zurück || Homepage

Münchhausen
Die zweite Mondreise


Erinnert ihr euch noch, wie ich auf den Mond klettern musste, um meine silberne Axt wieder zu holen? Nun, später geriet ich ein zweites Mal auf den Mond, freilich auf viel angenehmere Art und Weise. Ein entfernter Verwandter von mir, ein sehr wohlhabender Mann, plante eine Expedition. Es müsse, sagte er, ein Land geben, dessen Einwohner solche Riesen seien wie die im Königreich Brobdingnag, von dem Gulliver berichtet hat. Er wolle dieses Land finden, und ich solle ihn begleiten. Ich hielt zwar das Ganze für ein Märchen, aber er hatte mich, wie ich wusste, als Erben eingesetzt, und so war ich ihm schon eine kleine Gefälligkeit schuldig.

Wir fuhren also los und kamen bis in die Südsee, ohne dass uns etwas Nennenswertes begegnet wäre, wenn man von ein paar fliegenden Männern und Frauen absieht, die in der Luft Menuett tanzten. Erst am achtzehnten Tage, nachdem wir die Insel Otaheiti passiert hatten, begannen die Abenteuer, und zwar mit einem unheimlichen Orkan, der unser Schiff, etwa tausend Meilen hoch, in die Luft hob. Dort oben, über den Wolken, segelten wir dann sechs Wochen und einen Tag, bei stetiger Brise, dahin, bis wir ein großes Land entdeckten. Es war rund und glänzend und glich einer schimmernden Insel. Wir gingen in einem bequemen Hafen vor Anker und an Land. Tief unter uns sahen wir, mit unseren Fernrohren, die Erdkugel mit ihren Seen, Flüssen, Bergen und Städten, winzig wie Spielzeug.

Die Insel, das merkten wir bald, war der Mond. Die Bewohner ritten auf dreiköpfigen Geiern durch die Luft, als seien es Pferde. Da gerade Krieg war, und zwar mit der Sonne, bot mir der Mondkönig eine Offiziersstelle an. Ich lehnte aber ab, als ich hörte, dass man statt Wurfspießen große weiße Rettiche nähme und Pilze als Schilde. So ein vegetatischer Krieg, sagte ich, sei nichts für mich.

Außer den Mondriesen traf ich auch Bewohner des Hundssterns. Sie reisen als rührige Kaufleute durchs ganze Weltall, sehen wie große Bullenbeißer aus und haben die Augen links und rechts unter der Nase. Da die Augen lidlos sind, decken die Leute beim Schlafengehen die Augen mit der Zunge zu. Die Hundssternbewohner messen im Durchschnitt zwanzig, die Mondmenschen sogar sechsunddreißig Fuß. Sie heißen aber nicht Mondmenschen, sondern »kochende Geschöpfe«, weil sie ihre Speisen, genau wie wir, auf dem Herd zubereiten. Das Essen kostet sie wenig Zeit. Sie öffnen einfach ihre linke Seite und schieben die Mahlzeit direkt in den Magen. Das geschieht außerdem nur einmal im Monat, also zwölfmal im Jahr. Auch sonst haben sie ein recht bequemes Leben. Die Tiere, aber auch die »kochenden Geschöpfe« selber wachsen auf Bäumen, in sechs Fuß langen, nussähnlichen Früchten, die man, wenn sie reif sind, pflückt, einige Zeit lagert und schließlich in heißes Wasser wirft. Nach ein paar Stunden springen dann die fertigen Geschöpfe heraus. jedes der Wesen ist schon vor der Geburt auf seinen künftigen Beruf vorbereitet, ob nun als Soldat, Professor, Pfarrer oder Bauer, und beginnt sofort nach der Geburt den vorbestimmten Beruf auszuüben.

Sie haben an jeder Hand nur einen Finger, tragen den Kopf unter dem rechten Arm und lassen ihn, wenn sie auf Reisen oder zur Arbeit gehen, normalerweise zu Hause. Sie können's aber auch umgekehrt machen, den Kopf fortschicken und den Körper daheim lassen. Die Augen können sie in die Hand nehmen und dann damit genauso gut sehen, als hätten sie die Augen im Kopfe. Wenn sie eins verlieren, macht das nichts. Man kann sich ein neues in Spezialgeschäften kaufen, in jeder Farbe und gar nicht teuer. Als ich auf dem Mond war, waren gerade gelbe Augen Mode.

Ehe ich es vergesse: der Bauch dient den Mondleuten als Rucksack und Handtasche. Sie stecken alles, was sie mitnehmen, in ihn hinein wie in einen Schulranzen und können ihn nach Belieben auf- und zumachen. Und wenn sie alt geworden sind, so sterben sie nicht, sondern lösen sich in Luft auf und verfliegen wie Rauch überm Dach.

Ich muss zugeben, dass das alles recht seltsam klingen mag. Aber es hat trotzdem seine Richtigkeit, und wer auch nur im geringsten daran zweifelt, braucht nur auf den Mond zu reisen und meine Angaben nachzuprüfen. Dann wird er mir abbitten und bestätigen, dass ich von der Wahrheit so wenig abgewichen bin wie kein anderer Mondreisender sonst. Faustdicke Lügen aufzutischen war mir mein Leben lang verhaßt. Ich kann's nicht ändern. So, und nun will ich ein Glas Punsch trinken. In meinem Zwölfliterglas. Prosit !