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Die Teufelsleiter Bei Lorch, an der Grenze des Rheingaus, sieht man noch die wenigen Überreste der alten Ritterburg Nollich. Hier wohnte vormals der Ritter von Lorch, ein wackerer Degen, aber von unfreundlicher Gemütsart. An seiner Pforte klopfte einst, in stürmischer Nacht, ein kleines, altes Männlein und bat um Herberge. Der Ritter wies den seltsamen Fremdling ab mit unsanften Worten. »Das will ich dir gedenken«, brummte das Männlein in seinen grauen Bart und zog von dannen. Der Ritter dachte an den Vorgang nicht weiter, als aber des andern Tags zu Tisch geläutet wurde, da war seine Tochter, ein schön aufblühendes Mägdlein von zwölf Jahren, nirgends zu finden. Man schickte Boten aus, und zuletzt ging der Vater selbst, sie aufzusuchen. Ein Hirtenknabe, bei dem er Kunde einzog, erzählte: Er habe in der Frühe ein Mägdlein gesehen, das drüben, am Fuße des jähen, unzugänglichen Kedrichs, Blumen gebrochen. Da seien plötzlich einige kleine, graue Männlein auf sie zugekommen, hätten sie bei den Armen ergriffen und wären mit ihr den steilen Berg so behende hinaufgesprungen wie auf ebenem Boden. »Ach«, setzte der Knabe hinzu, und seufzte, »das sind gewiss die schlimmen Berggeister, die in dem Kedrich hausen und so leicht erzürnt werden.« Der Ritter sah mit Schrecken nach der Bergspitze und erblickte jetzt wirklich seine Gerlinde, die oben stand, und es kam ihm vor, als streckte sie ihre Hände nach ihm aus. Er versammelte alsbald seine Leute, ob vielleicht einer darunter die Höhe erklimmen möchte, aber jeder Versuch misslang. jetzt befahl er ihnen, Werkzeuge herbeizuholen und einen Weg in den Berg zu machen. Sie gehorchten mit größter Bereitwilligkeit; allein die Arbeiter hatten kaum ihr Werk begonnen, als von dem Gipfel ein Steinregen herabflog, der alles zur Flucht nötigte. Zugleich rief eine Stimme, die aus dem Berg zu kommen schien: »So vergelten wir die Gastfreundschaft auf Lorch." Der Ritter wendete alles an, um seine Tochter aus den Händen der Unholde zu befreien. Er tat mancherlei Gelübde und spendete reichliche Almosen den Klöstern und den Armen, doch nirgendwo zeigte sich Rat und Hilfe. - Tage, Wochen und Monate verstrichen, und des armen Vaters einziger Trost war die Gewissheit, dass seine Tochter noch lebte, denn sein erster Blick am Morgen und sein letzter am Abend war nach dem Kedrich gerichtet, und da sah er sie jedes Mal auf der Kuppe stehen und herabschauen. Wirklich ließen es auch die Gnomen dem Mädchen an nichts fehlen; sie bauten ihr eine kleine Wohnung und verzierten die Wände mit Muscheln und Kristallen und farbigen Steinen. Die Bergweiblein verfertigten ihr Kleider, Halsbänder von Korallen und andern Schmuck, suchten sie durch Gesang und die Erzählung wunderbarer Märchen aufzumuntern. Ihr Tisch war täglich mit Milch und schmackhaften Baumfrüchten gedeckt. Zumal bewies ein altes Mütterchen sich freundlich gegen sie und raunte ihr oft ins Ohr: » Getrost, Goldkind, ich sammle dir einen Brautschatz, wie ihn keine Königstochter bekommt. « Vier Jahre waren bereits verflossen, seit dem Tag, an dem die. arme Gerlinde entführt worden war, und ihr Vater gab fast alle Hoffnung auf, sie je wieder zu sehen. Da kam Ruthelm, ein junger, tapferer Rittersmann, aus dem Ungerland zurück" wo er mit großem Ruhm gegen die Fremden gefochten. Seine Burg war nur eine halbe Stunde von Lorch entfernt, und als er vernahm, welches Schicksal die Tochter seines Nachbarn getroffen, da entstand augenblicklich in seiner Seele der Gedanke, sie zu befreien. Er ging zu dem bekümmerten Vater und" meldete diesem sein Vorhaben. Der Ritter von Lorch drückte ihm die Hand und sagte: »Ich bin reich und habe nur dieses einzige Kind. Wirst du sie mir wiederbringen, so magst du sie als Gattin heimführen. « Ruthelm ging alsbald an den Fuß des Kedrichs, um die Gelegenheit des Bergs auszuspähen. Aber er sah keine Möglichkeit, die jähe Wand zu ersteigen. So stand er, in sich gekehrt und nachsinnend, bis die Dämmerung hereinbrach. Eben wollte er den Weg nach seiner Burg zurücknehmen, als ein kleines, altes Männlein auf ihn zukam, und ihn anredete: »Nicht wahr, Herr Ritter, ihr habt auch von der schönen Gerlinde gehört, die da drüben auf dem Berge wohnt? Sie ist meine Pflegetochter, und wenn ihr sie zur Braut haben wollt, so dürft ihr sie nur abholen. « »Ein Mann, ein Wort«, entgegnete Ruthelm und reichte dem Männlein die Hand. »Ich bin gegen Euch nur ein Zwerg«, erwiderte dieser, »aber mein Wort ist ein Riese. Die Jungfrau überlass ich Euch, wohlgemerkt, wenn der Weg dahin Euch nicht zu sauer wird. Aber wahrlich, der Preis lohnt der Mühe, denn schwerlich mag sich im Rheingau ein Mädchen dieser da vergleichen an Schönheit und Verstand und züchtigem Wesen.« Mit diesen Worten verlor sich der Alte lachend ins Gebüsch, und Ruthelm mochte wohl denken, dass er ihn zum besten gehabt. Er betrachtete nochmals den Berg und murmelte dann, halblaut, vor sich hin: »ja, wer nur Flügel hätte, die First zu erschweben! « »Es geht wohl auch ohne Flügel«, sagte jetzt eine Stimme. Der Ritter sah sich betroffen um und erblickte ein kleines, altes Mütterchen, das ihm freundlich auf die Schulter klopfte. »Ich habe mit angehört, was mein Bruder eben jetzt zu Euch gesprochen. Gerlindes Vater hat ihn beleidigt, aber er büßt nun seit vier Jahren dafür, und das Mädchen hat keinen Teil an der Härte ihres Vaters. Sie ist schön und mitleidig und versagt gewiss keinem Müden ein Obdach. Ich habe sie liebgewonnen wie eine Tochter und mag ihr wohl gönnen, dass ein wackerer Ritter sie zur Frau nimmt. Mein Bruder hat Euch sein Wort gegeben, und ein Wort brechen wir nie. Nehmt dieses silberne Glöcklein und geht damit hinüber ins Wispertal. Dort findet ihr einen abgebauten Schacht, an dessen Eingang eine Buche und eine Tanne stehen, die ineinander verwachsen sind. Tretet ohne Furcht in die Öffnung und läutet dreimal mit dem Glöcklein. In dem Schacht wohnt mein jüngster Bruder, und sobald er das Glöcklein hört, kommt er herauf. Auch dient es zum Wahrzeichen, dass ich euch schicke. Bittet ihn, euch eine Leiter zu verfertigen, so hoch wie der Kedrich, und so könnt ihr dann den Gipfel ohne Gefahr ersteigen.« Ruthelm tat, wie ihm die Alte gesagt hatte. Er eilte auf der Stelle ins Wispertal, fand den verlassenen Schacht und gab das Zeichen mit dem Glöcklein. Kaum hatte er zum dritten Mal geläutet, als ein graues Männlein, mit einem Grubenlicht in der Hand, aus der Tiefe kam und nach seinem Begehr fragte. Der Ritter brachte seine Bitte vor, und der Alte hieß ihn guten Mutes sein, er möge sich mit Tages Anbruch am Fuße des Kedrichs einfinden. Zugleich nahm er ein Pfeiflein aus einer Quertasche und pfiff dreimal, und im Nu wimmelte das Tal von Bergmännlein, die Beile und Sägen und Hämmer trugen. Der Ritter hörte noch auf seinem Heimweg das Geräusch der fallenden Bäume und die Schläge der Beile, und in sein Herz kamen Hoffnung und Freude. Schon beim ersten Hahnenschrei eilte er zum Kedrich und fand bereits die Leiter aufgestellt und wohl befestigt. Ein kleines Grauen kam ihn an, da er die ersten Sprossen bestieg, aber sein Mut wuchs mit jedem Schritt. Glücklich erreichte er den Gipfel, als eben die Morgenröte über dem Hochgebirge flammte. Das erste, was sein Auge oben erblickte, war Gerlinde. Auf einer Moosbank, zwischen wilden Rosen und würzigen Kräutern, lag sie hingegossen im süßen Schlummer. Unbeweglich stand der Ritter vor ihr, und sein Auge sog ihre Reife ein wie die Waldbienen umher einsogen die Kelche der Blumen. Aber als sie nun erwachte und der Himmel ihrer blauen Augen sich vor ihm auf tat, da versank er im überströmenden Gefühl; er ließ sich vor der Jungfrau auf ein Knie nieder und sagte, dass er gekommen sei, sie zu ihrem Vater zurückzubringen. Gerlinde wusste nicht, wie ihr geschah. Sie errötete und fing zu weinen an und lächelte dann unter den Tränen, wie die Sonne lächelt unter dem Mai Regen. jetzt erschien das alte Männlein, welches die Jungfrau entführt hatte, und hinter ihm drein trippelte das graue Mütterchen. - Beim Anblick des Ritters runzelte das Männlein die Stirne ein wenig, als es aber die Leiter erblickte und den Zusammenhang ahnte, lachte es laut auf und sagte: »Das wurde gewiss im weichen Herzen der Alten da abgesponnen. Aber Wort ist Wort und bleibt Wort. Nimm sie, die du suchst, und sei gastfreundlicher als ihr Vater. Doch allzu wohlfeil sollst du die schöne Jungfrau auch nicht haben, darum gehst du den Weg zurück, welchen du gekommen bist; unserer Pflegetochter wollen wir's bequemer machen, wie es sich gehört.« Ruthelm ließ es sich gern gefallen, die Leiter wieder hinabzusteigen, Gerlinde aber wurde von dem Männlein und seiner Schwester durch die Höhlung des Berges bis unten an den Fuß geführt, wo ein verborgener Ausgang war. Beim Abschied reichte das Mütterchen der Jungfrau ein schönes Kästchen von versteintem Palmenholz, mit kostbaren Edelsteinen angefüllt, und sagte: »Nimm, mein Kind! Das ist der Wahlschatz, den ich für dich gesammelt.« Gerlinde dankte mit Tränen im Auge. Ruthelm geleitete nun die Jungfrau auf die Burg ihres Vaters. Die Freude des alten Ritters, als er sein Kind wiedersah, lässt sich nicht beschreiben. Er gab sogleich Befehl, jeden Wanderer, der auf Lorch kommen würde, freundlich aufzunehmen und acht Tage lang zu bewirten. Ruthelm aber erhielt zur Belohnung Gerlindes Hand. Beide lebten glücklich bis ins hohe Alter, und sooft Gerlinde ein Kind gebar, kam das graue Mütterchen aus dem Kedrich und brachte ein Patengeschenk. Die Leiter stand noch viele Jahre hindurch am Berg, die Umwohner hielten sie für das Werk eines bösen Geistes und gaben darum dem Kedrich den Namen »Teufelsleiter«. |