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Die lebende Mauer
Kaiser Friedrich Barbarossa kam einst von einem Kriegszug zurück und kehrte bei seinem Schwager; dem Landgrafen Ludwig dem Eisernen, auf der Neuenburg an der Unstrut ein. Ein Gastmahl wurde gegeben, und die Herren ließen es sich wohl sein. Als man sich dann zum Schlafe niederlegen wollte, wanderten der Kaiser und der Burgherr noch einmal um die Neuenburg, um frische Luft zu schöpfen. Der Mond gab ein mildes Licht, dunkel reckten sich die Berge in den Himmel. Der Kaiser lobte die Burg. "Sie scheint fest und sicher, ich sehe nicht, dass ihr etwas gebreche. Nur fehlt ihr eine Mauer, denn nichts gibt einen so guten Schutz wie ein schwer übersteigbarer Wall" Der Landgraf hörte sich diese Worte an, überlegte und lächelte leicht. Dann antwortete er: "Es sollten nimmer zwei Tage vergehen, und diese Burg wird von einer Mauer umgeben sein, wie man ihresgleichen nicht noch einmal findet." Der Kaiser erstaunte über diese Rede, aber er erwiderte nichts. Man begab sich zur Ruhe, freilich nicht der Landgraf Er schickte noch in derselben Nacht Boten aus zu seinen Rittern und befahl ihnen, sich zu wappnen und zu schmücken und zur Neuenburg zu kommen, denn er bedürfe ihrer. Der nächste Tag verglng, die Nacht verträumte. Als sich wieder die Sonne über den Bergen erhob und der Kaiser von Schlaf erwachte, trat der Landgraf in sein Gemach und bat ihn, sich anzukleiden und mit ihm zu kommen, denn er könne ihm nun die Mauer zeigen, wie sie köstlicher und besser nirgends zu finden sein. Dem Kaiser war es recht. So gingen sie zusammen vor die Burg. Wie aber erstaunte da Friedrich Barbarossa! Denn um die Burg standen gewappnet und geschmückt die Ritter und Edelleute des Landgrafen und jubelten ihm zu, und, wahrhaftig, sie bildeten die beste Mauer, die er je gesehen hatte. Er lobte den Landgrafen über alle Maßen ob seiner Klugheit und Findigkeit und sprach: "Stünde nur um unser ganzes Reich eine solche Mauer, wie ruhig würde ich sein und wie viel besser des Nachts den Schlaf genießen können!" |
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