Pinky und die Wundertanne
Petra Meinerz 2001
Pinky war ein kleiner Punkt, einer der noch wachsen wollte. Aber wenn er genau überlegte... nicht er wollte wachsen, sondern seine Eltern wollten ihn wachsen sehen. Manchmal, wenn er alleine war, plusterte er sich ein Stück auf und wenn er besonders gut gelaunt war konnte man ein leichtes Leuchten feststellen was ihn umgab. Er war jetzt schon ganz alt, beinahe 437 Jahre alt und war der Meinung wirklich alles zu wissen was man wissen muss, um nicht ganz dumm durch die Welt zu laufen. Allerdings wusste er auch, dass Punkte bis über 4798 Jahre alt werden können. Mh... jetzt wisst ihr wohl gar nicht wie alt das in Menschenjahren ist. Mal überlegen... ganz genau ist das nicht auszurechnen, weil Punkte nicht gleichmäßig alt werden können. Sie werden mit jedem kleinen Stück Wissen älter. Punkte müssen nicht essen, denn Informationen reichen als Nahrung aus. Pinky hatte jetzt ungefähr das Wissen eines 12 jährigen. Damit kam er sich schon unglaublich klug und gebildet vor. Seine Eltern waren zwar stolz auf ihn, aber sie konnten es kaum erwarten ihm alles wissenswertes zu sagen, zu zeigen, vorzulesen und durch Experimente beizubringen. Sie gaben sich enorme Mühe und versuchten Pinky mehr als nur drei einfache Mahlzeiten am Tag zu füttern. Gut, ab und zu passierte es, dass der Vater etwas zu explosiv experimentierte und Mutter versuchte drei Geschichten auf einmal vorzulesen, denn auch Pinky´s Eltern waren nicht sooo perfekt wie sie immer jedem glauben machen wollten.
Wann immer es Pinky gelang, stahl er sich aus dem Haus und wollte die Welt mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und mit eigenen Händen fühlen. Jetzt wird es schwierig, denn ihr fragt euch sicher, ob ein Punkt tatsächlich hören, fühlen und sehen kann. Ja, Punkte können das. Sie sind allerdings sehr klein und man kann einfach nicht sehen, dass auch sie Ohren, Nase, Mund und Hände haben. Allerdings haben sie keine Beine; sie schweben einfach!
Eines nachmittags, Pinky war gerade der Mutter entwischt (sie hatte wieder viele Bücher mit ganz viel allgemeinen Wissen angeschleppt!), sauste er im Eiltempo dem kleinen Wald in unmittelbarer Nähe zu. Dort hatte er an seinem 385. Geburtstag eine winzige Tanne entdeckt, kaum größer als er selbst. Und das ist aus Menschensicht ja wirklich kaum zu sehen. Diese Tanne wuchs regelmäßig, aber sie wuchs nicht besonders in die Höhe. Das müsst ihr euch so vorstellen: Solch eine Wundertanne braucht über 5000 Jahre um so groß zu werden wie eine ganz normale Tanne die nicht älter als 10 Jahre ist. Sie können höchstens 13 Meter groß werden. Aber es gibt eine Besonderheit: sie können die Farbe wechseln (mal grün, mal blau, oder ganz bunt!) und mitten in der Nacht, zur Geisterstunde, können sie so groß und breit werden wie sie es sich immer wünschen. Innerhalb einer mitternächtlichen Stunde können sie entweder eine Blautanne und fünf Meter hoch werden, oder aber mitten im Sommer ein Weihnachtsbaum werden. Es gibt so viele Möglichkeiten für Wundertannen, dass man nicht alle auflisten kann.
Pinky konnte sich mit der Tanne gut unterhalten, sie einfach anschweigen, sich vorsichtig ankuscheln und seine Sorgen loswerden. Die Tanne gab sich immer viel Mühe mit Pinky, denn sie waren in den letzten Jahren wirklich gute Freunde geworden.
Es ging jetzt schnell auf Weihnachten zu und endlich hatte die Tanne das Gefühl zum richtigen Zeitpunkt für eine mitternächtliche Stunde ein wunderschöner, großer und edler Tannenbaum zu sein. Nur eines fehlte immer, denn das können auch Wundertannen nicht schaffen. Die festliche Weihnachtsbaumbeleuchtung! Auch mit dem Baumschmuck haperte es etwas. Bestenfalls schaffte die Tanne kleine Strohbündel auf die Zweige zu legen. Aber da es sehr zeitintensiv ist schaffte sie höchstens sieben in einer mitternächtlichen Stunde. In den letzten drei Jahren hatte sie aber immerhin schon 193 Ministrohballen sammeln können.
Sie klagte Pinky ihr Leid und dieser überlegte fieberhaft wie er seiner Freundin, der Wundertanne, eine Festbeleuchtung zu Weihnachten besorgen konnte.
Nach langem hin und her und vielen Überlegungen hatte er eine Lösung die einfacher nicht sein konnte!! Er war doch nicht der einzige Punkt auf der Welt. Allein jedes Schulheft von Menschenkindern war mit Punkten übersäht. So viele verschiedene gab´s. Dünne, kleine, große und unförmige, aber alles erstklassige Punkte! Und wie schon am Anfang der Geschichte kurz erwähnt schaffen es die Punkte zu leuchten. Manche bunt, manche ganz kräftig und manche sehr schwach, aber leuchten konnten alle.
Pinky überlegte nicht lange und begann schnell so viele Punkte wie nur möglich aufzusuchen. Er berichtete allen von der Wundertanne und dem Wunsch dieser, einmal mit Festbeleuchtung dastehen zu können. Die meisten der angesprochenen Punkte waren schnell von der Idee begeistert und nur wenige wollte nicht helfen.
Glücklich, der Wundertanne einen großen Wunsch erfüllen zu können, sprach er mit eben jener ab, dass sie an Weihnachten pünktlich um Mitternacht eine wunderschöne Tanne mit Strohbündeln werden sollte. Er wolle mit ihr Weihnachten feiern und wünsche sich einen tollen Weihnachtsbaum. Erfreut über diesen Wunsch sagte sie sofort zu. Pinky verabschiedete sich und begann am darauffolgenden Tag das Punktetreffen sehr sorgfältig zu organisieren.
Eine Woche später, am 24.12. war es dann soweit. Über 269 Punkte schwebten in den kleinen Wald und waren pünktlich um 00.05 Uhr bei der Wundertanne. Diese hatte sich in eine stolze 12,5 Meter hohe Edeltanne verwandelt und viele Strohbündel geschickt auf ihre Zweige verteilt. Als sie den vielfachen Punktbesuch sah, strengte sie sich noch ein wenig mehr an und schaffte es tatsächlich einen wunderschönen großen Strohstern für die Tannenspitze herzustellen. Dieser war so schwer, das 46 Punkte diesen Stern zur Spitze brachten.
Nachdem dies geschehen war, bat er seine Freundin (die Wundertanne) die Augen zu schließen und erst dann wieder zu öffnen wenn er es ihr sage. Gehorsam schloss die Tanne die Augen.
Auf Pinky´s Zeichen hin verteilten sich alle 269 Punkte gleichmäßig über die gesamte Tanne und setzten sich vorsichtig auf deren Äste. Sie taten es gerne, plusterten sich auf und begannen herrlich in allen Farben zu leuchten. Als sie mit den Vorbereitungen fertig waren gab Pinky der Wundertanne den freundlichen Befehl die Augen zu öffnen. Erst war es der Tanne nicht möglich durch den Schein der 269 Punkte irgendetwas zu erkennen, aber langsam gewöhnten sich ihre Augen an die ungewohnte Helligkeit. Sie sah an sich herab und begann vor lauter Freude zu weinen. Da stand sie in wunderschönem Lichterglanz und konnte sich in aller Ruhe im zugefrorenen Teich betrachten. Stumm schaute sie ihren Freund an und gerade als sie sich für seine wundervolle Idee bedankte, fing es leise an zu schneien. Innerhalb einer halben Stunde war eine zentimeterdicke Schneeschicht gefallen und verlieh dem Ganzen ein noch festlicheres Aussehen.
Es war für alle Punkte, aber vor allem für Pinky und die Wundertanne, der schönste Augenblick ihres Lebens.
Von diesem Moment an wurden sie eine große Gemeinschaft die sich mindestens einmal die Woche um Mitternacht zur gemütlichen Runde trafen.
Wer weiß, vielleicht werden sie im nächsten Jahr ein noch schöneres Weihnachtsfest verbringen?
Dieses Märchen wurde mir von Petra Meinerz (pmein1@eplus-online.de)
zur Verfügung gestellt. Vielen Dank