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Der König und sein kluger Sohn


Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, den er in allem ,möglichem unterrichten ließ, und damit er auch Kenntnis von der Philosophie erlange, ließ er Philosophen an den Hof kommen, und der Prinz fing nun an, Philosophie zu studieren. Es ging alles ganz vortrefflich, und seine Lehrer freuten sich über seinen scharfen Verstand und dass er so rasch vorwärtskam. Da ließ der König auch noch Astrologen an seinen Hof kommen, und auch diese mussten seinen Sohn unterrichten. Als nun der König eines Tages zu den Lehrern seines Sohnes gehen wollte, um sie nach dessen Fortschritten zu befragen, fand er alle sehr traurig und bedrückt. Auf seine Fragen wollten sie ihm keine Auskunft geben, er drängte sie aber immer mehr, so dass schließlich einer von ihnen sprach: »Was sollen wir dir sagen, mein König? Wir haben in den Sternen gelesen, dass dein Sohn, ehe acht Tage vorüber sind, durch eine Kugel das Leben verlieren wird. « Als der König dies hörte, wurde er vor Schreck und Schmerz ohnmächtig. Endlich kam er wieder zu Bewusstsein; nun überlegte er, wie dem übel zu begegnen sei.

Schließlich ließ er alle Baumeister seines Reiches zusammenrufen und befahl ihnen, am Meeresufer einen Palast zu bauen, der nach vier Tagen fertig war. Darauf ließ er ein goldenes Glashaus verfertigen mit einer Kette dazu, die bis zum Grund des Meeres reichte. Am oberen Ende der Kette aber befand sich ein Haken, mit dem das Glashaus am Ufer befestigt werden konnte. Als alles fertig gestellt war, kam der König, um das Werk zu besichtigen; er fand es gut und sprach zu dem Prinzen: »Wenn dir, lieber Sohn, an meinem Segen liegt, so wirst du genau das tun, was ich dir jetzt sage. Ich werde dich jetzt in dieses Glashaus einschließen und auf den Grund des Meeres versenken lassen. Sollte dir innerhalb der Zeit von acht Tagen etwas zustoßen, so schüttele die Kette, dann werden wir dich heraufziehen und nachsehen, was dir fehlt.« Dann ließ der König Nahrung und Bücher in das Glashaus bringen und befahl, es zu verschließen und zu versenken. Tag und Nacht aber verbrachte er selbst an der Stelle, wo man es hinabgesenkt hatte, damit er gleich zur Hand wäre, wenn sein Sohn etwas benötige.

Doch verlassen wir nun den Vater und sehen wir, was der Sohn macht! Der Prinz, in der Tiefe des Meeres allein geblieben, las in seinen Büchern und stieß dabei in einem Psalter auf den Psalm, in dem geschrieben steht: "In der Tiefe des Meeres ist die Hand des Herrn.« Da sprach er: »Wozu halte ich mich hier verschlossen, wenn Gott doch überall gegenwärtig ist?« Und er gab sofort mit der Kette das vereinbarte Zeichen und ließ sich aufziehen. Als der König den Prinzen heraufkommen sah, wurde er sehr bestürzt, und er fragte ihn nach dem Grunde, weshalb er an die Oberfläche zurückverlangt hatte. Der Prinz antwortete ihm- »Sieh her, Vater, lies diesen Psalm!« Nachdem er ihn gelesen hatte, sprach der Vater: »Gut, aber was willst du nun tun?« Der Prinz entgegnete: »Mein Leben steht in Gottes Hand. Ich will mich nicht mehr auf dem Grunde des Meeres verbergen, sondern in Gottes Obhut. Ich will nun täglich in die Kirche gehen.« Und so geschah es, und von dem Tag an ging der Prinz täglich des Morgens und des Abends in die Kirche.

Am folgenden Samstag nun besuchten den Prinzen verschiedene Freunde, und ihr Besuch hinderte ihn, die Vesper in der Kirche mitzubeten. Als ihn seine Freunde verlassen hatten, blieb er traurig im Garten zurück; da kam ein Kaufmann vorbei, der sprach vor sich hin: »Verwünscht sei die Stunde, wo ich zur Vesper ging und darüber um so viele Goldstücke gekommen bin, die ich sonst verdient hätte!« Da der Prinz die Rede hörte, rief er ihm zu: »Du da, komm einmal her zu mir und sage mir, um wie viel Goldstücke du gekommen bist!« Und der Kaufmann antwortete: »Soundsoviel tausend würde ich verdient haben, wenn ich nicht der Vesper beigewohnt hätte.« Darauf sprach der Prinz: »übertrage mir das Verdienst, die Vesper besucht zu haben, und ich will dir die verlorenen Goldstücke ersetzen.« Der Kaufmann willigte gerne ein und überließ ihm das Verdienst des Vesperbesuches gegen die verheißene Summe. Der Prinz aber kehrte vom Garten zum Palast zurück, hörte jedoch plötzlich einen Pistolenschuss und eine Kugel an seinem Kopf vorbeipfeifen, so dass er vor Schreck ohnmächtig zur Erde fiel. Sogleich eilten Diener herbei und sahen nach, Ober Schaden genommen habe. Er konnte sich aber nach einem Weilchen erholen und bat: »Eilet rasch auf die Straße und sehet, ob ihr dort einen gewissen Kaufmann treffet!« Dabei nannte er den Namen desselben.

Die Diener taten, wie ihnen der Prinz befohlen hatte, und fanden den Kaufmann in seinem Blute liegend tot. Zugleich erkannte man aber auch, dass der gefährliche Zeitraum, von dem die Sternkundigen gesprochen hatten, verstrichen sei. So konnte der König seinen Sohn wieder froh umarmen. Dieser aber pries laut Gott ob des getanen Wunders und erzählte allen, wie es ihm mit dem Abendgottesdienste ergangen war. Er ließ Vigilien singen und Almosen an die Armen des Landes verteilen und lebte lange und glücklich. Und hiermit ist das Märchen zu Ende.


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt.