib und armer Mann! ehe er sich versah, rief sie: »Was? also hältst du dir vielleicht im Geheimen gar eine Geliebte und trägst ihr dein Geld hin, nicht wahr?« Vergebens schwor der arme Kerl; die Frau glaubte ihm nicht, sie wollte ihm auch nicht glauben. »Aber mein Täubchen,« sagte der Mann, »ich wollte mir ja einen Strick kaufen; dafür brauchte ich das Geld!« »Dass du dich an dem Strick aufhängst,« wünschte ihm die Ehegattin aus der Tiefe ihres Herzens. »Aber wie kannst du so hässlich schimpfen,« beruhigte sie ihr Gatte. »Was ich dir bis jetzt angetan habe, das ist noch lange nicht genug,« tröstete ihn die Frau und – stürzte sich auf ihn, worauf ein Zank, ein Lärm entstand, dass ich selber nicht weiß, wie sie den nächsten Tag erlebt hatten.
Am nächsten Tage stand der Gatte grimmig auf, setzte sich auf einen Esel und trabte den Bergen zu. Seiner Gattin sagte er nur so viel, dass sie sich nicht unterstehe, ihm in den Wald nachzufolgen. Nun tat sie es erst recht. Auch sie setzte sich auf einen Esel und hei! dem Gatten nach. »Wer weiß,« fauchte sie, »was er dort oben auf dem Berge treibt, wenn ich nicht bei ihm bin.« Der Mann sah, dass ihm die Gattin nachfolgte, aber als ob er sie gar nicht bemerken würde, sprach er kein Wort und auf dem Berge angekommen machte er sich sogleich an’s Holzfällen. Die Frau kroch gleich einem ruhlosen Gespenste auf dem Berge hin und her; besah sich alles der Reihe nach, guckte sich alles haarklein an, nur ein verfallener Brunnen entging ihrer Aufmerksamkeit. Und gerade auf den ging sie los.
Der Gatte rief ihr zu: »Pass‘ auf; ein Brunnen ist vor dir; zurück von dort!« Ja freilich, sie hätte seine Worte befolgen sollen, allein sie ging gerade deshalb noch näher. Ihr Gatte rief ihr nochmals zu: »Hörst du nicht, komm‘ zurück; sieh, der Brunnen liegt vor dir!« Die Frau dachte sich, sie solle ihrem Gatten folgen, das wäre ja gar hübsch. Sie machte noch einen Schritt, da wankte die Erde unter ihr, sie glitt aus und schups! war sie im Brunnen. Der Mann dachte sich, dass es am besten wäre, wenn er sich nicht weiter um sie bekümmere; er stieg daher auf seinen Esel und eilte heim.
Am nächsten Morgen bestieg er wieder seinen Esel und als er oben am Berge anlangte, fiel ihm doch seine Gattin ein. »Ich will doch mal sehen,« sagte er, »was mit der armen Frau geschehen ist!« Er trat zur Öffnung des Brunnens hin, guckte hinein, aber von seiner Frau war keine Spur mehr dort zu sehen. Er bedauerte sie und, sie war ja doch seine Frau, und nun zerbrach er sich den Kopf darüber, wohin sie verschwunden sei. Er nahm einen Strick hervor, ließ ihn in den Brunnen hinab und rief in die Tiefe: »Pack den Strick an, Mütterchen, damit ich dich heraufziehe!« Der Mann fühlte gar bald, dass sich eine Last am Ende des Strickes befinde und er nahm alle seine Kraft zusammen und zog und zog am Stricke und o Allah! wen zog er aus dem Brunnen empor? – Ein hässliches Gespenst. Ei, wie erschrak der arme Holzfäller. »Fürchte dich nicht vor mir, armer Mensch,« sprach das Gespenst, »dass dich der allmächtige Allah für deine Tat segnen möge. Du hast mich aus großer Gefahr gerettet, was ich dir bis zum Tage des jüngsten Gerichtes nicht vergessen will.« Der arme Mann staunte ihn fragend an, worin denn wohl diese große Gefahr bestanden sein mag?!
»Viele Jahre hindurch,« begann das Gespenst zu erzählen, »lebte ich friedlich in diesem verfallenen Brunnen; ich kannte bis heute kein Ungemach. Am gestrigen Tage fiel mir ein altes Weib in den Nacken; sie packte mich an den Ohren, aber so arg, dass ich mich nicht für einen Augenblick von ihr losmachen konnte. Es war ein großes Glück für mich, dass du erschienst, den Strick hinab ließest und ihr zuriefst, sie möge ihn anpacken. Anstatt dass sie ihn angepackt hätte, ließ sie mich los; ich ergriff den Strick und gesegnet sei der gütige Allah dafür, denn siehe da! ich bin im Trockenen. Für deine gute Tat, wart‘, ich will dich belohnen; pass auf!«
Nun nahm das Gespenst drei Baumblätter hervor, überreichte sie dem Holzfäller und sprach zu ihm: »Ich gehe jetzt von dannen und krieche in die Sultanstochter hinein Die Maid wird dann krank und ganz hin sein von der vielen Arznei, den vielen Hodschas; aber alles vergeblich! Denn niemand wird ihr helfen können. Auch du wirst davon erfahren, komm‘ dann hin zum Padischah, feuchte diese drei Baumblätter an und wenn du das Antlitz der Maid damit besprengst, so krieche ich aus ihr heraus und du wirst reichlich belohnt.« Der Holzfäller steckte nun die drei Blätter ein, er ging rechts, das Gespenst links, sie trennten sich und die Frau im Brunnen, nun die machte ihnen die geringste Sorge! Doch gehen wir mit dem Gespenste.
Kaum, dass dies Teufelsgezücht den Holzfäller verlassen hatte, so ging es schnurstracks zum Seraj des Padischah und kroch in die arme Sultanstochter. In ihrer Qual brach die arme Maid zusammen und rief fortwährend: »Wehe mein Kopf, wehe mein Kopf!« Man benachrichtigte hiervon den Padischah, er eilte herbei und sah nun seine vor Schmerzen laut schreiende Tochter. Sogleich schickte er nach Ärzten, Hodschas, Räuchergefäßen, aber all‘ dies half nichts. Sie riefen einen anderen, einen dritten, einen vierten Arzt, Hodscha herbei; vergebliche Mühe. Die Maid schrie fortwährend: »Wehe, mein Kopf!« »O mein liebes Kind,« klagte ihr Vater, »wenn ich dein Jammergeschrei höre, glaube ich, dass mir mein Kopf, mein Herz noch mehr wehe tut. Was sollen wir machen? Ich gehe und rufe die Sterndeuter, vielleicht können die uns etwas sagen.« Nun ließ er alle berühmten Astronomen des Landes herbeiholen. Jeder teilte eine andere Art der Heilung mit, aber nichts half der Maid. Doch sehen wir nun nach dem Holzfäller.
Er lebte seine Tage ohne Gattin dahin, langsam vergaß er sie, ebenso auch das Gespenst mit den drei Blättern, samt seinem Versprechen, samt seinem Rat. Einmal als er eben gar nicht daran dachte, kam ein Bote des Padischah aus der Stadt herbei, brachte einen Ferman mit sich und las ihn mit lauter Stimme den Leuten vor: »Schwer erkrankt ist meine Tochter, die Sultansmaid; Ärzte, Hodschas, Sterndeuter haben sie alle angesehen, keiner aber konnte ihr helfen. Wer helfen kann, der komme und helfe ihr; ist er ein Muselmann so erhält er die Sultanstochter und nach meinem Tode das Reich als Lohn: ist er ein Ungläubiger, so sollen; ihm alle Schätze meines Reiches gehören.«
Der Holzfäller wusste nun genug. Es fielen ihm sofort das Gespenst, die drei Blätter und seine Frau ein. Er ging hin und meldete sich beim Boten, dass er mit Allahs Hilfe die Sultanstochter heilen wolle, wenn sie bis dahin am Leben bleibt. Der Padischah ließ ihn nun eilig ins Seraj holen. Kaum war er im Palaste angelangt, so wurde er in’s Gemach der Kranken geführt. Die Maid schrie fortwährend; »Wehe mein Kopf, wehe mein Kopf!« Der Holzfäller nahm die drei Blätter hervor, feuchtete sie an und kaum hatte er damit die Sultanstochter besprengt, so ward sie sofort so gesund als ob sie nie eine Krankheit gehabt hätte. Hei, da erhob sich eine Freude und Lust im Seraj; man gab dem Holzfäller die Sultanstochter hin, der arme Mann war des Padischahs Schwiegersohn.
Dieser Padischah hatte einen andern Padischah zum Freund, dessen Reich in der Nachbarschaft lag. Wie und wie nicht, auch dessen Tochter wurde vom Gespenst des Brunnens in seine Macht genommen. Auch diese ward von derselben Krankheit gequält und auch ihr half keine Arznei. Man suchte und forschte so lange herum, bis man erfuhr, auf welche Weise die Sultanstochter des Nachbarreiches von demselben Übel befreit wurde. Der Padischah schickte nun seine Leute zu seinem Nachbarn und bat ihn um Allahs Willen, er möge ihm seinen Schwiegersohn schicken, damit dieser auch seine Tochter heile. Wenn er sie heile, so gebe er ihm seine Tochter zur Frau.
Der Padischah schickte also seinen Schwiegersohn, damit er auch diese Maid heile, es koste ihn ja keine große Mühe. Er konnte nicht widersprechen und machte sich auf den Weg. Als er ankam, wurde er sogleich in’s Zimmer der Kranken geführt. Siehe da, wieder hatte er es mit dem Gespenst aus dem Brunnen zu tun. Aber der Kamerad brummte den Armen gewaltig an. »Du hast mir eine Wohltat erwiesen,« sagte das Gespenst, »aber das kannst du nicht sagen, dass ich dein Schuldner geblieben bin. Ich habe wegen dir die schöne Sultanstochter verlassen und mir eine andere erwählt; nun willst du mir auch diese nehmen? Na, warte nur, weil du so an mir handelst, so nehme ich dir auch die andere!«
Darüber erschrak der arme Mann gewaltig. »Ich bin ja nicht wegen der Maid gekommen,« sagte er, »sie ist dein rechtmäßiges Eigentum und wenn du willst, so kannst du dir auch meine nehmen.« »Also was suchst du hier?« fragte das Gespenst. »Wehe die – die Frau, meine Frau aus dem Brunnen,« seufzte der gewesene Holzfäller, »sie war meine Gattin; ich habe sie ja deshalb im Brunnen zurückgelassen, damit ich von ihr frei werde.«
Nun erschrak das Gespenst gewaltig und fragte, ob sie vielleicht wieder zum Vorschein gekommen sei. »Ja leider, sie ist wieder da!« seufzte der Mann, »sie folgt mir auf Schritt und Tritt nach und ich habe nicht den Mut dazu, mich von ihr loszureißen Ei sieh‘ da, dort steht sie schon bei der Türe, nun da ist sie!« Das Gespenst brauchte nichts mehr. Es ließ die Sultanstochter sofort im Stich, verließ das Seraj, die Stadt, das Land und niemals hörte man von ihm etwas. Kein Menschenkind hat es seither gesehen. Die Sultanstochter ward sofort gesund; auch diese gab man dem Holzfäller hin, der sie als zweite Gattin heimführte.
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