Josef Haltrich
Es gingen
einmal der Verstand und das Glück auf Reisen, um sich die Welt zu besehen und
die Menschen mit ihren Gaben zu erfreuen. Da trafen sie einen Schäferjungen, der
lag an der Straße und schlief. „Wie wäre es“, sprach das Glück zum Verstand,
„wenn wir gleich einen Versuch machten; ziehe du jetzt in den Knaben ein!“ Dem
Verstand war das recht, und er stieg in das Haupt des Knaben. Als dieser
erwachte, rieb er sich die Augen und dachte: „Ei, wozu hier immer die Schafe
hüten, du willst dein Glück in der Stadt versuchen.“ Gleich machte er sich auf
und kam zu einem Uhrmacher und verdingte sich als Stallknecht. In kurzer Zeit
machte er sich bei seinem Herrn sehr beliebt, denn seine Pferde waren bald die
schönsten in der ganzen Stadt. Dem Jungen aber war die Arbeit im Stall nicht
genug; darum ging er, wenn der Meister und die Gesellen bei Tisch waren,
insgeheim in die Werkstatt und verbesserte die Uhren. Die Gesellen merkten das
endlich und sprachen zum Meister: „Es muss jemand, während wir essen, in die
Werkstatt kommen, denn unsere Arbeit ist immer fortgeführt, aber weit besser,
als wir sie gemacht hätten; denn alles daran hat Schick und Gestalt.“ – „Dem
will ich bald auf die Spur kommen!“ sagte der Meister, und als die Gesellen
wieder bei Tisch waren, stellte er sich insgeheim ans Fenster und guckte in die
Werkstatt. Nur einmal sah er den Stallknecht, wie er eine Uhr nach der andern
zur Hand nahm und besserte. Nach einer Weile konnte er sich nicht mehr halten,
sondern öffnete die Türe und rief: „Du also bist der große Meister! Wohlan, du
gehörst nicht in den Stall und sollst fortan mein erster Geselle sein!“ Das war
der Junge zufrieden und machte nun bald so künstliche Uhren, dass alle Welt sich
darüber verwunderte.
Da geschah es, dass der König eines Tages ausschreiben ließ, er habe eine
kostbare Uhr, die sei verdorben; wer sie wieder herstelle, dem gebe er
fünftausend Gulden; wer es aber unternehme und es gelänge ihm nicht, dem koste
es das Leben. Nun fand sich lange kein Uhrmacher, weder Meister noch Geselle, im
ganzen Reiche, der sich’s unterstehen wollte. Als der Schäferjunge das hörte,
ging er sogleich zum König und bat um die Uhr, er wolle sie ausbessern. Der
König schüttelte das Haupt und sprach: „Junge, Junge, das kannst du nicht! Es
kostet dir dein Leben; keiner der vielen Meister hat sich getraut, und du willst
es besser verstehen?“ Aber der Junge entgegnete voll Zuversicht, es müsse ihm
wohl gelingen und er fürchte nichts für sein Leben. Da ließ der König die Uhr
herbeibringen, und der Knabe nahm gleich seine Werkzeuge zerlegte sie, besserte,
besserte, setzte sie wieder zusammen, und siehe da, als man sie an Ort und
Stelle hing, so ging sie wie vordem, und der König hatte große Freude. Er gab
ihm nicht nur die fünftausend Gulden, sondern hielt ihn auch bei Hofe und machte
ihn zu seinem Wirtschafter. Von Tag zu Tag wurde der Junge dem König werter.
Dieser hatte aber eine einzige Tochter, die hatte in ihrem Leben nie gelacht,
und das kümmerte den Vater sehr. Darum hatte er bestimmt, dass derjenige sie zum
Weibe haben solle, der sie zum Lachen bringe, wer es aber unternehme und es
gelänge ihm nicht, dem koste es das Leben. Schon viele Freier hatten es
versucht, doch alle hatten den Tod gefunden, nun wagte es lange niemand mehr.
Als der Schäferjunge davon hörte, so stieg es ihm zu Gedanken, und nach einiger
Zeit trat er vor den König und sprach:
„Ich möchte deine Tochter wohl lachen machen!“ – „Armer Junge, das kannst du
nicht“, sprach der König, „es wäre ja schade um dein Leben, lasse ab davon.“
Aber der Junge hörte nicht auf zu bitten, bis der König es endlich zuließ. Er
begab sich mit einem Minister zur Königstochter, trat ehrerbietig vor sie und
fing an zu erzählen. „Drei Wanderburschen, ein Bildhauer, ein Maler und ein
Sprachmeister, unternahmen zusammen eine Reise. Als sie in einen Wald gekommen
waren, machten sie ein Feuer an und setzten sich herum. Da nahm der Bildhauer
einen jungen Stamm und schnitzte daraus eine Jungfrau, darauf nahm sie der Maler
und gab ihr durch Farben Schönheit, darauf nahm sie der Sprachmeister und lehrte
sie sprechen. Wem von den dreien gehört nun die lebendige Jungfrau von Rechts
wegen? Niemand weiß das zu beantworten.“ Da lachte die Königstochter und rief:
„Das versteht sich doch von selbst, dem Sprachmeister!“
Der Junge freute sich und ging mit dem Minister schnell zum König, und dieser
fragte sogleich: „Hat sie gelacht?“ – „Ja!“ sprach der Junge ganz fröhlich.
„Nein!“ rief der Minister ernst. Da bat der Junge, der König solle einen anderen
Minister zu der Jungfrau schicken und sie fragen lassen. Das tat der König; auch
der sprach: „Nein!“ – „So schicke noch einen dritten.“ Es geschah, doch auch der
kam zurück und sprach: „Nein!“ – „Jetzt kann ich dir nicht helfen!“ sagte der
König ganz traurig, „was Gesetz ist, ist Gesetz, und danach musst du den Tod
erleiden!“ Schon hatte man den Jungen bis zur Richtstätte geführt, da kam just
das Glück, das war bisher allein in der Welt herumgegangen, dazu und rief dem
Verstand leise, dass niemand es hören konnte: „Du hast deine Schuldigkeit getan,
jetzt ist es an mir; komme heraus und lasse mich hinein!“ Kaum war das
geschehen, so hörte man Trompetengeschmetter und eine fröhliche Musik, und in
einer Kutsche kam der König und seine Tochter hergefahren und hielten hoch ein
weißes Tuch zum Zeichen der Gnade. Jetzt klärte sich die Sache auf, und weil die
Minister so boshaft gelogen hatten, wurden sie anstatt des Jungen gehängt.
Dieser aber musste sich nun neben die Königstochter in die Kutsche setzen und
fuhr mit ihr heim. Da wurde eine glänzende Hochzeit gefeiert, die vier Wochen
lang dauerte, und der Junge wurde bald König, und das Glück wohnte bei ihm und
verließ ihn nicht bis an sein Ende.
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