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Schlagende Wetter
Es war am Montagmorgen. Wir saßen auf der niedrigen, winkligen Wetterstrecke, für die ich immer fürchtete, dass der ungeheure Druck des Schiefergebirges, durch das sie sich wand, einmal ihre engen Gurgellöcher ganz und gar zudrücken würde. Sie war unser einziger Fahrweg, und so eng und voll von warmen Dünsten, dass es fürwahr eine Qual war, sich kriechend in ihr fortzubewegen. Ach, das glaubt dem Bergmann ja keiner, was das für eine liebe Not ist da drunten im Geklüft. Der quellende, schwellende Grund der Erde, der die Wunden, die wir ihm stechen, wieder zupressen möchte mit aller Gewalt. Und dann in der beklemmenden Enge die drängenden Wasser, die fiebrige Hitze, in der dicken, murmelnden Finsternis der quirlende Staub, und ach, die dünne, magere Luft. Die Luft, in der die stinkenden Schwaden der Verwesung, der beißende Geruch des Rostes und die giftigen Kohlengase sich sammeln zur heimlich, verderbenschwangeren Eintracht. Wehe dem Knappen, der seine Feinde nicht kennt. Auf unsern Gerätekisten saßen wir, halbnackt, geduckt, und aßen frühmorgens, vor Beginn der Arbeit, ein Stück Brot. Nebenan, zwischen Holzspänen und vermoderndem Papier im Geröll des Dammes, raschelten die Bergmäuse, des Knappen treue Begleiter in allen Erdentiefen, die kleinen, scheuen Bettelmönche. Am anstehenden Flözstoße, hinter den Verschalungen der dünnen Tannenstützen, knispelte und brach die weiche Kohle, als würde sie von unsichtbaren, gewaltigen Fäusten leise zerrieben. Unsere Lampen blakten und finselten. Nebeldämpfe schwebten, im Gange hingehaucht. Gesichter und Erscheinungen formten und bewegten sich in der Dämmerung geisterhaft. Ein eigentümlicher Druck lag auf mir. Ich fühlte in meinem Innern das Lauernde, Saugende der finsteren Schatten, die um uns schwankten und lagerten. Halbträumend dachte ich seltsamen Dingen nach. Sah hinterm wasserglänzenden, rissigen Deckgestein die ungeheuren Zyklopen drinnen in den erdrückenden Gebirgen bei ihrem finsteren, haßvollen Vernichtungswerke, sah, wie sie uns umringten, wie sie sich auf uns legten, um alles zu zermalmen. Hörte unsre alte, getreue Luftmühle im Bretterverschlag, die durch dicke Blechröhren die umgehenden frischen Wetter kreisend nach oben trieb, wie unter einem Alpdruck ächzen und beben in ihrem heulenden Schaufelgang, spürte, wie sie sich mühte und schleppte und ersticken wollte unter den unheilbrauenden Schwaden der engeinschließenden Kohlenhöhle. Dann musste der Flözdurchschlag nach oben sich selbst erwürgen unter der lastenden Berggewalt ... Ach was, hatten wir nicht sicher gebaut? Dicke, eichene Traghölzer standen in aufgebrochenem Gestein und starke, eiserne Schienen trugen das lastende, hangende Gebirge, das hielt! Wenn nur nicht immer die dumpfe, erwürgende Stickluft drinnen gewesen wäre, in allen Winkeln die betäubenden, feuerschwangeren, schlagenden Wetter... Mechanisch aß ich mein Brot weiter. Mit dem schweißnassen Kittel wischte ich die warmen, fließenden Tropfen von Stirn und Brust. Mein Kamerad, Hannes Klabaum, der Vollhauer, erzählte sorglos von gestern, vom schönen Sonntag, wie das untereinander der Brauch ist bei den Bergleuten. Später ging er, seine brennende Lampe, Hacke, Fäustel und Eisen ergreifend und bog um die dunkle Ecke, wo der auf dreißig Grad ansteigende Berg begann. Ich hörte seine Schritte verhallen, kleine Steine rollten herab. Hörte in der Ferne, im niedrigen Streckengang hinter den schlecht rollenden Wagen den Jungen leise fluchen und poltern. Schwül umhüllte mich der einsamen Grube warmer Nebelhauch. Meine Lampe zuckte und strahlte ein unsicheres Flackerlicht. Scharf biss mein schneidendes Beil in die Tannenhölzer, die ich berggerecht beschlug. Reichlich perlte aus allen Poren der heiße Schweiß in den Staub. Allein war ich. Eine Viertelstunde lang. - Wenn der Seemann auf stolzem, segelglänzendem Dreimaster oder auf dem sicher dahinrudernden Dampfschiff über das Weltmeer fährt, hat er, wie der Bergmann in der Tiefe über sich die erdrückenden, gewaltigen Gebirge, unter dem Kiel seines Schiffes die versinkende Dunkelheit des Wassers. Aber doch so manches hat dieser vor dem Schürfer in der Erde voraus. Die reine, würzige wehende Luft. Zu seinen Hantierungen Raum, Raum! Das goldene, menschenerfreuende Sonnenlicht, und in der Brust, im tiefen Bewusstsein, die unvergleichlichen Gefühle des Ungebundenseins, der Freiheit im ewigen All. Der Bergmann aber irrt im Dunkeln. Kaum kennt die Welt ihn und seine Gefahren. Scheu kriechen seine Empfindungen im Verborgenen, und seine stillen Sorgen und ernsten Träume schweben bekümmert zwischen den Rätseln der Vergangenheit und den Hoffnungen der zukünftigen Zeit irrend dahin. Tief unten, unter den Ländern der Menschen, durch die der Wagen des Glückes rollt, rühren sich seine Hände in der ewigen Finsternis, kämpfen in dunkler Bedrängnis mit den unheimlichen, unterirdischen Gewalten und schaffen in Mühsal und Unrast die Kohle zutage, den brennenden Stein, von dem alles das Dasein fristet, was hier oben im Lichte lebt und fröhlich ist. - Ich hatte mich geeilt, das Holz ausgekehlt und angehauen nach allen Regeln und sprang nun auf, denn eine tiefe Unruhe, ein dunkles Drängen war in mir. Hinauf musste ich in die enge Bergschlucht, denn mir ahnte, dass etwas nicht in Ordnung sein müsse. Es drängte mich, am Orte der Gefahr meinem Kameraden nahe zu sein.. Meine Hände zum Rufe an den Mund legend, stieß ich mehrere Male den laut in den Klüften widerhallenden Bergmannsruf aus, . . . aber von nirgendwoher kam Antwort, nur das Echo aus der einsamen Wetterstrecke hallte dumpf und hohl. Und auch keinen Lichtschein gewahrte ich vor mir in der Höhe. Da packte mich die Angst. Die Lampe in den Gürtel einhängend, band ich die fertigen Stützen in das geteerte Tragseil, schulterte meine Last und kletterte den niedrigen Bremsschacht hinan. Wie warm, stickig und nebelgrau die unbeweglichen Wetterstreifen unter der Firste standen. Seltsam, wunderleicht ward mir zumut. Mir war, als müsste ich, ein schlafendes, träumendes Schattenwesen, gleich die Flügel aufheben und fliegen ins Irre, Unbekannte hinein. Meine Füße wurden so schwebend leicht, meine Gedanken huschten und jagten wie ein Gaukelspiel vor mir her. Mir war, als wichen meine Augen und alle meine Sinne von mir und ringelten sich wie böse Schleiergeister rankend um mein Bewusstsein. Das hinunterrutschende Seil wollte ich höher auf meine Schulter ziehn. Da merkte ich, dass ich vergiftet, dass mein Kopf taub und fast willenlos war, dass ich in einer Säule, in einer unheilschwangeren Wucht des gefährlichsten Schlagwetters stand. Meine Bürde glitt zu Boden, und da! - Herrgott! Drei Schritte vor mir sah ich meinen Kameraden am Grunde liegen, die Augen weit geöffnet, Schaum auf den schreckhaft voneinanderstehenden Lippen. Ein schneller Blick auf meine Lampe in der Hand - die stand schon voll blauer, züngelnder Flammen! Ein kalter Schreck fuhr durch meine eigentümlich müden Glieder. Jetzt aber aufgepasst, Bergmann! Sinne zusammen! Eine einzige unbedachte Bewegung, nur eine geringe, ruckende Erschütterung des Lichts - und die Flamme, das Ungeheuer, sprang dann heraus aus dem rotglühenden Lampenkorb, ins Freie hinein, in die Feuerhölle, in der ich stand. Die dann platzen musste, hereinbrechen mit Donnergedröhn, und in einem Hui in den grässlichsten, armseligsten Tod schleudern würde, mich, meinen Kameraden und all die andern hundert Knappen in den nachtbedeckten Gängen der Grube, mit rasender Gewalt. Die dann brausen würde mit entfesselter Urkraft, mit Schall und Macht wie ein Vulkan durch die Stollen und Bänke der Tiefe, die Flamme! Die, alles zertrümmernd, die lauernden, unseligen Rachegeister der Erde befreien und mit Gebrüll, mit wahnwitzigem Jubelgekreisch durch den Schacht zu Tage fahren würde. Die droben ihre blauen, glutstechenden Garben dann turmhoch leuchten ließ, die schmetternde Flamme! Der erschreckenden Welt mit Entsetzen verkündend, dass sie noch lebe in ihrer alten elementaren Macht ... Aber ich hatte keine Zeit, zu denken! Leise, leise, vorsichtig und ruhig setzte ich meine Schritte rückwärts, den brennendheißen Griff meiner Lampe fest und sicher in den Fingern haltend. Fuß um Fuß zog ich mein Licht, die gefährliche Flamme, dem Tode aus den zugreifenden Knochenhänden. Tiefer und tiefer kroch ich am Boden dahin, bis die blauen, unheimlichen Gespenster zögernd aus dem Drahtgeflecht des Schutzhutes entschwanden und der kleine, rote Lichtkegel allein auf dem Dochte stand und ruhig, wie gewöhnlich, zuckte und flimmerte. Dann klemmte ich den spitzen Haken der Lampe in einen eichenen Träger, der im Gleise lag, und dachte an meinen Kameraden da oben. Aber mir war so dumpf im Kopfe, so taumelnd trunken. Alle meine Sinne flackerten, meine Glieder bebten und waren wie mit Keulen zerschlagen. Einen Augenblick brach ich zusammen, es überkam mich so weh, als ob all mein Innerstes sich nach außen drängen wollte. Doch ich raffte mich auf, meine letzten Kräfte zusammennehmend, kroch ich bergan, langsam und mühselig, bis es mir endlich gelang, die Füße des Daliegenden zu ergreifen und den schweren Körper allmählich hinabzuziehen. Ich dachte daran, dass mein Kamerad wohl schon längst hinüber sein müsste. Meine eigenen Sinne fieberten und würgten sich in der Erstickungsnot. Von meinen hervorquellenden, heißbrennenden Augen zum Hirn wirbelten Funkenschwärme und feurige Ringe. Aber es gelang mir doch, uns beide in etwas reinere Luftschichten hinunterzuschleppen. Ich hatte noch die Kraft, meine Lampe vorsichtig zu löschen. Aber dann blieb ich liegen, nicht tot und nicht lebendig. Wie lange, ich weiß es nicht. Bis der Pole, der Abschlepper kam, uns fand und nach unten zur Strecke brachte. Im Dämmerzustand erfasste ich noch, dass auch mein Kamerad noch lebte. Dann lagen wir auf den Kisten, lange Zeit, wie im Tode, unfähig, uns zu regen. Sie setzten uns die blechernen Kaffeebüchsen an den Mund. Wir tranken und tranken immerzu und würgten uns krank. Wie wir zu Tage gekommen sind, wissen wir beide nicht mehr. Ich weiß nur, dass drinnen in der Brust mein Herz vor Freuden heiße Tränen weinte beim Anblick des wonnesamen Tageslichtes. dass ich noch nie die Sonne so begrüßt habe, wie nach jener kurzen Schicht. Hannes Klabaum, mein Kamerad, lag acht Tage lang unbeweglich, bleich wie ein Geist, auf seinem Lager, phantasierte und murmelte in hitzigen Fieberträumen vom schlagenden Wetter. Otto Wohlgemuth |
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Dieses Märchen wurde mir von Dieter [ chax@wtal.de ] zur Verfügung gestellt. |