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Die versteckte Königstochter
Josef Haltrich
Es war einmal ein junger
Kaufmannssohn, den schickte sein Vater, weil er zum Geschäft nichts
taugte und den ganzen Tag immer nur geigen wollte, fort. Als der
Junge wegzog, sah er auf der Gasse einen Knaben, der mit zwei
Hölzchen immer geigte.
Das gefiel ihm. "Willst du
vielleicht auch geigen lernen?" - "O ja!" sprach der Knabe, "wenn
nur jemand mich lehrte!" - "So komme mit mir!" sprach der
Kaufmannssohn, "ich will dich lehren!" und so tat er's auch. Beide
gingen nun in die Welt und er geigten sich ihr Brot. Auf der Straße
aber trafen sie einmal einen Mann mit einem Bären. Der Kaufmannssohn
gab ihm all sein Geld für den Bären. Da sagte sein Schüler: "Warum
hast du das getan, wovon sollen wir jetzt leben?" - "Warte nur, wir
wollen geigen, und der Bär soll tanzen; so bekommen wir schon wieder
Geld! ". Als aber der Bär nicht recht tanzen wollte, schlug ihn der
Kaufmannssohn tot und ließ sich selbst in die Haut nähen, und zwar
so, dass man ihn für einen rechten Bären halten sollte. Darauf kamen
sie auch in die Residenz; der Schüler geigte, und der Kaufmannssohn
als Bär tanzte, und zwar so schön und künstlich, dass alle Leute
herbeikamen und zusahen. Und wenn der Fiedler falsch griff und
schlecht geigte, schlug ihn der Bär; denn er konnte ja selbst besser
geigen, da er den Knaben gelehrt hatte; allein das wussten die Leute
nicht; sie glaubten, es sei ein rechter Bär, und deshalb lachten sie
dann so sehr, wenn er das Geigen besser verstehen wollte.
Nun bekam auch der König
Kunde davon und ließ beide vor sich kommen und den Knaben geigen und
den Bären tanzen;
da musste er über die lustige Gestalt des Bären auch lachen. Er
hatte aber auch eine sehr schöne Tochter, die war nun groß, und er
wollte sie niemandem zum Weibe geben, damit er selbst sich immerfort
an ihrer Schönheit erfreue. Er hatte sie aber in einen Berg
versteckt, wo außer ihm und einem treuen Diener keine Seele den
Zugang wusste; und er hatte ausschreiben lassen, wer sich um seine
Tochter bewerbe, müsse sie suchen, und wer es dann unternähme und
fände sie nicht, der verliere sein Leben. Dadurch hatte er gehofft,
alle Freier abzuschrecken; allein es hatten doch einige Königssöhne
das Wagstück unternommen, alle aber ihren Tod gefunden; jetzt kam
lange keiner mehr, und das war dem König recht. Nun, da er den
drolligen Bären gesehen, dachte er bei sich: "Deine Tochter hat so
wenig Freude im Berge, du musst ihr doch auch einmal ein Vergnügen
gönnen!" und er ließ durch seinen treuen Diener den Bären zu ihr hin
geleiten. Es führten aber dahin drei Türen. Zu der ersten fand sich
der Schlüssel unter einem Felsstein; der Diener nahm ihn und sperrte
auf; vor der zweiten aber stand ein alter Jude mit einem langen
Bart; der Diener zupfte ihn am Bart, und es fiel daraus der
Schlüssel zur Türe. Darauf kamen sie an die dritte; hier hielt ein
wilder Löwe Wache; der Diener zupfte ihn an den Mähnen, und der
Schlüssel zur Türe fiel herunter; er öffnete und führte den Bären
hinein. Die Königstochter saß eben in Gedanken, sang vor sich hin
und spielte die Zither. Als der Bär die Musik hörte, fing er
sogleich an zu tanzen, und die Königstochter musste über die Maßen
lachen, und der Bär machte ihr so viel Spaß, dass sie ihren Vater
bitten ließ, er möge ihn längere Zeit bei ihr lassen. Kaum war der
getreue Diener fort, so fing nur einmal der Bär an zu reden und
sprach: "O schöne Königstochter, ich bin kein Bär, sondern ein
Mensch wie du und ein junger Kaufmannssohn; komme nur und schnüre
mir das Gesicht auf, so wirst du es sehen!" Da pochte der
Königstochter das Herz vor Freude, denn sie hatte außer ihrem alten
Vater und dem alten Diener lange keinen Menschen gesehen. Sie
schnürte ihn schnell auf und sah den schönen Jungen, und weil er ihr
gefiel, so schnürte sie schnell wieder zu, noch ehe der Diener
kommen konnte, und sagte ihm, wie er sie von ihrem grausamen Vater
erwerben könne. Er wusste aber schon alles. Als der Diener zurückkam
und die Erlaubnis brachte, dass der Bär noch länger dableiben könne,
sagte die Königstochter: "Führe ihn nur gleich hinaus, ich bin
seiner schon satt!"
Kaum war der Bär draußen dem Geiger übergeben worden, so zogen beide
in den Wald; der Kaufmannssohn legte das Bärenfell ab und zog schöne
Kleider an, ging darauf am andern Morgen in die Stadt und meldete
sich beim König, er wolle seine Tochter suchen. Der König lachte und
sprach: "Wenn du ein Narr sein und dein Leben verlieren willst,
meinetwegen!" Es war aber die zwölfte Stunde mittags bestimmt, bis
zu der er sie finden sollte; sonst koste es sein Leben. Der Junge
war lustig und guter Dinge, nahm eine Büchse und ging auf die Jagd,
um sich die Zeit zu vertreiben. Da sah er ein Wildschwein und wollte
gleich schießen: "Lasse das gut sein; ich will dir dafür einmal
beistehen! Nimm hier diese Borste, und wenn du in Not bist, so drehe
sie nur, und gleich bin ich da!" Er setzte ab, nahm die Borste und
ging weiter. Nun sah er bald einen Adler, der fraß an einem Hasen,
gleich zielte er und wollte losdrücken; da rief der Adler: "Lasse
das gut sein; ich will dir dafür helfen! Nimm hier diese Feder, und
wenn du in Not bist, so drehe sie, und gleich bin ich bei dir!'' Er
setzte ab, nahm die Feder und ging seines Weges. Nur einmal sah er
den Tod, der lag nahe an einem tiefen Abgrund und schlief: "Ha!"
dachte er, "der Menschenverderber soll endlich doch mein Blei
schmecken!" Er legte an und wollte losdrücken; indem erwachte der
Tod und sah die Gefahr, in der er schwebte. "Um des Himmels willen,
schieße nicht, welch ein Unglück würde es sein auf Erden, wenn ich
nicht mehr wäre! Siehe aber, ich will dir's vergelten; nimm hier
diesen Knochen, und wenn du in Not bist, so drehe ihn einmal, und
gleich bin ich da!" Er setzte ab, nahm den Knochen und ging. Er sah
nach der Zeit, da fehlte nur eine halbe Stunde noch; da eilte er
schnell zu dem Berg. Er holte den Schlüssel zur ersten Türe gleich
unter dem Felsstein hervor und öffnete; er zupfte den Juden am Bart
und schloss die zweite Türe auf; er schüttelte dem Löwen die Mähnen
und nahm den dritten Schlüssel und kam zur Königstochter, die schon
lange auf ihn gewartet hatte. Er nahm sie züchtig bei der Hand und
führte sie zu ihrem Vater und sprach: "Das Meinige habe ich getan,
jetzt ist es an Euch, Herr König, zu erfüllen, was Ihr versprochen
habt!"
Aber der Alte wollte seine Tochter nicht verlieren und sagte daher
zum Kaufmannssohn ganz zornig: "Noch nicht! Erst musst du ein Zimmer
voll verschimmelten Brotes in einer Nacht aufessen, wenn du meine
Tochter haben willst!" Der Kaufmannssohn wusste sich lange nicht zu
helfen; er nahm die Borste und drehte. Alsbald war das Wildschwein
da und eine ganze Menge anderer Schweine, und das Brot war auf
einmal fort und auch der Boden noch geleckt. Am andern Morgen
verwunderte sich der König sehr, dass dem Jungen auch dies gelungen
war; aber voll Ärger rief er: "Noch bekommst du sie nicht; erst
musst du ein Zimmer voll Erbsen in einer Nacht auflesen, dass nicht
eine einzige dableibt!" In der Nacht nahm der Junge gleich die Feder
hervor und drehte; sogleich war der Adler da und brachte alle Vögel
mit, und in einem Augenblick war keine einzige Erbse zu sehen. Als
am folgenden Morgen der alte König sah, dass auch diese Aufgabe
vollführt war, stieg sein Zorn auf das höchste und er rief: "Nein,
ich gebe sie dir doch nicht, nie und nimmermehr!" Da nahm der
Kaufmannssohn den Knochen hervor und drehte. Alsbald kann der Tod
und schleppte den alten König fort.
Die Königstochter aber
reichte dem Jungen die Hand, und sie hielten eine fröhliche
Hochzeit. Der Kaufmannssohn ward nun König; er wollte seinen Geiger
zum Minister machen, aber dem gefiel das nicht; er gab ihm nun viel
Geld, und so zog der in ein anderes Land und wurde da ein reicher
Mann.
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