Der Wunschring
Ein junger Bauer, mit dem es in der Wirtschaft nicht recht vorwärtsgehen wollte, saß auf seinem Pflug, ruhte einen Augenblick aus und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Da kam eine alte Hexe vorbeigeschlichen und rief ihm zu: ,,Was plagst du dich und bringst's doch zu nichts? Geh zwei Tage lang geradeaus, bis du an eine große Tanne kommst, die frei im Walde steht und alle anderen Bäume überragt. Wenn du sie umschlägst, ist dein Gluck gemacht."
Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm sein Beil und machte sich auf den Weg. Nach zwei Tagen fand er die Tanne. Er ging sofort daran, sie zu fällen. Als sie umstürzte und mit Gewalt auf den Boden schlug, fiel aus ihrem höchsten Wipfel ein Nest mit zwei Eiern heraus. Die Eier rollten auf den Boden und zerbrachen. Und wie sie zerbrachen, kam aus dem einen Ei ein junger Adler heraus, und aus dem andern fiel ein kleiner goldener Ring. Der Adler begann sogleich zu wachsen, bis er wohl halbe Manneshöhe hatte, schüttelte die Flügel, als wollte er sie probieren, erhob sich etwas über die Erde und rief dann.
,,Du hast mich erlöst! Nimm zum Dank den Ring, der in dem andern Ei gewesen ist - es ist ein Wunschring. Wenn du ihn am Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch in dem Ring. lst der getan, so hat der Ring alle weitere Kraft verloren und ist nur wie ein gewöhnlicher Ring. Darum überlege dir wohl, was du dir wünscht, auf dass es dich nicht nachher gereue."
Darauf erhob sich der Adler hoch in die Luft, schwebte lange noch in großen Kreisen über dem Haupt des Bauern und schoss dann wie ein Pfeil der Sonne zu, bis er verschwand.
Der Bauer nahm den Ring, steckte ihn an den Finger und machte sich auf den Heimweg. Als es Abend war, langte er in einer Stadt an. Da stand der Goldschmied im Laden und hatte viele köstliche Ringe feil. Da zeigte ihm der Bauer seinen Ring und fragte ihn, was er wohl wert sei. ,,Einen Pappenstiel !" versetzte der Goldschmied. Da lachte der Bauer laut auf und erzählte ihm, dass es ein Wunschring sei und mehr wert als alle Ringe zusammen.
Doch der Goldschmied war ein falscher, ränkevoller Mann. Er lud den Bauern ein, über Nacht bei ihm zu bleiben, und sagte: ,,Einen Mann wie dich mit solchem Kleinod zu beherbergen, bringt Glück. Bleib bei mir !" Und er bewirtete ihn aufs schönste mit Wein und glatten Worten. Nachts zog er ihm unbemerkt den Ring vom Finger und steckte ihm statt dessen einen ganz gleichen, gewöhnlichen Ring an.
Am nächsten Morgen konnte es der Goldschmied kaum erwarten, dass der Bauer weiterzog. Er weckte ihn schon in der frühesten Morgenstunde und sprach: ,,Du hast einen weiten Weg vor dir. Es ist besser, wenn du dich früh aufmachst."
Sobald der Bauer fort war, ging er eiligst in seine Stube, schloss die Läden, damit niemand etwas sähe, riegelte dann auch noch die Tür hinter sich zu, stellte sich mitten in die Stube, drehte den Ring und rief: ,,Ich will gleich hunderttausend Taler haben !"
Kaum hatte er dies ausgesprochen, so £ing es an, Taler zu regnen, harte, blanke Taler, und die Taler schlugen ihm auf Kopf, Schultern und Arme. Er fing kläglich an zu schreien und wollte zur Tür springen. Doch ehe er sie erreichen und aufriegeln kannte, stürzte er, am ganzen Leib blutend, zu Boden. Aber das Talerregnen nahm kein Ende. Bald brach von der Last die Diele zusammen, und der Goldschmied mitsamt dem Geld stürzte in den tiefen Keller. Darauf regnete es immer weiter, bis die Hunderttausend voll waren, und zuletzt lag der Goldschmied tot im Keller und auf ihm das viele Geld.
Von dem Lärm kamen die Nachbarn herbeigeeilt, und als sie den Goldschmied tot unter dem Geld liegen fanden, sprachen sie: ,,Es ist doch ein großes Unglück, wenn der Segen knüppeldick kommt!" Darauf kamen die Erben und teilten das Geld unter sich auf.
Unterdes ging der Bauer vergnügt nach Hause und zeigte seiner Frau den Ring. ,,Nun kann es uns gar nicht fehlen, liebe Frau, sagte er, ,,unser Glück ist gemacht. Wir wollen uns nur recht überlegen, was wir uns wünschen wollen." Doch die Frau wusste gleich guten Rat. ,,Was meinst du", sagte sie ,,wenn wir uns noch etwas Acker wünschten? Wir haben gar so wenig. Da reicht so ein Zwickel gerade zwischen unsere Äcker hinein, den wollen wir uns wunschen.
,,Das wäre der Mühe wert", erwiderte der Mann. ,,Wenn wir ein Jahr lang tüchtig arbeiten und etwas Glück haben, können wir ihn uns vielleicht kaufen." Darauf arbeiteten Mann und Frau ein Jahr lang mit aller Anstrengung. Und die Ernte war noch nie so reich wie dieses Mal, sodass sie sich den Zwickel kaufen konnten und noch ein Stück Geld übrigblieb. ,,Siehst du", sagte der Mann, ,,wir haben den Zwickel, und der Wunsch ist immer noch frei."
Da meinte die Frau, es wäre wohl gut, wenn sie sich noch eine Kuh wünschten und ein Pferd dazu. ,,Frau", entgegnete abermals der Mann, indem er mit dem übriggebliebenen Geld in der Hosentasche klimperte, ,,was wollen wir wegen solch einer Lumperei unsern Wunsch vergebenl Die Kuh und das Pferd kriegen wir auch so."
Und richtig, nach abermals einem Jahr waren die Kuh und das Pferd reichlich verdient. Da rieb sich der Mann vergnügt die Hände und sagte:
,,Wieder ein Jahr den Wunsch gespart und doch alles bekommen, was man sich wünschte. Was wir für ein Glück haben !"
Doch die Frau redete ihrem Mann ernstlich zu, endlich einmal an den Wunsch zu gehen. ,,Ich kenne dich gar nicht wieder", sagte sie ärgerlich. ,,Früher hast du immer geklagt und gebarmt und dir alles mögliche gewünscht, und letzt, wo du's haben kannst, wie du's willst, plagst und schindest du dich, bist mit allem zufrieden und lässt die schönsten Jahre vergehen. König, Kaiser, Graf, ein großer, dicker Bauer könntest du sein, alle Truhen voll Geld haben - und kannst dich nicht entschließen, was du wählen willst."
,,Lass doch dein ewiges Drängen und Treiben", erwiderte der Bauer. ,,Wir sind beide noch jung, und das Leben ist lang. E i n Wunsch ist nur in dem Ring, und der ist bald vertan. Wer weiß, was uns noch einmal zustößt, wo wir den Ring brauchen. Fehlt es uns denn an etwas? Sind wir nicht, seit wir den Ring haben, schon so hinaufgekammen, dass sich alle Welt wundert? Also sei vernünftig. Du kannst dir ja mittlerweile überlegen, was wir uns wünschen könnten."
Damit hatte die Sache vorläufig ein Ende. Und es war wirklich, als wenn mit dem Ring der volle Segen ins Haus gekommen wäre, denn die Scheuern und Kammern wurden von Jahr zu Jahr voller und voller. Nach einer längeren Reihe von Jahren war aus dem kleinen, armen Bauern ein großer, dicker Bauer geworden, der den Tag über mit den Knechten schaffte und arbeitete, als wolle er die ganze Welt verdienen, nach der Vesper aber behäbig und zufrieden vor der Haustür saß und sich von den Leuten guten Abend wünschen ließ.
So verging Jahr um Jahr. Dann und wann, wenn sie ganz allein waren und niemand es hörte, erinnerte zwar die Frau ihren Mann immer noch an den Ring und machte ihm allerhand Vorschläge. Da er aber jedes Mal erwiderte, es habe noch vollauf Zeit und das Beste falle einem stets zuletzt ein, so tat sie es immer seltener, und zuletzt kam es kaum noch vor, dass auch nur von dem Ring gesprochen wurde. Zwar der Bauer selbst drehte den Ring wohl zwanzigmal am Finger um und besah ihn sich, aber er hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen.
Und dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und seine Frau waren alt und schneeweiß geworden, der Wunsch aber war noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade und ließ sie beide in einer Nacht selig sterben.
Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und weinten. Als eins von ihnen den Ring abziehen und aufheben wollte, sagte der älteste Sohn: ,,Lass den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. Er hat sein Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein liebes Andenken. Und die Mutter besah sich den Ring auch so oft. Am Ende hat sie ihn dem Vater in ihren jungen Tagen geschenkt."
So wurde denn der alte Bauer mit dem Ring begraben, der ein Wunschring sein sollte und keiner war und doch so viel Glück ins Haus gebracht hatte, wie ein Mensch sich nur wünschen kann. Denn es ist eine eigene Sache mit dem, was richtig und was falsch ist. Und schlecht Ding in guter Hand ist immer noch sehr viel mehr wert als gut Ding in schlechter.