Die Werwölfin
Märchen aus Kroatien
Es ist schon lange her, als die Menschen
noch an Werwölfe glaubten,
aber es soll sie einstmals gegeben haben,
und deshalb möchte ich euch
diese wahre Geschichte
von einer Werwölfin erzählen. Es lebte in dieser Gegend
ein Graf mit seiner hübschen Tochter.
Diese verliebte sich in einen gemeinen Soldaten
und sagte ihrem Vater,
dass sie nur diesen und keinen anderen zum Manne nehmen wolle.
Natürlich gefiel dies dem Grafen gar nicht,
denn das wäre für ihn eine große
Schande gewesen, wenn sein Töchterchen
einen einfachen Soldaten geheiratet hätte,
und so wollte er dies auf keinen Fall zulassen.
Deshalb ließ er, nachdem er davon erfahren hatte,
seine Tochter zu sich kommen, und sprach:
„Liebes Töchterchen, ich habe erfahren,
dass du einen gemeinen Soldaten liebst
und nur diesen zum Manne nehmen möchtest.
Das wäre für mich eine Schande,
und deshalb schlage ich dir den jungen Baron vor,
der bereits einmal um deine Hand angehalten hat.“
„Den stolzen Baron nehme ich nicht!“,
bekam er zur Antwort. „Ich will meinen Soldaten oder keinen!“
„Dann schlage ich dir den jungen Grafen vor,
der auch schon einmal um deine Hand angehalten hat“,
sprach ihr Vater. „Den eingebildeten Grafen nehme ich nicht!“,
rief sein Töchterchen.
„Ich will meinen Soldaten und sonst keinen!
Eher würde ich mich zu Tode kränken
und mich darnach in eine Werwölfin verwandeln,
als den Stolzling oder den Einbildling
zu heiraten!“ Dies verdross ihren Vater derart,
dass er befahl, seine Tochter
so lange in ihre Kammer einzuschließen,
bis sie sich eines Besseren besonnen hätte.
Jedoch diese besann sich nicht eines Besseren,
sondern starb vor Kummer. Ihr Geliebter verließ die Stadt,
um sich bei einem anderen Regimente anwerben zu lassen.
Nachdem des Grafen Töchterlein gestorben war,
wurde ihr Leichnam in der Dorfkirche aufgebahrt.
In der ersten Nacht hielt der verschmähte Baron
an der Schwelle der Kirchentüre Wache.
Nachdem die Kirchturmuhr
eine Stunde vor Mitternacht geschlagen hatte,
erhob sich die verstorbene Jungfrau
aus ihrem Sarge. „Wie hungrig ich bin“,
schluchzte sie und suchte die ganze Kirche
nach etwas Essbarem ab. Nachdem sie nichts gefunden hatte,
ging sie hinaus und sah den Baron auf Totenwache.
Sie stürzte sich von hinten auf ihn
und fraß ihn mit Haut und Haar.
Nur die Knochen blieben von ihm übrig.
Als die Kirchturmuhr Mitternacht schlug,
legte sie sich in den Sarg und war wieder tot.
Am nächsten Morgen ging der Graf zur Kirche,
um nach dem Adeligen zu sehen,
aber er fand nur dessen Knochen. „Mein Gott!“,
rief er aus.
„So ist meine Tochter wirklich eine Werwölfin geworden
und hat den Baron gefressen!“ In der zweiten Nacht
hielt der verschmähte Grafensohn
an der Schwelle der Kirchentüre Wache.
Nachdem die Kirchturmuhr
eine Stunde vor Mitternacht geschlagen hatte,
erhob sich die verstorbene Jungfrau
aus ihrem Sarge. „Wie hungrig ich bin“,
schluchzte sie und suchte die ganze Kirche
nach etwas Essbarem ab.
Nachdem sie nichts gefunden hatte,
ging sie hinaus und sah den Grafen auf Totenwache.
Sie stürzte sich von hinten auf ihn
und fraß ihn mit Haut und Haar.
Nur die Knochen blieben noch von ihm übrig.
Als die Kirchturmuhr Mitternacht schlug,
legte sich Werwölfin wieder in den Sarg
und war wie tot. Am nächsten Morgen ging der Graf zur Kirche,
um nach dem Adeligen zu sehen,
aber er fand nur dessen Knochen. „Mein Gott!“,
rief er aus.
„So hat meine Tochter auch noch den Grafensohn gefressen!
So kann das nicht weitergehen!“
Er ließ aus der Nachbarstadt
den Soldaten holen,
den seine Tochter so gerne geheiratet hätte,
denn er dachte sich:
„Wenn sie überhaupt jemanden verschont,
dann ihn.“ Der Soldat kam auch,
um in der dritten Nacht vor der Kirche
Totenwache zu halten.
Auf dem Wege dorthin saß am Wegesrande
ein alter Bettler,
der ihn um eine kleine Gabe bat. Alles, was er hatte,
schenkte der Soldat dem Alten,
denn wozu auch hätte er all den Tand
am nächsten Morgen noch gebrauchen können?
Jedoch dieser Greis war Gott selbst.
Dank sei ihm und Ehr! „Ich weiß, dass du dich fürchtest,
als Dritter gefressen zu werden
und deshalb will ich dir helfen“,
sprach der Alte zum Soldaten.
„Zähle deine Schritte vom Glockenturme
bis zur Kirchenschwelle ab. Wenn die Turmuhr
eine Stunde vor Mitternacht geschlagen hat,
so entferne dich ebenso viele Schritte
von der Schwelle, aber blicke dich ja nicht um.“
Der Jüngling bedankte sich bei dem Bettler,
wie er meinte, und zählte seine Schritte vom Glockenturme
bis zur Kirchenschwelle ab. Nachdem die Turmuhr
eine Stunde vor Mitternacht geschlagen hatte,
entfernte er sich so viele Schritte von der Schwelle,
wie er zuvor gezählt hatte. Die verstorbene Jungfrau
hatte sich wiederum aus ihrem Sarge erhoben und weinte:
„Wie hungrig ich bin.“
Darnach suchte sie die ganze Kirche
nach etwas Essbarem ab. Nachdem sie nichts gefunden hatte,
ging sie hinaus und sah den Soldaten in der Ferne.
Sie eilte ihm nach,
jedoch da schlug die Turmuhr gerade Mitternacht.
Damit war der Spuk vorbei und die Jungfrau erlöst.
„Bist du zu mir gekommen, Liebster?“,
frug sie und umarmte und küsste ihn.
„Hat denn mein Vater gedacht,
dass ich dich auch auffressen würde?“
Die erlöste Werwölfin
nahm ihren Herzallerliebsten bei der Hand,
und beide gingen in die Kirche. Am nächsten Morgen begab sich der Graf
sofort nach Sonnenaufgang zur Kirche,
um nachzusehen, wo der Soldat sei.
Nachdem er keine Knochen vorfand,
schaute er durch ein kleines Fenster
in die Kirche hinein, und was erblickte er?
Er sah sein Töchterchen und den Soldaten,
Hand in Hand, sich herzlich unterhaltend.
Da ging er sofort in die Kirche hinein
und gab den beiden seinen väterlichen Segen,
denn er war froh und zufrieden,
dass seine Tochter nun keine Werwölfin mehr war,
sondern wieder am Leben. Hätte er schon zuvor so gedacht, dann wäre all das
nicht passiert, aber ich hätte euch auch nicht
die Geschichte von der Werwölfin erzählen können,
die sich angeblich wirklich so zugetragen hat.
Dank sei Gott, dem Herrn!
Dieses Märchen wurde mir von Klaus Streichert zur Verfügung gestellt.
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