Die Geschichte der Sumsemanns
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
»Sumsemann« hieß der dicke Maikäfer, der im Frühling auf einer Kastanie im
Garten von Peterchens Eltern hauste, nicht weit von der großen Wiese mit den
vielen Sternblumen. Er war verheiratet gewesen; aber seine Frau war nun tot. Ein
Huhn hatte sie gefressen, als sie auf dem Hofe einherkrabbelte am Nachmittag, um
einmal nachzusehen, was es da im Sonnenlicht zu schnabulieren gab. Für die Maikäfer
ist es nämlich sehr gefährlich, am Tage spazierenzugehen. Wie die Menschen des
Nachts schlafen müssen, so schlafen die Maikäfer am Tage.
Aber die kleine Frau Sumsemann war sehr neugierig und so brummte sie auch am
Tage herum. Gerade hatte sie sich auf ein Salatblatt gesetzt und dachte:
›Willst mal probieren, wie das schmeckt!‹ ... Pick! - da hatte das Huhn sie
aufgefressen.
Es war ein großer Schmerz für Herrn Sumsemann, den Maikäfer. Er weinte
viele Blätter nass und ließ seine Beinchen schwarz lackieren. Die waren früher
rot gewesen; aber es ist Sitte bei den Maikäfern, dass die Witwer schwarze
Beine haben in der Trauerzeit. Und Herr Sumsemann hielt auf gute Sitte, denn er
war der letzte Sohn einer sehr berühmten Familie.
Vor vielen hundert Jahren nämlich, als der Urahn der Familie Sumsemann sich
gerade verheiratet hatte, geschah ein großes Unglück. Er war mit seiner
kleinen Frau im Wald spazierengeflogen - an einem schönen Sonntagabend. Sie
hatten viel gegessen und ruhten sich ein wenig auf einem Birkenzweiglein aus.
Da sie aber sehr mit sich selbst beschäftigt waren, denn sie waren jung
verheiratet, merkten sie nicht, dass ein böser Mann durch den Wald herbeikam;
ein Holzdieb, der am Sonntag stehlen wollte. Der schwang plötzlich seine Axt
und hieb die Birke um. Und so schrecklich schlug er zu, dass er dem Urgroßvater
Sumsemann ein Beinchen mit abschlug. Fürchterlich war es!
Und sie fielen auf den Rücken und wurden ohnmächtig vor Angst. Nach einiger
Zeit aber kamen sie zu sich von einem hellen Schein, der um sie leuchtete.
Da stand eine schöne Frau vor ihnen im Walde und sagte: »Der böse Mann ist
bestraft für seinen Waldfrevel am Sonntag. Ich bin die Fee der Nacht und habe
es vom Monde aus gesehen. Zur Strafe ist er nun mit dem Holz, das er
umgeschlagen hat, auf den höchsten Mondberg verbannt. Dort muss er bleiben bis
in alle Ewigkeit, Bäume abhauen und Ruten schleppen.«
Aber der Urgroßvater Sumsemann schrie und sagte: »Wo ist mein Beinchen, wo
ist mein Beinchen, wo ist mein kleines sechstes Beinchen?«
Da erschrak die Fee.
»Ach«, sagte sie, »das tut mir sehr leid; es ist wohl an der Birke hängengeblieben
und nun mit auf den Mond gekommen.«
»Oh, oh, mein Beinchen, mein kleines sechstes Beinchen!« schrie der arme
Urgroßvater Sumsemann, und seine kleine Frau weinte schrecklich. Sie wusste, dass
nun alle ihre Kinder nur fünf Beinchen haben würden statt sechs, denn es
vererbt sich. Und das war schlimm. Als aber die Fee den großen Jammer sah,
hatte sie Mitleid mit den Käfertierchen und sagte: »Ein Mensch ist zwar sehr
viel mehr als ein Maikäfer, und deshalb kann ich die Strafe für den bösen
Mann nicht aufheben; aber ich will erlauben, dass gute Menschen, wenn ihr sie
findet, euch das Beinchen wiedergewinnen können. Wenn ihr zwei Kinder findet,
die niemals ein Tierchen quälten, dann dürft ihr auf den Mond mit ihnen und
das Beinchen wiederholen.«
Da waren die beiden etwas getröstet und flogen heim und trockneten ihre Tränen.
Diese Geschichte hatte sich bald unter allen Käfern herumgesprochen; alle Mücken,
Grillen und Ameisen wussten es, sogar die Libellen und Schmetterlinge hatten
davon gehört. Die Familie der Sumsemanns war berühmt geworden. Sie galt auf
allen Wiesen und in allen Bäumen für ein sehr vornehmes Geschlecht. Aber die
Sumsemänner und Frauen hatten viel Leid von ihrem Ruhm, denn immer wieder
wurden sie totgeschlagen, wenn sie nachts in die Stuben kamen, um die Kinder zu
bitten; oft von rohen und unverständigen Dienstmädchen, oft auch von den
Kindern selbst. Dies war der große Fluch, der auf der Familie lastete. Und so
kam es, dass zuletzt nur noch ein Sumsemann übrig war auf der Welt, der Witwer,
dessen Frau von dem Huhn gefressen wurde, weil sie so neugierig am Tag
herumflog, statt zu schlafen.
Er war ein sehr vorsichtiger Mann, hielt sich immer ein wenig abseits von den
anderen Maikäfern, und besonders, seit seine Frau tot war, liebte er die
Einsamkeit.
Da saß er in der Dämmerung, wenn er sich satt gegessen hatte, auf
irgendeinem Zweiglein, geigte sehnsüchtige Liederchen an den Mond und die große
Ballade vom sechsten Beinchen, das noch immer dort oben war. Manchmal spielte er
sich auch ein lustiges Liedchen. Dazu tanzte er dann auf den großen Kastanienblättern
herum. Das sah sehr komisch aus. Die anderen Maikäfer veranstalteten
allabendlich ein großes Brummbaß- und Paukenkonzert unter dem Baum. Herr
Sumsemann aber sagte regelmäßig ab, wenn sie ihn dazu einluden, und das ärgerte
sie sehr. »Er ist hochnäsig«, sagten sie, »seit er nicht mehr den Brummbaß,
sondern die Geige spielt.«
Aber es war nur Neid von ihnen. Sie hatten nämlich alle nur ihre Pauken und
dicken Brummbässe; er aber hatte eine kleine silberne Geige, die funkelte wie
das Mondlicht und hatte einen Ton, so fein wie die winzigen, singenden Mücken,
die in der Sonne tanzen. Diese Geige war ein altes Familienerbstück. Einst
hatte ein Herr Sumsemann der Grille Zirpedirp, die auf der Sternblumenwiese
wohnte, das Leben gerettet, als sie zu hoch auf einen Baum gestiegen war und
einen Schwindelanfall bekam. Zum Dank für diese mutige Tat hatte die Grille
ihrem Lebensretter die silberne Geige geschenkt. Die erbte seither im
Geschlechte der Sumsemanns immer der älteste Sohn, und sie wurde hoch in Ehren
gehalten. So war nun der letzte Sumsemann auch der letzte Erbe. All dies machte
ihn sehr stolz. Man kann es begreifen. Er führte ein bequemes Leben, war dick
und vorsichtig und dachte immer daran, dass er sich nicht in Gefahr bringen dürfe.
Nur manchmal, wenn der Abend gar so schön war, packte es ihn, und er wurde
mutig. Dann trank er ein Vergißmeinnichtschnäpschen nach dem anderen zur
Erinnerung an seine Frau - obwohl sie damit ganz gewiss nicht einverstanden
gewesen wäre -, und in sehr angeregter Stimmung summte er in Zickzacklinien
durch die Gärten. Er störte die Mücken bei ihrem Abendtanz und die Leuchtkäfer
beim Versteckspielen. Er rempelte die Apfelblüten an, dass die kleinen Marienkäferkinderchen
herauspurzelten, die da eben einschlafen wollten. Er zerriss der schieläugigen
Spinne die Fangnetze und rannte ... bums! ... gegen alle Fenster, weil er nicht
mehr genau unterscheiden konnte, ob ein Fenster offen oder geschlossen war. Es
tat ihm aber nichts, denn er hatte einen sehr harten Schädel. »Hoppla!« sagte
er meistens nur und flog weiter, von gewaltigem Tatendurst getrieben. ›Ein
Ritter bin ich‹, so dachte er, ›und der letzte Sumsemann!‹
In der Kinderstube
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
So war der letzte Sumsemann denn auch eines schönen Abends in das Schlafzimmer
von Peterchen und Anneliese geraten, als die Kinder gerade von der dicken Minna
zu Bett gebracht wurden.
Peterchen hatte natürlich sein Gebrumm gehört und wollte ihn greifen. Gut
war nur, dass Minna die Jagd nicht erlaubte, denn sonst wäre Sumsemann
vielleicht in eine schlimme Lage geraten. Sie war wahrscheinlich schwerhörig,
denn sie hatte gar nichts gehört und glaubte, dass Peterchen ihr nur etwas
vormachen wolle, um im Hemdchen noch so »ein bissel« im Zimmer herumzuturnen.
Der Schreck war dem edlen Sumsemann aber doch scheußlich in die Glieder
gefahren, und, trotzdem er gerade heute besonders viele Vergißmeinnichtschnäpschen
getrunken hatte, war all sein Mut fort. Er lag oben auf der Gardinenstange und
stellte sich tot. Dies ist ein altes und bewährtes Mittel bei den Maikäfern,
in großen Gefahren. Derweil aber passte er genau auf, was im Zimmer geschah.
Die Minna ging fort, als sie die Kinder ins Bettchen gepackt hatte, und
Peterchen unterhielt sich mit Anneliese natürlich gleich über den Maikäfer.
Jetzt wurde es wieder gefährlich!
Der Sumsemann bekam oben auf der Gardinenstange kolossales Herzklopfen, als
Peterchen plötzlich leise aufstand, um ihn zu suchen, weil Anneliese ein bissel
Angst hatte.
>Wer weiß, es hätte ihm doch ans Leben gehen können; obwohl die Kinder
ja sonst gut waren. Aber man darf sich auf die Gutmütigkeit der Menschen nicht
verlassen.< Dies wusste er aus seiner Familiengeschichte.
Das Geschick war ihm aber günstig; denn, gerade als Peterchen an der Gardine
war und die Gefahr am höchsten stieg, kam die Mutter herein. Husch! wurde der
kleine Junge wieder ins Bettchen gesteckt; beide Kinder mussten die Hände
falten und das Nachtgebet sprechen. Dann sang die Mutter ihnen noch ein
Schlaflied. Und sie sang die berühmte Maikäferballade. Hier ist sie:
»War einst ein kleines Käferlein,
Summ - Summ - Summ -Hatte zwei braune Flügelein,
Summ - Summ - Summ - Und sechs Beinchen hatte es auch
Unter seinem schwarz-weißen Bauch,
Summ - Summ - Summ.
Saß auf einem grünen Baum,
Summ - Summ - Summ - Träumte einen schönen Traum,
Summ - Summ - Summ - Träumte von Sonne, Mond und Sternen
Und von fremden Länderfernen,
Summ - Summ - Summ.
Als der dunkle Abend kam,
Summ - Summ - Summ - Käferlein sein Ränzel nahm,
Summ - Summ - Summ - Wollt' auf die große Reise gehn
Und die weite Welt besehn,
Summ - Summ - Summ.
Flog über einen breiten Bach,
Summ - Summ - Summ - Verlor ein kleines Beinchen, ach!
Summ - Summ - Summ - Reiste nur noch mit fünf Beinen,
Tat so bitterlich drum weinen,
Summ - Summ - Summ.
Flog es nach dem Mond geschwind,
Summ - Summ - Summ - Kam ein großer Wirbelwind,
Summ - Summ - Summ - Brach ein Flügelchen entzwei;
Ach, das gab ein groß' Geschrei!
Summ - Summ - Summ.
Fiel in einen tiefen Wald,
Summ - Summ - Summ - Starb an seinem Kummer bald,
Summ - Summ - Summ - Musst' die Reis' ein Ende haben;
Sandmännchen hat es eingegraben,
Summ - Summ - Summ.«
>Seltsam!< Herr Sumsemann oben auf der Gardinenstange wunderte sich, dass
die Menschen dies Lied auch kannten. Es war ihm aber ein neuer Beweis für die
Berühmtheit der Maikäfer auf der weiten Welt, und dies beruhigte ihn sehr. Als
die Kinder nun eingeschlafen waren und die Mutter aus dem Zimmer ging, fasste er
neuen Mut. Ganz leise rappelte er sich auf und spazierte in der Stube herum.
Er besah und beschnüffelte alles. Eine Puppenstube, ein Schaukelpferdchen,
ein Lämmchen, Soldaten und Bilderbücher waren da. Lauter langweilige Sachen!
In der Puppenstube war allerdings etwas Zucker; aber Zucker? Puh, den mochte
er nicht! Er verstand gar nicht, wie man so was essen könnte. Dann waren noch
zwei Körbchen mit Äpfel da. Die Mutter hatte sie den Kindern für morgen
hingestellt, wenn sie recht brav ausgeschlafen hätten. Er schüttelte den Kopf.
>Wie konnte man nur Äpfel essen?!< Unbegreiflich war ihm das. Greuliche
Bauchschmerzen hätte er bekommen. Er aß nur Salat; das war vornehm.
>Komisch, was den Menschen alles gut schmeckt!< dachte er, und dabei musste
er laut lachen. Da er aber so viel Vergißmeinnichtschnäpse getrunken hatte,
geriet er plötzlich aus dem Gleichgewicht und purzelte auf den Rücken. Au!...
das war eine außerordentlich fatale und unangenehme Lage für den dicken
Sumsemann, denn jeder weiß, dass es für Maikäfer sehr schlimm ist, auf den Rücken
zu fallen, weil sie sich dann gar nicht mehr recht aufrappeln können. Er
angelte also mit seinen fünf Beinchen in der Luft herum und dachte: >Ja, ja,
das kommt von den Schnäpschen, die man zum Andenken an die tote Ehefrau
trinkt!<
Lebte sie noch, sie hätte ihm sicher eins ausgewischt für die vielen Schnäpschen.
Er wiegte sich nach rechts und links wie ein kleines Boot, kreiselte herum wie
eine Karussell und quälte sich sehr. Endlich geriet er in die Nähe eines
Tischbeins, und daran konnte er sich stützen, so dass er wieder hochkam. Ganz
schmutzig war sein schöner, brauner Rock geworden. Alle Knöpfe waren
abgeplatzt, und eine lange Naht war aufgerissen. Gut, dass ihn seine Frau nicht
mehr sehen konnte. Nun saß der Sumsemann eine Weile am Tisch und dachte nach,
womit er sich die Zeit vertreiben könnte. Da er aber weiter nichts anzufangen wusste
und über die traurige Stimmung hinwegkommen wollte, nahm er seine kleine Geige
und spielte sich ein lustiges Maikäfertänzchen; dazu sang er:
»Eins, zwei, drei - eins, zwei, drei,
Fiel eine Biene in den Brei;
Plumsdibums,
Dideldumdei!
Alle Käfer sitzen drum herum,
Lachen sich schief,
Lachen sich krumm,
Brumm, brumm!
Vier, fünf, sechs - vier, fünf, sechs,
Macht eine Fliege einen Klecks;
Putschpitschpatsch,
Klickklackklecks!
Pfui, ruft jeder rechte Käfermann,
Seht sie an,
Was sie kann,
Heran, heran!
Sieben, acht, neun - sieben, acht, neun,
Tanzen alle kleinen Käferlein;
Ringelreih,
Dideldudeldei!
Um die dicke Linde mit Gesumm,
Rechts herum,
Links herum,
Brumm, brumm ! «
Dabei wurde er so fidel, dass er ganz vergaß, wo er war, und sehr erschrak,
als Peterchen und Anneliese plötzlich laut auflachten, weil er gar so komisch
herumsprang bei seinem Tanz. Er hatte sie nämlich mit seiner Musik aufgeweckt
und gar nicht bemerkt, dass sie ihm schon eine ganze Weile zusahen. Eigentlich
hatte er Angst und wollte sich schnell tot stellen, aber die Kinder lachten so
vergnügt, dass er sich wieder ein Herz fasste. Er legte also seine Geige auf
den Tisch, strich seine schöne, schwarz-weiße Weste glatt, richtete die
kleinen Fühlhörnchen an seinem Kopf auf, machte eine Verbeugung und stellte
sich vor: »Herr Sumsemann ! «
Die Kinder waren aus ihrem Bettchen geklettert, und da sie wussten, was sich
gehört, machte Peterchen auch eine Verbeugung, Anneliese einen Knicks, und sie
stellten sich ebenso vor. Nun aber waren sie schrecklich neugierig, beguckten
und befühlten den Sumsemann überall, bewunderten die kleine silberne Geige und
wollten alles wissen.
Dem dicken Maikäfer wurde ganz schwindlig von all den Fragen nach der Grille
Zirpedirp und nach der toten Frau, die das Huhn gefressen hatte. Plötzlich
hatte Peterchen auch entdeckt, dass ihm ein Beinchen fehlte. Der wusste nämlich
ganz genau, wie viel Beinchen ein ordentlicher Maikäfer haben muss, und darum
fragte er nun.
So war also wirklich der große Augenblick für den Letzten der Sumsemanns
gekommen: Zwei gute Kinder fragten ihn nach seinem Beinchen. Viel hundert
Jahre hatten seine Ahnen und Vorfahren dies ersehnt und waren totgeschlagen
worden. Und jetzt - jetzt!!
Ihm wurde ganz grün vor den Augen, seine Flügel zitterten vor Aufregung,
und beinahe wäre er auf den Rücken gefallen. Aber er beherrschte sich doch, so
gut es ging, holte tief Luft, wischte sich mit einem grünen Lindenblättchen,
das er immer als Taschentuch benutzte, den Schweiß von der Stirn, machte eine
sehr geheimnisvolle Miene und sagte: »Ja, das ist eine sehr traurige und
wunderbare Geschichte !«
Nun wollten die Kinder natürlich die Geschichte hören, schleppten
drei Schemelchen herbei, und gleich darauf saßen sie, der Maikäfer in der
Mitte, Peterchen links und Anneliese rechts dicht neben ihm. Es war totenstill
in der Stube und sehr geheimnisvoll. Der Mond sah groß und gelb durch die
Blumen vor dem Fenster, und der Maikäfer erzählte langsam und feierlich mit
einem leisen brummenden Stimmchen die Geschichte vom Beinchen, von der Nachtfee
und vom Mondmann. Staunend hörten die Kinder zu. Ja, das war wirklich eine
wunderbare und geheimnisvolle Geschichte!
Es war ihnen ganz seltsam zumute. als der Maikäfer nun mit dem Erzählen
fertig war und sie mit zwei großen Tränen in seinen runden Glotzäugelchen
fragend anguckte. Peterchen war sehr gerührt, und Anneliese wischte sich mit
ihrem Hemdzipfelchen sogar die Augen, weil ihr immer die Tränen kamen. Dann
aber fasste sich Peterchen ein Herz und sagte, dass er das Beinchen schon recht
gern mit Anneliese vom Mond herunterholen möchte; aber der Mond - das hatte er
schon mal gehört vom Vater -, der wäre sehr weit fort, da oben irgendwo ganz
hoch in der Luft; und wer nicht fliegen könnte, würde wohl niemals
hinaufkommen. Anneliese wusste zwar noch weniger vom Mond als Peterchen; aber
hoch war er sicher, vielleicht noch höher als der Schornstein auf dem Haus, und
sie hatte doch ein klein bisschen Angst, dass man kaputtgehen könnte, wenn man
da hinaufwollte, ohne richtig fliegen zu können. Sie sah ganz verlegen aus. Der
Sumsemann aber wusste: wenn die Kinder nur wollten, so war es schon gut; wenn
sie den guten Willen hatten, zu helfen, dann konnte er sie sogar das Fliegen
lehren. So stand es nämlich in der Familiengeschichte der Sumsemanns deutlich
mit weißer Tinte auf grünen Blättern geschrieben. Er hatte es auswendig
gelernt. Selig umarmte er die beiden Kinder und sagte, dass sie das Fliegen sehr
leicht von ihm lernen könnten, wenn sie nur ein bisschen aufpassten, wie er es
mache. Na, das war was für Peterchen und Anneliese!
Sie fingen laut an zu lachen und tanzten wie toll in ihren Hemdchen im Zimmer
herum. Aber es galt keine Zeit zu verlieren, wenn sie noch nach dem Mond fliegen
wollten. Und so setzte der dicke Maikäfer sich in Positur, um den Kindern etwas
vorzufliegen. »Aufgepasst!« sagte er, nahm seine kleine silberne Geige ans
Kinn, spielte und sang dazu:
»Rechtes Bein - linkes Bein,
Rechtes Bein - linkes Bein,
Rechtes Bein und linkes Bein,
Summ! - dann kommt das Flügelein
Summ - Summ - Summ!«
Da flog er auch schon im Zimmer herum, und die Kinder klatschten vor Vergnügen
laut in die Hände. Jetzt sollten sie es nachmachen. Es war ein feierlicher
Augenblick!
Peterchen stellte sich in Positur, und Anneliese daneben, mit ein ganz klein
wenig Herzklopfen. Der Maikäfer stand vor ihnen mit der Geige, sie mussten die
Ärmchen ausbreiten, und während er geigte und sang, machten sie gehorsam die
komischen Schritte nach, die er vorhin vorgemacht hatte. Plötzlich als er sang:
»Summ! - dann kommt das Flügelein.« Was war das? Sie hoben sich von der Erde
in die Luft ... ja ... sie flogen richtig rund im Zimmer herum!
Zuerst waren sie so erstaunt, dass sie nur die Augen ganz weit aufrissen und
auch die Mäulchen. Dann aber konnte es Anneliese nicht mehr aushalten vor Vergnügen;
denn es war wirklich zu schön, so wie ein richtiger Käfer in der Luft
herumzusummen. Sie lachte laut auf, strampelte mit den Beinchen und klatschte
begeistert in die Hände... Bauz!! Da lagen sie beide auf der Nase!
Sie guckten den Herrn Sumsemann sehr erstaunt an. »Das kommt vom Klatschen«,
sagte der. Natürlich, wenn man fliegen will, darf man nicht in die Hände
klatschen! Das tun ja die Maikäfer auch nicht beim Fliegen. Obwohl sie sich
doch ein wenig weh getan hatten beim Herunterpurzeln aus der Luft, verkniffen
sie die Tränen und standen tapfer wieder auf. Anneliese war sehr verlegen, denn
sie hatte ja angefangen mit der Strampelei. »Noch einmal! « hieß es jetzt,
und wieder geigte und sang der Käfer, sie machten die Schritte, die er
vorgemacht hatte, und als die Zeile kam: »Summ! - dann kommt das Flügelein.. .«
flogen sie, genau wie vorher, ganz hoch in die Luft. Nun hüteten sie sich aber
zu klatschen, und, obwohl es so schön war, dass sie wieder laut lachen mussten,
hielten sie doch ihre Arme ruhig ausgebreitet und strampelten nicht mit den
Beinen wie vorher. So blieben sie in der Luft, solange der Maikäfer geigte, und
als das Liedchen aus war, glitten sie sanft, wie zwei kleine Schmetterlinge, auf
die Erde herab. Es war sehr schön gewesen!
Peterchen meinte, dass es bei ihm richtig gebrummt hätte beim Fliegen, und
Anneliese hatte auch so etwas bei sich gehört. Herr Sumsemann fand das ganz in
der Ordnung, denn das Brummen gehört ja bei den Maikäfern auch zum Fliegen.
Nun also konnte das große Abenteuer beginnen. Gelb und rund stand der Mond über
der Sternblumenwiese vor dem Fenster. »Es ist sehr weit«, sagte der Maikäfer,
obgleich es ganz nah aussah; aber er musste es wissen. Darum sollten sie
Proviant mit auf die Reise nehmen. Hierfür waren die Äpfel von Muttchen gut.
Aber auch die Puppe und den Hampelmann wollten sie nicht daheim lassen. Die mussten
doch große Abenteuer miterleben!
Der Maikäfer zog zwar zuerst eine krause Nase, denn für Puppen und Hampelmänner
hatte er gar kein Verständnis, der dumme Kerl; aber schließlich meinte er
doch, »man könne nicht wissen, wozu es gut sei«; und so durften Püppchen und
Hampelhänschen mit. Natürlich schnallte sich Peterchen sein kleines
Holzschwert ums Hemd, denn Kämpfe gab es sicher zu bestehen. Damit war auch der
Maikäfer sehr einverstanden. Er hatte nämlich doch etwas Angst vor der großen
Reise. Wir wissen schon, dass er von Natur nicht sehr mutig war. Jetzt waren sie
soweit. Sie stellten sich hintereinander auf; der Maikäfer vorn, mit der
kleinen Geige, dann Peterchen, dann Anneliese. Das Liedchen ertönte, sie hoben
die Arme, machten die Schritte, wie sie es gelernt hatten, und ... plötzlich
ging die Wand des Zimmers weit auseinander, die Sternblumenwiese lag vor ihnen,
von Tausenden von Glühwürmchen beleuchtet, und sie flogen hinaus ... über die
Wiese hin... immer weiter ... auf den großen, goldenen Mond zu, der vor ihnen
über die Bäume guckte.
Der Flug
nach der Sternenwiese
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
»Nanu!« sagten die anderen Maikäfer, die
gerade unter der großen Kastanie ein Konzert abhielten, »hat der hochnäsige
Geigensumsemann doch ein paar Kinder gefunden, mit denen er zum Mond fliegt? «
Sie waren so erstaunt, dass in ihr
Brummkonzert ein ganz falscher Takt kam. Die drei aber flogen so schnell, dass
die Hemdchen der Kinder wie kleine Fahnen in der Luft flatterten. Beinahe hätten
sie zwei kleine, verliebte Nachtschmetterlinge, die nicht aufpassten, über den
Haufen geflogen. Jetzt waren sie über dem See. Der funkelte leise. Alle seine
Wellen waren von Silber. Und die dummen, dicken Karpfen, die dort wohnten,
glotzten durch das Wasser, sehr erstaunt. >Oh!< dachte der Karpfenururgroßpapa,
>das sind aber ein paar seltsame Enten, die da oben flattern.< Er hielt alles,
was in der Luft flog, für Enten. Fünfhundert Jahre war er alt, aber schrecklich
dumm, weil er fast immer schlief. >Oh, oh!< dachten die andern Karpfen. So viel
hatten sie schon lange
nicht gedacht, und von der Anstrengung
schwitzten sie große Luftblasen; die stiegen im Wasser hoch wie kleine Perlen.
Aber schon flogen die drei Abenteurer über den Wald hin. »Guck! « sagte das
kleine Reh Ziepziep zu seiner Mutter, »da fliegen zwei weiße Fledermäuschen!«
Doch die Mutter wusste es besser, denn
sie hatte feine Ohren und hörte alles, was man im Walde erzählt. »Es ist der
Maikäfer Sumsemann, der mit zwei Kindern nach dem Mond fliegt«, sagte sie.
»Wollen sie den Mond fressen?« fragte Ziepziep. Es glaubte nämlich, dass man den
Mond fressen könnte, weil er so ähnlich aussah wie eine gelbe Butterblume. »Frag
nicht so dumm und iss deinen Salat!« sagte die Mutter. Ziepziep war wirklich
noch zu klein, um die berühmte Geschichte von dem Holzdieb und dem
Maikäferbeinchen zu verstehen. Immer schneller und immer höher flogen die drei.
Das Haus, die Wiese, der See, der Wald lag bald tief unter ihnen. Die Hügel, die
Berge, an denen die weißen Nachtnebel hingen, versanken. Und dann lag die ganze
Erde dort unten, unermesslich tief in der blauen, stillen Nacht; mit allen ihren
Ländern und Meeren; die große, liebe Erde in tiefem Schlaf. Das Herz klopfte den
Kindern, aber tapfer hielten sie die Ärmchen ausgebreitet und machten keine
einzige falsche Bewegung. Der Maikäfer flog ihnen voran; er geigte unermüdlich
und sang sein Liedchen dazu. Seltsam! Ganz anders sahen jetzt die Sterne aus als
von der Erde, wenn man sie abends vom Garten her betrachtete. Als ob sie
freundliche, liebe, lachende Gesichtchen hätten mit silbernen Löckchen drum.
Immer mehr wurden es, je höher man flog. Nur die großen konnte man von der Erde
sehen, die kleinen sah man erst jetzt. Es waren viel, viel hunderttausend. Und
plötzlich begann es durch den schweigenden Himmelsraum wie von unzähligen
Glöckchen zu klingen; zuerst ganz fein und leise, dann immer lauter und
deutlicher und immer schöner. Nein! es waren keine Glöckchen!
Jetzt hörten sie es deutlich; es waren
viel tausend kleine Silberstimmchen ringsum. Die Sterne sangen in der Nacht; und
so war ihr Lied:
»Auf der Erde ist Frieden,
Auf der Erde ist Ruh,
Alle Kinderlein schlafen,
Haben die Äugelein zu.
Hoch am Himmel, im
Schweigen
Der heiligen Nacht,
Halten viel tausend Sternlein
Treu ihre Wacht.
Alle Tierlein auf dem Felde
Alle Vöglein im Wald,
Alle Fischlein im Wasser
Träumen nun bald.
Silberglöckchen, die
läuten,
Und Silberlicht rinnt,
Und die Sternlein, die singen;
Süß träumt das Kind.«
Rings um die drei kleinen Abenteurer war
während dieses Gesanges ein wundersames Leuchten, das immer stärker wurde. Es
ging von einer weiten, silbernen Wolke aus, die vor ihnen im unendlichen
Himmelsraum schwamm, wie ein großer Nebel. Man sieht manchmal des Nachts auf der
Erde, hinter dem Garten über dem Fluss, oder über dem See solche Nebel. Wie
Tücher sehen sie aus, die still und weiß in der Luft liegen. Nur viel heller,
viel größer war dieser Nebel im Himmelsraum vor den Kindern. Und als sie nun
immer näher kamen, sahen sie sehr sonderbare Dinge darauf. Hunderte, Tausende
von kleinen Stühlchen standen dort um ein schönes, silbernes Pult herum, genau,
wie die Kinderstühlchen in der Schule um das Lehrerpult. Neben dem Pult hing
eine dicke, silberne Glockenschnur mit einer wunderschönen Troddel vom Himmel
herunter; auf der andern Seite aber stand eine riesengroße Pauke neben einem
mächtigen, silbernen Fernrohr. Weit hinten, auf einem Hügelchen, von dem ein
feiner Nebelweg nach vorn lief, sah man einen niedlichen, weißen Schäfchenstall
mit einem rosenroten Dach darauf und runden, komischen Fenstern, die wie kleine
Äugelchen guckten. Um das Ganze aber lief ein Gitterchen, so zart, als sei es
aus Porzellan gesponnen worden. Was war dies nur alles?
Es war die Sternenwiese, der sie sich
näherten. Sie liegt mitten im Himmel und war die erste Station auf ihrer großen
Fahrt.
Die
Sternenwiese
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Auf der Sternenwiese wohnt das
Sandmännchen, das eine sehr wichtige Persönlichkeit im Himmelsraum ist und viele
Ämter hat. Es muss den Sternen Unterricht im Singen geben, und es muss
aufpassen, dass sie am Tage, wenn sie noch nicht am Himmel stehen, ihre Strahlen
ordentlich putzen. Lauter kleine, silberhaarige Mädchen sind die Sterne. Jedes
Kind auf der Erde hat sein Sternchen. Und wenn das Kind nicht artig war, wenn es
Kuchen stibitzt hat, oder wenn es gar gelogen hat, so entstehen auf der schönen
Strahlenkrone seines Sternenmädchens hässliche Flecken, sie verbiegt sich, oder
sie bekommt Scharten. Dann muss das kleine Sternchen putzen mit seinem goldenen
Putzläppchen und sich mühen in der Sternenschule auf der Wiese, damit das
Krönchen wieder blank und hell wird zur Nacht. Das ist oft furchtbar schwer, und
die kleinen Sternchen seufzen dabei vor Mühe. Manchmal weinen sie sogar, denn
das Sandmännchen ist sehr streng und lässt es ihnen nicht durchgehen, wenn auch
nur das kleinste Fleckchen noch da ist. Meistens aber sind sie fröhlich und oft
gar schrecklich ausgelassen; besonders im Winter, wenn Weihnachten nicht mehr
weit ist. Dann hat das Sandmännchen Mühe, Ordnung zu halten; so viel lachen sie.
Manchmal lachen sie über die Mondschäfchen, die am Tage in dem Stall auf dem
kleinen Hügel wohnen und Purzelbäumchen schießen;
manchmal über die Himmelsziegen, die so
komisch meckern; manchmal lachen sie auch über gar nichts und so laut, dass man
es beinahe auf der Erde hören könnte. Das darf natürlich nicht sein. Dann haut
das Sandmännchen auf die Pauke, sie bekommen einen Schreck und sind stille, wie
die Fischchen im See; aber nicht sehr lange. So geht es auf der Sternenwiese zu,
wenn auf der Erde Tag ist. Wenn aber der Abend kommt, wenn die Sonne auf der
Erde untergeht, dann stellt sich der Sandmann feierlich vor sein Pult, alle
Sternchen setzen ihre Kronen aufs Haar und sehen andächtig zu ihm auf. Er wendet
im goldenen Mondbuch auf dem Pult feierlich eine Seite um und schreibt hinein,
was die Kinder auf Erden am letzten Tag Gutes getan haben. Er weiß alles, denn
die Sternchen merken es an ihren Strahlenkronen. Ist dies geschehen, so setzt er
sein großes, silbernes Sandsiegel unter die Schrift, zwinkert ernsthaft mit
seinen kugelrunden, freundlichen Äugelchen und zieht an der Glockenschnur. In
demselben Augenblick läutet es leise über den ganzen Himmel hin von ungezählten
Glöckchen. Zu dieser Musik aber huschen alle Sternenmädchen von der Wiese fort
und an den Himmel. Dort stehen
sie dann für die Nacht als winzige
Lichtpünktchen, jedes an seinem Platz. Sandmännchen aber läuft zu seinem
Fernrohr und guckt, ob sie auch alle richtig stehen, denn manchmal verirrt sich
eins ein wenig an dem großen, dunklen Himmel; besonders den kleinen passiert das
leicht. Manchmal rücken sie auch heimlich ein bisschen zusammen, weil sie sich
noch was zu erzählen haben. Sie tuscheln und kichern nämlich ebenso gern
miteinander wie die kleinen Mädchen auf der Erde. Das ist natürlich nicht
erlaubt, und Sandmännchen hält streng darauf, dass so etwas nicht einreißt am
Himmel.
Ja, das Sandmännchen hat wirklich sehr
viel zu tun; besonders am Abend!
Wenn die Sternchen am Himmel stehen,
muss es die Mondschäfchen aus dem Stall lassen, damit sie in der Nacht auf die
Himmelsweide kommen. Das ist auch ein tüchtiges Stück Arbeit. Vergnügt sind die
nämlich und fürchterlich ausgelassen! Sie purzeln mit ihren silbernen Fellchen
wie kleine Kullerbällchen durcheinander, und bis sie schließlich ruhig auf der
Weide oben am Himmel das schöne Sternschnuppengemüse grasen, vergeht eine ganze
Zeit. Auch dann noch muss das Sandmännchen aufpassen, dass sie nicht etwa
heimlich den Kometenkohl oder die Himmelschoten anknabbern, die dort zwar
wachsen, aber den Schäfchen verboten sind, weil die Nachtfee sie braucht, wenn
sie ihre großen Mitternachtsessen gibt, zu denen die mächtigen Naturkräfte
eingeladen werden.
Sind die Mondschäfchen ordentlich auf
die Weide gebracht, so ist noch eine ganz besonders wichtige Angelegenheit zu
erledigen. Es steht auf der Sternenwiese neben der großen Pauke ein kugelrundes
Säckchen, und aus diesem Säckchen schüttet der Sandmann einen feinen Silbersand
in ein langes Pusterohr. Dann geht er gravitätisch nach den vier
Himmelsrichtungen an den Rand der Wiese, beugt sich weit über das Gitter und
bläst den leuchtenden Staub viermal in den Himmelsraum hinaus. Der Staub aber
verteilt sich ganz, ganz fein und rieselt durch die Luft herab auf die Erde mit
dem Licht des Mondes zusammen. Überall dort,
wo Kinderaugen aus dem Bettchen in die
Luft gucken, fliegt dieser silberne Sand aus Sandmännchens Pusterohr herum und
legt sich leise auf die Augenlider. Die werden müde und schwer davon; man muss
sie zumachen und schläft ein. So schickt das Sandmännchen den Kindern den Schlaf
und auch die schönen Träume.
Mit allen diesen Arbeiten war das
Männchen gerade fertig geworden, als Peterchen und Anneliese mit dem Maikäfer
durch die Nacht herangeflogen kamen. Sie sahen deutlich, wie es steifbeinig auf
der Wiese umherlief in seinem Schlafrock, der mit Sternen bestickt war. Auf dem
Kopf hatte es eine lange Zipfelmütze und an den Füßen komische, riesengroße
Pantoffeln. Von einer Seite der Wiese nach der andern lief das Männchen und
passte auf, dass am Himmel nichts in Unordnung kam. Und richtig! plötzlich hatte
es die drei Abenteurer entdeckt! Es stutzte, zwinkerte mit den Augen, guckte,
schnaubte sich und zwinkerte wieder. Dann aber lief es emsig zu seinem Fernrohr,
richtete das auf die Kinder, guckte durch, wischte sich die Äugelchen, putzte
das Glas am Fernrohr, guckte noch einmal ... und nun hatte es erkannt, was da
ankam. Es blies die Backen auf und schlug sich vor Erstaunen auf den kleinen
Spitzbauch. Seine Augen wurden so groß wie Kuchenteller, und sein Mund stand so
weit auf wie eine Ladentür. Was da vor sich ging, war aber auch etwas ganz
Unerhörtes am Himmel! Viele Tausend Jahre war der Sandmann alt, aber so etwas
war noch nicht passiert auf der Sternenwiese, seit er hier Ordnung hielt! Zwei
Kinder im Nachthemdchen und ein geigender Maikäfer kamen durch den großen
Himmelsraum herangeflogen, als wäre das so ein Sonntagnachmittags-Vergnügen.
Dies ging nicht mit rechten Dingen zu! Hier musste er sehr energisch sein!
Er stürzte also eiligst zu seiner großen
Pauke, schlug darauf und schnitt ein furchtbar böses Gesicht. In dem Augenblick
landeten die Kinder mit dem Maikäfer behutsam auf der Sternenwiese. »Bum - bum -
bum! Hier ist der Mond!
Rausgeschmissen wird, wer hier nicht wohnt!«
schrie der Sandmann sie an und fuchtelte
mit dem Paukenstock in der Luft herum.
Na, das war gerade kein liebenswürdiger
Empfang auf der ersten Station ihrer Reise!
Der Maikäfer aber dachte: >Mit
Höflichkeit kommt man am weitesten<; und so machte er eine sehr schöne
Verbeugung mit Kratzfüßchen hinten ,raus und sagte: »Entschuldigen Sie bitte,
Herr Sandmann. . »Was? - was? - entschuldigen? « quiekte das Männchen ganz rot
vor Aufregung. »Was will Er hier? Ein Maikäfer gehört auf die dicke Kastanie im
Garten, aber nicht auf die Sternenwiese am Mond! Ich werde mal gleich ein paar
Stemraketen gegen Ihn abschießen, dass Ihm der Bauch platzt, Er Nasegrün !
Stemraketen?
Der Maikäfer bekam natürlich Angst und
dachte daran, sich tot zu stellen. Peterchen hatte zwar keine Angst, denn er
hatte ja sein Holzschwert bei sich, aber er war etwas verlegen und wusste nicht
recht, was man wohl tun sollte, wenn das Männchen wirklich mit Stemraketen zu
schießen anfinge. Anneliese aber ... ja, das hätte man wirklich nicht von der
kleinen Anneliese gedacht! Sie trat plötzlich ganz mutig vor, nahm aus ihrem
Körbchen ein rotbäckiges Äpfelchen und hielt es dem grimmigen Sandmann dicht
unter die spitze Nase. »Nanu?« sagte der höchst erstaunt; »was ist denn das für
ein tapferes, kleines Frauenzimmerchen?« Dabei schnüffelte er schon neugierig an
dem schönen Apfel herum. So etwas gab es nämlich nicht am Himmel oben. Auf der
Weihnachtswiese, die auf dem Mond lag, wuchsen allerdings die vergoldeten
Äpfelchen und Nüsschen; aber davon konnte das Männchen keine bekommen, die waren
für die Kinder auf der Erde. Nun lief ihm doch das Wasser im Munde zusammen.
»Gib mal her!« sagte es. Anneliese machte einen Knicks und sagte: »Bitte schön!«
Happs! ... biss das Männchen hinein.
Ordentlich komisch war, wie es plötzlich vergnügt wurde. Es schmunzelte von
einem Ohr bis zum andern beim Kauen und rieb sich das Bäuchlein, so gut
schmeckte es ihm.
Als der Apfel aufgegessen war, faltete
der Sandmann die Hände auf dem Rücken und sah die Kinder an. Er wollte böse
aussehen, aber der Apfel hatte so gut geschmeckt, dass es ihm nicht mehr richtig
gelang, ein grimmiges Gesicht zu schneiden. »Ihr Hemdenmätze, was wollt ihr denn
hier? Ihr sollt doch schlafen!« schmunzelte er. Jetzt trat Peterchen mit einer
Verbeugung vor und erklärte den Grund der Reise. Ja, von der Geschichte hatte
der Sandmann schon gehört. Sie war einmal auf einem Kaffeeklatsch bei der
Nachtfee erzählt worden, vor etwa tausend Jahren; und damals waren alle Gäste
sehr gerührt gewesen von dem Schicksal der Sumsemänner. »Hm, hm«, meinte das
Männchen jetzt und rollte mit den Augen, so stark dachte es nach. Aber da kam
ihm schon wieder der Geruch von den Äpfeln in die Nase, die Peterchen in seinem
Korbe hatte. »Gib mir noch einen Apfel!« sagte es plötzlich mitten im Denken und
hielt die Hand hin. Das tat Peterchen natürlich gern. Als der Sandmann nun auch
den zweiten Apfel verspeist hatte, war all sein Grimm verflogen, und er nickte
wohlwollend mit dem Kopfe. »Jaja, die Geschichte der Sumsemänner, die war
überall am Himmel bekannt.«
Aber sollte der Maikäfer nun wirklich
zwei artige Kinder gefunden haben, um das Beinchen zurückzuerobern? Das
wäre doch ein ganz gewaltiges Glück für die Sumsemänner!
Es musste also festgestellt werden, ob
die Kinder artig waren; sonst ging die Geschichte nicht. Mit großen, feierlichen
Schritten begab sich das Sandmännchen zu
seinem Sprachrohr und rief nach dem
Himmel hinauf: »Die Sternchen von Anneliese und Peterchen sollen mal schnell
herunterkommen !
Und was geschah?
Zwei winzige Sternpünktchen lösten sich
hoch oben vom Himmelsgrund und fielen leuchtend herab auf die Wiese. Im gleichen
Augenblick standen dort zwei wunderschöne kleine Mädchen mit blonden Locken und
lachenden Augen. Silberne Hemdchen hatten sie an und silberne Schuhe;
funkelhelle Strahlenkronen aber blinkten auf ihren Köpfen. »Peterchen, mein
Peterchen!« rief das eine Sternchen. »Meine kleine Anneliese!« rief das andere.
Und dann gab's eine fröhliche Begrüßung. Die Kinder liefen zu ihren Sternchen,
und sie umarmten und küssten sich. Dem dicken Maikäfer kamen ordentlich die
Tränen in die Glotzaugen vom Zusehen, so hübsch war es. Rührung durfte aber
nicht einreißen, denn die Geschichte war ernst. Also tat das Sandmännchen wieder
sehr grimmig, verbat sich die Küsserei und fragte die Sternchen, ob die beiden
Kinder, Peterchen und Anneliese, kein' Fleckchen auf die Kronen ihrer Sternchen
gemacht hätten. Da lächelten beide Sternchen und schüttelten ihre silbernen
Locken. Blitzblank waren die Kronen. Jetzt schmunzelte das gute Sandmännchen,
denn es freute sich sehr darüber, und die Kinder durften den Sternchen noch
einen Kuss geben. »Ach, war das schön!«
So ein Sternchenkuss schmeckt so lieb,
dass man es wirklich gar nicht beschreiben kann; man muss es erleben; und man
erlebt es, wenn man gut ist.
Husch! waren die Sternchen wieder fort
und standen als Lichtpünktchen am Himmel. Die Kinder guckten ihnen ganz traurig
nach, aber plötzlich mussten sie laut lachen. Der Maikäfer tanzte nämlich wie
ein Verdrehter auf der Sternenwiese herum und warf dabei mit den Beinchen
mindestens ein Dutzend Sternenstühlchen um, die dort standen. Er freute sich,
dass die Kinder
artig waren, denn in seiner
Familiengeschichte stand, artige Kinder müssten es sein, sonst sei alle
Mühe umsonst. Nun war es sicher, dass er sein Beinchen wiederbekam. Schrecklich
freute er sich!
Der Sandmann verstand zwar, dass das
Sumsemännchen sich freute; aber, dass es die Sternenstühlchen umwarf, war gegen
die Ordnung, und er verbat sich dieses maikäferhafte Benehmen sehr energisch.
»Ein Freudentanz sollte das sein? Ein ganz dummes Rumgebrumsel sei es! Auf der
Sternenwiese mache man so was nicht; überhaupt, wenn man so dick wäre und so
unsicher auf den Beinen!«
Da hatte der Sumsemann seine
Strafpredigt weg. >Das Sandmännchen ist sehr ungebildet<, dachte er, denn die
Maikäfertänze sind die schönsten Tänze der Welt, das weiß jeder. >Und er, der
Sumsemann, sei unsicher auf den Beinen? So was Lächerliches! Alle wüssten, wie
elegant er auf den Kastanienblättern im Garten tanzen konnte; und nun sollte man
ihn erst mal sehen, wenn er das sechste Beinchen wieder hätte!<
Beinahe hätte er laut gelacht; aber er
verkniff sich das Lachen, denn er war vorsichtig und wollte sich nicht unbeliebt
machen. »Entschuldigen Sie, Herr Sandmann!« sagte er, machte einen Kratzfuß und
sah bescheiden aus. Nur ganz heimlich warf er den Kindern ein paar Kusshändchen
zu. Sandmännchen hatte den Finger an seine Nase gelegt und dachte tief nach. Es
war nämlich eine recht gefährliche Geschichte, die von den beiden Kindern
unternommen werden sollte; und weil er sie schon sehr lieb hatte, wollte er
ihnen nun auch mit allen Kräften beistehen auf der weiteren Fahrt. Plötzlich kam
ihm ein Gedanke. Gerade heute, um 12 Uhr mitternachts, gab die Nachtfee einen
Kaffeeklatsch für die Naturgeister in ihrem Schloss. Er war auch eingeladen. Die
Nachtfee war sehr mächtig; viel mächtiger als er. Sie war es ja auch gewesen,
die vor vielen hundert Jahren den bösen Holzdieb auf den Mondberg verbannt und
den Sumsemännern erlaubt hatte, mit artigen Kindern das Beinchen von dort wieder
herunterzuholen. Wenn er die Kinder also mitnähme auf das Schloss der Nachtfee
zu dem Kaffeeklatsch? Sie war eine gütige Fee und würde ihnen sicher ihren
Schutz leihen. Peterchen und Anneliese konnten bei dieser Gelegenheit sogar die
Naturgeister kennenlernen, die ihnen vielleicht später beistehen würden. Ja, das
war ein prächtiger Gedanke!
Das Männchen machte einen Sprung in die
Luft vor Vergnügen über diesen Einfall, dass sein spitzes Bäuchlein nur so
wackelte; dazu schrie es: »Ich hab's! ich hab's! ich habe einen
himmelsraketenmäßig prächtigen Gedanken, Kinderchen!
Und er erklärte ihnen alles, was er
vorhatte. Das war allerdings ein wunderbar schöner Plan!
Peterchen freute sich gewaltig auf die
Naturgeister, und Anneliese auf die schöne Nachtfee. Der Sumsemann hatte zwar
wieder Angst, denn die Bekanntschaft mit den Naturgeistern schien ihm
gefährlich;
doch er unterdrückte es, tat mutig und
fand den Einfall des Sandmännchens sehr schön. Der Sandmann aber zog jetzt eine
riesengroße Taschenuhr aus dem Schlafrock, tippte mit dem Finger auf das
Zifferblatt und sagte:
»Gleich muss er da sein!«
Er meinte nämlich seinen Mondschlitten,
mit dem er zum Schloss der Nachtfee fahren wollte. Und richtig, da kam auch
schon etwas durch die Luft!
Ein schneeweißer Schlitten war es, der
von acht Nachtfaltern an silbernen Bändern gezogen wurde. Lautlos, wie ein
Wölkchen glitt er heran und hielt vor den Kindern. Die Nachtfalter hatten große,
leuchtend grüne Augen und schlugen geheimnisvoll mit ihren schönen, schimmernden
Flügeln. Dazu bewegten sie ihre goldenen Fühlhörner, an denen gläserne Glöckchen
klangen. Staunend sahen die Kinder dies. Aber es gab keine Zeit mehr mit
Verwundern zu verlieren. Der Weg, den sie zu fahren hatten, war weit. So nahmen
sie alle schnell im Schlitten Platz. Man saß wie auf
seidenen Wolken darin. Sandmännchen
ergriff die Zügel, die Nachtfalter hoben die Schwingen, leise klangen die
Glasglöckchen und . ,. fort ging die Fahrt über die Sternenwiese hin, auf die
Milchstraße zu, an deren fernem Ende das Schloss der Nachtfee lag.
Die Schlittenfahrt auf der
Milchstraße
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Das war ein seltsames Kutschieren'
Noch nie sind Kinder so schön gefahren,
wie Peterchen und Anneliese in Sandmanns Mondschlitten auf der Milchstraße zum
Schoß der Nachtfee fuhren!
Aus einem leise leuchtenden Schaum war
der Weg unter ihnen, glänzender als frischer Schnee und zarter als der Schaum
der klarsten Wellen. Lautlos glitt der Schlitten auf diesem Zauberwege durch den
Himmelsraum. Nur die kleinen, gläsernen Glöckchen an den Fühlern der Falter
klangen leise im Takt, so, wie die schönen Tiere ihre Flügel hoben und senkten.
Mächtige Bäume wuchsen zu beiden Seiten der Milchstraße; durchsichtig waren sie
und mit großen, weißen Blumen bedeckt. »Das sind die Milchbäume«, erklärte das
Sandmännchen; »aus ihren Blumen tropft der süße ~ Den essen die Sternenmädchen,
wenn sie hungrig sind.«
Unter diesen blühenden Alleebäumen ging
es dahin, und die weißen Blumen kamen den Kindern einmal so nahe, dass
Annneliese das Händchen ausstreckte, um eine solche Blüte abzupflücken. Sie
bekam es zwar nicht fertig, denn der Schlitten fuhr viel zu schnell, aber alle
Finger waren von dem herrlichen Milchstraßenhonig nass.
Nun ging es ans Ablutschen!
Peterchen machte natürlich auch Anspruch
auf den Honig, und Anneliese war gut. Sie ließ ihn drei von ihren Fingerchen
ablutschen. Die anderen beiden aber, die größten, behielt sie doch für sich. Das
war auch ihr gutes Recht. Wirklich, so etwas Süßes hatten sie noch nie
geschmeckt!
Jetzt kamen sie an einer Wiese vorbei,
auf der sich eine Herde sehr sonderbarer Tiere tummelte. Beinahe sahen sie wie
Ziegen aus und beinahe wie kleine Wölkchen mit Beinen. Immerfort huschten sie
herum, aber sie bewegten die Beinchen gar nicht dabei. Als ob ein Wind sie
durcheinanderwirbelte, sah es aus, und dazu meckerten sie, dass es klang, als ob
tausend Kinder sich totlachen wollten. »Es sind die Himmelsziegen«, erklärte das
Sandmännchen; »sie grasen hier den Mondspinat ab. Zu Weihnachten werden ihnen
die goldenen Hörnchen abgebrochen; dann ist auf der Sternenwiese für die
Sternenmädchen ein großer Festschmaus. Es gibt Milchstraßenschlagsahne mit
Himmelsziegenhörnchen. Das schmeckt unbeschreiblich gut! «
Die Kinder konnten sich wohl denken,
dass so etwas gut schmeckt.
Und nun fuhren sie an einem sonderbaren
See vorüber. Sein Wasser flimmerte wie geschmolzenes Silber, über das ein leiser
Wind geht. Es war leuchtende Nebelluft, die leise Wellen schlug. In dem See
wimmelte es von unzähligen kleinen Fischen; die funkelten wie bunte Flämmchen.
Immerfort zuckten, huschten und zitterten sie herum. Totenstill war's dabei.
»Das ist der Tausee mit den Irrlichterfischchen!« erklärte der Sandmann. »In
jeder stillen Nacht kommt ein wunderschönes Mädchen leise an das Ufer des
Tausees, das Taumariechen, die Tochter der Nachtfee. Mit einer Schale, die aus
einem einzigen Diamanten geschnitten ist, schöpft sie aus dem See. Dann schwebt
sie zur Erde hinab und sprengt den kühlen Tau über Gärten, Wiesen und Wälder,
damit alle Blumen und Bäume, alle Gräser und Kräuter frisch und schön sind am
Morgen. Manchmal geschieht es, dass einige von den funkelnden Fischen mit in die
Schale des Taumariechens kommen Die werden dann auch mit dem Tau über die Wiesen
gestreut, und man kann sie in stillen Nächten huschen und funkeln sehen.
»Elmsfeuerchen« sagen die Menschen, oder » Irrlichter«.
Und weiter ging die Fahrt. An der Weide
der Himmelskühe und Mondkälber kamen sie jetzt vorüber, die wie große, dicke
Wolken herumrutschten auf den weißen Wiesen und immerfort fraßen. Nicht
durchsichtig waren sie wie die Mondschäfchen und Himmelsziegen auf den anderen
Weiden, sondern große, undurchsichtige graue Klumpen. »Sie sind gar nicht
beliebt bei den Sternchen«, sagte der Sandmann; »weil sie oft die Aussicht auf
die Erde mit ihren dicken Bäuchen versperren, so dass die Sternchen ihre
schlafenden Kinder dort unten nicht recht sehen können. Aber die Nachtfee
braucht die Himmelskühe. Aus ihrer Milch wird die Mondbutter gemacht. Die
braucht der Koch der Nachtfee zum Kuchenbacken; besonders für die schönen
Mondscheinfladen, die es manchmal auf
dem Kaffeeklatsch bei der Nachtfee gibt.«
Das Sandmännchen schmunzelte ordentlich
bei dem Gedanken an die Mondscheinfladen. Sie waren nämlich sein Leibgericht.
Und heute nacht sollte es auch welche geben. Das hatte der Milchstraßenmann, der
die Mondbutter liefern muss, verraten. >Am Himmel gibt's doch viele gute
Sachen<, dachten die Kinder;
>soviel Gutes zu essen!< Nur der
Sumsemann saß hinten im Schlitten und sah etwas gelangweilt aus. Für ihn war das
alles nichts. Kein einziges grünes Blättchen hatte er bisher entdecken können.
Alles war von Silber oder von Zucker. Für Mondbutter, Sternblumenklee,
Milchstraßen- Schlagsahne und Himmelsziegenhörnchen hatte er gar kein
Verständnis als anständiger Maikäfer. Na aber schließlich brauchte er ja das
Zeug nicht zu essen. Und hier war doch die Hauptsache, dass er, der Herr
Sumsemann, sein Beinchen wiederbekam. Deshalb wurde die ganze Reise unternommen.
Er war also die Hauptperson!
Als er sich darüber klar wurde, sah er
wieder sehr zufrieden und stolz aus.
Am hundertsten Meilenstein fuhren sie
eben vorüber, da fing es an zu schneien. Ein sonderbarer Schnee war das!
Millionen Lichtflocken tanzten um sie
her; winzige, sprühende Sternchen. Sie stiebten so dicht um den Schlitten, dass
man vor lauter Fünkchen nichts mehr sehen konnte. »Da sind wir in eine
Sternschnuppenwolke geraten«, meinte das Sandmännchen; »aber das schadet nichts;
davon brennt man nicht an.«
Die Kinder fanden es sehr lustig. Sie
griffen nach den Fünkchen und wollten gar zu gern Sternschnuppen-Schneebällchen
daraus machen; aber das war nicht so einfach. Beinahe wäre Peterchen dabei aus
dem Schlitten gefallen. Anneliese lachte immerfort und steckte die Zunge heraus
in das Schnuppengestöber. Das prickelte nämlich zu komisch. Nur dem Sumsemann
war es wieder recht ungemütlich. Schneegestöber ist eben für Maikäfer etwas
Greuliches. Das kann man schließlich begreifen. Eben wollte er sich tot stellen,
da waren sie aus der Wolke heraus, und vor ihnen lag das Schloss der Nachtfee
auf himmelhohen, silbergrauen Wolken - unbeschreiblich schön!
Der Schlitten hielt am Fuße der Treppe
aus weißem Glase, die breit zwischen den Wolken hinaufführte zum Tor des
Schlosses. Nun stiegen sie an der Hand des Sandmännchens die Treppe hinauf. Sehr
feierlich war es.
Das
Schloss der Nachtfee
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
In einem gewaltigen Saal ihres Schlosses
empfing die Nachtfee ihre Gäste zum Mitternachts-Kaffeeklatsch. Himmelhohe,
silberne Säulen trugen eine ungeheure Wolkenkuppel, von wehenden Nebeln wie von
zarten Fahnen umschwebt. Der Boden war aus tiefblauem Kristall. so durchsichtig
wie das Wasser des
Meeres, wenn es ganz still liegt. Durch
weite Eingänge zwischen den Säulen sah die Nacht herein, und in ihrer
Unendlichkeit schwebten gleich großen Blumen Tausende von Wölkchen und gaben ein
zauberzartes Licht. Das Schönste aber war der Thron der Nachtfee in der Mitte
des Saales. Aus einem einzigen, grünen Edelstein waren seine Stufen geschnitten,
aus Perlen war der Sitz, die Lehne aus Silber, und sieben blaue Sterne funkelten
leise darüber in der Luft. Zu beiden Seiten dieses wunderschönen Thrones standen
Reihen von silbernen Stühlen für die Gäste, die erwartet wurden. Die Nachtfee
saß auf ihrem Thron, als die Mitternacht nahte, eine leuchtende Mondsichel im
schwarzen Haar, mit ihrem Königsmantel angetan. Neben ihr standen zwei
Sternenmädchen in ihren Silberkleidern; durch die Nacht des Hintergrundes aber
zog ununterbrochen eine Kette winziger singender Sternenkinder. Die ganz, ganz
kleinen waren es, die noch nicht beim Sandmännchen in die Sternenschule gingen,
weil sie noch keine Kinder auf der Erde zu beschützen hatten. Darum hatten sie
auch noch kein Plätzchen am Himmel, von dem aus sie des Nachts auf die Erde
hätten blicken und wachen müssen. Aber wunderschön singen konnten sie schon!
Plötzlich klangen zwölf tiefe
Glockenschläge durch den Raum; die Nachtfee erhob sich von ihrem Thron, breitete
die Arme aus und sagte mit einer weichen, von Wohlklang wunderlieben Stimme:
»Mitternacht! - Die Welt
schlief ein;
Frieden, Frieden soll über ihr sein!«
Mit tausendfachem Echo nahm der
Himmelsraum diesen Segensspruch auf. Von fernen Chören gesungen klang es, immer
weiter, immer leiser:
»Frieden, Frieden soll über
ihr sein!«
Dann wurde es ganz still. Still setzte
sich die Fee wieder auf ihren Thron, und ein gütiges Lächeln lag über ihrem
blassen, edlen Antlitz. Eine Zeitlang war tiefes Schweigen ringsum, dann aber
hörte man fernes Gerumpel, das immer stärker wurde und schließlich als
gewaltiger Donner heranbrüllte. Gleich darauf sprang mit einem schmetternden
Schlage der Donnermann aus den Wolken am Eingang; der erste der geladenen Gäste.
Er hatte einen mächtigen Paukenklöppel in der Faust, schlug sich damit auf den
Bauch, verneigte sich vor der Nachtfee und brüllte:
»Zum Donnerwetter, da bin
ich gekommen!
Habe mir keine Zeit genommen;
Bin gleich, weil du mich geladen hast,
Auf meiner Pauke hierher gerast.
Mein Weib, die Blitzhexe, lässt dir sagen,
Sie hätte noch schnell mal wo einzuschlagen
Und käme dann hinterher geritten;
Derweil zu grüßen lässt sie bitten!
Potz - Himmel - Bomben -
Donnerwetter!
Unterwegs überholte ich meinen Vetter,
Den Hagelhans; der muss gleich kommen;
Hat ein graues Wolkenschiff genommen,
Hat ein Loch an der Mondsichel ins Segel geschnitten;
Lässt derweil durch mich um Entschuldigung bitten.
Potz - Krach - Blitz - Donner - Bombenschlag
Ich bin hier und sage dir guten Tag!«
Während er dies sprach, donnerte es
immerfort, so dass die kleinen Sternenmädchen neben dem Thron der Nachtfee
ordentlich Herzklopfen bekamen. Aber der Donnermann war gar nicht böse dabei; er
lachte und verzog lustig den Mund von einem Ohr bis zum andern. Die Nachtfee
neigte ihr schönes Haupt zum Gruß gegen den wilden Mann und meinte mit
freundlichem Lächeln, er solle nur nicht gar so viel donnern, damit die
Sternenkinder keine Angst bekämen. Nun war der gutmütige Donnermann ganz
verlegen und bullerte leise eine Entschuldigung. Es war nämlich wirklich nicht
so einfach für ihn, sich das Donnern zu verkneifen; besonders, wenn er sich
freute. Da summte und pfiff es in der Luft, und der zweite Gast kam, die
Windliese. Auf einem Besen ritt sie, sprang vor dem Thron der Nachtfee ab und,
während sie immerfort Knickse machte und im Kreise herumlief, rief sie mit einer
pfeifenden Stimme:
»Hui - Hui - Sumsiselsei!
Komm' schnell auf meinem Besen herbei,
Hab' tausend Meilen zurückgelegt,
Bin über Wiesen und Wälder gefegt,
Hab' an allen Türen und Fenstern gerüttelt,
Hunderttausend Kirschen von den Bäumen geschüttelt.
Haha - hoho - huhu - sieh - sieh!
Die Windliese ist hie, die Windliese ist hie!«
Die Nachtfee reichte ihr freundlich die
Hand, und, während sich die Windliese mit dem Donnermann begrüßte - die beiden
waren natürlich sehr befreundet - kam schon der dritte Gast herein. Es war die
dicke Wolkenfrau.
Sie sah aus wie ein Luftballon oder wie
eine große Kaffeekanne; sehr, sehr komisch. Ihr Gesicht war wie ein Bratapfel so
rund und auch so freundlich. Mit sehr gemütlichen, langsamen Bewegungen kam sie
bis dicht an den Thron der Nachtfee, wippte mit ihrem aufgeplusterten Kleid
einen komischen Begrüßungsknicks und sagte mit weicher, molliger
Stimme:
»Wie geht es am Himmel?
Wie geht's auf dem Mond?
Ich finde, dass es sich immer noch lohnt,
Liebe Nachtfee, Sie zum Kaffee zu besuchen;
Sie haben ausgezeichneten Fladenkuchen.
Ich hoffe nur, dass die Sonne, das Biest,
Nicht etwa auch geladen ist;
Hat mir neulich wieder durchs Kleid gebrochen
Und mich mit ihren Strahlen zerstochen.«
Die Nachtfee dankte für den Gruß der
Wolkenbase und wies ihr den Platz neben dem Donnermann und der Windliese.
Freilich, die Sonne war auch eingeladen; das erforderte die Sitte und
Höflichkeit. Aber die Wolkenfrau beruhigte sich darüber, da sie neben dem
Donnermann und der Windliese sitzen konnte, mit denen sie selbstverständlich in
dicker Freundschaft lebte.
Plötzlich zuckte es schwefelgelb durch
den Raum, und herein fuhr die Blitzhexe auf einem toten Baumast. Im gleichen
Augenblick sprang der Donnermann mit einem fürchterlichen Donner von seinem
Sitz, umarmte sein Weib und tanzte mit ihr eine Weile im Saal herum. Sie machten
dabei ein sehr greuliches Getöse und einen schauderhaften Schwefelgestank. Ihre
Freude war so groß, dass sie sich nicht beherrschen konnten. Die Nachtfee hielt
sich die Nase zu, so schlecht roch es. Dann ließ die Blitzhexe den Donnermann
los, lief in Zickzacklinien vor den Thron und schrie mit schriller Stimme:
»Sirrr - sirrr - liebe Base
- da ist der Blitz!
Zerschlug nur noch schnell eine Kirchturmspitz;
Hatte Auftrag, musst' ihn erledigen schnell;
Sirrr - sirrr - krakacks - bin ich zur Stell' ! «
Die Nachtfee verneigte sich und bat die
Blitzhexe freundlich, etwas weniger Schwefelduft zu verbreiten, da dies ihren
Sternenkindern und auch noch anderen von den geladenen Herrschaften nicht gesund
sei; zum Beispiel dem Taumariechen, der Morgenröte und der Abendröte. Der
Donnermann machte einen Witz um den anderen zur Wolkenfrau über die zimperlichen
Frauenzimmer am Morgen- und Abendhimmel, die Blitzhexe aber knickste eckig und
schrie dazu:
»Sirrr - will mich
beherrschen! Hoffe, es glückt;
Wenn's mich auch drängt und zwackt und jückt,
Den köstlichen Feuerduft zu verbreiten,
Sirrr - sirrr - das sind ja nur Kleinigkeiten!«
Dann zuckte sie in Zickzacklinien durch
den Saal und setzte sich dem Donnermann auf den Schoß. Ein leises Regenrauschen
wurde nun hörbar, und eine sehr sonderbare Erscheinung trat vor den Thron; der
Regenfritz. Schön war der Regenfritz nicht. So dünn wie ein Lineal war er.
Langes, verwaschen blondes Haar hing ihm strähnig über die Triefaugen und die
rote, spitze Schnupfennase. Einen mächtigen Regenschirm hatte er zugeklappt
unter dem Arm, und sein langer Rock war patschnass von Wasser. Wo er stand,
bildete sich sofort auf dem Boden eine Pfütze. Er machte eine linkische
Verbeugung vor der Nachtfee, zog seinen alten, triefenden Zylinder und sagte mit
einer ölig flötenden, melancholischen Greinstimme:
»Drüppelü - tüp - tüp -
liebe Fee der Nacht,
Sie haben mir gütige Einladung gemacht.
Ich bin gerne gekommen - tüp - top - tü - ti!
War ein weiter Ritt auf dem Parapluie.
Hab' zwar im Mai sehr wenig zu tun,
Hin und wieder mal drüppeln, meist muss ich ruhn;
Hab's aber eben noch erreicht
Und fünfzig neue Leider milde durchweicht,
An siebzehn Stellen sanft durch die Decke geregnet,
Tische, Stühle und Betten mit Pfützen gesegnet,
Zwölf Landpartien freundlich berieselt,
Zweihundert Kinderchen haben's mit Schnupfen benieselt;
Dreizehn Handwerksburschen, bis aufs Hemd,
Habe ich liebevoll durchschwemmt.
Nun ja, man muss eben zufrieden sein,
Der Mai ist trocken, die Arbeit klein.«
Die Nachtfee ermahnte diesen seltsamen
Gast, nachdem sie ihn begrüßt hatte. auf der Erde nicht nur Possen und Unsinn zu
treiben, sondern auch Gutes zu tun und die Gärten und Felder ordentlich zu
begießen. Und dann bat sie ihn, hier in ihrem Saal das Regnen ein wenig zu
unterdrücken und keine Pfützen zu rieseln. Der Regenfritz versprach's und setzte
sich zur Wolkenfrau. Seit einiger Zeit hatte man schon ein fernes Brausen
gehört, das immer näher heranschwoll. Plötzlich flatterten alle Schleier und
Nebelfahnen im Saal, die Wolkenwände bewegten sich leise, denn der Sturmriese
fuhr in den Raum, schwarz und riesengroß, mit ungeheuren, den Boden fegenden
Flügeln. In seiner Faust hielt er einen abgerissenen Eichenast; den schwenkte er
zum Willkommen und brüllte, während sein mächtiger Bart wie eine schwarze Wolke
um ihn her wehte:
»Puh - da bin ich! Komme
vom Ozean!
Schnallte meine schnellsten Flügel an!
Bin wie der Teufel durch die Luft gesaust,
Durch Gebirg und Urwald herangebraust!
Ließ auf dem Flug mir keine Zeit,
Weil Ihre Einladung mich furchtbar freut!
Habe nicht Wind- noch Wasserhose angezogen;
Sie müssen verzeihen, bin so geflogen!«
Er hatte wirklich gar nichts an; nicht
einmal den neuen Wüstenwirbelwetterhut oder die Föhnstiefel. Darum musste er
sich jetzt hinter die Wolkenfrau setzen, nachdem er mit vielem Getöse den
Donnermann, die Blitzhexe und die Windliese, sein Weib, begrüßt hatte.
Nun kamen die drei Eisgeschwister. Als
erster der Hagelhans mit seiner riesigen Trommel. Er hatte ein blaues Gesicht
und kugelrunde, glashelle Augen, in denen grüne Funken brannten. Sein Haar war
weiß wie Schnee, und seine Uniform war blitzend von Hagelperlen. Als er eintrat,
wurde es kühl, und der Regenfritz fing an zu niesen. Er konnte den Hagelhans
nicht besonders leiden, weil der ihm immer beim Begießen ins Handwerk pfuschte.
Der Hagelhans klappte vor dem Thron der Nachtfee militärisch mit den Hacken,
schlug einen Wirbel zur Begrüßung auf seiner Trommel und schnarrte mit einer
Stimme, die wie das Rasseln von Eisenketten klang:
»Klirrrr - der Hagelhans
ist zur Stelle!
Hat viel zu tun in der Mittagshelle;
Muss in den heißen Frühlingstagen
Die Ehre des Winters zu Ansehn tragen!
Tut's gern, ist ihm eine dienstliche Pflicht,
Kennt Mitleid mit Blumen und Saaten nicht,
Zerschmettert all den albernen Kram,
Wo er ihm in die Marschrichtung kam;
Schießt mit tausend Flinten zu gleicher Zeit,
Trifft sicher, ist gegen alles gefeit;
Kennt kein sanftsäuselndes Betragen,
Hat immer alles kurz und klein geschlagen;
Ist gründlich in seinem Dienstrevier;
Nachts hat er Urlaub - jetzt ist er hier!«
Die Nachtfee liebte zwar die Arbeit
dieses strengen Herrn nicht besonders; aber, da er zu den Eisgeschwistern
gehörte und ein vornehmer Himmelsfürst war, lud sie ihn stets zu ihren Festen
und grüßte ihn auch jetzt mit höflichem Verneigen.
Kaum hatte er auf seinem Stuhl neben dem
Sturmriesen Platz genommen, so kam seine Schwester Frau Holle herein. Rundlich
und weiß von oben bis unten war sie und sah eigentlich aus wie ein großes,
wandelndes Bett mit zwei dicken, weichen Pantoffelfüßen. Immerfort ging ihr ein
weißer Nebel vom Munde, besonders, wenn sie gähnte; und sie gähnte nämlich
schrecklich viel, weil sie müde war, denn im Frühling schlief sie sonst
meistens. Nun verneigte sie sich vor der Nachtfee und sagte ihren Gruß. Dabei
stiebten ihr dichte Flocken aus den Röcken. Man verstand auch, was sie sprach,
aber eigentlich war es lautlos gehaucht:
»Frau Holle ist da! Frau
Holle ist da!
Hab's beinah verschlafen, Frau Nachtfee - jaja!
Ich halte schon meine Sommerruhe
Am Nordpol. Meine Bettentruhe
Ist sorgsam vor der Sonne verschlossen;
Sie hat unverschämt mit Strahlen geschossen.
Ich musste tief in das Eisschloss fliehen,
Um mich nicht zu verbrühen, ja ja, zu verbrühen!
Dort schlief ich wie sieben Murmeltiere.
Weckt' ein Sternchen mich und brachte mir Ihre
Einladung zu dem großen Empfang.
Besten Dank, liebe Base, besten Dank, besten Dank!«
Und wieder knickste sie, und wieder stob
ihr eine Wolke von Schneeflocken aus den Röcken. Die Nachtfee reichte ihr die
Hand und sagte, dass es Schlagsahne auf Eis geben würde. Das aß Frau Holle
schrecklich gern, und höchst vergnügt segelte sie zu ihrem Stuhl neben dem
Hagelhans.
Da kam auch schon der Eismax heran, der
dritte der Eisgeschwister. Mit klirrenden Sporen und tausend klingenden,
funkelnden Eiskristallen an seiner Montur schritt er zum Thron. Er schlug die
Sporen zusammen, grüßte militärisch vor der Nachtfee und schnarrte:
»Gnädigste Nachtfee, melde
jehorsamst zur Stelle!
Jereist mit jletscherhafter Schnelle.
Zwar für mich unjewöhnliche Zeit;
Aber doch eisbärenmäßig jefreut!
Wo alle sich zum Empfang einstellen,
Darf Eismax selbstverständlich nich fehlen.
Bitte erjebenst, eines nur:
Etwas jekühlte Temperatur'
Und die Sonne, das jreuliche Weib,
Mir nich so nahe uff'n Leib.
Kann die Person durchaus nicht vertragen,
Krieje Triefaugen und weichen Kragen,
Janzer Anzug schlägt Jammerfalten,
Kann Monokel nich mehr halten.
Unausstehlich! ... Na, überhaupt,
Denke, dass mir das jeder glaubt!«
Nachdem die Nachtfee ihm versichert
hatte, dass er kühl und luftig, weit ab von der Sonne sitzen solle, klirrte er
salutierend wieder mit den Sporen und legte ein blitzendes Eisblumensträußchen
auf die Thronstufen. Dann ging er von Platz zu Platz, machte den Anwesenden
seine ritterliche Verbeugung und setzte sich schließlich, nachdem er sich auch
den hübschen Sternenmädchen am Thron der Nachtfee vorgestellt hatte, auf die
andere Seite der Frau Holle.
Jetzt quakte und patschelte es draußen:
der Wassermann kam nämlich angeschlurft. Für den war es gewiss eine weite Fahrt
gewesen. Er sah auch sehr angestrengt aus, als er nun auf seinen breiten
Entenfüßen hereinwatschelte und mit den großen Glotzaugen herumstreite wie der
Karpfen-Ururgroßpapa auf dem Seegrund. Wenn der Wassermann nicht im Wasser
hockte, war er nämlich ein wenig kurzsichtig, und so wurde es ihm schwer, sich
zurechtzufinden in dem großen Saal. Als er aber entdeckt hatte, wer da war,
schlenkerte er zur Begrüßung die langen Froscharme nach allen Seiten, riss sein
breites Maul auf und quakte:
»Putsch - patsch - blubber
- quax!
Putsch - patsch - blubber - quax!
Guten Tax allerseits
guten Tax - guten Tax!
War 'ne weite, beschwerliche Fahrt - noaaaaaa!
Bin aber - blubber - blubber - trotzdem da.
Bin gefahren - uax - auf dem Muschelschiff,
Vom Grunde des Meeres - uax -, wo ich schlief.
Meine Seejungfern tanzten am Ufer Reigen,
Spielten Schlickversteckens und Blasensteigen;
Haben mir in einer großen Blase
Die Einladung gebracht, Frau Base.
War mir - blubber - blubber - sehr schmeichelhaft,
Hab' mir neue - uax - Wasserhosen angeschafft.
Aber ich bitte, vor allen Dingen,
Mich - uax - uax - wässerig unterzubringen.
In der Luft ist es sehr unangenehm!«
In jeder Hand hatte er einen großen
Schwamm; den drückte er sich dabei über den Kopf aus, um es wenigstens etwas
feucht zu haben. Die Nachtfee aber hatte für alles gesorgt, und so stand für den
Wassermann eine große, silberne Badewanne bereit. In die kroch er nun auf die
Einladung der Nachtfee, vergnügt grunzend, hinein. Außerdem kam noch ein
liebliches Sternenmädchen mit einer gläsernen Gießkanne auf den Wink der
Nachtfee herbei und begoss den dicken Wasserfürsten unermüdlich. Das gefiel ihm!
Er quiekte und quakte wie ein grünes Schweinchen vor Vergnügen.
Da hörte man leise Harfentöne, und
herein kam das Taumariechen; ein blasses, dunkelhaariges Mädchen, von
Silberschleiern und Perlen umfunkelt. Sie trug eine Trinkschale in ihren kleinen
Händen, die aus einem einzigen Diamanten geschnitten war. Die Harfentöne klangen
bei jedem ihrer Schritte in der Luft, wie fallende Tropfen. Vor dem Thron kniete
sie mit unbeschreiblicher Anmut nieder, neigte ihr Köpfchen leise und sagte mit
silberner Stimme:
»Liebe Mutter, ich habe für
diese Nacht,
Deinem Willen gehorsam, mein Werk vollbracht
Alle dürstenden Gräser und Blüten erquickt,
Alle schlafenden Wälder mit Perlen geschmückt;
Hing in Gärten viel Kettlein an Zweig und Baum,
Gab den grünen Büschen den Tropfensaum,
Füllte mit segnender Frische die Luft,
Strich auf Blätter und Früchte den silbernen Duft;
Hab' alle bunten Wiesen leise gekühlt,
Mit den Nebeln über dem See gespielt;
Hab' der Morgenröte das Land geschmückt,
Und alle Wesen im Traum erquickt.
Küss mich nun, Mutter, mein Werk ward schön,
Und lass mich in deine Augen sehn.«
Damit eilte sie in die Arme der
Nachtfee, die ihr mit einem leisen, zärtlichen Kuss den Scheitel berührte. Dann
setzte sich das Taumariechen auf die Stufen des Thrones, das liebliche Köpfchen
ans Knie der Mutter geschmiegt.
Bis zu diesem Augenblick war in dem
großen Saal ein Dämmerlicht gewesen, in dem die silbernen Säulen gleich
Mondstrahlen zwischen den blauen Wolken schimmerten; nur bei der Ankunft der
Blitzhexe, des Regenfritzen und der Frau Holle hatte sich dies milde Traumlicht,
das vom Haupt der Nachtfee auszugehen schien, für Augenblicke ein wenig
geändert. Jetzt plötzlich flog goldener Schein in diese Dämmerung, und durch die
weite Nacht her kam eine rauschende, ferne, wundermächtige Musik. Die Nachtfee
erhob sich auf ihrem Thron; die Sonne nahte, die Königin des Tages, die ihr
gleich war an Rang und Ansehen. Alle Gäste erhoben sich mit ihr von den Sitzen,
denn, obschon sie die Sonne zum Teil nicht leiden konnten, mussten sie ihr doch,
als einer Königin, die schuldige Ehrfurcht bezeigen. Da schwoll die Musik heran,
wie ein wachsender Sturm. Die Wolken teilten sich, und - in einem Strom von
goldenem Licht schwebte die Sonne herein mit ihren Töchtern und Söhnen, der
Morgenröte und Abendröte, dem Morgenstern und dem Abendstern. Wunderschön war
die Sonne! Ihre Augen strahlten machtvoll und lieb zugleich. Als ein Mantel von
Flammen lag ihr Lockenhaar um sie, und in funkelnden Garben brachen die
Lichtstrahlen aus der Krone auf ihrem Haupt. An jeder Hand führte sie einen
ihrer Söhne, die Schleppe ihres goldenen Kleides aber trugen ihre lieblichen
Töchter. So stand die Sonne der Nachtfee gegenüber, und der Saal war voll von
ihrem Licht. Langsam kam die Nachtfee von ihrem Thron herab der Sonne entgegen.
Auf ihrem schwarzen Haar schimmerte die blasse Mondkrone. Sie breitete ihre Arme
weit aus und grüßte die Sonne mit ihrer glockenschönen Stimme:
»Willkommen mir, Schwester, Königin!«
Da neigte die Sonne ihr Haupt leise vor
der Majestät der Nacht; dann hob sie es leuchtend und sprach:
»Der Gruß meiner Liebe sei
dir gebracht,
Du schöne Schwester, du stille Nacht!
Sind unsre Reiche auch ewig geschieden;
Mein ist die Arbeit, dein ist der Frieden;
Schlingen wir doch um die Guten und Bösen
Den einen Reigen und segnen die Wesen,
Die auf der wundertiefen Welt
Liebe in prunkendes Leben gestellt.«
Und dann umarmten sich die beiden
Königinnen. Als die Nachtfee die Sonne umschlang, ging alle Glut unter in blauen
Nebeln, und tiefe Dämmerung sank in den Raum; und als die Sonne ihre Arme um die
Schultern der Nachtfee legte, leuchteten alle Dinge umher, in ein Meer von Licht
gebadet. Als diese Begrüßung vorüber war, nahmen beide Herrscherinnen auf ihren
Sitzen Platz, und auch die anderen Gäste setzten sich wieder. Dabei war es sehr
komisch, wie der Eismax hinter den Rock der Wolkenfrau kroch und wie Frau Holle
hinter dem Schirm des Regenfritzen hervorschielte.
Jetzt kam aber plötzlich eine sehr
sonderbare Gestalt hereingetölpelt:
der Milchstraßenmann. Er war anscheinend
in großer Wut und gar nicht festlich angezogen, wie sich das gehört hätte. Die
Mütze saß ihm schief auf dem Kopfe, seine dicken Mondlederstiefel waren
schmutzig, und einen ungekämmten Schnurrbart hatte er auch. Unter dem Arm trug
er die große Zwillingsmilchflasche, und an einem Bändchen hinter ihm zottelte
der kleine Bär, den er eigentlich hätte draußen lassen müssen, weil der immer
schmutzige Pfoten hatte. Der kleine Bär hütete nämlich die Mondkälber und biss
sie in die Beine, wenn sie auf einer falschen Himmelswiese grasen wollten. Jetzt
hatte er allerdings einen Maulkorb um. Die Nachtfee machte ein sehr erstauntes
Gesicht über den Milchstraßenmann und wollte ihm etwas darüber sagen, dass er
nicht in solchem Aufzuge kommen dürfe; aber der ließ sie gar nicht zu Worte
kommen, so aufgeregt war er, und polterte sofort los:
»Frau Nachtfee, ich muss
mich bitter beklagen!
Die Gesellschaft, die du geladen hast,
Ist mir derart über die Milchstraße gerast,
Dass sie mir das Pflaster beschädigt haben
Und die Meilensteine, die Bäume, den Graben!
Das ist ein Benehmen, unerhört!«
Natürlich taten die Gäste, als wüssten
sie von gar nichts, besonders der Sturmriese und der Donnermann schüttelten
ungläubig ihre wilden Köpfe und taten so unschuldig wie kleine weiße Lämmchen.
Aber der Milchstraßenmann schrie:
»Jawohl, ich hab' mich zu
Recht beschwert!
Der Sturmriese kommt da mit Saus und Summ
Und wirft mir drei schöne Milchbäume um!
Und die Wolkenfrau, die ist auch so eine;
Hat mir alle meine Meilensteine
Verwischt mit ihren Plusterröcken!
Wenn nun ein Komet geflogen kommt,
So kann er nicht lesen, wie weit es gewesen!
Er verirrt sich, rennt gegen Zäune und Hecken
Und bleibt zuletzt noch im Mondberg stecken!
Dann beschwer ich mich über den Regenfritzen;
Er macht meine Straße voller Pfützen
Und hat mir die schöne Milch verwässert
Mit seiner triefigen Drüppelei!
Es ist eine Schande und Schweinerei!«
Nun wollte sich der Regenfritz auch
beschweren:
»Der kleine Bär hat mich aber gebissen,
Tüp, tüp - und mir meine Hosen zerrissen!«
meinte er weinerlich und zeigte ein
großmächtiges Loch in seiner neuen Regenhose, die er sich extra zu dem heutigen
Besuch beim Wolkenschneider hatte machen lassen. Ausgelacht wurde er obendrein
vom Milchstraßenmann. Als der Donnermann aber auch lachen wollte, weil das Loch
in der Hose des Regenfritzen sehr komisch aussah, fuhr der Milchstraßenmann
herum, wie von einer Wespe gestochen; und nun ging's los:
»Der Donnermann braucht
hier gar nicht zu lachen
Und sich über die anderen lustig zu machen!
Er hat sich furchtbar schlecht betragen,
Hat blödsinnig gebumst und gedonnerkracht
Und die Himmelsziegen mir scheu gemacht!
Das ist ihm nicht aus Versehen passiert;
Er hat sich so vorlaut aufgeführt,
Dass man wirkliche Angst vor dem Bullern bekam!
Und nun erst sein Weib: wie die sich benahm?!
Kam immer so zickzack dahergeschlenkert
Und hat mir die ganze Allee verstänkert!
Ist das ein anständiges Ehepaar?«
Er war ganz außer Atem vor Zorn geraten
und sah puterrot im Gesicht aus. Natürlich wollten ihm alle Gäste widersprechen,
aber er ließ niemanden zu Worte kommen und tobte weiter:
»Frau Nachtfee, ich
schwöre, alles ist wahr!
Sie haben noch viel mehr angerichtet:
Der Hagelhans hat mir die Schoten vernichtet,
Und der Wassermann kam da angeplanscht,
Hat mir alle Gräben übergepanscht,
Hat vier Wiesen am Tausee überschwemmt,
Und ich hatte sie so schön eingedämmt.
Auch der Eismax muss sich bescheidener führen,
Er darf nicht so viel mit den Sporen klirren;
Drei Mondkälbern hat er den Kopf verdreht!
Und Frau Holle hat ein Stück Straße verweht!
Sie tun mir Unrecht zu ihrem Vergnügen,
Frau Nachtfee! Man kann das Lütütü kriegen
Vor Ärger, wenn man es richtig bedenkt!
Und keiner hat mir ein Trinkgeld geschenkt!«
Weiter konnte er nicht mehr schimpfen;
die Stimme schnappte ihm über, und er musste husten, so aufgeregt war er. Die
Nachtfee aber machte ein sehr böses Gesicht, weil der Milchstraßenmann im Recht
war; denn es ist gewiss nicht sehr höflich, wenn man eingeladen wird, solchen
Unfug auf der Straße zum Schloss des Gastgebers zu machen. Als die wilden Gäste
sahen, wie ernst die Nachtfee wurde, beeilten sie sich sehr, den
Milchstraßenmann um Entschuldigung zu bitten, und versicherten ihm alle
durcheinander, dass sie den Schaden gern ersetzen würden, wie die Nachtfee es
wünschte. Damit war denn der gute Milchstraßenmann auch beruhigt; besonders ein
großes Trinkgeld vom Eismax besänftigte ihn sehr, und er trottete mit dem
kleinen Bären zufrieden ab. Der Ärger des Milchstraßenmannes war wirklich sehr
begründet gewesen. Draußen auf der Milchstraße hatte der Brave jetzt nämlich
viel zu tun. Die Unordnung, die alle diese herantobenden Naturgewalten mit ihrem
Ungestüm an dem schönen Nachthimmel angerichtet hatten, war sehr groß, und der
Nachtfee verantwortlich für die Ordnung dort war der Milchstraßenmann. Es war
seine Schuld, wenn auf der Milchstraße nicht alles blitzeblank und gut gefegt
war mit dem Himmelsbesen, wenn die Meilensteine nicht richtig funkelten und wenn
die Himmelsziegen und Mondkälber den falschen Nachtklee grasten oder gar ein
kleines Lämmerwölkchen in die Silberwolle zwickten, dass es an der Stelle trübe
Fleckchen bekam. Jaja, groß sind die Sorgen des Milchstraßenmannes!
Die
Ankunft der Kinder im Schloss der Nachtfee
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Alle Gäste der Nachtfee waren nun
eingetroffen, und nur das Sandmännchen fehlte noch in dem großen Kreise. Es war
sonst immer sehr pünktlich, und daher wunderte sich die Nachtfee und wollte eben
ein Sternchen damit beauftragen, einmal durch das große Wolkenfenster die
Milchstraße entlang zu gucken, ob denn der Sandmännchenschlitten noch nicht zu
sehen sei, da kam plötzlich der Milchstraßenmann wieder herbeigelaufen und
lachte so fürchterlich, dass er kaum noch Luft bekam; ganz krumm stand er da und
trat immer von einem Bein aufs andere. Die Nachtfee wollte wissen, was denn nun
schon wieder los sei, und alle anderen natürlich auch; aber der Milchstraßenmann
bekam vor Lachen kaum ein Wort heraus; man verstand nur den einen Satz:
»Frau Nachtfee, das
Sandmännchen ist verrückt!
Ich glaube, es hat den Mondstich gekriegt!«
Dazu wies er mit der Hand immerfort nach
dem Eingang hinter sich, und richtig, da kam das Sandmännchen schon herein,
allerdings in einer Begleitung, die höchst erstaunlich war: »Zwei Kinder im
Nachthemd und ein Maikäfer ! «
Einen Augenblick war alles stumm vor
Erstaunen, dann aber ging ein ungeheures Getöse los. Der Sturmriese heulte vor
Lachen, der Donnermann trommelte sich den Bauch und hätte sich beinah bei einem
Dönnerchen verschluckt, der Wassermann quakte wie ein betrunkener Frosch, der
Regenfritz jaulte vor Freude wie ein verstimmter Leierkasten, die Blitzhexe
schrie und stank, die Windliese pfiff und summte, der Eismax meckerte wie ein
Ziegenbock vor Vergnügen - kurz, es war ein Höllenlärm. In dem allem stand das
Sandmännchen ganz ruhig, hatte die beiden Kinder, jedes an einer Hand, den
Maikäfer hinten an seinem Schlafrockzipfel, und sah sehr klug aus. Es dachte:
»Das Getöse wird sich schon legen!«
So war es denn auch. Die Nachtfee stand
auf und reckte die Hand aus; da waren alle still. Und nun fragte sie, was das zu
bedeuten habe: zwei Kinder im Nachthemd, und ein Maikäfer, hier in ihrem Schloss
beim Fest der Naturgeister?
Jetzt trat das Sandmännchen vor,
verneigte sich und erzählte klar und einfach, wer dieser Maikäfer sei, und was
die Kinder hier wollten.
Natürlich war nun das Erstaunen noch
größer; aber es lachte keiner mehr, sondern alle waren von dem Mut der Kinder
entzückt, besonders der Eismax, der sich so nahe herandrängte, um Peterchen zu
betrachten, dass ihm beinahe der Schnurrbart von der Sonne abgeschmolzen worden
wäre. Die Nachtfee sah den Käfer an:
»Da hast du also wirklich zwei artige
Kinderchen gefunden, die so viel Mut haben und so viel Liebe zu den kleinen
Tieren, dass sie so große Gefahren bestehen wollen für dich, Maikäferlein?«
fragte sie. »Zu dienen, zu dienen, Frau Nachtfee!« stotterte der Sumsemann,
zitternd vor Aufregung, und machte mindestens sechs Kratzfüßchen hinter dem
Rücken des Sandmännchens. »Donnerwetter, hat der Kerl ein Glück ! « bullerte der
Donnermann. »Kolossal!« schnarrte der Eismax, und alle anderen waren derselben
Ansicht. Die Nachtfee aber kam herunter von ihrem Thron, nahm die Kinder in die
Arme und küsste sie auf die Stirn. »Fürchtet ihr euch denn gar nicht, ihr
kleinen Wesen?« fragte sie. Anneliese sagte nichts; sie fasste Peterchen nur bei
der Hand und machte ganz große Augen; Peterchen aber schüttelte energisch den
Kopf und zog sein Holzschwert. »Angst haben sie nicht!« meinte der Sandmann
schmunzelnd; er hatte es ja schon verschiedene Male festgestellt. Man konnte ihm
auch wirklich glauben, denn Peterchen stand wie ein kleiner Soldat so stramm mit
seinem Schwert vor der wilden Gesellschaft im Saal. Das machte natürlich dem
Eismax viel Vergnügen, und auch der Morgenstern und der Abendstern, die Söhne
der Sonne, blitzten sich an. Der Junge gefiel ihnen wirklich. »Gut!« sagte die
Nachtfee und strich Peterchen über den Kopf; denn nun sollten sie ihr Abenteuer
mit dem Mondmann mit Hilfe der großen Naturkräfte bestehen, weil es wirklich ein
sehr gefährliches Abenteuer war.
Sturmriese, Donnermann und Wassermann
wurden also von der Nachtfee gefragt, ob sie den Kindern helfen wollten.
Natürlich wollten sie es, und der Donnermann, dem das viel Spaß machte, trat
ganz dicht an Peterchen und Anneliese heran, um zu prüfen, ob es mit der
Furchtlosigkeit auch wirklich stimmte. »Potz Knatter, Knäblein, Er will es
wagen?
Kann Er denn einen kräftigen Donner
vertragen?« bullerte er. »Herr Donnermann, ich hab' keine Angst!« meinte
Peterchen unerschrocken und nahm Anneliese dicht in seine Arme. Bums! ... gab es
plötzlich einen fürchterlichen Donnerschlag, dass der Boden der Halle bebte und
die Säulen der Kuppel an zu klingen fingen. Aber Peterchen stand mutig vor dem
wilden, rothaarigen Donnerriesen und sagte: »Das war noch gar nichts, Herr
Donnermann! Mach's ruhig noch mal!«
Auch Anneliese hatte keine Miene
verzogen. Sie hielt dem Donnermann nur einen rotbäckigen Apfel zur Besänftigung
unter die dicke Nase. Dass jetzt der Donnerriese sich freute, war
selbstverständlich. Er fraß den Apfel schmunzelnd auf, meinte, dass Peterchen
Artilleriegeneral werden würde, und schwor, ihm gegen den Mondmann zu helfen.
Ebenso tat der Sturmriese, nachdem er einen plötzlichen, fürchterlichen
Wirbelwind mit vollkommener Finsternis gemacht hatte, ohne die Kinder umzublasen
oder auch nur zu erschrecken. Auch der Wassermann versprach ihnen seine Hilfe,
weil er von den Wassernixen wusste, dass die Kinder nicht wasserscheu wären und
dass sie Schwamm, Badewanne, Seife und Zahnbürste tüchtig gebrauchten. Als
Peterchen ihm gar sagte, dass er schon schwimmen könne wie ein kleiner Frosch,
war der dicke Wassermann vollkommen zufrieden und rutschte quaksend wieder in
seine Wanne zurück. So war auch diese Probe glücklich überstanden; nur der
Maikäfer war schon anfangs bei dem großen Donner umgefallen und hatte die ganze
Zeit auf dem Rücken gelegen. Das war aber gleichgültig; es hatte zum Gelingen
der Fahrt nichts zu bedeuten, da es nur auf den Mut der Kinder ankam. Die halfen
nun dem umgefallenen, zitternden Sumsemann freundlich wieder auf die Beine. Von
dieser Hilfsbereitschaft war die Nachtfee und besonders die Sonne sehr erfreut.
Jetzt aber sollte die Reise schnell
fortgesetzt werden, denn bis zum Mondberg war es noch sehr weit, und vor Tag
mussten Peterchen und Anneliese wieder in ihrem Bettchen auf der Erde sein,
sonst hätten sie nie mehr zurückgefunden. Da gab's nur einen Rat: Sie mussten
auf dem großen Bären zum Mond hinüberreiten; der konnte nämlich furchtbar
schnell laufen. Also befahl die Nachtfee dem Milchstraßenmann, schleunigst den
großen Bären herbeizuholen. Der Milchstraßenmann bekam einen Schreck und meinte,
das ginge heute nicht, weil der Bär sehr böse sei, grüne Augen habe und selbst
ihn, den Milchstraßenmann, beim Füttern beinahe gebissen hätte. Er solle den
Bären nur aus dem Stall holen, befahl die Nachtfee, man würde ihn schon zähmen
können. So trottete der Milchstraßenmann zum Bärenstall, um das Ungetüm
loszubinden und herbeizuführen; er musste gehorchen. Die Nachtfee aber gab nun
dem Sandmännchen den Auftrag, den Kindern weiter als Führer zu dienen. Er solle
den Bären zunächst nach der Weihnachtswiese auf dem Monde lenken. Dann solle die
Reise über die Mondhügel, Täler und Wiesen, am Osternest vorbei bis zu der
silbernen Riesenkanone gehen, die am Fuße des höchsten Mondberges steht. In
diese Kanone müssten die Kinder und der Maikäfer hineingeladen und auf den Berg
hinaufgeschossen werden, denn anders könnten sie nicht hinaufkommen. Oben auf
dem Berge aber sei das Abenteuer mit dem Mondmann zu bestehen. Bis dahin solle
Sandmännchen helfen, und gern sagte es zu, alles dies nach der Ordnung zu
besorgen, denn es hatte die beiden Hemdenmätze schon schrecklich lieb, weil sie
so brav und mutig waren. Nun kam der große Bär, vom Milchstraßenmann an der
Kette geführt, durch die Wolken herbei. Ein riesengroßes Ungetüm war dieser Bär.
Schneeweiß war sein Fell und dick und zottelig. Er war größer als der größte
Elefant, und wenn' er brummte, klang es beinahe wie das Bullern vom Donnermann.
So stand er mitten im Saal, brummte und glotzte böse mit leuchtend grünen Augen
umher. Der Milchstraßenmann machte ein sehr besorgtes Gesicht zu der Geschichte.
Er wusste ganz genau, wie stark der Bär war und was er für grimmige Zähne hatte.
Er musste erst besänftigt werden, denn so hätte man ihn gewiss nicht besteigen
können. Da hatte der Sandmann wieder einen guten Gedanken: Die Kinder sollten
ihm Äpfelchen zu fressen geben! Der Bär war nämlich ein großer Schleckerfritze;
das wusste Sandmännchen von den Sternen, die ihm manchmal ein wenig
Milchstraßenhonig zu lecken gaben, wenn sie ihm im Fell wühlen wollten.
Peterchen ging denn auch gleich mit einem Apfel in der Hand auf den Bären los.
Alle guckten. Es war wirklich ein sehr spannender Augenblick, als das
großmächtige Ungetüm dem kleinen Peterchen gegenüber den Rachen aufriss und wild
mit den bösen Augen glotzte. Schwupp! flog ihm der Apfel, gut gezielt, in den
weiten, roten Schlund. Schwapp! klappte der Rachen zu, und, das war sehr
komisch, abwechselnd grün und rot wurden die Augen, als wüsste der Bär nicht, ob
er noch böse oder schon gut sein sollte. »Seht ihr, halb ist er schon bezähmt
und gut!« rief das Sandmännchen sehr vergnügt. »Nun schnell noch einen zweiten
Apfel, dann ist er zahm wie ein Kätzchen ! «
Anneliese stellte sich auf die
Zehenspitzen mit einem Apfel im Händchen. Sie war wirklich noch sehr klein, denn
sie reichte lange, lange nicht hinauf bis an den großen Rachen, der über ihr
aufklappte, als der Duft von dem Äpfelchen kam. Also hob das Sandmännchen die
kleine, tapfere Anneliese hoch, dass sie ordentlich zielen konnte, und - happs!
hatte der Bär das Äpfelchen verschluckt. In demselben Augenblick bekam er rote,
gutmütige Augen und leckte sich, zufrieden wie ein kleiner Hund, die Schnauze.
Das war eine Freude!
»Er kann auch Kunststückchen machen«,
sagte der Milchstraßenmann. Natürlich musste er Peterchen nun die Pfote geben
und vor Anneliese gar ein Männchen machen. Oooooh, wie das aussah!
Bis oben in die Kuppel des Saales
reichte er hinauf, als er sich gutmütig aufrichtete vor Anneliese, die wie ein
winzig, winzig kleiner, weißer Floh vor ihm stand in ihrem Hemdchen. Der Eismax
war ganz begeistert von der Kühnheit dieses kleinen Mädchens. Er kam und küsste
ihr die Hand, wie einer großen Dame. Nun war Anneliese natürlich wieder ein
bissel verlegen. Es gab aber jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Der
Milchstraßenmann kam schon mit einer Leiter zum Aufsteigen herbei, während die
Kinder der Nachtfee und ihren Gästen ade sagten. Eine Menge Küsschen bekamen sie
dabei von allen. Peterchen dachte: >Der vom Taumariechen hat am besten
geschmeckt - wunderschön! und der von der Blitzhexe am schlechtesten: so ein
bisschen brenzlig!<
Anneliese fand den Kuss vom Morgenstern
am schönsten und den vom Regenfritzen gar nicht sehr schön - so ölig! Heimlich
wischte sie sich das Mäulchen ab, aber ganz heimlich nur, denn es war doch sehr
nett, dass alle diese wilden Wesen so freundlich zu ihnen waren. Man durfte sie
gewiss nicht beleidigen. Inzwischen hatte der Milchstraßenmann die Leiter an den
großen Bären gelegt, und nun kletterten die vier auf den Rücken des gewaltigen
Tieres. Sandmännchen saß vorn und lenkte ihn bei den Ohren, dann kam Peterchen,
dann Anneliese und ganz zuletzt der Maikäfer, der wieder eine bedeutende Angst
hatte und so dicht an Anneliese heranrutschte, als es nur irgend möglich war.
Als sie sicher oben im weichen Fell saßen, winkte ihnen die Nachtfee mit allen
ihren Gästen noch einmal lieb und freundlich zum Abschied; und dann ging's los!
»Hopp, Petz!« rief das Sandmännchen. Der
gewaltige Bär schnaufte einmal und noch einmal wie eine Lokomotive und stürmte
aus dem Saal, über die Wolkenberge, die das Schloss trugen, hinaus ins Weite, so
rasend schnell, dass den Reitern fast Hören und Sehen verging.
Der Ritt
auf dem großen Bären
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Ja, das war ein Ritt! Von der
Geschwindigkeit entstand ein Summen und Brausen um die vier Reiter, dass man
denken konnte, ein Sturm käme daher. Helle Funken stoben dem Bären aus dem
Rachen und glühten hinter ihm als eine schimmernde Lichtbahn durch den
pechdunkeln Weltenraum. Dicht aneinandergeschmiegt saßen sie, tief auf das weiße
Bärenfell gebeugt; kein Wort konnten sie sprechen. Sandmännchens Zipfelmütze
flog wie eine kleine Fahne im Sturm, und Anneliese musste ihr Püppchen
schrecklich festhalten, sonst wäre es ihr fortgepustet worden. So ging es eine
ganze Weile. Da kam ihnen etwas durch die Nacht entgegen. Ein riesengroßer,
leuchtender Klumpen, näher und näher! Es sah aus wie ein Kopf mit einem
wehenden, weißen Bart, der viele hundert Meilen lang war. Ein Komet war es, der
um den Mond herumgeflogen war und ihnen nun auf seiner Reise begegnete. Gut nur,
dass sie auf dem großen Bären ritten, denn sonst wäre diese Begegnung sehr
gefährlich gewesen. Als nämlich der Komet immer näher kam, sahen sie, dass er
seinen Weg gerade auf sie zu nahm. Plötzlich aber stieß der Bär ein drohendes
Gebrüll aus und schnaubte ganze Ströme von Funken vor sich her, während er seine
furchtbaren Zähne zeigte. Da wich der Komet schnell aus und sauste neben ihnen
vorbei; sonst hätte er sie ganz gewiss über den Haufen geflogen. Unheimlich sah
er aus. Einen Kopf hatte er wie glühendes Eisen mit flatternden Haaren von
grünem Feuer. Schwefelgelbe, stechend helle Augen hatte er, keine Arme und
Beine, sondern nur den langen, wohl tausend Meilen langen Flammenbart hinter
sich her. So schoss er vorüber, hier, wo es keinen Weg und Steg mehr gab in der
großen Nacht, und die Kinder merkten schon, wie gut es war, dass die Nachtfee
ihnen ein so gewaltiges Reittier gegeben hatte, vor dem selbst der Komet Angst
bekam. Es sah aber auch sehr gefährlich aus, als der große Bär die Zähne zeigte,
die wie eine Reihe blanker Säbel durch den roten Funkendampf aus seinem Rachen
blitzten. Husch, war alles wieder vorbei, und weiter ging der Ritt auf den Mond
zu, dem man nun schon ganz nahe war. Er wurde immer größer; so groß wie der
halbe Himmel war er schon, und sie merkten, dass er ganz ähnlich aussah wie die
Erde, die da weit, weit unten in der Tiefe des Himmelsraums lag, als ein
kleiner, runder Fleck.
Da landete der Bär auch schon mit einem
kühnen Satz auf dem Monde!
Aus einem seltsam lichten Gestein war
alles ringsum. Berge gab es, Täler und große Ebenen, in denen seltsame Pflanzen
wuchsen. Die Berge waren weiß, wie von Silber, und die Ebenen gelb, wie von
Gold. Summ - ging es durch ein langes Tal dahin, aber ehe sie sich noch recht
besonnen hatten, rief das Sandmännchen schon: »Halt, Petz!«, und sie hielten vor
einem großen Felsentor. »Absteigen!« sagte der Sandmann, und sie kletterten von
ihrem treuen Reittier herunter. Der Bär blieb vor dem Tor ein wenig abseits und
schnupperte dort an den sonderbaren Mondblumen herum, die aussahen, als wären
sie aus blauem Porzellan. Sandmännchen aber trat mit den Kindern dicht an
das Tor, über dem mit grünen Edelsteinen
geschrieben stand:
»Eingang zur Weihnachtswiese!«
Rechts an der Seite war ein kleiner Funkenknopf im Felsen, daneben stand:
»Klingel zum Weihnachtsmann!«
Und jetzt kam ein großer Augenblick!
Das Sandmännchen strich sich den
Schlafrock glatt, machte ein sehr feierliches Gesicht, hob bedächtig den
Zeigefinger und drückte auf den Knopf. Da ertönte ein wundersames Läuten von
innen, goldene Glocken mussten es wohl sein, und lautlos öffnete sich das Tor.
Mildes Licht, von Millionen Kerzen, die man nicht sah, floss ihnen entgegen, und
an der Hand des Sandmännchens traten sie mit klopfenden Herzen über die Schwelle
zur Weihnachtswiese.
Die
Weihnachtswiese
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Hier waren noch niemals Kinder gewesen;
es war ein unbeschreibliches Glück für die beiden kleinen Reisenden, dass ihnen
die Nachtfee erlaubte, dies zu sehen. Der Maikäfer durfte übrigens auch mit,
denn es wäre doch leicht möglich gewesen, dass der große Bär ihn tottrat oder
vielleicht gar auffraß, wenn er mit ihm eine Weile allein geblieben wäre. Ganz
bescheiden krabbelte also der Sumsemann hinter den dreien her, als sie nun auf
einem Goldkieswege zwischen kleinen, grünen Tannenbäumchen weiterschritten. Die
Luft war erfüllt von herrlichem Kuchenduft. Alle Kuchen der Welt schienen hier
zu sein - besonders nach Pfefferkuchen roch es. Ein warmer, leiser Wind, der in
den Zweigen der kleinen Tannen säuselte, trug ihnen diesen prächtigen Duft zu.
Selbst das Sandmännchen bekam davon Kuchenappetit; es wischte sich den Mund sehr
umständlich und tat so, als ob es niesen müsste, damit man's nicht merken
sollte. Der Weg, auf dem sie durch das Tannenwäldchen gingen, war mit
vergoldetem Schokoladenplätzchenkies bestreut. Das roch natürlich auch gut.
Anneliese schnabulierte schnell mal ein Plätzchen, und Peterchen auch. Wirklich,
es waren Schokoladenplätzchen! - und was für welche! - hmmm!
Nun waren sie aus dem Wäldchen heraus.
Einen Augenblick blieben sie stehen, vor Erstaunen ganz starr über das, was sie
jetzt vor sich sahen. Kein Traum hätte jemals etwas so Schönes zaubern können!
Eine weite, weite Landschaft lag vor
ihnen: Gärten und Felder, Wälder und Wiesen, Hügel und Täler, Bäche und Seen,
von einem goldenen Himmel hoch überspannt. Eine Spielzeuglandschaft war es, die
fast so aussah wie eine richtige Landschaft; und doch anders, ganz anders -
viel, viel zauberhafter. Nicht wie in einer gewöhnlichen Landschaft wuchsen da
Kartoffeln oder Bohnen, Gras oder Klee, sondern hier wuchs das Spielzeug. Alles,
was man sich nur irgend denken kann, wuchs hier; von den Soldaten bis zu den
Püppchen und Hampelmännern, von den Murmelkugeln bis zu den Luftballons. Auf
bunten Feldern und Wiesen, in niedlichen grünen Gärten, an Sträuchern und
Bäumchen, überall sprosste, blühte und reifte es.
Eine Bilderbücherwiese war da, auf der
alle Bilderbücher wie Gemüse wuchsen. Das sah sehr bunt und vergnügt aus; manche
waren noch nicht entfaltet und wie Knospen in ihren Hüllen, kleine Rollen in
allen Farben; manche waren schon auf, schaukelten im Winde und blätterten um.
Daneben sah man Beete mit Trompeten und Trommeln. Wie Kürbisse und Gurken kamen
sie aus der Erde hervor. Nicht weit davon waren große Rasenfelder mit Soldaten
bewachsen, die zum Teil schon weit aus der Erde herausguckten, zum Teil noch bis
an den Hals darin steckten oder erst mit der Helmspitze hervorsahen wie kleine
Spargel. Dann war ein Feld dort, auf dem die Petzbären wuchsen. Ein kleiner
grüner Zaun lief rings herum, denn einige von den drolligen Tierchen waren schon
reif, von ihren Wurzeln los und purzelten quiekend herum. Auf der andern Seite
wieder waren Gärten mit großen und kleinen Sträuchern, an denen Bonbons in allen
Farben und Größen wuchsen. Kleine Teiche von roter und gelber Limonade glänzten
zwischen Schilfwiesen, in denen aus den raschelnden Halmen silbrige Schilfkeulen
wuchsen - die Zeppelinballons, Niedliche, summende Flugmaschinen flogen dort als
Libellen herum. Ganz besonders schön waren auch die großen Tannen, an denen die
vergoldeten Äpfel und Nüsse wuchsen, und die Pfefferkuchenbäume. Sie standen
meistens in Gruppen auf kleinen, runden Plätzen mit Krachmandelkies. Überall
hörte man in Bäumchen und Sträuchern eine süße Zwitschermusik. Die kam von den
bunten Spielzeugvögelchen, die zwischen Pfefferkuchenzweigen und Bonbonknospen
herumhuschten. Sie hatten dort ihre Nesterchen, in denen sie fleißig
Pfefferminzplätzchen legten. Viele brüteten auch, damit noch mehr Vögelchen zu
Weihnachten auskröchen. Sie sind ja sehr beliebt bei den Kindern auf der Erde;
besonders wenn sie mit Plätzchen gefüllt sind - man weiß das. Das Schönste aber,
was man hier sehen konnte, war eigentlich der Puppengarten. Ein ganzer Wald von
bunten Büschen und Bäumchen auf grünem Sammetrasen, von einem goldenen Zaun
umgeben. An den Büschen und Bäumchen saßen Tausende und aber Tausende von Puppen
und Püppchen. Wie kleine Blumen wuchsen sie an den Zweigen; zuerst nur Knospen
von Sammet oder Seide, dann Blümchen mit kleinen Gesichtern in der Mitte und
dann endlich Püppchen oder Puppen mit Haar, Schuhen und Schleifen in allen
Größen und Farben. An feinen, silbernen Stielen hingen sie von den Zweigen und
konnten abgepflückt werden. Ein kleiner See war auch im Puppengarten, ganz
bedeckt mit wunderschönen Wasserrosen. Wenn die aufblühten und ihre weißen oder
gelben seidenen Blätter auseinander falteten, so gab es einen kleinen,
klingenden Knall, und in der offenen Blume lag ein rosiges Badepüppchen. Sehr
lustig war das!
Ja, und dann gab's noch so einen
kleinen, seltsamen Wald, ein wenig versteckt in einem tieferen Tal, so
seitwärts, hinter einer Marzipanschweinezüchterei. Ganz kahl war's da, ohne ein
Blättchen; nur Bäumchen mit Ruten. Immerfort pfiff ein Wind, dass die Ruten sich
bogen. Kein Vögelchen zwitscherte, kein Flugmaschinchen summte; es war nicht
sehr freundlich in dem Wald. Man brauchte ihn eigentlich auch gar nicht zu
bemerken, so versteckt lag er. Aber er war doch da auf der Weihnachtswiese - der
Rutenwald.
Man kann sich wohl denken, wie den
Kindern zumute war, als sie alle diese zauberhaften Dinge sahen, während sie an
der Hand des Sandmännchens über Krachmandel- und Schokoladenwege, über
Zuckerbrücken und Marzipanstraßen hinwanderten zu einem kleinen sanftleuchtenden
Berge, der die Mitte des Ganzen bildete. Dort liefen alle Wege und Straßen
zusammen auf einen, von Tannenbäumchen umhegten Platz. Auf diesem Platze aber -
ja, das war das Allerschönste! stand die goldene Wiege des Christkindchens.
Neben der Wiege, auf einem schönen, himmelblauen Großvaterstuhl saß der
Weihnachtsmann in seinem pelzverbrämten Rock mit einer silbergrauen Pudelmütze
und schneeweißem Bart. Er hatte eine lange, schöne Pfeife mit bunten Troddeln im
Munde, aus der er ab und zu großmächtige Wolken in die Luft paffte. Dazu wiegte
er leise die goldene Wiege, und über der Wiege schwebte still ein leuchtender
Heiligenschein. Es war sehr feierlich, es war sehr schön!
Nun sah der Weihnachtsmann die kleinen
Besucher, die da ankamen. Ein freundliches Lächeln huschte über sein Gesicht -
er wusste schon Bescheid-, stand auf, kam ihnen entgegen und sagte:
»Ei, ei, das ist mir eine
Freude!
Guten Tag, ihr lieben Kinderchen beide,
Und Sandmännchen, und Maikäfermann;
Willkommen hier auf der Weihnachtswiese!«
Und dann gab er den Kindern die Hand.
Peterchen war noch ein wenig schüchtern und Anneliese erst recht; es war auch
wirklich ein sehr feierlicher Augenblick. Aber der gute Weihnachtsmann
streichelte ihnen die Köpfe und die Bäckchen und sagte:
»Nun Peterchen? - nun
Anneliese? -
Jaja, ich kenn' euch, wisst ihr's nicht mehr?
Ich kenne euch gut, noch von Weihnachten her!
Artig wart ihr alle beide;
Ich weiß es, ihr macht eurem Mütterchen Freude.«
Die Kinder erinnerten sich natürlich
ganz genau, wie der Weihnachtsmann damals gekommen war mit Nüssen und Äpfeln und
das Weihnachtsbäumchen gebracht hatte. Wahrscheinlich hatte er auch die vielen
anderen schönen Sachen gebracht, die nachher auf dem Weihnachtstisch lagen. Das
dachten sie sich jetzt, nachdem sie gesehen hatten, dass hier alles Spielzeug
wuchs. Der Weihnachtsmann hatte nämlich damals lange mit Muttchen gesprochen,
nachdem sie ihren Spruch schön hergesagt hatten, und dann aus einem
großmächtigen Sack, der ihm über den Rücken hing,
alles mögliche herausgenommen. Muttchen
hatte das schnell in die Weihnachtsstube gebracht; dann hatte der Weihnachtsmann
genickt, genau so freundlich wie jetzt, und war verschwunden. Natürlich kannten
sie ihn!
Und so fasste Peterchen sich Mut,
erzählte, was er vom vorigen Weihnachten wusste, und Anneliese nickte eifrig mit
dem Kopf dazu. Ja, es stimmte! Der Weihnachtsmann bestätigte alles so
freundlich, dass die Kinder jede Scheu verloren und sich zutraulich an ihn
drängten.
Ein sehr spaßiges Männchen sprang da
noch mit einer kleinen Gießkanne bei den Weihnachtsbäumen herum und begoss
immerfort. Dazu sang es mit seinem dünnen Stimmchen:
»O Tannebaum, O Tannebaum,
Wie grün sind deine Blätter!
Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,
Nein auch im Winter, wenn es schneit;
O Tannebaum, O Tannebaum,
Wie grün sind deine Blätter!«
Peterchen musste plötzlich laut lachen.
Der Weihnachtsmann aber erklärte, dies sei das Pfefferkuchenmännchen, sein
Gehilfe, der schrecklich viel zu tun hätte mit dem Begießen und Pflegen all der
schönen Sachen. Davon wäre er zu Weihnachten so mürbe und braun. Das Männchen
sprang zwischen den Bäumchen herum wie ein kleiner Floh und begoss - mit
Zuckerwasser!!
Am meisten aber waren die Kinder jetzt
neugierig auf das Christkindchen. Auf den Zehenspitzen schlichen sie näher; denn
der Weihnachtsmann sagte:
»Es schläft, um sich das
Herz zu stärken,
Zu allen seinen Liebeswerken.
Derweil muss ich es wiegen und warten
Hier oben im stillen Weihnachtsgarten.
Und wenn unsre Stunde gekommen ist,
In der Winterszeit, zum heiligen Christ,
Dann weck' ich es ganz leise, leise,
Und wir machen uns auf die weite Reise
Durch Nacht und Wälder, durch Schnee und Wind,
Dorthin, wo artige Kinder sind.«
Ja, da lag es, tief in den schneeweißen
Kissen, mit goldblonden, strahlenden Locken und schlief. Die Kinder falteten
leise die Hände und knieten ganz von selbst neben der Wiege nieder, so schön und
so heilig war es. Als sie aber niederknieten, kniete auch der Weihnachtsmann und
das Pfefferkuchenmännchen mit ihnen. In demselben Augenblick ging ein
wundersames Klingen durch die Luft, als sängen tausend kleine
Weihnachtsengelchen das Weihnachtslied. Als Anneliese und Peterchen es hörten,
sangen sie unverzagt mit, und ihre Stimmen klangen so schön mit den
Engelstimmchen zusammen, dass sie ganz glücklich waren. Während des Gesanges
aber fiel vom Himmel herab ein goldener Schnee, der duftete schöner als alle
Blumen der Welt. Auf allen Bäumen und Bäumchen ringsum glühten Lichterchen auf,
und große Sterne strahlten vom Wipfel jeder Tanne im Garten. Himmelsschön war es
eigentlich und gar nicht zu beschreiben. Es war aber schon wieder Zeit zur
Reise. Das Sandmännchen winkte zum Aufbruch, und von fernher hörte man auch den
Bären brummen und stampfen, der ungeduldig wurde wie ein Pferdchen, das nicht
mehr warten will. So gaben die Kinder dem Weihnachtsmann die Hand und bedankten
sich sehr schön. Der lachte freundlich und steckte schnell noch jedem ein ganz
frisches Pfefferkuchenpäckchen ins Körbchen. Dann nickte er dem Sandmännchen zu,
setzte sich in seinen Großvaterstuhl, paffte riesengroße, steingraue Wolken aus
der Pfeife und wiegte das heilige Kindchen. Dazu sprang das
Pfefferkuchenmännchen im Hintergrunde zwischen den Tannen herum, begoss und sang
sein Liedchen. So war alles wieder wie vorher. Die drei Abenteurer aber eilten
mit dem Sandmännchen zum Eingangstor zurück, über die Zuckerbrücken und
Schokoladenwege, schnell, schnell!
Besonders der Sumsemann hatte es eilig
dabei, denn ihm hatte es am wenigsten gut gefallen. Gar nichts war dagewesen für
ihn! Lauter Zucker, Marzipan, Mandeln, Rosinen, Limonade, Schokolade! Kein
Blättchen gab's, nur Tannen, Bonbonsträucher und Pfefferkuchenbäume - brrrrrrrr!!
Nein, solche Gegend passte ihm nicht!
Er hatte allerdings einen Kameraden
gefunden, einen Spielzeugmaikäfer. Aber als er sich ihm vorstellte, wie sich das
gehört, hatte der Kerl bloß gerasselt und geklappert mit seinen Beinen und
Flügeln; nicht einmal anständig summen konnte er. Natürlich, er war aus Blech
und hatte statt eines klopfenden, ritterlichen Käferherzens nur ein paar
blecherne Räder und eine Uhrfeder in der Brust. Aber sechs Beinchen hatte dieser
Blechkerl! Das war wirklich ärgerlich! Er, ein echter Maikäfer, wurde von dem
Rasselfritzen mit einem Beinchen übertroffen. So packte ihn wieder die
grimmigste Sehnsucht nach seinem Beinchen, und emsig, wie ein Feuerwehrmann,
wenn's brennt, lief er neben den Kindern her. Endlich ging's ja zum Beinchen,
zum Mondberg, zur Erfüllung des großen Wunsches der Sumsemänner!
Das
Osternest
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Hoppla! ... hoppla! ... holterdiepolter!
... ging's durch die Mondgegend, dass nur so die Steinchen stiebten. Ja, waren
es eigentlich Steinchen? Es klang manchmal wie Glas, wenn der Bär mit seinen
Tatzen so ein Stück Mondkruste abschlug, und sah aus wie Zucker; manchmal
knisterte es wie Schnee und staubte um die Reiter her, dass sie die Augen
zumachen mussten, und manchmal war der Boden glatt und weich wie Gummi, der
unter jedem Tritt wippte und schwippte. Dann machte der Bär so komische Sätze,
dass sie beinahe von seinem Rücken herunterpurzelten. Der Sandmann kannte die
Landschaft aber und rief immer vorher zur Warnung:
»Achtung - Kopf beugen!«
Dann ging es über so ein Krustengebirge.
Die Kristalle sausten und prasselten ihnen um die Ohren, dass sie sich tief auf
das dichte Fell des Bären ducken mussten, um nicht Beulen am Kopf zu bekommen.
Oder er rief:
»Achtung - Augen zu!«
Dann stürmte der Bär durch eine
Mondwüste, dass sie hinterher wie die Müllerjungen aussahen von dem weißen
Staub. Oder es hieß:
»Festhalten! - Gummiteich!«
Dann ging es über so eine
Schwabbelgegend, auf und nieder, wipp und wapp, dass man denken konnte, der Bär
sei vollständig betrunken. Als sie aber Bescheid wussten, wie man sich zu
verhalten hatte, machte es natürlich großen Spaß, und sie mussten schrecklich
lachen; besonders, wenn eine Gummigegend kam. Ein schöneres Wippespiel, als der
Bär mit ihnen auf diesen Gummiteichen vollführte, gab es doch sonst nirgends auf
der ganzen Welt. Das kann man sich wohl denken. Und nun kamen sie in die Nähe
des Osternestes. Wie von der Weihnachtswiese alles Spielzeug und alle
Weihnachtssüßigkeiten kommen, so kommen aus dem Osternest die Ostereier. In
einem weiten, weißen Tal lag ein riesengroßes, grünes Nest. Es war wohl so groß
wie ein Berg.
Auf dem Rande des Nestes saßen
ringsherum viele, viele Tausend Hühner in allen Farben; grüne, blaue, weiße,
gelbe, rote, schwarze, bunte, gestreifte und gesprenkelte, eines dicht neben dem
anderen, fein ordentlich die Schwänzchen nach innen, die Schnäbelchen nach außen
gekehrt. Über dem Nest hing ein Strick vom Himmel herunter mit einem schönen
gelben Ring am Ende. In dem Ring aber saß ein großer Gockelhahn. Der schlug alle
zwei Augenblicke mit den Flügeln und krähte »kikeriki-i-i-ieh ! «
Und jedes Mal wenn er krähte ... klack!
... legte jedes von den Hühnern ein schönes, farbiges Ei von Zucker, Schokolade
oder Marzipan, je nach der Farbe des Huhnes. Die Eier kullerten alle in das
Innere des großen Nestes hinunter und wurden dort von vielen Tausenden kleiner,
schneeweißer und knallgelber Osterhäschen aufgesammelt, fein säuberlich in
Körbchen und kleine Taschen gepackt und ordentlich aufgestapelt. »So geht das
immerfort«, erklärte der Sandmann im Vorüberreiten; »der Hahn kräht, die Hühner
legen, die Häschen sammeln und verpacken, bis das ganze, riesengroße Nest voll
ist. Und dann ist Ostern. In der Nacht vor Ostern aber nimmt jedes Häschen seine
Eierlast huckepack und hoppelt damit zur Erde herunter. Dort hat jedes Haus, in
dem Kinder wohnen, sein bestimmtes Häschen, das in der Osternacht die Eier
bringt.«
Das alles war natürlich schrecklich
interessant. Peterchen und Anneliese wollten so gern ihr Häschen noch entdecken;
aber es war keine Zeit, sie ritten zu schnell. »Es ist ein gelbes Häschen!«
sagte der Sandmann, als Peterchen ihn fragte. Da waren sie auch schon vorbei und
hörten nur noch von fern ein paar Mal den großen Hahn krähen. Immer mehr
näherten sie sich jetzt dem großen Mondberg. Himmelhoch ragte er in die
geisterblaue Nacht vor ihnen auf, steil und spitz. So einen Berg gab es nirgends
auf der Erde; so seltsam hätte man ihn sich nicht einmal träumen können; wie von
wachsweißem Teig war er, oder von gefrorener Schlagsahne. Hopp! ... sprang der
Bär über einen hohen Wall, der rings um den Berg herumlief, und nun waren sie am
Ziele ihres großen Rittes, in einer finsteren Schlucht, am Fuße des Mondberges -
bei der Mondkanone.
Die
Mondkanone
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Ein bissel unheimlich sah es doch in der
Schlucht aus. Da waren so finstere Schatten und so sonderbar geformte Steine,
dass man sich eigentlich hätte fürchten können, wenn man Zeit dazu gehabt hätte.
Wenn man aber keine Zeit dazu hat, dann fürchtet man sich eben nicht. Das ist
eine alte Geschichte. »Halt Petz!« rief das Sandmännchen plötzlich. Der Bär war
noch so im Lauf, dass er auf allen vieren ein Stück weiterrutschte, ehe er sich
gebremst hatte. Dicht neben einem großen Felskegel, der einen pechschwarzen,
langen, spitzen Schatten über einen freien Platz warf, hielt er still. Genau an
der Stelle, wo der Schatten aufhörte, stand die Mondkanone auf einem kleinen
grauweißen Hügelchen. Sie war halb darin versunken und musste wohl schon viele
tausend Jahre hier stehen, denn der Mondstaub lag so dick auf ihr, dass nur hie
und da noch das Metall des gewaltigen Kanonenrohres ein wenig hervorblitzte. Aus
grauem Silber war dieser Kanonenlauf; noch dicker als ein Regenwasserfass und
wohl zehnmal so lang. Ein kleines Leiterchen lehnte neben der Mündung, die steil
in die Luft gerichtet war, und nicht weit davon stand ein Kanonenwischer, zum
Putzen des Laufes, ehe geschossen wird. Der Wischer sah eigentlich sehr
lächerlich aus, wie eine mächtige, kreisrunde Igelbürste, mit einem langen Stiel
daran. »Wir sind am Ziel der Reise!« sagte jetzt das Sandmännchen. Also
kletterten sie eiligst von dem großen Bären herunter, der sich augenblicklich
zum Heimgalopp umdrehte; er hatte seine Pflicht getan, wollte sein Futter haben
und seine Ruhe im Bärenstall. Damit hatte er natürlich recht, bekam zum schönen
Dank von den Kindern noch ein Äpfelchen, vom Sandmann einen freundlichen Klaps
auf den dicken Bärenschinken und trottete davon. Die drei Abenteurer aber
standen am Fuße des himmelhohen Berges, und das Sandmännchen nahm eine sehr
feierliche Miene an. Jetzt kam nämlich das große Ereignis, dessentwegen sie die
Reise gemacht hatten: die Begegnung mit dem Mondmann und die Eroberung des
Beinchens. Hoch oben, auf der höchsten Spitze des Berges, hauste der Mondmann,
und dort stand auch in einem kleinen Wald die Birke, an der das Beinchen damals
hängengeblieben war. Mit großer Wichtigkeit erklärte der Sandmann den Kindern,
dass er sie jetzt in die Kanone hineinladen würde, zuerst den Sumsemann, dann
das Peterchen, dann die kleine Anneliese, denn man müsse auf den Berg
hinaufgeschossen werden; anders sei es unmöglich, dort hinaufzukommen. Wenn sie
aber alle oben wären, müssten sie in dem kleinen Wald das Beinchen suchen, es
von dem Bäumchen herunternehmen und dem Sumsemann vorsichtig, an der richtigen
Stelle, mit Spucke wieder ankleben. Sollte ihnen beim Suchen etwa der Mondmann
begegnen, der dort oben immerfort herumliefe, so sei das auch weiter nicht
schlimm. Artigen Kindern könne er nichts tun, wenn er auch noch so grimmig täte.
Würde aber der greuliche Kerl gar nicht zu besänftigen sein, dann gäbe es ein
unfehlbares Mittel: die Kinder sollten nur ihre Sternchen zur Hilfe rufen. Sie
würden schon sehen, wie das dem Mondmann bekäme. Als das Sandmännchen mit seiner
Erklärung fertig war, schnaubte es sich die Nase, denn ihm war wieder ziemlich
gerührt zumute. Dass es von den beiden, lieben Kindern Abschied nehmen sollte,
ging ihm doch nahe; und schließlich - der Mondmann da oben? Es könnte
möglicherweise einen wirklichen Kampf geben, und einfach war das nicht. Als die
Kinder merkten, dass dem guten Sandmännchen so ein wenig weich ums Herz war,
fielen sie ihm plötzlich um den Hals, um sich zu bedanken, und gaben ihm
herzhafte Küsschen. Na, das war was für das Sandmännchen!
Nun aber hieß es, ans Werk zu gehen;
denn, kam der Morgen, ehe die Kinder das Beinchen hatten, so war alles umsonst.
Der Sandmann ergriff den Kanonenwischer, kletterte auf dem Leiterchen zur
Mündung der Kanone und putzte den Lauf umständlich und gründlich. Es war ja,
seit der Mondmann damals vor tausend Jahren hinaufgeschossen wurde, nicht mehr
daraus geschossen worden; und wenn der Lauf innen nicht so blitzblank war wie
eine Kakaobüchse, konnten sich die Kinderchen leicht beim Herausfliegen die
Nasen abscheuern. Ernsthaft und aufmerksam guckten sie zu. Ordentlich schwitzen
tat das Sandmännchen, und wenn es sich mal einen Augenblick verpustete, gab es
den Kindern noch gute Ratschläge, wie sie den Mondmann behandeln müssten;
natürlich höflich, denn auch die rohesten und grässlichsten Leute muss man immer
höflich und freundlich behandeln, dann werden sie nämlich meistens verlegen und
ganz zahm. So, jetzt war der Lauf blank!
»Vorwärts Sumsemann! rein in die
Kanone!« rief das Sandmännchen. Ja ... wo war denn der? Nirgends war der
Maikäfer zu sehen!
»Er hat sich gewiss versteckt, weil er
immer so Angst hat«, meinte Anneliese. Na das hatte gerade noch gefehlt! Um sein
Beinchen ging es, und da kniff er womöglich im letzten Augenblick aus, der
Jammerpipps?
Peterchen fand das höchst unmännlich.
Sie machten sich natürlich schleunigst auf die Suche nach dem Auskneifer, und
richtig! - da lag er hinter der nächsten Felsennase, ganz still und stellte sich
tot. So ein Feigling!
Sandmännchen packte ihn am Kragen und
rüttelte ihn gehörig.
»Summ - summ - wenn es schießen tut,
Hab' ich Angst, hab' ich Angst, ich geh' kaputt!«
stotterte der edle Ritter, als man ihn
zur Rede stellte. »Ach was«, polterte der Sandmann, »Seinetwegen wird die Sache
gemacht, und da strampampelt Er hier? Vorwärts, rein in die Kanone!«
Im Augenblick war er gepackt,
hochgehoben und, obwohl er wie toll zappelte, köpflings in den Lauf gestopft.
Die Kinder mussten laut lachen, so komisch sah das aus. Sandmännchen aber lief
geschäftig zum hinteren Ende der Kanone, richtete die Mündung nach dem Gipfel
des Berges, zielte genau, rief: »Achtung - Augen zumachen!« und riss an der
dicken Abzugsschnur. Bums!!! ... gab es einen gewaltigen Knall, ein dicker
Dampfstrahl fuhr aus dem Lauf der Kanone, und mitten darin sah man den Sumsemann
wie ein braunes Kanonenkügelchen gen Himmel sausen. Der Sandmann beobachtete den
Schuss ganz genau. Ja, er hatte gut gezielt; der Maikäfer war oben!
Nun kam Peterchen an die Reihe. Er wurde
hochgehoben. »Glück auf die Reise!« sagte das Sandmännchen und ließ ihn sacht in
den Kanonenlauf hinunterrutschen. Komisch war's da drin, wirklich wie in einer
großen Kakaobüchse!
Peterchen wollte sich gerade noch ein
bisschen diese sonderbare Umgebung besehen, da hörte er, wie draußen das
Sandmännchen rief:
»Augen zu!«
Schnell kniff er die Augen zu. In
demselben Augenblick gab es auch schon einen Knall rings um ihn herum und ...
sirrrrrrr... schwirrte er aus der Kanone, in einem wunderschönen Bogen
himmelwärts den Berg hinauf. Wupp! da saß er oben auf der Kante des Berggipfels,
dicht neben dem Sumsemann. Beide guckten sich ganz erstaunt an, aber sie hatten
sich noch gar nicht so recht besonnen - bums... . wupp! - saß auch schon
Anneliese als dritte neben ihnen. »Ach!« sagten sie alle drei und sperrten die
Mäuler auf. Dann aber mussten sie über ihre eigenen, erstaunten Gesichter
lachen. Selbst der Sumsemann grinste, nachdem er sich vorher genau befühlt
hatte, ob auch noch alles heil an ihm sei. Es war eigentlich das erste Mal, dass
er grinste; seine Fühlerhörnchen bibberten ordentlich vor Vergnügen. Er war
überzeugt, dass dieses Erlebnis ihn für alle Zeiten zum Helden der Maikäfer
machen würde. Aus einer Kanone war noch nie ein Maikäfer geschossen worden; das
war ein Abenteuer, eine Tat des Mutes und der Männlichkeit, wie sie noch keiner
der vielen Frühlingsritter auf den Kastanien, Linden oder Buchen der Erde
vollbracht hatte!
Er erhob sich umständlich, plusterte
sich auf, dass er noch einmal so dick wurde, wie er sonst war, und spazierte mit
sehr komischen stolzen Gebärden vor den Kindern umher. >Ein Denkmal muss mir
gesetzt werden<, dachte er; >im Rasen bei der dicken Kastanie, unter einem
breiten Maiglöckchenblatt und in der Stellung eines Ritters, der auf einer
Kanonenmündung sitzt. An jedem Sonntagabend, wenn der Mond kommt, müssen sich
alle Maikäfer der Gegend dort versammeln und ein feierliches Baßgeigenkonzert
mit Paukenbegleitung veranstalten. Extra komponiert wird es zur Erinnerung an
die Taten des großen Nationalhelden Sumsemann.<
Er sah wirklich schon beinahe aus wie
ein Maikäfer-Nationaldenkmal, als er sich nach diesem weltbewegenden Gedanken
vor den beiden Kindern aufpflanzte und mit geheimnisvoll düsterem Tone sagte:
»Nun lasst uns das Beinchen suchen gehn,
Damit die Tat vollkommen werde, Und alle Käfer staunend stehn vor dem Ruhme
Sumsemanns auf der Erde!
Peterchen und Anneliese mussten
natürlich innerlich ein wenig lächeln über diesen komischen Stolz des guten
Herrn Sumsemann; aber sie ließen sich das nicht merken, weil sie höfliche Kinder
waren. Sie erhoben sich also ebenfalls, strichen ihre Hemdchen glatt, nahmen
ihre Sachen und begaben sich auf die Suche nach dem Beinchen.
Der Kampf
mit dem Mondmann
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Auf dem Monde war eigentlich alles
sonderbar und wunderlich; aber auf dem Gipfel des Mondberges war es doch am
allerseltsamsten. Bäume standen da, die gar nicht wie Bäume, sondern wie
Baumgespenster aussahen. Grauweiß waren sie und ganz gebeugt unter der Last
einer uralten Asche, die wohl einst nach großen Stürmen auf dem Monde wie Schnee
auf ihre Zweige niedergefallen sein mochte. Jeder Baum warf einen langen
Schatten. Pechschwarz, gleich dicken Tintenstrichen lagen diese Schatten auf dem
geistergrauen Boden und sahen sehr unheimlich aus. Hin und wieder standen große,
grünliche Pilze, die gewiss sehr giftig waren, zwischen den Wurzeln der
Gespensterbäume, und uralter, eisgrauer Schimmel hatte alle Steine am Boden dick
überzogen. Kein Ton war zu hören; kein Vogel sang, kein Lufthauch regte einen
Zweig in diesem toten Walde, eisekalt war es und grabesstill ringsum. Die Kinder
hätten sich gewiss sehr gefürchtet, wenn sie Zeit dazu gehabt hätten; aber sie
hatten so viel zu tun mit dem Suchen nach dem Maikäferbeinchen, dass sie gar
nicht merkten, wie unheimlich es eigentlich hier oben war. Man fürchtet sich
wirklich nur, wenn man nichts zu tun hat. Das hatten sie jetzt schon öfter
gemerkt. Sie froren nicht einmal, trotzdem sie doch nur in ihrem Nachthemdchen
waren, so emsig sprangen sie von einem Baume zum anderen und suchten nach der
Birke mit dem Beinchen. »Hurra! « schrie Peterchen plötzlich; »da hängt das
Beinchen - ich sehe es, ich sehe es!«
Richtig! In der Mitte eines kleinen, mit
Mondstaub und Schimmel überzogenen Platzes stand einsam ein Bäumchen, das
wirklich aussah wie eine tief zugeschneite kleine Birke. Im Stamm dieser Birke
steckte ein langer, rostiger Nagel, und an einem roten Bändchen hing daran ein
einzelnes Maikäferbeinchen totenstill in der dunklen Luft. Hellauf jubelten die
Kinder, und selbst den Sumsemann, dem das Maikäferherz schon wieder beim Anblick
dieses unheimlichen Waldes in das unterste Rockschlippchenende gerutscht war,
packte die Freude bei dieser Entdeckung so, dass er die Flügel entfaltete, selig
zu brummen anfing und den Kindern noch vorausfliegen wollte, trotzdem sie so
schnell liefen, als sie konnten... Da ereignete sich etwas Unerwartetes: Hinter
einem großen Stein, der neben der Birke lag, sprang plötzlich der Mondmann
zähnefletschend und brüllend hervor. Die Kinder blieben auf der Stelle stehen
und fassten sich bei der Hand.
Greulich sah der Mondmann aus!
Riesengroß war er, hatte ein graues, verhungertes Gesicht, so voller Falten und
Runzeln wie ein alter Stiefel. Schauderhaft hässlich war sein Mund; eine
Schnauze war es fast, mit langen, gelben Zähnen; um seinen Kopf starrte
verfilztes schmutziges Haar, und der Bart hing in wüsten Zotteln auf seine
lange,
eisgraue Kutte; auf dem Rücken baumelte
ihm an einem Strick ein großes Reisigbündel, und in der einen Hand trug er eine
mächtige, blanke Axt. So stand er vor den beiden kleinen, mutigen Hemdenmätzen.
Mutig waren sie, das muss man sagen; denn, trotzdem sie einen tüchtigen Schreck
bekommen hatten, nahmen sie nicht Reißaus, wie das gewiss viele andere Kinder
getan hätten, sondern blieben tapfer stehen. Peterchen machte sogar eine schöne
Verbeugung und, obwohl ihm das Herz gewaltig klopfte, fragte er den wilden Mann
höflich, ob er hier oben wohl ein Maikäferbeinchen in Verwahrung habe. Der
Mondmann fletschte die gelben Zähne und brüllte:
»Was wollt ihr winzigen Würmer hier? Was
wollt ihr in meinem Waldrevier? Ein Maikäferbein, ein Maikäferbein, Soll hier
auf meinem Mondberg sein?«
Peterchen erzählte ihm nun unerschrocken
alles, was er von der Beinchengeschichte wusste, und Anneliese nickte immer zur
Bestätigung mit dem Kopfe, denn sprechen konnte sie nicht vor Herzklopfen. Der
Mondmann aber stand dabei grimmig grinsend vor ihnen, schaukelte immer von einem
Bein auf das andere und schnüffelte mit seiner Schnauze nach den kleinen
Äpfelchen, die sie bei sich hatten. Als Peterchen ihn dann am Schluss seiner
Erzählung bat, das Beinchen herzugeben, fauchte er:
»Du bittest mich sehr? - Was gibst du
mir, Wenn ich es dir gebe, denn wieder dafür?«
Anneliese hielt ihm schnell ihr letztes
Äpfelchen hin. Rapps! ... hatte er es gefressen und schnüffelte nach Peterchens
Körbchen, in dem auch noch einiges übrig war. Höflich gab es Peterchen ... fort
war's! Und während der Unhold noch diesen zweiten Apfel schmatzend verschlang,
roch er schon die Pfefferkuchen, die der Weihnachtsmann ihnen mit auf die Reise
gegeben hatte. Gierig wollte er sie haben. Es war gewiss für die Kinder ein
schwerer Entschluss, aber sie gaben ihm auch die schönen Pfefferkuchen. Man
musste sich wirklich ekeln und entsetzen; denn mit dem bunten Einwickelpapier
und mit dem Bindfaden fraß der wüste Mann die Päckchen, wie ein Ochse, der Heu
frisst. Währenddessen aber schielten seine grünen Augen schon nach dem
Hampelmann, den Peterchen unter dem Arm hatte. Er wollte ihn durchaus haben, und
als Peterchen ihn zögernd reichte ... nein, das war wirklich toll ... da biss er
ihn mitten durch und schluckte ihn herunter, etwa wie unsereiner eine Erdbeere!
Peterchen war noch ganz starr von dem
Schreck über diesen Hunger, da griff der Mondmann schon nach Annelieses
Püppchen. Das war nun sehr schlimm!
Anneliese wollte ihr Püppchen durchaus
nicht hergeben und fing bitterlich zu weinen an.
»Immer her, immer her mit dem
Puppenkind!
Sonst geb' ich das Beinchen nicht raus! - geschwind!«
brüllte der wilde Mann. Ja, um den Preis
musste auch das liebe, kleine Püppchen geopfert werden. Es war furchtbar!
Anneliese hielt sich beide Augen fest zu
und weinte schrecklich, als er ihm den Kopf abbiss, dass die Porzellansplitter
nur so knisterten zwischen seinen scheußlichen Zähnen. Nicht einmal in die
Schnauze schnitt er sich dabei! Das hatte sie nämlich im stillen gehofft. Dann
war auch dies Püppchen verschlungen, das letzte, was sie hatten. Der Mondmann
strich sich den Bauch und leckte sich die Schnauze vor Behagen; die Kinder aber
dachten: »Nun ist er zufrieden und gibt uns endlich das Beinchen heraus«, denn
es hatte ihm doch alles, auch das Porzellanköpfchen vom Püppchen und der
Sägespäneleib vom Hampelmann, prächtig geschmeckt. Nein, der Unhold lief schon
wieder schnüffelnd herum, als hätte er noch immer nicht genug!
Das war doch eigentlich toll! Peterchen
war sehr entrüstet über solche Gierigkeit und Unbescheidenheit und verlangte
jetzt energisch das Beinchen, denn Äpfelchen, Pfefferkuchen, Hampelmann und
Püppchen waren gewiss ein sehr ansehnlicher Kaufpreis. Die Kinder hatten nichts
mehr zu verschenken. Mit glimmrigen Augen guckte der Mondmann sie an - von oben
bis unten -, zog langsam ein riesenlanges Messer aus seinem Kittel, wetzte es
sorgfältig an einem großen Stein vor ihnen und schmunzelte und schmatzte dazu
vor sich hin:
»Zwei Menschlein kamen zu
mir herauf.
Mit Haut und Haaren freß' ich sie auf!
Tausend Jahr' hab' ich nichts gegessen!
Tausend Menschen könnte ich fressen!
Schlachten will ich sie, langsam braten
Am Spieß; sie werden mir wohl geraten!
Ich lasse sie backen hundert Stunden;
Dann sollen mir ihre Gliederlein munden!«
Und damit wollte er sich auf die Kinder
stürzen. Was sollten sie nun tun?
Anneliese klammerte sich an Peterchen,
und dieser zog mutig sein kleines Holzschwert. Niemand konnte denken, dass der
kleine Junge damit den wilden Menschenfresser besiegen würde; aber in diesem
Augenblick, als er das Schwert hob, geschah etwas ganz Unerwartetes:
Pechfinster wurde es, ein lohender Blitz
zuckte, und mit himmelerschütterndem Donnerschlag sprang der Donnermann aus der
Weltnacht auf den Berggipfel, stürzte sich auf den Mondmann, schlug ihn - Krach!
- krach! - krach! - über den Kopf und stieß ihn mit einem so fürchterlichen
Fußtritt vor den Bauch, dass der widerwärtige Menschenfresser wie ein Sack auf
dem Boden herumkollerte. Dann war der Donnermann wieder in der Nacht
verschwunden, und nur ein fernes Rollen hörte man noch, das bald verklang. So
schnell war das alles geschehen, dass die Kinder kaum Zeit hatten, es richtig zu
begreifen.
schrie der Mondmann und wälzte sich auf
dem Boden zwischen den Bäumen herum. Fast mussten die Kinder lachen, so
sonderbare Verrenkungen machte er dabei. Er hatte so furchtbare Hiebe bekommen,
dass er sich vor Schmerzen bog, wie eine Riesenmade. Trotzdem versuchte er,
wieder auf die Beine zu kommen, und schnaufte:
»Das war der Donnermann,
ihr Kröten!
Ihr habt ihn wohl um Schutz gebeten?
Es soll euch aber Donnern und Blitzen
Vor meinem Grimm und Hunger nicht schützen!
Ich schlachte euch doch und brate mir fein
All eure weißen Gliederlein!«
Da kam er auch schon hoch, griff nach
dem Messer und wollte sich zum zweitenmal auf die Kinder stürzen. Peterchen hob
sofort wieder sein Schwert gegen ihn, und als habe er auf dieses Kommando des
kleinen Jungen nur gewartet, tauchte jetzt mit weit geblähten Backen der dicke
Wassermann aus der Tiefe herauf. Ehe sich der Mondmann recht besonnen hatte,
schoss ihm aus dem breiten Froschmaul des Wassermanns ein eiskalter Wasserstrahl
mit solcher Gewalt mitten ins Gesicht, dass er sich nach hinten überschlug und
zum zweiten Male am Boden herumwälzte. Er wollte natürlich brüllen; aber, kaum
riss er die Schnauze auf ... zisch! ... fuhr ihm der Wasserstrahl hinein, so
dass er nur glucksen und prusten konnte; und nicht eher hörte der Wassermann zu
spritzen auf, bis der Mondmann triefend von dem eiskalten Wasser wie ein Toter
dalag; dann sagte er befriedigt ein paar Mal: »blubberquacks«, nickte den
Kindern gutmütig zu und versank wieder. Diesmal war es wirklich so komisch
gewesen, als der Mondmann umgespritzt wurde und immer nur prusten und glucksen
konnte, wenn er brüllen wollte, dass selbst Anneliese lachen musste. Überhaupt
waren beide Kinder jetzt schon viel beherzter als zuerst, nachdem sie erfahren
hatten, wie die guten Naturkräfte ihnen treuen Beistand leisteten, wenn es sehr
gefährlich wurde. Darum gingen sie nun auch ganz ruhig ein Stückchen näher an
den umgespritzten Menschenfresser, um ihn sich zu begucken. Da lag er, nass wie
ein Pudel; aber doch noch nicht ganz leblos, denn von Zeit zu Zeit schnaufte er.
Peterchen dachte einen Augenblick, man könnte nun wohl das Beinchen holen; aber
da bewegte sich der wüste Riese schon wieder. Er kollerte ein paar Mal herum,
vorwärts und rückwärts und keuchte:
»Hat er mich auch halbtot gespritzt, Es
hat euch Kröten doch nichts genützt! -Ich komme schon hoch - ich will mich schon
rappeln! Ihr sollt mir dennoch am Bratspieß zappeln!«
Da war er auch schon wieder auf den
Beinen und taumelte auf sie zu.
»Trotz Donnerbrummen und
Wasserspritzen,
Sollt ihr prutzeln und braten und knusprig schwitzen!«
brüllte er und schwang mit greulichem
Grunzen das Messer. Jetzt hob Peterchen zum dritten Male sein kleines
Holzschwert, und zum dritten Male geschah etwas für den Mondmann ganz
Unerwartetes:
Rauschend fuhr es aus der Höhe herunter,
mit pechschwarzen, riesigen Flügeln. Über den Mondberg hin ging ein Wirbelwind,
dass sich die grauen Bäume, die so tot und unbeweglich gestanden hatten,
knisternd bogen, gleich Grashälmchen auf einer Wiese. Was war das?
Der Sturmriese kam den Kindern zur
Hilfe. Mit seinen mächtigen Fäusten riss er im Walde den dicksten Baum aus dem
Boden, warf ihn krachend über den Mondmann und war im Nu wieder fort, wie er im
Nu gekommen war. Das ging wieder so schnell, dass man sich kaum darüber besinnen
konnte, und die Kinder merkten erst richtig, was geschehen war, als sie den
Mondmann jetzt wie einen geprügelten Riesenhund vor Wut und Schmerz aufheulen
hörten. Unter dem Baumstamm lag er festgeklemmt auf dem Boden, konnte sich nicht
rühren und brüllte so fürchterlich, dass der ganze Berg davon zitterte.
Peterchen hatte jetzt natürlich einen gewaltigen Mut. Er wusste, dass auf sein
Kommando die großen Naturgewalten herbeikamen. Also ging er unverzagt, sein
kleines Schwert in der Hand, ganz dicht an den gefangenen Unhold heran und
sagte: »Siehst du, Mondmann, das kommt davon, dass du das Beinchen nicht
herausgeben und uns auffressen wolltest, trotzdem wir dir schon so viel zu essen
gegeben hatten. Nun bist du gefangen und kannst nichts machen, und wir, wir
holen das Beinchen und lachen!«
Anneliese aber machte ihm eine lange
Nase und sagte: »Ätsch!«
Man kann sich wohl denken, wie das den
Mondmann ärgerte. Er pfiff vor Wut wie ein verrostetes Türschloss, spuckte nach
den Kindern und fletschte die Zähne.
»Oooh! wenn auch Feuer,
Wasser und Wind
Mit euch im Bunde gegen mich sind
Wartet nur, wartet, ich will mich schon rächen,
Euch freche Wichte noch spießen und stechen!«
So fauchte er und zerrte dabei wütend an
dem Baum, unter dem er festgeklemmt lag. Furchtbar stark musste er sein, denn
wirklich bewegte sich der dicke Stamm über ihm von seinem wütenden Rütteln so,
dass Peterchen schnell zurücksprang. Es war auch die höchste Zeit gewesen! Krick
- krack! brachen ein paar Äste, der Baum rollte schwerfällig herum, und der
Mondmann kam frei. Dicken Schaum hatte er vor Grimm an der Schnauze.
»Jetzt ist es mit eurer
Frechheit vorbei!
Jetzt hau' ich euch mit der Axt entzwei!
Jetzt stampfe ich euch zu Mus und Brei!«
So heulte er, griff nach seiner
mächtigen, blanken Axt, da ihm das Messer vom Sturmriesen zerbrochen worden war,
und stürzte vorwärts...
Peterchen hob wieder sein Schwert, aber
im Augenblick hatte der Mondmann es ihm aus der Hand geschlagen. Da rief
Anneliese plötzlich ganz laut:
»Sternchen - Sternchen - kommt herbei!«
Die Kinder wären ganz gewiss verloren
gewesen, wenn Annelieschen nicht gerufen hätte, denn Peterchen war im Augenblick
so erschreckt, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Auf Annelieses hellen
Ruf aber geschah jetzt das Wunderbarste:
Ein weißes Leuchten ging vom Himmel
nieder, und neben den Kindern standen, in einer Geschwindigkeit, die man nicht
ausdenken kann, ihre beiden Sternchen mit gegen den Mondmann hoch erhobenen
Händen. Blendendes Licht strahlte von diesen Händen gegen die weit aufgerissenen
Augen des Unholdes, als er eben die Kinder packen wollte. Er stutzte, als sei er
mit einem Hammer vor den Schädel geschlagen, taumelte zurück, ließ die Axt
fallen und fuhr sich mit beiden Händen an die Augen.
»Nanu - was ist das? - bin
ich blind?
Ich sehe nicht mehr, wo die Kröten sind!
Ich kann sie nicht finden - ich kann sie nicht sehen ! «
keuchte er, tappte tolpatschig im Walde
herum und stieß immerfort, weil er vollkommen geblendet war, mit seinem dicken
Kopf an die Bäume und Felsen. »Au!« - brüllte er jedes Mal und torkelte weiter.
»Hier müssen sie sein! - Dort müssen sie
stehen!«
schnaufte er und lief - bums! - genau in
der verkehrten Richtung wieder gegen einen spitzen Felsen, dass ihm das Blut nur
so herausspritzte. Aber trotz allem rappelte er sich wieder hoch und lief wie
ein Besessener weiter. Schließlich hörten sie nur noch ganz fern, wie er schrie:
»Ich freß' euch mit Haut und Haaren,
Gezücht! Ihr entgeht mir nicht - ihr entgeht mir nicht ! «
Die Kinder waren so erstaunt, dass sie
gar nichts sagen konnten; sie schmiegten sich nur ganz dicht an ihre Sternchen
und waren sehr froh. Für einen Augenblick war es ganz still, dann beugten sich
die Sternchen liebreich, jedes über sein Kind, hauchten ihnen einen leisen Kuss
ins Haar und sagten mit ihren silberreinen Stimmchen:
»Macht schnell, macht schnell, verliert
keine Zeit! Lebt wohl, der Tag ist nicht mehr weit!«
Fort waren sie, wie sie gekommen waren,
und die Kinder blieben allein.
Das
Beinchen
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
»Keine Zeit verlieren!« hatten die
Sternchen gerufen. Nun hieß es also, schnell das Beinchen zu holen!
Peterchen machte sich denn auch sofort
ans Werk, kletterte an der Birke herauf und knüpperte es von dem Nagel, an dem
es tausend Jahre gebaumelt hatte, während Anneliese unten, die Ärmchen reckend,
auf den Zehen stand, um das berühmte Urgroßvater-Beinchen in Empfang zu nehmen.
Es war ein sehr feierlicher Augenblick!
So! Nun hatte Anneliese das Bein, und
sie stolzierten mit ihrer Trophäe zum Sumsemann, der sich natürlich schon im
ersten Augenblick der Begegnung mit dem Mondmann totgestellt hatte. Er lag, als
gehöre er überhaupt nicht dazu. in einer Ecke, zwischen Giftpilzen und
beschimmelten Steinen, ein braunes, unscheinbares Klümpchen. Es war gar nicht
leicht, ihn zu erkennen. Sie betrachteten den scheintoten Helden eine Weile und
freuten sich, was er nun wohl für ein Gesicht machen würde. Dann aber suchten
sie sich an ihm die Stelle für das Beinchen. Peterchen fand ein kleines Loch
unter dem dritten, schwarz-weißen Westenstreifen; da musste es bestimmt hin.
Anneliese spuckte also tüchtig auf das obere Urgroßvater-Beinchenende, und dann
drückten sie es mit vereinten Kräften in das Loch hinein. Anstrengend war das,
ordentlich ächzen musste Anneliese dabei. Endlich saß es! Sie probierten und
fanden, dass es wirklich ganz ungeheuer fest saß, so dass es gewiss nicht so
leicht wieder abgerissen oder abgehauen werden konnte. Es ist ja bekannt, dass
Spucke wunderschön klebt. Als sie mit diesem Geschäft fertig waren, gingen sie
mit großer Freude daran, den Maikäfer zu wecken. Sie rüttelten und schüttelten
ihn; aber er war so in Angst, dass er sich toter stellte als jemals vorher; und
als Peterchen ihn mit seinem Namen anrief, brummt er nur immer ganz leise: »Ich
bin tot, ich bin ganz tot, ich kann nicht mehr tot gemacht werden, weil ich
schon ganz tot bin!«
Schließlich schrie ihm Peterchen in die
Ohren:
»Herr Sumsemann, Herr Sumsemann! Sehn
Sie sich mal Ihr Beinchen an!«
Da fuhr der dumme Kerl wie ein
erschreckter Floh in die Höhe und glotzte in die Gesichter der Kinder. »Hat er
euch gefressen, der Mann?« fragte er ganz verängstigt, obwohl er doch eigentlich
sehen konnte, dass sie nicht gefressen waren, weil sie vor ihm standen.
Natürlich quietschte Anneliese nur so vor Vergnügen über solch dumme Frage.
Peterchen aber nahm eine sehr wichtige Miene an, zeigte auf das angeklebte
Beinchen und sagte noch einmal:
»Herr Sumsemann, sehn Sie sich bitte Ihr
Beinchen an!«
Der dicke Kastanienritter schien immer
noch nicht recht zu begreifen, was er tun sollte, so zögernd sah er nun an sich
herunter... Da! ... als hätte der Blitz plötzlich vor ihm eingeschlagen,
erfasste er, was vorgegangen war. Er sprang auf, kreiselte und tanzte um die
Kinder herum und sang:
»Summ - summ - hurra! Summ
- summ - hurra!
Mein Beinchen ist da, mein Beinchen ist da! -
Ich dank' euch, ich dank' euch viel tausendmal!
Nun hat sie ein Ende, die alte Qual,
Der Sumsemänner fünfbeiniges Leid;
Zwei Kinderchen haben uns befreit
Von dem schrecklichen Fluch. Hurra - hurra -
Das sechste Beinchen ist wieder da!«
Er war mit dem
ausführlichen Freudentanz, der zu diesem Gesang gehörte, noch lange nicht
fertig, als er durch eine plötzliche Erscheinung gestört wurde, die eine
dringende Warnung für die drei Abenteurer bedeutete. Es war ja den Kindern
gesagt worden, dass sie noch vor Sonnenaufgang wieder zur Erde zurückkehren
müssten, da sie sich sonst nie wieder vom Monde herunterfinden würden. Nun
leuchtete plötzlich ein wundersam fremder Schein aus dem dunklen Himmel über dem
Monde. Der graue Boden bekam eine Farbe gleich grünrot überlaufenem Silber, auf
allen Bäumen und Pflanzen funkelte der Mondstaub wie rosenroter Schnee. Über der
höchsten Bergzinne aber, gerade vor sich, sahen die Kinder im gleichen
Augenblick die liebliche Tochter der Sonne, die Morgenröte. Sie hatte die Arme
über das Haupt erhoben, von ihren Händen tropften Rubinfunken, und rote Nebel
wehten aus ihrem Haar. Das Haupt weit in den Nacken gelegt, sang die Morgenröte,
mit einer Stimme, die jubelnder war als die aller Lerchen, und klingender als
die aller Nachtigallen der Erde:
»Der Sonne goldener Wagen
naht,
Von der Erde weichen die Träume,
Es kränzen des Himmels heiligen Raum
Des Tages silberne Säume.
Ich fliege über die Welt dahin,
Mit dem Bruder, dem Morgensterne;
Frühwolken, wie blitzende Blumen blühn
Über der duftenden Ferne.
Schon weckt der Tag den schlafenden Hain
Zu des Frühlings leuchtendem Glück.«
Hier wandte sie lächelnd den Kindern das wunderschöne Antlitz zu und nickte voll
Liebe:
»Nun eilt euch - eilt euch, ihr
Kinderlein!
Kehrt schnell auf die Erde zurück!
Dann entschwand sie wieder; hinter ihr aber blieb der große Himmel von Purpur
übergossen, und das blasse Mondland darunter glühte, als hätten Millionen Rosen
auf seinem elfenbeinfarbenen Grunde die Knospen gesprengt. Die Kinder standen
noch unbeweglich vor Staunen über die unbeschreibliche Schönheit dieser
Erscheinung; da zupfte sie der
Maikäfer leise am Hemdchen, gab ihnen
das rechte und das linke Vorderkrällchen und sagte mit tiefem Ernst und mit sehr
feierlicher Stimme:
»Nun ist sie vorüber, die
seltsame Fahrt,
Bei der ihr mir treue Begleiter wart.
Mein Beinchen habe ich endlich wieder,
So wollen wir schnell zur Erde nieder!
Fasst euch bei den Händen und, hört ihr den Spruch,
So schließt eure Augen; in sausendem Fall
Geht's nieder in unser Heimattal.«
Die Kinder gehorchten sofort, denn sie fühlten, dass es großer Ernst war, als
der Sumsemann dies sagte. Sie umfassten sich also und standen dicht
aneinandergeschmiegt. Der Maikäfer aber rief laut:
»Mutter Erde, wir rufen
dich an:
Fern dir führte uns unsere Bahn;
Hör uns, unsere Not war groß,
Nimm uns wieder in deinen Schoß!«
Da öffnete sich der Boden, und die drei Abenteurer sanken, eng umschlungen,
hinab in die Tiefe.
Wieder
daheim
Peterchens Mondfahrt - Gerdt von Bassewitz
Als der Maikäfer seinen Spruch
gesprochen hatte, war es den Kindern ganz dunkel vor Augen geworden; sie
fühlten, wie der Boden sich unter ihnen auftat und wie sie in eine fast
unendliche Tiefe hinabsausten. Sehen konnten sie nichts, und hören konnten sie
nur ein ungeheures Brausen und Summen. Krampfhaft hielten sie einander
umklammert und konnten weiter nichts denken, als dass sie sich nur nicht
loslassen durften. So ging es eine ganze Weile, und dann war es ihnen plötzlich,
als sänge mitten in dem Brausen und Summen ein kleiner Vogel. Immer lauter wurde
das Zwitschern und Singen, das Summen aber wurde immer leiser, bis es ganz
aufhörte und nur noch das trillernde Vögelchen zu hören blieb. Da wagten die
Kinder, die Augen aufzumachen. Ha!... sie saßen in ihrem Kinderzimmerchen, eng
umschlungen, im Nachthemdchen mitten auf dem Tisch!
Die Sonne warf gerade den ersten
blitzenden Strahl durch das Fenster, und auf dem Fliederbusch draußen pfiff ein
kleiner Zeisig vergnügt sein Morgenliedchen. Beide Kinder waren so erstaunt,
dass sie sich zunächst mit weit aufgerissenen Augen anguckten. Dann sagte
Peterchen - aber erst nach einer ganzen Weile: »Anneliese!« und Anneliese sagte:
»Peterchen!«
Als sie dabei merkten, dass sie ganz
richtig noch Peterchen und Anneliese waren und nicht etwa Fledermäuschen,
Mondschäfchen oder Kanonenkugeln, platzten sie los und lachten schrecklich. Sie
hatten aber auch wirklich sehr komische Dinge erlebt und waren nach so viel
Gefahren und Abenteuern, ohne eine einzige Beule oder sonst ein Wehwehchen,
wieder daheim in ihrem Stübchen. Grund zur Freude war also genug. Alles um sie
her war ganz in Ordnung. Schaukelpferd, Puppenstube, Bilderbücher und... hurra!
das Püppchen und Hampelhänschen auch; so gesund, als wären sie niemals vom
Mondmann aufgefressen worden. Selbst die Körbchen mit den Äpfeln standen hübsch
auf dem Tisch, wie die Mutter sie am Abend hingestellt hatte. Das war wirklich
wunderbar!
Sie waren noch damit beschäftigt, all
dies jubelnd festzustellen, da hörten sie draußen die dicke Minna kommen. Husch!
- waren sie im Bettchen. Die Minna kam herein, wie an jedem anderen Morgen und
rief:
»Aufstehen, aufstehen, Kinderlein! Die
Sonne ist schon über der Wiese! Aufstehen, Peterchen, Anneliese!
Peterchen, der kleine Strick, tat, als
ob er eben aufwachte und rieb sich umständlich die Augen. Dann fragte er ganz
verschlafen, ob es schon so hell wäre. »Natürlich!« sagte die Minna und zog die
Gardinen am Fenster zurück! Summ! - schwirrte etwas in der Stube umher!
»Der Maikäfer ! « riefen die Kinder wie
aus einem Munde und waren im Nu aus dem Bett. Schwupp! - hatte die Minna ihn
schon und wollte ihn ins Feuer stecken. Aber da kam sie bei Peterchen schön an.
»Was? den Sumsemann totmachen? Der darf nicht totgemacht werden, der ist unser
Sumsemann, den muss man fliegen lassen!« rief er und zog sie energisch am
Schürzenband. Die Minna schüttelte den Kopf; sie konnte nicht begreifen, was das
alles heißen sollte; sie war eben zu dumm, die Minna. Schließlich aber gab sie
den kleinen Käfer der Anneliese auf so dringendes Bitten doch ins Händchen und
ging hinaus, um die Mutter zu holen.
Kaum waren die Kinder allein, so liefen
sie zum Fenster und betrachteten den Käfermatz. Er lag in Annelieses Händchen
und stellte sich tot. Natürlich, die Minna hatte ihn auch schauderhaft
erschreckt!
Peterchen zählte sofort seine Beinchen.
Ja, es waren richtig sechs Beinchen!
Also, das Abenteuer war nicht umsonst
gewesen, die Beincheneroberung war geglückt, wirklich geglückt, und die
Sumsemanns waren nach tausend Jahren zu ihrem Recht gekommen durch die Taten
Peterchens und Annelieses. Anneliese meinte, man könne es wirklich nicht sehen,
dass das Beinchen angeklebt sei, und aus tiefster Überzeugung sagte sie:
»Spucke klebt schön!«
Jeder wird das glauben nach dieser
Erfahrung!
Da krabbelte das Käferchen wieder. »Er
merkt, dass wir es sind, und fürchtet sich nicht mehr«, meinte Peterchen, und
sie freuten sich beide. Dann machten sie schnell das Fenster auf, Anneliese
hielt ihr Händchen hinaus, und sie sangen das berühmte Fliegeliedchen. Der
kleine Sumsemann aber krabbelte emsig auf den ausgestreckten Zeigefinger
Annelieses, breitete auf der obersten Spitze seine Flügel aus und ... summ ...
flog er hinaus in den blauen Morgen, über den Garten, über die Wiese, weit,
weit!
»Ade, ade, Herr Sumsemann!
Kommen Sie gut zu Hause an!«
riefen sie und winkten ihm nach. Da kam
die Mutter herein, umarmte ihre beiden Kinderchen, gab ihnen einen lieben
Gutenmorgenkuss und außerdem - das war eigentlich seltsam! - jedem Kind ein
schönes Pfefferkuchenpäckchen mit einem Gruß vom Weihnachtsmann. Es waren genau
die Kuchenpäckchen, die das Pfefferkuchen-männchen ihnen auf der Weihnachtswiese
in der Nacht gepflückt hatte. Nun war es klar - nun war es ganz gewiss, dass die
Mutter mit dem Weihnachtsmann eng bekannt und sehr befreundet war, dass sie
schon das ganze Abenteuer von ihm wusste und auch die Geschichte vom Mondmann,
der alles aufgefressen hatte. Der Weihnachtsmann hatte natürlich alles gesehen,
Püppchen, Hampelmann, Äpfel und Pfefferkuchen; hatte sie aus des Mondmanns Bauch
wieder herausgezaubert und der Mutter schnell auf die Erde geschickt, zur
Belohnung für die Kinder. Es war ganz gewiss so - es konnte ja gar nicht anders
sein! Und hell jubelnd fielen sie ihrem lieben, lieben Muttchen um den Hals!