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Wie der Strohhalm tanzen lernte
(Albert Altenähr)

Noch ein wenig geblendet von der hellen Sonne, blinzelte die Halmspitze umher und schnupperte den warmen Duft der Erde ein. Gerade war das Weizenkorn aufgewacht, hatte seine Wurzelfüßchen in das Erdreich gestemmt und mit seinem Halmköpfchen die Ackerkrume durchbrochen. "Das also ist die große weite Welt," meinte der Winzling voller Neugier, - und mutig wuchs er in sie hinein.

"Ich bin wer," sagte sein Stolz, "und ich werde wer sein!" Und so wuchs er heran, wurde groß und stark, und sein Kopf wurde schwerer und schwerer, weil neue Weizenkörner in ihm wuchsen und reiften. Mit vielen Gefährten war er ein prächtiges Weizenfeld; der Wind spielte darin und die Sonne schenkte ihnen allen nach und nach ihre goldgelbe Farbe.

Sonne und Wind flüsterten einander neu und immer wieder zu, welch ein Kostbarer Schatz da heranwachse. Brot würde man daraus machen, und in der neuen Zeit, wenn Gottes Sohn die Welt erlösen würde, werde ER Wunder damit wirken, - ja, es sogar zu einem h e i l i g e n Brot machen, - zu einem Zeichen, dass ER immer bei den Menschen sein wolle. Der Weizenhalm hörte es, war verwirrt und doch zugleich auch freudig erregt. Er ließ sich vom Wind schaukeln und lachte mit der Sonne.

Als die Zeit der Ernte nahte, kamen die Schnitter mit ihren Sensen und Sicheln. Sie schnitten die Halme, bündelten sie zu Garben, stellten sie zu Hocken zusammen und fuhren sie zum Dreschen. Das alles war dem Weizenhalm mehr als unheimlich. Das Schneiden tat weh, - das Binden raubte ihm den Atem, - und als man ihn wegbrachte, verlor er ganz und gar den Boden unter den Füßen. Als er dann die Männer mit den Dreschflegeln sah, bekam er erst recht mit der Angst zu tun. Und dann schlugen die Männer auf die Kornhalme ein, dass ihm Hören und Sehen verging. Wohin er auch sprang, immer wieder trafen ihn die Schläge, - seine kostbaren Körner flogen nur so weg und sein stolzer, starker Halm platzte bei jedem Schlag an immer neuen Stellen. Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich ganz zerschlagen,....und war es ja auch.

Wie unser Halm so dalag, hörte er einen Müller mit dem Bauern verhandeln. Sie sprachen über das Korn, - aber wo waren denn seine Körner geblieben? Dann wurden schwere Säcke weggebracht, und als zufällig einige Körner aus so einem Sack herausfielen, verstand der Halm. Die Körner waren den Menschen wichtig, die Halme bedeuteten ihnen nichts. Er war kein Weizenhalm mehr, sondern nur noch ein Strohhalm. Es brach ihm das Herz, und einsam weinte er sich in den Schlaf.

Die Ernte war schon lange vorbei, und der Strohhalm hatte sich weit weg von den Menschen in den hintersten Winkel eines entfernten Feldstalles geflüchtet, um sein unerfülltes Leben zu beweinen, da störten ihn noch einmal die Menschen auf. Ein junges Paar schlug ausgerechnet in diesem Stall sein Nachtlager auf. Pieksig, wie er in seinem Selbstmitleid nur sein konnte, wehrte sich der Strohhalm, als der Mann nach ihm griff und für die Frau ein Strohlager aufschüttete. Als die junge Frau sich dann aber auf das Lager legte und den Mann dabei so dankbar anschaute, war ihm sein grummelig-pieksiger Ärger doch ein wenig peinlich, und er verhielt sich ganz still.

Mitten in der Nacht, - gerade im schönsten Engeltraum - , wachte der Strohhalm auf. In seiner wohligen Schlafwärme fühlte er sich weicher denn je. Aber was war das ? ---- das war ja gar kein Engeltraum! Hoch über ihm tanzten und sangen wirklich Engel. Und die junge Frau hatte auf einmal ein Kind bei sich, das vorher doch noch gar nicht dagewesen war.

Der Strohhalm rieb sich alle Müdigkeit aus den Augen, und neugierig und ganz vorsichtig schlich er sich näher heran. Er streichelte das kleine Menschenkind so sanft, wie er nur konnte, und als es dabei fröhlich strampelte, vergaß er seinen ganzen Kummer, und lachte und schlug einen übermütigen Purzelbaum nach dem anderen, so dass auch die übrigen Strohhalme einfach mitgerissen wurden. Sie tanzten einen wunderschönen Sternentanz, sprangen auf die Bäume und strahlten mit den Himmelssternen um die Wette über dem Kind, der Frau und dem Mann.

Diese Nacht war so einmalig, dass der Strohhalm sie nie vergessen hat und immer wieder von ihr erzählen muss. Und jedes Jahr zu Weihnachten ist er über glücklich, dass er auch an der Krippe dabei sein darf.


Dieses Märchen wurde mir von Doris Gottwald
D.Gottwald@gmx.de zur Verfügung gestellt.