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Der verzauberte Kaiser
Eine der bekanntesten Bergsagen ist die Kyffhäusersage, die auch von den Bergleuten unserer Heimat immer wieder erzählt und weitergetragen worden ist. Der Kyffhäuser ist ein Bergrücken am Rande des Thüringer Beckens. Nach einer alten Überlieferung soll der Kaiser Friedrich, der vor über 600 Jahren lebte, im Innern des Bergmassivs auf seine Wiederkehr warten: Ein Bergmann ging einst am dritten Ostertage auf den Kyffhäuser. Dort fand er an der hohen Warte einen Mönch sitzen mit einem langen, weißen Barte, der ihm bis auf die Knie reichte. Als dieser den Bergmann sah, klappte er ein großes Buch zu, worin er gerade gelesen hatte und sagte freundlich zu ihm: "Komm mit mir zum Kaiser Friedrich, der wartet seit einer Stunde auf uns. Der Zwerg hat mir schon die Springwurzel gebracht." Dem Bergmann schauerte es über den Rücken, als er dies hörte, doch der Mönch beruhigte ihn und sprach so lange freundlich auf ihn ein, bis er doch den Mut fasste mitzugehen. Allerdings musste er dem Mönch versprechen, keinen Laut von sich hören zu lassen. Sie gingen nun auf einen freien Platz, der ringsum von einer Mauer umschlossen war. Dort in der Mitte machte der Mönch einen großen Kreis mit seinem Krummstabe und schrieb wunderbare Zeichen in den Sand. Dann las er lange Zeit mit lauter Stimme aus dem großen Buche Gebete vor, die der Bergmann aber nicht verstand. Endlich schlug er mit seinem Stabe dreimal auf die Erde und rief: "Tue dich auf!" Da entstand unter ihren Füßen ein dumpfes Getöse, wie bei einem fernen Gewitter. Die Erde begann zu zittern und zu beben. Und plötzlich sinken der Bergmann und der Mönch, der seine Hand ergriffen hat, mit dem Boden, soweit der Kreis gezeichnet war, ganz sanft in die Tiefe hinab. Unten treten sie zur Seite, und der Boden steigt wieder langsam hinauf. Sie befinden sich nun in einem großen Gewölbe. Der Mönch geht mit festen Schritten voran, der Bergmann zögernd hinterher. So kommen sie durch lange Gänge, bis es beginnt, immer dunkler um sie herum zu werden. Bald aber entdecken sie eine ewige Lampe, und der Bergmann bemerkt, dass sie sich in einem geräumigen Kreuzgang befinden. Hier entzündet der Mönch zwei Fackeln für sich und seinen Begleiter. Weiter geht nun die Wanderung durch die Gänge, bis sie schließlich vor einem großen, eisernen Kirchtor ankommen. Wieder beginnt der Mönch zu beten und hält dann die Springwurzel hoch und ruft: "Öffne dich, Tür!" und sogleich springen mit Donnerkrachen alle eisernen Riegel und Schlösser auf. Sanft schwingt das Tor auf. Vor sich sehen sie nun eine runde Kapelle, deren schimmernder Boden spiegelglatt wie Eis ist. "Hier brechen sich alle diejenigen die Beine, die nicht gut und gottesfürchtig gelebt haben. Sie kommen nie wieder zurück auf die Erde", flüstert der Mönch dem Bergmann zu. Die Decke und die Seitenwände des runden Gewölbes flimmern im Licht der Fackeln; große Zapfen aus Kristall und Diamanten hängen von der Decke herab, zwischen ihnen auch solche aus Gold. Links sieht der Bergmann einen goldenen Altar, rechts ein goldenes Taufbecken mit silbernem Fuß. Der Mönch winkt seinem Begleiter, gerade in der Mitte des Raumes stehenzubleiben und gibt ihm eine Fackel in jede Hand. Er selbst geht nun zu einer ganz aus Silber getriebenen Tür, klopft dreimal mit dem Krummstab dagegen, und wieder öffnet sich die Tür auf geheimnisvolle Weise. Plötzlich flutet helles Licht in die eben noch dämmrige Kapelle, und was er nun sieht, lässt den Bergmann vor Staunen fast aufschreien: Gegenüber der Tür sitzt auf einem goldenen Thron der Kaiser Friedrich, nicht etwa aus Stein gehauen, nein, ganz lebendig, mit einer goldenen Krone auf dem Kopfe, die jedes Mal sich bewegt, wenn er seine großen Augenbrauen zusammenzieht. Sein langer Bart ist durch den steinernen Tisch, der vor ihm steht, hindurchgewachsen und reicht ihm bis auf die Füße hinab. Eindringlich blicken seine grauen Augen auf den Bergmann, der unter diesem Blick zu zittern beginnt ... Doch schließlich tritt der Mönch heran und zieht seinen Begleiter schweigend fort. Die silberne Pforte schließt sich, und auch das eiserne Tor schlägt donnernd hinter ihnen zu. Nach einem langen Rückweg, der sie auch wieder durch den Kreuzgang führt, kommen sie in der vorderen Höhle an. Langsam senkt sich der kreisrunde Boden herab, beide treten darauf und schweben sanft zur Erdoberfläche zurück. Oben angekommen will der Bergmann, der so lange geschwiegen hatte, seiner Erregung endlich Luft machen. Als er aber gerade ansetzen will, nun die vielen Fragen zu stellen, die ihn bewegen, da hebt der Mönch den Finger an die Lippen und bedeutet ihm zu schweigen. Er reicht ihm zwei kleine Stangen von unbekanntem Erz, die er aus der Kapelle mitgebracht hat und ist plötzlich im milden Glanz der Abendsonne verschwunden. Bis heute sollen die Nachkommen des Bergmannes im Besitz der beiden Erzstücke sein und glauben, dass der Kaiser im Kyffhäuser immer noch auf seine Wiederkehr wartet.
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