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Der Schlangenkönig
Ernst Moritz Arndt


Schlangenkönig wohnte auf einer fernen Insel in der Ostsee, die gen Dänemark liegt, und hatte dort sein Schloss. Dieses Schloss lag aber wieder in einer kleinen Insel, die in der großen Insel steckte, wie der Krämer die kleinen Schachteln in die großen steckt. Dieses Inselchen lag in einem großen Landsee. Da hatte Schlangenkönig sein Schloss unter einem Hügel in der Erde gebaut, und es war sehr schön darinnen und schimmerte und funkelte von Silber und Gold und Edelsteinen und hatte die allerprächtigsten Gemächer. Darinnen saß Schlangenkönig ein armer verwandelter Prinz und wartete auf seine Erlösung. Er war aber verwandelt wegen seiner Eitelkeit. Denn er war ein wunderschöner Prinz gewesen und hatte viele schöne Prinzessinnen und Königinnen und Kaiserinnen mit seiner Schönheit gelockt, aber keine geliebt sondern alle mit wankelmütigem Herzen verlassen. Deswegen war er zur Strafe verwandelt worden, damit er auch versuchte, was es heißt keine Liebe finden, und er mag nun wohl als der Schlangenkönig kriechen müssen bis an den jüngsten Tag. Weil er nämlich so viele arme Prinzessinnen betrogen hat, die er sitzen ließ und weiter ging, so hat ihn die Strafe getroffen, und das Wort ist zu ihm gesprochen: Sei der Schlangenkönig und krieche als der Schlangenkönig und iss Erde und sauge Gift aus Wurzeln und Kräutern und sei den Menschen ein Abscheu und den Tieren ein Grauen, bis ein unschuldiges junges Blut sich über dich erbarmt und mit dir zu Bett geht und dich ohne Grausen küsst. Das merke dir aber: wirst du dieser wieder ungetreu, dann wirst du auf ewig in das tiefste höllische Feuer hinabgestoßen. Schlangenkönig hatte bei seiner Verwandlung ganz die Farbe des Kleides behalten, das er trug, weil er noch Prinz war. Er trug nämlich einen grün und gelb gestreiften seidenen Rock, und jetzt schleicht er als eine schöne grün und gelb gestreifte Schlange umher mit einer goldenen Krone auf dem Kopf, und pfeift und zischelt wie eine Schlange, aber sprechen kann er nicht. Nur sind gewisse Tage im Jahre, wo er singen darf, und da singt er mit so wunderschöner und süßer Stimme, dass er schon manches arme Kind verlockt hat, mit ihm zu gehen in sein Schloss, aber noch hat er keine einzige gefunden, die ihn hat küssen wollen. Die aber mit ihm gegangen sind, müssen in seinem Schlosse sitzen, bis er eine findet, die es über das Herz bringen kann, ihn in Liebe zu küssen. Die das tut, das wird die Königin und alle die andern, die er hineingelockt hat, werden ihre Dienerinnen. Und auf diese Weise allein können sie aus dem Schlosse erlöset werden.

Nicht weit von dem See, wo Schlangenkönigs Schloss auf der Insel war, lag ein Dorf, das hieß Thorstorp. Die Wiesen und Weiden dieses Dorfes liefen bis an den See hinab, und da trieben die Kinder des Dorfs ihre Kühe hin und hüteten sie daselbst. Unter diesen Hirtenkindern waren zwei, die hatten einander sehr lieb und trieben ihre Herden fast immer zusammen. Es war eine kleine Dirne, die hieß Margarethe, und ein Knabe, der hieß Jakob. Margarethe war vierzehn Jahre alt und Jakob sechzehn. Sie waren beide beinahe erwachsen aber unschuldig wie die kleinen Kinder und wussten nicht, warum sie einander so lieb hatten. Aber dass sie sich über alles liebten, das ist wahr. Diese und die andern Knaben und Mädchen, welche dort das Vieh hüteten, hatten Schlangenkönig oft laufen sehen und mögen ihn gern leiden, denn er war sehr bunt und schön und seine Krone funkelte auf das allerschönste. Der Schelm kam oft durch den See geschwommen und ringelte sich im Grase herum und wand seinen schönen schlanken Leib um die Bäume und Büsche, dass die Kinder seinen Spielen zusahen und ihre Freude daran hatten. Aber ganz nah kamen sie ihm nicht, denn sie hatten doch ein Grauen vor ihm, weil er Schlangengestalt trug, obgleich sie wussten, dass er nicht biss und keinem was zu Leide tat. Die Kinder hatten noch nie einen Gesang von ihm gehört, obgleich die Rede ging, der Schlangenkönig könne singen und habe schon manche schöne Dirne verlockt, die nun in seinem Schlosse sitzen und weinen müsse, sondern vor ihnen hatte er immer nur gezischelt, wie andere Schlangen tun. Er durfte ja auch nicht alle Tage singen und außerdem war er viel zu klug, als dass er sich’s in Gesellschaft hätte merken lassen, dass er singen konnte; denn da konnte es ihm ja zu nichts helfen. Nein, wann seine Singetage waren und wenn er dann ein hübsches Kind allein belauschen konnte, dann ließ er seine Stimme ertönen und brachte es gewöhnlich mit weg.

Eines Tages saß Jakob mit seiner Margarethe hinter einem grünen Busche und die beiden Kinder erzählten sich Geschichten und ihre Kühe grasten vor ihnen, die andern Hirten aber hatten weiter abwärts getrieben. Da kam Botschaft, dass Jakob geschwinde zu Hause musste. Er küsste seine liebe Margarethe und sagte: Margarethe, gib derweilen auch auf meine Kühe Acht, bis ich wiederkomme, und kommt der Schlangenkönig etwa, so bleibe bei Leibe nicht allein, sondern treibe nur geschwinde zu den andern Hirten hin. Er könnte dich wegsingen, denn der Schelm soll es in der Stimme haben. Sie versprach es, aber rief dem weglaufenden Burschen lachend nach: O das ist nur eine Fabel mit dem Singen des Schlangenkönigs, er kann ja nicht einmal sprechen: der soll mich nicht wegsingen.

Jakob war kaum hundert Schritt fort, so kam der Schlangenkönig über den See geschwommen und ringelte sich dann in den allerlustigsten Kreisen über die Wiesen hin und machte so viele niedliche Schlingungen und Windungen und richtete sein Köpfchen mit der goldenen Krone so lieblich lächelnd und so hell guckend auf, dass die kleine Margarethe recht ihre Freude daran hatte und ihr Versprechen, das sie Jakob getan, auch ganz und gar vergaß. Und Schlangenkönig ringelte sich immer näher heran und kroch auf einen grünen Baum, der vor Margarethen stand, und schaukelte sich einige Minuten in seinen Zweigen herum, dann sang er mit der allersüßesten und beweglichsten Stimme, als hätten hunderttausend Frühlingsnachtigallen zugleich geschlagen, und Margarethe konnte nun nicht mehr von der Stelle und musste ihm zuhören: sie saß, als wenn sie festgezaubert war, wiewohl sie an ihres Jakobs Worte dachte. Er sang ihr aber diesen Gesang, den sie des Schlangenkönigs Brautlied nennen, und womit er schon manche zarte Jungfrau in sein Schloss gelockt hat:

Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Ich hab' ein Goldringelein,
Das schenk' ich dir,
Ich hab' ein Goldkämmerlein,
Das ist für dich,
Ich hab' ein Goldwiegelein,
Drin wieg' ich dich.

Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Süßen und kühlen Wein
Trinkst du bei mir,
Zucker heißt hier das Brod,
Fleisch, Marzipan,
Äpfelchen rosenrot
Beißet dein Zahn.

Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Dienerinnen hübsch und fein
Warten der Tür,
Kammerfrau'n ohne Zahl
Stehen am Bett,
Das in dem goldnen Saal
Hochzeitlich steht.

Komm, schönes Jungfräuelein,
Schlafe bei mir!
Zieh in mein Schloss mit ein,
Treu bin ich dir.
Heißa! wie fliegt zum Tanz
Lustig der Strich!
Du trägst den Hochzeitkranz,
Bräut'gam bin ich.

Schlangenkönig hatte ausgesungen, blinzelte freundlich auf das Mägdlein herab, kam dann herunter, schlug im Grase einige Ringelein um das Kind und sang gar leise und leidig: Komm mit! Komm mit! Und Margarethe kam mit. Aber kaum war sie zehn Schritt mit Schlangenkönig gegangen, so bedachte sie sich und wollte zurückfliehen. Aber es war zu spät, sie war nun in Schlangenkönigs Gewalt: er umzingelte sie und trug sie über die Wiese hin mit weg, und umsonst schrie sie: Jakob! Jakob! hilf! hilf! und rief den andern Hirten zu, aber weder Jakob noch die Hirten waren da, und Schlangenkönig kehrte sich an ihr Geschrei nicht und rollte geschwinder als der Blitz mit ihr davon und schwamm durch den See.

Als Schlangenkönig sie über das Wasser nach der Insel hinübergetragen hatte, war er plötzlich verschwunden, die kleine Margarethe aber war vor Angst ohnmächtig geworden und wusste gar nicht, wie sie über den See gekommen war. Das war aber das Sonderbarste, dass auch kein Tröpflein Wasser sich an ihre Locken und Kleider gehängt hatte noch durchgedrungen war: sie war ganz trocken auf die kleine Insel gekommen. Und als sie sich wieder besinnen konnte, da befand sie sich in einem wunderschönen Garten voll der allerlustigsten Bäume und buntesten Blumen; und es war alles, wie das Lied gesungen hatte, an allen Zweigen hing Zucker und Marzipan und rosenrote Äpfel und durch den Garten floss ein tiefer Bach von Milch und Quellen süßen Weines sprudelten aus dem Hügel. Das Schloss aber unter dem Hügel war noch viel schöner, als Schlangenkönigs Brautgesang es beschrieben hatte, und waren so prächtige Säle und funkelnde Kammern und Gemächer darin, dass kein Mensch die Herrlichkeit schildern könnte; und wenn man ihm auch eine Ewigkeit Zeit gäbe, die schönsten Worte zu suchen, womit er es beschreiben und ausmalen wollte, er kriegte es doch nicht fertig.

Und als Margarethe vor dem Schlosse erschien, siehe da waren flugs wohl hundert Dienerinnen zur Stelle, welche Kerzen und Lampen trugen. Diese führten sie in einen hohen Marmorsaal, der mit Gold und Silber und Edelsteinen verziert war, und zogen ihr goldene und silberne Kleider an und setzten ihr eine goldene Krone auf den Kopf und nannten sie Königin und Herrin und sprangen dienend um sie herum und brachten ihr alles, was sie nur verlangte. Diese Dienerinnen waren alle jung und trugen schneeweiße Kleider und grüne Kränzlein im Haar und sahen die meisten mehr traurig als fröhlich aus.

Und als es dunkelte und gegen die Nacht ging, kamen wieder andere Jungfrauen und führten Margarethen in ein Kämmerlein, das blitzte und funkelte wie eitel Gold, und dann stand ein goldenes Bett, auf welchem rosenrote und himmelblaue seidene Kissen und Decken lagen. Und sie naheten sich ihr sehr ehrerbietig und zogen ihr die Kleider aus und die Schuhe von den Füßen und nahmen ihr die Krone vom Kopfe und legten sie dann weich ins Bett. Als sie das getan, löschten sie die Lampen aus bis auf eine, und verneigten sich stumm und schweigend und gingen weg.

Und es währte nicht lange, so flüsterte es und knisperte und wisperte an der Türe, und die Türe tat sich auf, und der Schlangenkönig kam herein und kroch an Margaretchens Bett und lispelte und zischelte ihr leise zu: Willkommen, meine auserkorene Königin! willkommen, meine süße Braut! Nun komme ich als dein Bräutigam zu dir, mein süßes Margretchen! wie ich dir unter dem grünen Baume vorgesungen habe; nun wird alles wahr werden! O komm und nimm mich in deine Arme! und drücke mich an dein warmes Herz! und küsse mich und habe mich recht lieb! Dann bin ich erlöst und du bist eine reiche und große Königin. Denn ach! das ist mein trauriges Schicksal, solange muss ich als Schlangenkönig auf der Erde herumkriechen, bis ein unschuldiges Kind mich in Liebe umhalset und wieder in den schönsten Prinzen verwandelt, der ich gewesen bin. Und er zischelte gar lose und leise und sah sie mit funkelnden Augen an und hob seinen Kopf zu ihr hinauf, als wolle er zu ihr ins Bett steigen – Margaretha aber schrie gewaltig und rief: Fort du buntes Scheusal! Nein nimmer – nimmer – nimmermehr! und wenn du so schön wärest, als du hässlich bist. Ich will deine Königin nicht werden, ich will in meinem Leben keinen andern Bräutigam haben, als meinen lieben Jakob. – Und Schlangenkönig musste sich ducken und fliehen,

Und als es Tag geworden war, kamen dieselben weißen Jungfrauen, die Margarethen ausgekleidet hatten, und zogen ihr die prächtigen Königskleider wieder an und setzten ihr die güldene Krone wieder auf das Haupt und die andern im Saale und vor der Türe verneigten sich nun vor ihr und bedienten sie. Und sie ging im Schlosse und im Garten umher und besah sich allen den Glanz und die Pracht. Aber weiter als den Garten konnte sie nicht kommen; denn es lief eine himmelhohe kristallene Mauer rings um ihn herum und seine Thore waren dicht verschlossen. Sie sah aber den ganzen Tag nicht das Geringste von Schlangenkönig, und das war ihr sehr lieb. Aber an ihren Jakob hat sie viel denken und oft bitterlich weinen müssen und sie hat gerufen mitten in der schimmernden Herrlichkeit: O mein lieber Jakob! säße ich nur mit dir jetzt in einem schlechten Kleide unter einem grünen Baum, wie viel glücklicher wäre ich! Pfui der abscheuliche Schlangenkönig! wie hat er mich verlockt und verführt durch seinen Gesang!

Und als es Nacht ward, führte man sie ebenso wie gestern in ihre Goldkammer und brachte sie ins Bett und löschte die Lampen. Und auch der Schlangenkönig kam ebenso wieder wie gestern und schlich an ihr Bett und flehte, dass sie ihn ins Bett nehmen und lieb haben und Königin werden sollte. Sie aber ward noch viel böser als gestern und jagte ihn mit schlimmen Worten fort. Und Schlangenkönig musste traurig wieder aus der Kammer kriechen und die Nacht wieder auf der kalten feuchten Erde schlafen.

So ging es noch drei Tage und Schlangenkönig versuchte noch dreimal, ob das Kind ihn lieb gewinnen und bei ihm schlafen wolle. Sie aber rief immer: Fort fort, du blanker gleißender Gaukler! Jakob wird mein Mann und kein anderer in Ewigkeit!

Mit dem fünften Male waren auch die Proben vorbei, welche Margretchen auszustehen hatte, und der traurige Schlangenkönig rief nun den Frauen und Dienerinnen zu, dass sie sie des Schmuckes entkleiden und aus der goldenen Kammer führen mögen, und sagte zu Margarethen. Nun bist du nicht mehr Königsbraut und kannst es nimmermehr werden, wenn du auch wolltest. So ist die Ordnung des Schicksals hier. Du bist hinfort eine schlechte Dienerin, gehe darum zu den andern Dienerinnen und warte der hohen Frau, die da kommen und mich erlösen soll. Er meinte aber diejenige, welche sich über ihn erbarmen und ihn von Herzen küssen und liebhaben und Königin und Herrin aller dieser Dienerinnen werden würde, welche seine Liebe verschmäht hatten.

Und Margarethe hatte jetzt ein weißes Kleid an und trug ein grünes Kränzlein und musste mit den andern jungen Dirnen vor der Türe des Schlosses und in dem großen Saale stehen und warten. Es waren lauter junge Kinder die Dienerinnen und Kammerfrauen, keine unter dreizehn Jahren und keine über siebzehn, wohl mehr als hundert und fünfzig an der Zahl, alle hübsch und fein. Mit einer jeden hatte Schlangenkönig es ebenso versucht, wie mit Margretchen, aber keine einzige von so vielen hatte sein Flehen erhören und ihn lieb haben wollen. Diese niedlichen Kinder waren nun freilich recht fein gekleidet und hatten der Speise und des Trankes und was sie zum Leben bedurften vollauf, auch wurden sie mit keiner Mühe und Arbeit geplagt und konnten den Tag singen und tanzen und oft auch in dem schönen Garten spazieren gehen und sich Blumen pflücken und die Vögelein in den Zweigen auf das allerlustigste singen hören; aber die Zeit ward ihnen doch herzlich lang in aller dieser Pracht und die meisten waren voll Traurigkeit und Sehnsucht. Die eine sehnte sich nach Vater und Mutter, die andere nach Bruder und Schwester, die dritte nach einem Herzallerliebsten; Margarethe sehnte sich nach nichts als nach ihrem lieben Jakob, von welchem sie sich so jämmerlich hatte weglocken lassen.

Jakob war bald gekommen, nachdem Margarethe von Schlangenkönig entführt worden war, und suchte seine Margarethe im Walde und auf der Weide bei den andern Hirten. Er fand sie nirgends, aber die Hirten sagten ihm, Schlangenkönig werde sie wohl weggefangen haben. Jakob hörte auch bald von einem Manne, der da unten am See pflügte, er habe in der Ferne ein Gewimmer gehört und das möge die entführte Margarethe wohl gewesen sein. Der kleine Jakob war sehr traurig und musste jeden Tag ja jede Stunde an sein Margretchen denken und immer nach der Insel hinüber schauen, zu welcher sich kein Mensch wagte; denn es ging die Sage, derjenige müsse gleich des blassen Todes sein, der sich ohne ein sicheres Pfand in dieses Gebiet des Schlangenkönigs wage. Da schaute Jakob traurig und sehnlich hinüber und seufzte: Ach Margretchen! Margretchen! warum hast du dir die Ohren nicht zugestopft, als der lügnerische und gleißnerische Schelm sang? und rief auch wohl zuweilen für sich: Halt dich wacker, Margretchen! werde keine Königin, Margretchen! Das hatte er aber gewiss nicht nötig; denn Margarethe war ihm treu wie Gold. Das war ihm aber das Allertraurigste bei dieser Geschichte wenn er Schlangenkönig über die Wiesen hinschlüpfen sah in seinem bunten Rock, dass er ihm nichts tun durfte.

So waren Jakob zwei Jahre verflossen in Gram und Traurigkeit über seine liebe verlorene Margarethe, da hörte er von einem alten Schäfer einen Rath, wie man verzauberter Prinzen und Prinzessinnen und selbst der Hexen und Hexenmeister Herr werden könnte, und wenn sie noch so schlimm wären. Und Jakob ging flugs in den Wald und hieb sich einen großen knotigen Dornstock aus einem Dornstrauch, welcher der Kreuzdorn heißt, und darauf schnitt er noch ein Kreuz aus. Als nun der Schlangenkönig das nächste Mal wieder über die Wiese hinschlängelte, fasste Jakob sich ein Herz und fuhr auf ihn zu, so dass der Schlangenkönig sich verwunderte, was der Bauerbursche wolle; denn er war es nicht gewohnt, dass die Leute auf ihn losgingen, sondern, dass die meisten vor ihm flohen. Und Schlangenkönig dachte bei sich: Den Bauerjungen will ich schon jagen, dass ihm die Haare auf dem Kopfe sausen sollen; und er richtete sich auf und sprühte Funken aus den glänzenden Augen und streckte die zischende Zunge aus und machte seine Krone auf dem Kopfe feuerrot vor Zorn und zuckte mit dem Rücken, als wolle er auf Jakob springen. Aber Jakob ging ihm fest entgegen und rief: Komm nur her, Herr Heidenkönig! komm nur her! Ich bin nicht bange vor dir, du sollst schon Gemach lernen. Und als Schlangenkönig gegen ihn sprang, berührte er ihn nur leise mit seinem Dornstock, und o Wunder! Schlangenkönig krümmte sich und wand sich um den Dornstock, wie die Rebe sich um ihren Stab windet. Und Jakob freute sich und rief voller Freude: Halt fest, mein Prinzchen! ich muss mein Kunststück versuchen. Und er nahm den Stock und schwang ihn dreimal um den Kopf, dass er durch die Lüfte sauste, und Schlangenkönig hielt fest, als wenn er daran gewachsen wäre. Der Stock ist gut und der Schäfer ist nicht dumm, sprach Jakob, und fragte Schlangenkönig: Schlangenkönig willst du mir Margretchen wiedergeben, so mache ich dich strax los und du magst hingehen, wohin du willst. Schlangenkönig aber schüttelte den Kopf. Und Jakob sprach wieder: So fahrwohl für heute, mein Prinz! friere die Nacht hier und bedenke dich bis morgen. Und er nahm den Dornstock und stieß ihn fest in die Erde, und Schlangenkönig hing darum, und es sah gar lustig aus.

Den andern Morgen kam Jakob wieder und sprach zu Schlangenkönig: Schlangenkönig willst du mir Margretchen wiedergeben? Schlangenkönig aber schüttelte mit dem Kopf noch stärker als gestern. Da ward Jakob sehr böse und ging hin und schnitt sich einen frischen Haselstock und sprach: Ich muss wohl einmal dein buntes Jäckchen fragen, was das zu dem Scherze sagt; vielleicht gibt mir das eine gescheitere Antwort. Und er schlug Schlangenkönig auf seinen bunten Rock, dass er sich krümmte wie ein Ohrwurm und die Zunge laut zischelnd ausstreckte, aber er nickte nicht mit dem Kopfe: Jakob ich will dir Margretchen wiedergeben. Als Jakob meinte, dass er ihn diesmal genug geschlagen habe, ging er weg und sprach: Für heut ist's genug, bedenke dich bis morgen.

Den dritten Morgen kam Jakob wieder und sprach zu Schlangenkönig: Schlangenkönig gestern und vorgestern fragte ich dich: Schlangenkönig, willst du mir Margreten wiedergeben? Heute kommst du so wohlfeilen Kaufs nicht ab; heut heißt es: Schlangenkönig willst du mir Margreten wiedergeben und alle die armen Jungfrauen, die in deinem Schlosse und Garten eingesperrt sind? Und Schlangenkönig schüttelte zweimal mit dem Kopfe. Da nahm Jakob seinen Haselstock, und schlug ihn unbarmherzig, so viel als er schlagen konnte, so dass der Schlangenkönig ihn fast jammerte; aber doch nickte und kopfschüttelte Schlangenkönig ihm kein Ja zu. Da sagte Jakob: Heut ist das letzte Mal, dass ich Geduld habe. Du magst hier an dem Dornstock verfaulen, denn du kommst in Ewigkeit nicht los, wenn ich dich nicht löse. Also noch einmal und das letzte Mal, bedenke dich bis morgen.

Und als Jakob den vierten Morgen wiederkam, fragte er Schlangenkönig wieder: Schlangenkönig willst du mir Margretchen wiedergeben und die andern Jungfrauen, dass sie frei aus deinem Gebiete weggehen und eine jede so viel mittragen dürfen, als sie mit den Händen tragen können? Und Schlangenkönig war mürb geworden, denn es hatte diese Nacht sehr gefroren, und ihn hungerte und durstete gewaltig, auch sah er, dass Jakob einen frischen Haselstock in der Hand führte doppelt so dick als der vorige. Und Schlangenkönig ließ es diesmal auf den Stock nicht ankommen und nickte dreimal mit dem Kopfe Ja. Und Jakob sagte zu ihm: Schlangenkönig schwöre mir's bei deiner Seligkeit und bei der Hoffnung, die du hegst, dieser hässlichen bunten Haut einmal ledig zu werden – und Schlangenkönig nickte ihm den Schwur auch dreimal zu.

Als dies geschehen war, nahm Jakob sein Messer und schnitt das Kreuz glattweg von dem Kreuzstock, worum Schlangenkönig geschlungen hing, und in demselben Augenblick glitt Schlangenkönig herunter und ringelte sich im Grase und machte sich die erfrorenen und zerschlagenen Glieder erst wieder ein wenig geschmeidig. Darauf kroch er vor Jakobs Füße und richtete sich auf und senkte sich dann wieder vor ihm, wie ein kluges und gehorsames Pferd sich erst vor dem Reiter zu richten und wieder zu senken pflegt, dass er aufsteige. Und Jakob verstand den Wink, denn er wusste wohl, dass zu der Insel weder Brücke führte noch Nachen ging; und er zeichnete sich mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und betete ein Gebet und rief: Nun in Gottes Namen! und so schwang er sich auf sein buntes Pferd. Und sausend fuhr Schlangenkönig mit ihm über die Wiese dahin und in einem Hui hatte er ihn über das Wasser getragen.

Schlangenkönig sprang nun gegen das eiserne Gartentor, welches kein anderer öffnen konnte als er, und das Thor tat sich sogleich auf, und sie gingen beide hinein. Da fand Jakob seine Margarethe wieder, und wie sich die beide gefreut haben, wer will das beschreiben? Aber unendlich ward der Jubel im Schlosse und Garten und klang und brauste aus allen Stimmen zum Himmel, als Jakob verkündigte, alle eingefangene Jungfrauen sollen nun wieder frei sein und mit ihm und Margreten aus dem verzauberten Schlosse und Garten ziehen. Und er hieß die hübschen Kinder sich tummeln und einpacken, was jedes mitnehmen wolle, denn in zwei Stunden solle die Reise von der Insel vor sich gehen. Und sie liefen die eine hierhin die andere dahin und waren sehr geschäftig, aber Schlangenkönig war sehr traurig und sah es mit weinenden Augen an. Und als Jakob ihn so traurig sah, jammerte ihn seines Schicksals und dass er in dem scheußlichen Schlangenrock gehen musste wegen seiner früheren Sünden und Schulden, bis ein unschuldiges junges Blut sich über ihn erbarmte und ihn lieb hätte. Und er tröstete ihn und sprach: Schlangenkönig sei du nur nicht so traurig, dass diese alle von dir gehen und wieder zu den Ihrigen reisen wollen; denn von diesen allen kann dich ja doch keine einzige mehr erlösen. Und dass sie dir das Schloss ein bisschen leer machen, das schadet dir ja auch nichts: du behältst immer noch Schätze und Herrlichkeiten genug. Du jammerst mich und ich will dir darum noch einen guten Rat geben, und den verschmähe nicht. Lasse dein trotziges und herrisches Wesen fahren und sei nicht so klug und listig. Denn mit Klugheit und List richtest du es nicht aus, das hast du wohl lange merken können, und obgleich du der Schlangenkönig heißeste bist du gewiss nicht verwandelt worden, dass du ein Herr sein sollst, sondern ein Diener sollst du sein und dienen sollst du lernen in Reue und Buße über deine begangenen Sünden, damit derjenige sich über dich erbarme, welcher der Herr aller Könige ist. So ist es gemeint mit dem bunten Schlangenrock, den du tragen musst: du sollst demütig und gehorsam werden, so magst du noch wohl Liebe und Erlösung finden. Aber ein trotziges und listiges Herz, dass keine Demut hat, kann auch keine Liebe in der Brust haben; und wie kannst du glauben, dass ein junges unschuldiges Herz den Schlangenkönig umarmen soll, wenn es ihm nicht anmerkt, dass Liebessehnsucht und Frömmigkeit in ihm wohnt?

So sprach Jakob ganz beweglich zum Schlangenkönig, und als die Jungfrauen und Margarethe fertig waren, da rief er: Tu uns auf, Schlangenkönig! Und Schlangenkönig stieß mit dem Kopf gegen das Eisentor des Gartens und es sprang weit auf; und sie gingen alle heraus und Schlangenkönig ging mit ihnen. Als sie nun an das Wasser kamen, war da weder Brücke noch Nachen, und Jakob sprach. Hurtig, Schlangenkönig! mach Anstalt! mach uns die Brücke fertig! Schlangenkönig aber konnte es nicht lassen, er brauchte wieder eine List und spannte ein dünnes glänzendes Spinnwebchen wie einen Bogen über das Wasser von einem Ufer zum andern und sprach lächelnd: Ich kann euch nicht helfen, dies ist die einzige Brücke, auf welcher man von dieser Insel über den See kommen kann. Er hoffte aber in seinem Herzen, es werde niemand darauf treten, aus Furcht zu ersaufen, und so werde er durch diese Feinheit alle die Jungfrauen glücklich da behalten als Dienerinnen und den Jakob oben ein als Diener. Aber Jakob hatte von solchen Kniffen der Geister schon oft gehört, nahm sein Margretchen an die Hand und rief: In Gottes Namen! alle mir nach! Und so sprang er auf die dünne Spinnwebbrücke und Margretchen mit ihm, und in demselben Augenblicke legte sich die Spinnwebenbrücke als die schönste und breiteste Marmorbrücke über das Wasser, und er und Margretchen und die andern Jungfrauen gelangten glücklich hinüber. Und als sie alle am Lande waren, war die Brücke in der Sekunde wie versunken und man sah keine Spur mehr von ihr, auch nicht einmal das Spinnwebenfädchen. Und sie waren alle froh aber erstaunt und sahen und hörten nichts als ein leises Wimmern hinter sich; das war wohl der Schlangenkönig, der über seine schönen Jungfrauen weinte.

Jakob lief nun über die Wiese hin mit seinem Margretchen und mit der schneeweißen Jungfrauenschaar, die er erlöst hatte, und sie zogen jubelnd und jauchzend in Torstorp ein. Und alle Leute sind entsetzt gewesen über diesen Geschichten und haben lange erzählt von Jakobs Abenteuer in allen Landen und haben die Ausführung der schönen Jungfrauen aus dem Zauberschlosse Jakobs Auszug genannt. Und die feinen jungen Dirnen haben zu Jakob und Margretchen freundlich Ade gesagt und sind weggegangen und glücklich wieder zu den Ihrigen gekommen; und weil sie sich Gold und Silber und kostbare Kleider aus Schlangenkönigs Schlosse mitgebracht hatten, so haben sie alle gar bald junge und hübsche Bräutigame gehabt. Und Jakob ist der Bräutigam seiner Margarete geworden und sie haben bald eine lustige Hochzeit gehalten. Sie sind aber hier in Thorstorp nicht geblieben, denn die Nachbarschaft der Insel, wo Schlangenkönig hauste, däuchte ihnen zu gefährlich, sondern sie sind weiter zurück ins Land hinauf gezogen und haben sich da für die mitgenommenen Schätze ein schönes Gut gekauft und in Freuden gelebt. Von dem Schlangenkönige und ob er seitdem erlöst worden, haben sie nie wieder was gehört.