Das seltsamste Ding der Welt
Es war einmal ein König. Der war Witwer und hatte drei Söhne. Und in einem andern Reich lebte eine Königin, die war Witwe und hatte eine sehr schöne Tochter. Und der König und die Königin lernten einander kennen und heirateten sich. Und da die Tochter der Königin fast ebenso alt war wie die drei Söhne des Königs, verliebten sich alle drei in sie und wollten sie heiraten. Da gingen die drei zu ihrem Vater, und der älteste sagte zu ihm: "Hört, lieber Vater, wir möchten alle drei unsere Stiefschwester heiraten, und da es doch nicht angeht, dass sie sich mit dreien verheiratet, so bitten wir euch, Ihr möchtet entscheiden, wer von uns sie heiraten soll. Mit dem, was Ihr sagt, werden wir uns zufrieden geben." Und der Vater sagte zu ihnen: "Meine Söhne, es ist eure Stiefschwester, und da scheint mir, keiner sollte sich mit ihr verheiraten, aber da ihr es trotzdem wollt, so macht euch auf den Weg und seht zu, dass Ihr mir das seltsamste Ding der Welt bringt, und wer von euch damit zurückkommt, der mag sie haben."
Nun gut: die drei Brüder zogen in die Welt hinaus und machten sich auf die Suche nach dem seltsamsten Ding. Und als sie an eine Wegkreuzung kamen, schlug jeder eine andere Richtung ein. Und der Älteste kam in eine große Stadt und begann sogleich, überall herumzusuchen. Als er schon den ganzen Markt und alle Plätze nach dem seltsamsten Ding abgesucht hatte, fand er plötzlich einen Teppich, der hatte eine Sprungfeder. Wenn man darauf stieg, ging die Feder los, und man konnte so hoch fliegen, wie man wollte. Und er sagte zu dem, der ihn verkaufte: "Wie viel wollt Ihr für diesen Teppich haben?" Der antwortete ihm, dass er tausend Taler koste. Da gab er ihm die tausend Taler und ging mit dem Teppich fort.
Nun gut; indessen war der zweite in ein Dorf gekommen, wo ein Mann war, der verkaufte ein Fernrohr von einer halben Ellenlänge. Und er geht zu ihm hin und sagt: "Lieber Mann, ich suche überall ein sehr seltsames Ding. Sagt mir, was verkauft Ihr?" Und er antwortete ihm: "Nehmt dieses Fernrohr und schaut hindurch. Was wollt Ihr sehen?" "Meinen Bruder." Und der Jüngling blickte durch das Fernrohr
und sah seinen Bruder mit dem Teppich dahin wandern. Nun gut. Da
sagte er zu dem Händler: ."Wie viel wollt Ihr für das Fernrohr haben?"
"Nun ja. Mit tausend Talern geb' ich mich zufrieden." - Da gab er ihm die
tausend Taler und zog mit dem Fernrohr ab.
Inzwischen hatte der dritte auch eine Stadt erreicht und suchte
ebenfalls auf dem Markt und allen Plätzen nach einem sehr seltsamen Ding. Und da sah er
auf einem Platz einen alten Mann, der Äpfel feilbot und dabei sagte: "Äpfel, gute
Äpfel, die Kranke heilen !" Der Jüngling ging zu ihm hin und fragte: "Was ist
denn Besonderes an diesen Äpfeln?" "Diese Äpfel können Kranke wieder gesund
machen, wenn man ihnen damit über das Gesicht streicht, so dass sie den Apfel riechen. -
Darauf sagt der Jüngling: "Gut, so einen Apfel will ich kaufen und ihn nach Hause
bringen. Wie viel wollt Ihr für den Apfel haben?" "Tausend Taler",
antwortete ihm der andere. Da gibt er ihm die tausend Taler und geht mit dem Apfel fort.
Auf der Reise nach Hause bekam der Bruder mit dem Fernrohr
plötzlich Lust, seine Brüder zu sehen. Er blickte hindurch und fand den Ältesten. Und
er wanderte zu ihm hin und sagte: "Weißt du, wo unser jüngster Bruder ist?"
"Da nimm das Fernrohr und guck hindurch." Der andere tat es und erkannte den
jüngsten Bruder, der allein seines Weges zog. Und da sagte der Älteste: "Dies
Fernrohr willst du wohl dem Vater bringen?" Und der zweite sagt: "Ja, das will
ich." "Nun sieh her, ich bringe ihm ein sehr viel seltsameres Ding mit. Sieh
diesen Teppich hier. Sowie man ihn betritt, steigt er hoch und fliegt so hoch, wie man
will und wohin man will. "Der zweite sagt darauf zu ihm: "Gut, das wollen wir
gleich einmal sehen." Und sie stellten sich darauf, und sofort stieg der Teppich mit
den beiden in die Höhe. Und sie flogen in den Ort, wo sie den jüngsten Bruder im
Fernrohr entdeckt hatten.
Nun waren alle beisammen. Und sie fragten den Jüngsten, was er gekauft habe. Und der erzählte: "Ich habe hier einen Apfel gekauft; wenn man damit über das Gesicht eines Kranken streicht, so dass er ihn riecht, wird er auf der Stelle wieder gesund." Nun gut! Dann traten sie alle drei auf den Teppich, und die Feder ging los, und die drei flogen ganz, ganz hoch. Und nachdem sie so einige Zeit geflogen waren, nahm der Jüngste das Fernrohr seines Bruders und sah hindurch und sagte: "O weh, was sehe ich? Die Stiefschwester liegt sterbenskrank im Bett." Da sagt der Jüngste: "Lass uns schnell machen." Und so schnell sie können, fliegen sie mit dem Teppich nach Haus. Sie traten ein, als das Mädchen
schon in den letzten Zügen lag. Der Jüngste geht mit seinem Apfel
zu ihr hin und lässt sie daran riechen.
Im Augenblick wird ihr wohler, und nach einigen Tagen ist sie ganz
gesund.
Da gehen die drei zu ihrem Vater und zeigen ihm, was jeder
mitgebracht hat. Und der Jüngste sagt: "Vater, ich werde sie bekommen; denn der
Apfel, den ich mitgebracht habe, hat sie gesund gemacht." Und der zweite sagt:
"Nein, ich werde sie bekommen, denn ohne das Fernrohr hätten wir nicht gewusst,
dass sie krank war." Der Älteste sagt: "Aber nein, ohne den Teppich waren wir
niemals rechtzeitig gekommen, darum muss ich sie haben."
Und der Vater denkt eine Weile nach und sagt dann: ,"Meine
Söhne, mir scheint, der mit dem Fernrohr hat das größte Verdienst."
Darauf schweigen die beiden andern, und der Vater geht zur
Stieftochter und sagt ihr dasselbe. Und das Mädchen meint:
"Mir aber scheint, dem mit dem Apfel gebührt das größte Verdienst. Ihn habe ich von jeher am liebsten gehabt, und mit ihm möchte ich mich verheiraten." Und so verheiratete sie sich mit dem jüngsten Bruder. Nun gut! Hätte sie das gleich von vornherein gesagt, wäre die ganze Geschichte nicht nötig gewesen, und ich hätte das Märchen nicht erzählen müssen.