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Die Legende vom Rosenkranz
Es gibt in manchen Häusern Glasschränke, die mit wertvollen, oft sonderbaren Dingen angefüllt sind. Man darf sie nur betrachten, nicht in die Hände nehmen. In so einem Glasschrank, irgendwo, lag einmal ein Rosenkranz mit dunkelroten, geschliffenen Steinen und einem sehr schönen, silbernen Kreuz, ganz durchbrochen wie die feinste Spitze, eine Filigranarbeit längst vergangener Zeiten. Die kleine Monika stand oft davor. Sie wurde ein wenig traurig, wenn sie ihn sah, denn sie dachte an all die Menschen, die ihre Gebete darüber gesprochen hatten, an all die Toten, die nun niemand mehr kannte. Einmal vergaß der Vater den Glasschrank zu verschließen, und die kleine Monika nahm heimlich den Rosenkranz fort und legte ihn .unter ihr Kopfkissen. Am Abend umschlossen Kinderhände die alten roten Perlen, und eine sanfte Stimme sprach Gebete darüber, die gleichen, unveränderten Worte wie vor Jahren. Darüber schlief Monika ein, und sie träumte: Aus jeder Perle schwebte ein Engel hervor mit einer kleinen brennenden Kerze in der Hand. "Das Kind hat uns zum Leben erweckt", sagten sie leise zueinander, "eine gute Seele!" "Ach, man vergaß uns lange", sagte ein Engel, der in einem dunkelblauen Gewand vor dem Kreuz kniete, "seht, den Fächer aus Elfenbein trägt Monikas Mutter immer noch in der Hand, wenn ein Fest gefeiert wird, und auf der kleinen japanischen Schale zünden sie an manchem Abend die Räucherkerzen an." "Ja, uns vergaß man", sagte die erste Perle, "aber ich erinnere mich noch an manches Gesicht. Früher haben die Menschen mehr gebetet." "O, wenn ich nur an die alte Frau denke", rief die zweite Perle, "ihr kennt sie alle, sie trug uns in einem seidenen, dunkelroten Beutel, und darin lag noch ein Ring mit einem grünen, sonderbar schimmernden Stein." "Es war der Ring ihres Sohnes", sagte eine andere Perle leise, "er war fortgegangen, ich glaube in den Krieg, er war so jung und schön. Er ging und kam nicht wieder, und die alte Frau wartete und betete.
Darüber vergingen Jahre. Da schwebte eines Tages ein Engel mit leuchtenden
Schwingen durch das Fenster, er trug ein kleines Bild in seiner Hand, und in
diesem Angenblick schaute die alte Frau in einer Perle des Rosenkranzes das
Gesicht ihres Sohnes. "O, er wird kommen", sagte sie zu sich selbst, und sie
zählte wie ein Kind die Perlen ab bis zu jener, darin die dunklen Augen des
Knaben emporblickten. Es war die zehnte Perle." "Ja, ich war es", sagte eine
dunkle Stimme, "nie vergesse ich dieses Antlitz, dessen Spiegel ich wurde bis
zum zehnten Tag." "Und was geschah?" fragte der Engel in dem blauen Gewand. "Die
alte Frau starb", antwortete die Perle, "sie lächelte und sprach den Namen des
Sohnes. Er öffnete ihr wohl das Himmelstor, denn er kam niemals wieder." - Die
Engel mit den Kerzen senkten ihr Haupt, dann rief einer von ihnen: "Wisst ihr
nichts Fröhliches zu erzählen, bedenkt doch dass Monika alles hört." "Gebete sind
immer ernst", sagte die letzte Perle, "sie sind die Hilferufe der Menschen, sie
weinen und klagen, sie sind selten froh." Tag für Tag betete das Mädchen in dem großen Dom, aber die Gedanken waren nicht dabei. Perle um Perle glitt durch die schmalen Finger. Immer stand er da, der fremde, stumme Mensch mit seinem fragenden, großen Blick. Doch niemand folgte dem Mädchen, wenn es langsam, sehr langsam fortging. Nein, es wandte sich nicht um, doch das Herz wurde unruhig. Aber nun hört, wie klug so ein Mensch in seiner Not, in seiner Einfalt wird. Als wiederum einmal das Orgelrauschen den Dom anfüllte, dass die Herzen erbebten, ließ das Mädchen, während sie den perlmuttenen Deckel schloss, das Kästchen fallen. Es brach in der Mitte entzwei. Sogleich bückte der junge Mann sich und hob es auf. "Es ist zerbrochen", sagte er leise, "wie schade, aber ich will es Euch wieder machen, ihr sollt es morgen wiederbekommen, nach der Messe." Das Mädchen nickte mit flammendem Gesicht und war verschwunden. "Und was wurde aus den beiden?" fragte der Engel in dem blauen Gewand. "Ein Paar", riefen alle Perlen des Rosenkranzes, wir wissen es noch, und das Mädchen hieß auch Monika, die Namen kehren immer wieder, das ist auf der Welt so. Seht nur dieses schlafende Kind an, wie eine einzige Blume in einem unendlichen Kranz." Da klang Musik auf, eine Tür wurde geöffnet und eine Frau, mit einem Fächer in
der Hand, trat ein. Sie setzte sich an das Lager des Kindes und strich die Haare
aus der kleinen Stirn. Da sah sie in der Hand des Mädchens den Rosenkranz, die
Schnur war in der Mitte zerrissen. und einige Perlen lagen verstreut auf der
weißen Decke. "O, wie konntest du das tun", sagte die Frau leise. Doch das Kind
erwachte nicht, und der Engel sprach zu ihr, den man nicht mehr sah: "Ein
Rosenkranz ist etwas Lebendiges", sagte der Engel, "er braucht die Gebete, denn
dazu wurde er geschaffen in seiner ganzen Pracht, er ist ein sichtbares Lob
Gottes. Sieh den Fächer in deiner Hand, auch seine Schnur ist brüchig und dünn,
sieh das Korallenband in deinem Haar, es ist nur noch ein Hauch, aber beides
lebt, weil es deinen Herzschlag spürt!" - Die Frau nahm den Rosenkranz
vorsichtig aus der Hand des Kindes und ging hinaus. "Nun ist er entzwei", sagte
eine Männerstimme, "wie konnte sie ihn nehmen?" "Sie soll ihn behalten", sagte
die Frau leise, "wir ziehen eine neue Schnur hindurch, die Perlen sind die
gleichen." |
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