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Schnee Aus Palermo
(von Hans Peter Roentgen)


Es war einmal ein Pechvogel. Wenn irgendwo eine Tür zufiel, hatte er die Finger drin, wenn irgendeiner erwischt wurde, war es der Pechvogel und ganz gleich was geschah, der Pechvogel zog den Kürzeren.

Einmal warf er einen Papierfetzen in einen Papierkorb, der an einem Kiosk hing, obwohl er wissen musste, dass es nicht gut ausgehen würde. So kam es auch. Der Kioskbesitzer erwischte ihn mit der Linken am Schlawittchen, während er mit der rechten und seinem Handy die Polizei alarmierte. Der Papierkorb war nämlich ein Privatpapierkorb und es stand auch "Privat" und "Nur für Kunden" drauf.

"Diese Polacken werden immer dreister." schimpfte der Kioskbesitzer, während die Menge der Gaffer wuchs und alle stimmten ihm zu. Was half's, dass der Pechvogel kein Polack war, es machte die Sache nur noch schlimmer.

"Als Deutscher müssten Sie wissen, dass dies eine unbefugte Inanspruchnahme von Rechtsgegenständen entgegen dem Willen des Eigentümers ist!" belehrte ihn die Polizei. "Ein Polacke hätte einwenden können, er verstehe das Schild nicht."

So wurde er vors allerhöchste badensische Feme- und Schwurgericht gezerrt. Wer den Pechvogel kannte, wusste, dass es für ihn nur schlecht ausgehen konnte und so kam's auch.

Dem Richter hatte seine Frau am gleichen Morgen statt Jacobs Krönung Aldikaffee in der irrigen Meinung vorgesetzt, er werde es nicht merken. Der Richter merkte es aber sehr wohl, wagte allerdings nicht zu widersprechen, weil er damit die höchstzulässige Anzahl frauenfeindlicher Aussagen - nämlich drei nach der neuesten Verordnung der Frauenbeauftragten - überschritten hätte und dementsprechend war seine Laune.

"Sie haben sich tatsächlich suchend umgeschaut", raunzte er misslaunig den Pechvogel an. "Also war Ihnen das Strafbare Ihrer Handlung voll bewusst!" und so wandelte sich das selbst die Ausrede des Pechvogels, die strafmildern sein sollte, ins Gegenteil.

"Was soll das heißen, sie sahen niemand, den Sie um Erlaubnis fragen konnten?" blaffte der Richter ihn an, "Begehen Sie jedes Mal, wenn Sie niemand fragen können, schwere Straftaten?"

"Da haben Sie ja ein feines Früchtchen dingfest gemacht", lobte er den Wachtmeister und der Aldikaffee rumorte zwar noch in seinen Gedärmen, war aber schon weit friedlicher.

"Sie werden Deutschland verlassen! Auf der Stelle!" Entschied er. "Sie werden zurück nach Palermo gehen und nicht wiederkommen, bevor Sie drei Schneebälle aus echtem Palermo-Schnee vorweisen können!"

"Ach ja", fuhr er dann fort, "und ein Paket Jakobs Krönung!"

Was half's, dass der Pechvogel einwandte, er sei gar kein Polack und die Polacken würden auch nicht in Palermo leben, der Richter erhöhte das Strafmaß wegen Missachtung des Gerichts auf zehn Pakete und schloss den Pechvogel von der weiteren Verhandlung aus. Das hatte zwar keine Folgen, weil die Verhandlung schon beendet war, betrübte den Pechvogel aber dennoch. Er hätte zu gern einmal kein Pech gehabt und hätte es nur in der Möglichkeit bestanden, einer beendeten Verhandlung weiter beiwohnen zu dürfen.

So machte er sich, den Richtspruch in der Tasche, auf den weiten Weg über die Alpen nach Palermo. Mit dem Auto konnte er nicht fahren, das Gericht hatte es eingezogen, weil das Papier, das er fortgeworfen, vorher in seinem Auto gelegen hatte, das Auto also, so folgerte das Gericht, ein Tatwerkzeug sei, wenn auch nur ein indirektes.

Kurz hinter der Grenze hatte der Pechvogel Hunger, sah eine Wirtschaft und betrat sie, ohne an die Schweizer Preise und den letzten Höhenflug des Franken zu denken. Eine Flaschen Wein und ein Schnitzel später hatte sich seine Barschaft so vermindert, dass er fortan Wirtschaften weiträumig umging.

Bald quälte ihn wieder der Hunger. Betteln traute er sich nicht, bei seinem Glück wäre der nächste Prozess ihm sicher gewesen. Er überlegte, wie er sich anders Nahrung verschaffen könnte und erinnerte sich angesichts manch wohlgenährten Schoßhunds an die Chinesen, die bekanntlich Hunde essen. Allein auch hier fürchtete er, dass bei seinem Glück Konflikte mit den Besitzern unvermeidbar seien, auch vermutete er, mancher würde eher das Verspeisen seiner Ehefrau als das des Dackels hinnehmen.

Wie er in die Berge kam, sah er Murmeltiere, die er verfolgte, aber nicht fangen konnte, stattdessen prellte er sich das Knie und humpelte hungrig dem Gotthard entgegen.

"Macht nichts", sagte er sich, "die Murmeltiere gehören sicher dem Touristenbüro und was wäre mir passiert, wenn ich die Grundlage des wichtigsten Schweizer Devisenbringers verspeist hätte?"

Schließlich fing er eine Ratte, überlegte, ob es jemand gebe, der ihren Verzehr übel nehmen könne, aber ihm fiel niemand ein. So wollte er sie schon auf sein Taschenmesser spießen und grillen, da begann die Ratte zu sprechen:

"Töte mich nicht", flehte sie, "ich bin eine verwunschene Prinzessin und will dich reich belohnen, wenn du mich verschonst. Küss mich auf die Schnauze und ich werde erlöst werden. Eine böse Konkurrentin hat mich verflucht, die mir mein Glück neidete und nur durch einen Kuss kann ich meine wahre Gestalt zurückerhalten. Drei Wünsche werde ich dir erfüllen, wenn du mich erlöst."

Dem Pechvogel war es erst zuwider, dann dauerte ihn die Rattenprinzessin doch und er tat wie geheißen. Sofort stand eine junge Frau in hellem Kostüm, mit kurzem Rock und schwarzen Nylons vor ihm und ihr Gesicht schien ihm so lieblich, dass er ihr einen zweiten Kuss geben wollte, obwohl das nicht ausgemacht war.

Er küsste aber die leere Luft, die Rattenprinzessin war längst zur Gotthard Autobahn enteilt, die nahebei vorbeiführte und wo die Urlauber schimpfend im Stau standen. Dort lief sie von Wagen zu Wagen und verteilte Handzettel.

Verfluchen Sie den Verkehrsminister

Ein Fluch nur 98 Franken

Bei Nichtgefallen Fluchrücknahme

"Meine Wünsche", brüllte der Pechvogel ihr nach, sie wandte den Kopf, nickte, holte einen Laptop aus ihrer Tasche und brüllte zurück:

"Mach schnell, du siehst ich bin very busy!"

"Also", rief der Pechvogel ihr zu, "ich möchte sofort ein zwanzig Gänge Menü mit viel Champagner und alle Portionen reichlich und es soll an nichts gespart werden. Zweitens möchte ich in Palermo sein, sobald ich mit den Fingern schnippe und drittens soll es in Palermo immer schneien, sobald und solange ich dort bin!"

Die Rattenprinzessin nickte, tippte die Wünsche ein, da fügte der Pechvogel hinzu: "Ach ja, und in Zukunft möchte ich nur noch Glück haben!"

"Sorry", antwortete die Rattenprinzessin, "das wäre der vierte Wunsch, wir hatten aber nur drei ausgemacht." Sie verstaute den Laptop und lief weiter von Wagen zu Wagen, ihre Werbezettel zu verteilen. Das Geschäft schien lohnend, aus vielen Fenstern wedelten ihr Geldscheine entgegen.

Der Pechvogel wartete. Er wartete fünf Minuten, er wartete zehn Minuten, aber nichts geschah. Da lief er der Frau nach und fragte: "Was ist mit meinen Wünschen?"

"Auf der Datenautobahn gibt's trouble, die Leitungen sind zusammengebrochen. Du musst dich eben etwas gedulden!" Antwortete sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen oder auch nur aufzuschauen. "Jetzt stör' mich nicht länger, du siehst, ich habe zu tun!"



Der Pechvogel wartete weiter auf sein Essen, aber nichts geschah. Selbst die Autofahrer waren erfolgreicher, immerhin rückten sie alle Stunde eine Wagenlänge vor.

Die Rattenprinzessin war längst weitergezogen.

Dafür erschien ein Zeitungsverkäufer, der von Wagen zu Wagen eilte und laut die Schlagzeile verkündete:

Verkehrsminister mit drei Callgirls live entdeckt!

AIDS Test positiv!

Fotos im Innenteil!

Bald erschien ein weiterer, der rief:

Verkehrsminister als Spion entlarvt!

Übergab geheime Bankpapiere an amerikanische Botschaft!

Auch der Dritte ließ nicht lang auf sich warten, seine Schlagzeile lautete:

Verkehrsminister zum Straßenkehren verurteilt!

Schnelle Reaktion auf Enthüllungen!

Wie die Sonne unterging und kein Essen in Sicht war, legte der Pechvogel sich enttäuscht und hungrig schlafen. Mitten in der Nacht weckte ihn Gläserklirren, das Klappern von Besteck und Geschirr und die köstlichsten Düfte zogen in seine Nase. Vor ihm stand ein frisch gedeckter Tisch mit Trüffelpastete und Champagner, mit Pudding und duftendem Braten und vielem mehr.

"Wir bitten die kleine Verspätung zu entschuldigen und bedanken uns für Ihr Verständnis tönte eine Stimme aus dem Nichts.

Der Pechvogel aß sich gründlich satt und bald forderten die langen Tage des Fastens ihren Tribut. Er verspürte ein dringendes Bedürfnis, verkroch sich hinter einem Gebüsch und wie er sich erleichtert hatte, schnippte er freudig mit den Fingern. Sofort stand er in Palermo vor der Kathedrale im Schneetreiben. Rund um ihn eilten die Touristen zu ihren Autos, um aus Palermo zu fliehen. Der Pechvogel aber rollte sich glücklich drei große Schneebälle und überlegte, wie er am schnellsten damit wieder an die deutsche Grenze gelangen könne.

Derweil wurde dem obersten Mafiaboss berichtet, eine seltsame Gestalt habe sich auf der Plaza materialisiert, die Hosen heruntergelassen, dadurch einen Schneesturm verursacht und so alle Touristen verjagt. Der Mafiaboss erhielt erkleckliche Schutzgelder aus dem Touristengeschäft und ihm missfiel die Störung der heimischen Wirtschaft äußerst.

"Umlegen!" befahl er.

Ein Killer machte sich auf den Weg und wie er den Pechvogel mitten im Schneegestöber sah, zog er seine Pistole, sagte bibbernd zu ihm: "Jetzt ist Schluss mit Schneesturm!" und wollte abdrücken.

"Wenn du mich erschießt, wird es in Palermo immer schneien", antwortete der Pechvogel.

"Wieso?"

"Weil ich dann hier, wo ich gestorben bin, begraben werden muss. Das verlangt die EU Richtlinie über die Bestattung von Leichen aus EU-Staaten und EU-Bürgern gleichgestellten Leichen, die eines gewaltsamen oder vermutlich gewaltsamen Todes in EU Gemeinden gestorben sind. Also werde ich in Palermo begraben, wenn du mich hier umbringst und solange ich in Palermo bin, wird es hier schneien! Falls du mich aber woanders hinbringst, brauch ich nur mit den Fingern zu schnippen und schon bin ich wieder in Palermo."

Der Killer besann sich, zog sein Handy heraus und winkte dem Pechvogel nach kurzem Telefonat mit dem Lauf seiner Beretta, ihm vorauszugehen. Er führte ihn vor den Mafiaboss, der den Pechvogel anfauchte: "Na gut, wie viel willst du, damit du verschwindest?"

"Zehntausend Euro", antwortete der Pechvogel und zitterte, weil er fürchtete, der Mafiaboss werde es nicht akzeptieren, ihn doch erschießen und - EU Verordnung hin, EU Verordnung her - die Leiche außerhalb Palermos ins Meer werfen lassen.

Der Mafiaboss hatte aber Fördergelder aus Brüssel erhalten und hoffte auf weitere. Deshalb wollte er keinen Ärger wegen der Verordnung über Leichen und EU-Leichen gleichgestellten Bürgern. Er flüsterte mit einer Wache, die sofort davoneilte und sagte:

"In fünf Minuten hast du sie!"

"Außerdem will ich einen Flug nach Basel, erste Klasse!"

Der Mafiaboss strahlte, telefonierte und sagte:

"In einer Stunde geht Dein Flug!"

Schließlich verlangte der Pechvogel: "Als Drittes und letztes verlange ich zehn Pakete Jakobs Krönung!"

"Nein", antwortete der Mafiaboss mit Würde, "in Palermo gibt's keine Jakobs Krönung, in Palermo gab's keine Jakobs Krönung, in Palermo wird's keine Jakobs Krönung geben! Nicht solange ich das Sagen habe! Dann lieber Schnee das ganze Jahr!" und er nickte dem Killer zu, seines Amtes zu walten.

Der Abzug der Beretta klackte, aber nichts geschah. Die Beretta war nicht für derartige Kältegrade konstruiert worden.

"Porco Cane!" fluchte der Killer. "Der Bolzen klemmt!"

"Das Messer!" befahl der Mafiaboss.

"Sorry, Chef", erinnerte ihn der Killer, "das verbietet die Handwerksordnung und es verstößt auch gegen die Richtlinie über humanes Sterben."

"Vielleicht kann ich auch ohne?", stotterte der Pechvogel.

Eine Stunde später saß er mit einer dicken Geldtasche im Flugzeug, die Schneebälle von der Stewardess sicher im Kühlschrank verstaut.

In einem Geschäft in Basel entdeckte er Jakobs Krönung und kaufte, obwohl es die Hälfe seines Vermögens kostete - der Frank war wieder gestiegen -, zehn Pakete. Damit präsentierte er sich am deutschen Zoll, der ihn passieren lassen musste, schließlich verlangte es so das Urteil, das er ihnen vorwies.

So lebte er fortan glücklich und in Frieden und geht ihm das Geld aus, faxt er nach Palermo: "Ich komme!"

Wenig später steht dann ein abgehetzter Mafiosi mit einer dicken Geldtüte vor seine Tür und der Pechvogel spendet eine Messe für die EU und die Verordnung über EU-Leichen und Leichen gleichgestellten EU-Bürgern in EU-Gemeinden.


Dieses Märchen wurde mir von Hans Peter roentgen_soft [Roentgen_Soft@t-online.de]zur Verfügung gestellt. Das Copyright dieser Geschichte liegt bei Hans Peter Roentgen.