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Rübezahl
Nicht immer war Rübezahl bei der Laune, denen, die er durch seine Neckereien in Schaden und Nachteil gebracht hatte, einen so edelmütigen Ersatz zu geben. Oft machte er nur den Plagegeist aus boshafter Schadenfreude und kümmerte sich wenig darum, ob er einen Schurken oder einen Biedermann foppte. Oft gesellte er sich zu einem einsamen Wanderer als Geleitsmann, führte unbemerkt den Fremdling irre, ließ ihn an dem Absturz einer Bergzinne oder in einem Sumpfe stehen und verschwand mit höhnendem Gelächter. Zuweilen erschreckte er die furchtsamen Marktweiber durch abenteuerliche Gestalten wildfremder Tiere. Oft lähmte er den Reisigen das Ross, dass es nicht von der Stelle konnte, zerbrach den Fuhrleuten ein Rad oder eine Achse am Wagen, ließ vor ihren Augen ein abgerissenes Felsenstück in einen Hohlweg hinab rollen, das sie mit unendlicher Mühe auf die Seite räumen mussten, um sich freie Bahn zu machen. Oft hielt eine unsichtbare Kraft einen ledigen Wagen, dass sechs rasche Pferde ihn nicht fortzuziehen vermochten, und ließ der Fuhrmann merken, dass er eine Neckerei von Rübezahl wähnte, oder brach er in Unwillen gegen den Berggeist aus, so hatte er ein Hornissenheer, das die Pferde wild machte, einen Steinhagel oder eine reichhaltige Tracht Prügel von unsichtbarer Hand zu erwarten.
Mit einem alten Schäfer, der ein gerader, treuherziger Mann war, hatte er Bekanntschaft gemacht und sogar eine Art von vertraulicher Freundschaft errichtet. Er gestattete ihm, mit der Herde bis an die Hecken seiner Gärten zu treiben, was ein anderer nicht hätte wagen dürfen. Der Geist hörte dem Graukopf bisweilen mit Vergnügen zu, wenn ihm dieser seinen unbedeutenden Lebenslauf erzählte. Des ungeachtet versah's der Alte doch einmal. Da er eines Tages nach Gewohnheit seine Herde in des Gnomen Gehege trieb, brachen einige Schafe durch die Hecken und weideten auf den Grasplätzen des Gartens; darüber ergrimmte Freund Rübezahl derartig, dass er alsbald die Herde in wildem Getümmel den Berg hinab scheuchte, wodurch sie größtenteils verunglückte, und der Nahrungsstand des alten Schäfers in solchen Verfall kam, dass er sich darüber zu Tode grämte. Ein Arzt aus Schmiedeberg, der auf dem Riesengebirge Pflanzen zu sammeln pflegte, genoss gleichfalls zuweilen die Ehre, mit seiner prahlerischen Gesprächigkeit den Gnomen zu unterhalten, der bald als Holzhauer, bald ein Reisender sich zu ihm gesellte und den Schmiedeberger Arzt seine Wunderkuren mit Vergnügen sich erzählen ließ. Er war zuzeiten so gefällig, das schwere Kräuterbündel ihm ein gut Stück Weges nachzutragen und ihm manche noch unbekannte Heilkräfte kundzutun. Der Arzt, der sich in der Kräuterkunde weiser dünkte als ein Holzhauer, empfand einst diese Belehrungen übel und sprach mit Unwillen: «Der Schuster soll bei seinem Leisten bleiben, und der Holzhauer soll den Arzt nicht belehren. Weil du aber der Kräuter und Pflanzen kundig bist, so sage mir doch, du weiser Salomon, was war eher, die Eichel oder der Eichbaum?» Der Geist antwortete: «Doch wohl der Baum, denn die Frucht kommt vom Baume.» - «Narr,» sprach der Arzt, «wo kam denn der erste Baum her, wenn er nicht aus dem Samen sprosste, der in der Frucht verschlossen liegt?» Der Holzhauer erwiderte: «Das ist, wie ich sehe, eine Meisterfrage, die mir schier zu hoch ist. Aber ich will Euch eine Frage vorlegen: wem gehört dieser Erdengrund, worauf wir stehen, dem König von Böhmen oder dem Herrn vom Berge?» (So nannten die Nachbarn den Berggeist, nachdem sie waren gewitzigt worden, dass der Name Rübezahl im Gebirge nur Stöße und blaue Mäler einbrächte.) Der Arzt bedachte sich nicht lange: «Ich meine, dieser Grund und Boden gehöre meinem Herrn, dem König von Böhmen; denn Rübezahl ist ja nur ein Hirngespinst, ein Popanz, die Kinder damit fürchten zu machen.» Kaum war das Wort aus seinem Munde, so verwandelte sich der Holzhauer in einen scheußlichen Riesen mit feuerfunkelnden Augen und wütiger Gebärde, schnauzte den Arzt grimmig an und sagte mit rauer Stimme: «Hier ist Rübezahl, der dich popanzen wird, dass dir sollen die Rippen krachen;» erwischte ihn darauf beim Kragen, rannte ihn gegen die Bäume und Felsenwände, riss und warf ihn hin und her, schlug ihm zuletzt ein Auge aus und ließ ihn wie tot auf dem Platze liegen, dass sich der Arzt nachher stark vornahm, nie wieder ins Gebirge zu gehen. So leicht war's, Rübezahls Freundschaft zu verscherzen; doch eben so leicht war's auch, sie zu gewinnen. Einem Bauern in der Amtspflege Reichenberg hatte ein böser Nachbar sein Hab und Gut abgenommen, und nachdem sich die Justiz seiner letzten Kuh bemächtigt hatte, blieb ihm nichts übrig als ein abgehärmtes Weib und ein halbes Dutzend Kinder, von denen er gern den Gerichten die Hälfte für sein letztes Stückchen Vieh verpfändet hätte. Zwar gehörten ihm noch ein Paar rüstige gesunde Arme, aber sie waren nicht hinreichend, sich und die Seinigen damit zu ernähren. Es schnitt ihm durchs Herz, wenn die jungen Raben nach Brot schrien, und er nichts hatte, um ihren quälenden Hunger zu stillen. «Mit hundert Talern,» sprach er zu dem kummervollen Weibe, «wäre uns geholfen, unseren zerfallenen Haushalt wieder einzurichten und fern von dem streitsüchtigen Nachbar ein neues Eigentum zu gewinnen. Du hast reiche Vettern jenseits des Gebirges, ich will hin und ihnen unsere Not klagen; vielleicht, dass sich einer erbarmt und aus gutem Herzen von seinem Überfluss uns auf Zinsen leiht, soviel wir bedürfen.» Das niedergedrückte Weib willigte mit schwacher Hoffnung eines glücklichen Erfolgs in diesen Vorschlag ein, weil sie keinen besseren wusste. Der Mann aber machte sich auf, und indem er Weib und Kinder verließ, sprach er ihnen Trost ein: «Weinet nicht! Mein Herz sagt es mir, ich werde einen Wohltäter finden, der uns förderlicher sein wird als die vierzehn Nothelfer, zu denen ich so oft vergeblich gewallfahrtet bin.» Hierauf steckte er eine harte Brotrinde zur Zehrung in die Tasche und ging davon. Müde und matt von der Hitze des Tages und dem weiten Wege, gelangte er zu Abendzeit in dem Dorfe an, wo die reichen Vettern wohnten; aber keiner wollte ihn kennen, keiner wollte ihn beherbergen. Mit heißen Tränen klagte er ihnen sein Elend; aber die hartherzigen Filze achteten nicht darauf, kränkten den armen Mann mit Vorwürfen und beleidigenden Sprichwörtern. Einer sprach: «Junges Blut, spar' dein Gut», der andere: «Hoffart kommt vor dem Fall», der dritte: «Wie du's treibst, so geht's», der vierte: «Jeder ist seines Glückes Schmied». So höhnten und spotteten sie seiner, nannten ihn einen Prasser und Faulenzer, und endlich stießen sie ihn gar zur Tür hinaus. Eine solche Aufnahme hatte sich der arme Vetter bei der reichen Sippschaft seines Weibes nicht vorgestellt; stumm und traurig schlich er von dannen, und weil er nichts hatte, um das Schlafgeld in der Herberge zu bezahlen, musste er auf einem Heuschober im Felde übernachten. Hier wartete er schlaflos des zögernden Tages, um sich auf den Heimweg zu begeben. Da er nun wieder ins Gebirge kam, überkam ihn Harm und Bekümmernis so sehr, dass er der Verzweiflung nahe war. Zwei Tage Arbeitslohn verloren, dachte er bei sich selber, matt und entkräftet von Gram und Hunger, ohne Trost, ohne Hoffnung! Wenn du nun heimkehrst und die sechs armen Würmer dir entgegen schmachten, ihre Hände aufheben, von dir Labsal zu begehren, und du für einen Bissen Brot ihnen einen Stein bieten musst! Vaterherz! Vaterherz! wie kannst du's tragen! Brich entzwei, armes Herz, ehe du diesen Jammer fühlst! Hierauf warf er sich unter einen Schlehenbusch, seinem schwermütigen Gedanken weiter nachzuhängen. Wie aber am Rande des Verderbens die Seele noch die letzten Kräfte anstrengt, ein Rettungsmittel auszukundschaften, jede Hirnfaser auf und nieder läuft, alle Winkel der Phantasie durchspäht, Schutz oder Frist für den hereinbrechenden Untergang zu suchen; gleich einem Bootsmann, der sein Schiff sinken sieht, schnell die Strickleiter hinaufrennt, sich in den Mastkorb zu bergen, oder wenn er unter Verdeck ist, aus der Luke springt, in der Hoffnung, ein Brett oder eine ledige Tonne zu erhaschen, um sich über Wasser zu halten: so verfiel unter tausend nichtigen Anschlägen und Einfällen der trostlose Veit auf den Gedanken, sich an den Geist des Gebirges in seinem Anliegen zu wenden. Er hatte viel abenteuerliche Geschichten von ihm gehört, wie er zuweilen die Reisenden gedrillt und geneckt, ihnen manchen Schimpf angetan, doch auch mitunter Gutes erwiesen habe. Es war ihm nicht unbekannt, dass er sich bei seinem Spottnamen nicht ungestraft rufen lasse; dennoch wusste er ihm auf keine andere Weise beizukommen; also wagte er es auf eine Prügelei hin und rief so sehr er konnte: «Rübezahl! Rübezahl!» Auf diesen Ruf erschien alsbald eine Gestalt gleich einem rußigen Köhler mit einem fuchsroten Bart, der bis an den Gürtel reichte, feurigen, stieren Augen, und mit einer Schürstange bewaffnet, gleich einem Weberbaum, die er mit Grimm erhob, den frechen Spötter zu erschlagen. «Mit Gunst, Herr Rübezahl, » sprach Veit ganz unerschrocken, «verzeiht, wenn ich Euch nicht recht anredete; hört mich nur an, dann tut, was Euch gefällt.» Diese dreiste Rede und die kummervolle Miene des Mannes, die weder auf Mutwillen noch Vorwitz deutete, besänftigten den Zorn des Geistes in etwas: «Erdenwurm, » sprach er, «was treibt dich, mich zu beunruhigen? Weißt du auch, dass du mir mit Hals und Haut für deinen Frevel büßen musst?» - «Herr, » antwortete Veit, «die Not treibt mich zu Euch, habe eine Bitte, die Ihr mir leicht gewähren könnt. Ihr sollt mir hundert Taler leihen, ich zahle sie Euch mit landesüblichen Zinsen in drei Jahren wieder, so wahr ich ehrlich bin!» - «Tor, » sprach der Geist, «bin ich ein Wucherer oder Jude, der auf Zinsen leiht? Gehe hin zu deinen Menschenbrüdern und borge da so viel dir nottut, mich aber lass in Ruhe.» - «Ach!» erwiderte Veit, «mit der Menschenbrüderschaft ist's aus! Auf Mein und Dein gilt keine Brüderschaft.» Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte der Länge nach und schilderte ihm sein drückendes Elend so rührend, dass ihm der Gnom seine Bitte nicht versagen konnte; und wenn der arme Tropf auch weniger Mitleid verdient hätte, so schien doch dem Geist das Unterfangen, von ihm ein Kapital zu leihen, so neu und sonderbar, dass er um des guten Zutrauens willen geneigt war, des Mannes Bitte zu gewähren. «Komm, folge mir, » sprach er und führte ihn darauf Wald einwärts, in ein abgelegenes Tal zu einem schroffen Felsen, dessen Fuß ein dichter Busch bedeckte. Nachdem sich Veit nebst seinem Begleiter mit Mühe durchs Gesträuche gearbeitet hatte, gelangten sie zum Eingang einer finsteren Höhle. Dem guten Veit war nicht wohl dabei zumute, da er so im Dunkeln tappen musste; es lief ihm ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken herab, und seine Haare sträubten sich empor. Rübezahl hat schon manchen betrogen, dachte er, wer weiß, was für ein Abgrund mir vor den Füßen liegt, in den ich beim nächsten Schritte hinabstürze; dabei hörte er ein fürchterliches Brausen wie von einem Tagwasser, das sich in den tiefen Schacht ergoss. Je weiter er fortschritt, desto mehr engten ihm Furcht und Grauen das Herz ein. Doch bald sah er zu seinem Trost in der Ferne ein blaues Flämmchen hüpfen, das Berggewölbe erweiterte sich zu einem großen Saale, das Flämmchen brannte hell und schwebte als ein Hängeleuchter in der Mitte der Felsenhalle. Auf dem Pflaster fiel ihm eine kupferne Braupfanne in die Augen, mit eitel harten Talern bis an den Rand gefüllt. Da Veit den Geldschatz erblickte, schwand alle seine Furcht und das Herz hüpfte ihm vor Freuden. «Nimm, » sprach der Geist, «was du bedarfst, es sei wenig oder viel, nur stelle mir einen Schuldbrief aus, wenn du der Schreiberei kundig bist.» Veit bejahte das und zählte sich gewissenhaft die hundert Taler ab, nicht einen mehr und keinen weniger. Der Geist schien auf das Zählungsgeschäft gar nicht zu achten, drehte sich weg und suchte indes seine Schreibmaterialien hervor. Veit schrieb den Schuldbrief so bündig wie ihm möglich war. Der Gnom schloss diesen in einen eisernen Schatzkasten und sagte zum Abschied: «Zieh hin, mein Freund, und nütze dein Geld mit arbeitsamer Hand. Vergiss nicht, dass du mein Schuldner bist, und merke dir den Eingang in das Tal und diese Felsenkluft genau. Sobald das dritte Jahr verflossen ist, zahlst du mir Kapital und Zins zurück; ich bin ein strenger Gläubiger, hältst du das nicht ein, so fordere ich es mit Ungestüm.» Der Ehrliche Veit versprach auf den Tag gute Zahlung zu leisten, versprach's mit seiner biedern Hand, doch ohne Schwur; verpfändete nicht seine Seele und Seligkeit, wie lose Bezahler zu tun pflegen, und schied mit dankbaren Herzen von seinem Schuldherrn in der Felsenhöhle, aus der er leicht den Ausgang fand. Die hundert Taler wirkten bei ihm so mächtig auf die Seele und Leib, dass ihm nicht anders zumute war, da er das Tageslicht wieder erblickte, als ob er Balsam des Lebens in der Felsenkluft eingesogen habe. Freudig und gestärkt an allen Gliedern, schritt er nun seiner Wohnung zu und trat in die elende Hütte, indem sich der Tag zu neigen begann. Sobald ihn die abgezehrten Kinder erblickten, schrien sie ihm einmütig entgegen: «Brot, Vater, einen Bissen Brot! Hast uns lange darben lassen.» Das abgehärmte Weib saß in einem Winkel und weinte, fürchtete nach der Denkungsart der Kleinmütigen das Schlimmste und vermutete, dass der Ankömmling eine traurige Litanei anstimmen werde. Er aber bot ihr freundlich die Hand, ließ sie Feuer anschüren auf dem Herde; denn er trug Grütze und Hirse aus Reichenberg im Rucksack, wovon die Hausmutter einen steifen Brei kochen musste, dass der Löffel darin stand. Nachher gab er ihr Bericht von dem guten Erfolg seines Geschäftes. «Deine Vettern,» sprach er, «sind gar rechtliche Leute, die mir nicht meine Armut vorgehalten, haben mich nicht verkannt oder mich schimpflich vor der Tür abgewiesen; sondern mich freundlich beherbergt, Herz und Hand mir geöffnet und hundert Taler vorschussweise auf den Tisch gezählt.» Da fiel dem guten Weibe ein schwerer Stein vom Herzen, der sie lange gedrückt hatte. «Wären wir, » sagte sie, «eher vor die rechte Schmiede gegangen, so hätten wir uns manchen Kummer ersparen können.» Hierauf rühmte sie ihre Freundschaft, von der sie sich vorher so wenig Gutes versprochen hatte, und tat recht stolz auf die reichen Vettern. Der Mann ließ ihr nach so vielen Drangsalen gern die Freude, die ihrer Eitelkeit so schmeichelhaft war. Da sie aber nicht aufhörte die reichen Vettern zu loben und das viele Tage so forttrieb, wurde Veit des Lobposaunens der Geizdrachen satt und müde und sprach zum Weibe: «Als ich vor der rechten Schmiede war, weißt du, was mir der Meister Schmied für eine weise Lehre gab?» Sie sprach: «Welche?» - «Jeder,» sagte er, «sei seines Glückes Schmied, und man müsse das Eisen schmieden, weil's heiß sei; drum lass uns nun die Hände rühren und unserem Beruf fleißig obliegen, dass wir was vor uns bringen, in drei Jahren den Vorschuss nebst Zinsen abzahlen können und aller Schuld quitt und ledig seien.» Drauf kaufte er einen Acker und einen Heuschlag, dann wieder einen und noch einen, dann eine ganze Hufe; es war ein Segen in Rübezahls Gelde, als wenn ein Hecktaler darunter wäre. Veit säte und erntete, wurde schon für einen wohlhabenden Mann im Dorfe gehalten, und sein Säckel langte noch immer zur Erweiterung seines Eigentums. Im dritten Sommer hatte er schon zu seiner Hufe ein Herrengut gepachtet, das ihm reichen Wucher brachte; kurz er war ein Mann, dem alles was er tat, zu gutem Glück gedieh. Der Zahlungstermin kam nun heran, und Veit hatte so viel erübrigt, dass er ohne Beschwerde seine Schuld abtragen konnte; er legte das Geld zurecht, und auf den bestimmten Tag war er früh auf, weckte das Weib und alle seine Kinder, hieß sie waschen und kämmen und ihre Sonntagskleider anziehen, auch die neuen Schuhe und die scharlachenen Mieder und Brusttücher, die sie noch nicht auf den Leib gebracht hatten. Er selbst holte seinen Gottestischrock herbei und rief zum Fenster hinaus: «Hans, spann an!» - «Mann, was hast du vor?» fragte die Frau, «es ist heute weder Freitag noch ein Kirchweihfest, was macht dich so guten Mutes, dass du uns ein Wohlleben bereitet hast, und wo gedenkst du uns hinzuführen?» Er antwortete: «Ich will mit Euch die reichen Vettern jenseits des Gebirges heimsuchen und dem Gläubiger, der mir durch seinen Vorschub wieder ausgeholfen hat, Schuld und Zins bezahlen, denn heute ist der Zahltag.» Das gefiel der Frau wohl; sie putzte sich und die Kinder stattlich heraus, und damit die reichen Vettern eine gute Meinung von ihrem Wohlstande bekämen und sich ihrer nicht schämen dürften, band sie eine Schnur Dukaten um den Hals. Veit rüttelte den schweren Geldsack zusammen, nahm ihn zu sich, und da alles in Bereitschaft war, saß er auf mit Frau und Kind. Hans peitschte die vier Hengste an, und sie trabten mutig über das Blachfeld nach dem Riesengebirge zu. Vor einem steilen Hohlweg ließ Veit den Rollwagen halten, stieg ab und hieß den anderen gleiches tun, dann gebot er dem Knechte: «Hans, fahr langsam den Berg hinan, oben bei den drei Linden sollst du unser warten, und ob wir auch lange bleiben, so lass dich's nicht anfechten, lass die Pferde verschnauben und einstweilen grasen; ich weiß hier einen Fußpfad, der ist etwas um, doch lustig zu wandeln!» Darauf schlug er sich in Begleitung des Weibes und der Kinder Wald einwärts durch dicht Verwachsenes und spähte hin und her, dass die Frau meinte, ihr Mann habe sich verirrt, ermahnte ihn darum, zurückzukehren und der Landstraße zu folgen. Veit aber hielt plötzlich still, versammelte seine sechs Kinder um sich her und redete also: «Du wähnst, liebes Weib, dass wir zu deiner Freundschaft ziehen; dahin steht jetzt nicht mein Sinn. Deine reichen Vettern sind Knauser und Schurken, die, als ich weiland in meiner Armut Trost und Zuflucht bei ihnen suchte, mich gefoppt, gehöhnt und mit Übermut von sich gestoßen haben. - Hier wohnt der reiche Vetter, dem wir unseren Wohlstand verdanken, der mir aufs Wort das Geld geliehen, das in meiner Hand so wohl gewuchert hat. Auf heute hat er mich her beschieden, Zins und Kapital ihm wiederzuerstatten. Wisst ihr nun, wer unser Schuldherr ist? Der Herr vom Berge, Rübezahl genannt!» Das Weib entsetzte sich heftig über die Rede, schlug ein großes Kreuz vor sich, und die Kinder bebten und gebärdeten sich ängstlich vor Furcht und Schrecken, dass sie der Vater vor Rübezahl führen wollte. Sie hatten viel in den Spinnstuben von ihm gehört, dass er ein scheußlicher Riese und Menschenfresser sei. Veit erzählte ihnen sein ganzes Abenteuer, wie ihm der Geist in Gestalt eines Köhlers auf sein Rufen erschienen sei und was er mit ihm verhandelt habe in der Höhle, pries seine Mildtätigkeit mit dankbarem Herzen und so inniger Rührung, dass ihm die warmen Tränen über die freundlichen rotbraunen Backen herab träufelten. «Wartet hier,» fuhr er fort, «jetzt geh' ich hin in die Höhle, mein Geschäft auszurichten. Fürchtet nichts, ich werde nicht lange aus sein, und wenn ich's vom Gebirgsherrn erlangen kann, so bring' ich ihn zu euch. Scheut euch nicht, eurem Wohltäter treuherzig die Hand zu schütteln, ob sie gleich schwarz und rußig ist; er tut euch nichts zuleide und freut sich seiner guten Tat und unseres Dankes gewiss! Seid nur beherzt, er wird euch goldene Äpfel und Pfeffernüsse austeilen.» Obgleich nun das bängliche Weib viel gegen die Wallfahrt in die Felsenhöhle einzuwenden hatte und auch die Kinder jammerten und weinten, sich um den Vater her lagerten und, da er sie auf die Seite schob, ihn an den Rockfalten zurückzuziehen sich anstemmten, so riss er sich doch mit Gewalt von ihnen in den dicht verwachsenen Busch und gelangte zu dem wohlbekannten Felsen. Er fand alle Merkzeichen der Gegend wieder, die er sich wohl ins Gedächtnis geprägt hatte; die alte halberstorbene Eiche, an deren Wurzel die Kluft sich öffnete, stand noch wie sie vor drei Jahren gestanden hatte, doch von einer Höhle war keine Spur mehr vorhanden. Veit versucht's auf alle Weise, sich den Eingang in den Berg zu öffnen, er nahm einen Stein, klopfte an den Felsen; er sollte, meinte er, sich auftun; er zog den schweren Geldsack hervor, klingelte mit den harten Talern und rief so laut er nur konnte: «Geist des Gebirges, nimm hin, was dein ist»; doch der Geist ließ sich weder hören noch sehen. Also musste sich der ehrliche Schuldner entschließen, mit seinem Säckel wieder umzukehren. Sobald ihn das Weib und die Kinder von ferne erblickten, eilten sie ihm freudvoll entgegen; er war missmutig und sehr bekümmert, dass er seine Zahlung nicht an die Behörde abliefern konnte, setzt sich zu den Seinen auf einen Rasenrain und überlegte, was nun zu tun sei. Da kam ihm sein altes Wagestück wieder ein. «Ich will», sprach er, «den Geist bei seinem Ekelnamen rufen; wenn's ihn auch verdrießt, mag er mich bläuen und zupfen, wie er Lust hat, wenigstens hört er auf diesen Ruf gewiss;» schrie darauf aus Herzenskraft: «Rübezahl! Rübezahl!» Das angstvolle Weib bat ihn, zu schweigen, wollte ihm den Mund zu halten; er ließ sich nicht wehren und trieb's immer ärger. Plötzlich drängte sich jetzt der jüngste Bube an die Mutter an, schrie bänglich: «Ach, der schwarze Mann!». Getrost fragte Veit: «Wo?» - «Dort lauscht er hinter jenem Baume hervor;» und alle Kinder krochen in einen Haufen zusammen, bebten vor Furcht und schrien jämmerlich. Der Vater blickte hin und sah nichts, es war eine Täuschung, nur ein leerer Schatten; kurz, Rübezahl kam nicht zum Vorschein, und alles Rufen war umsonst. Die Familie trat nun den Rückweg an, und Vater Veit ging ganz betrübt und schwermütig auf der Landstraße vor sich hin. Da erhob sich vom Walde her ein sanftes Rauschen in den Bäumen, die schlanken Birken neigten ihre Wipfel, das bewegliche Laub der Espen zitterte, das Brausen kam näher, und der Wind schüttelte die weitausgestreckten Äste der Steineichen, trieb dürres Laub und Grashalme vor sich her, kräuselte im Wege kleine Staubwolken empor, an welchem artigen Schauspiel die Kinder, die nicht mehr an Rübezahl dachten, sich belustigten und nach den Blättern haschten, womit der Wirbelwind spielte. Unter dem dürren Laube wurde auch ein Blatt Papier über den Weg geweht, auf welches der kleine Geisterseher Jagd machte; doch wenn er danach griff, hob es der Wind auf und führte es weiter, dass er's nicht erlangen konnte. Drum warf er seinen Hut danach, der's endlich bedeckte; weil's nun ein schöner weißer Bogen war und der ökonomische Vater jede Kleinigkeit in seinem Haushalt zu nutzen pflegte, so brachte ihm der Knabe dem Fund, um sich ein kleines Lob zu verdienen. Als dieser das zusammengerollte Papier aufschlug, um zu sehen, was es wäre, fand er, dass es der Schuldbrief war, den er an den Berggeist ausgestellt hat, von oben herein zerrissen, und unten stand geschrieben: Zu Dank bezahlt. Wie das Veit inneward, rührt's ihn tief der Seele, und er rief mit freudigem Entzücken: «Freue dich, liebes Weib, und ihr Kinder allesamt freut euch; er hat uns gesehen, hat unseren Dank gehört, unser guter Wohltäter, der uns unsichtbar umschwebte, weiß, dass Veit ein ehrlicher Mann ist. Ich bin meiner Zusage quitt und ledig, nun lasst uns mit frohem Herzen heimkehren.» Eltern und Kinder weinten noch viele Tränen der Freude und des Dankes, bis sie wieder zu ihrem Fuhrwerk gelangten, und weil die Frau groß Verlangen trug, ihre Freundschaft heimzusuchen, um durch ihren Wohlstand die filzigen Vettern zu beschämen - denn der Bericht des Mannes hatte ihre Galle gegen die Knauser rege gemacht - so rollten sie frisch den Berg hinab, gelangten in der Abendstunde in die Dorfschaft und hielten bei dem nämlichen Bauernhofe an, aus dem Veit vor drei Jahren war hinaus gestoßen worden. Er pochte diesmal ganz herzhaft an und fragte nach dem Wirte. Es kam ein unbekannter Mann zum Vorschein, der gar nicht zur Freundschaft gehörte; von diesem erfuhr Veit, dass die reichen Vettern ausgewirtschaftet hatten. Der eine war gestorben, der andere verdorben, der dritte davongegangen, und ihre Stätte war nicht mehr gefunden in der Gemeinde. Veit übernachtete nebst seiner Rollwagengesellschaft bei dem gastfreien Hauswirt, der ihm und seinem Weibe das alles weitläufig erzählte, kehrte tags darauf in seine Heimat und an seine Berufsgeschäfte zurück, nahm zu an Reichtum und Gütern und blieb ein rechtlicher, angesehener Mann sein Leben lang. |
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