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Die Kinder des Fischers


Es ist schon lange her, da waren einmal ein Fischer und seine Frau, die hatten keine Kinder. Und als der Fischer älter wurde, da beklagt er einmal sein Schicksal, als er gerade beim Fischen ist: »Ach hätte ich doch Kinder, so könnten sie mir beim Fischen helfen, und alles wäre leichter!« - »Was klagst du da?« sagt im gleichen Augenblick eine Gorgone, die aufgetaucht war.

Als der Fischer die Gorgone sieht, ist er erschrocken, aber dann sagt er: »Ich bin ohne Kinder, und das Gewerbe fällt mir schwer.«

»Gut«, sagt die Gorgone, »ich will dir helfen.«

Und damit taucht sie ins Meer, und nach einer Weile kommt sie wieder zu dem Boot des Fischers und in ihren Klauen hält sie einen Apfel und eine Birne.

»Hier hast du was«, sagt sie, »nimm diesen Apfel und diese Birne. Falls du einen Sohn willst, so soll deine Frau diesen Apfel essen, und wenn du eine Tochter willst, so soll sie diese Birne verspeisen. Aber du musst mir das Kind, wenn es 14 Jahre alt ist, ans Meer bringen. Ich will sorgen, dass dir die Fische dann mühelos ins Netz gehen.« Der Fischer hat sich bedankt und den Apfel und die Birne eingesteckt. Und als er nach Hause gekommen ist, hat er seiner Frau den Apfel zu essen gegeben, und weil es ein schöner Apfel gewesen ist und die Frau gerade Hunger gehabt hat, hat sie den Apfel gegessen. Aber dann hat sie sich bedacht und gefragt: »Du kommst doch gerade vom Meer. Woher hast du also den Apfel?« ­ »Den Apfel«, sagt der Fischer, »hat mir eine Gorgone gegeben zusammen mit einer Birne, und sie hat gesagt: >Wenn deine Frau den Apfel isst, bekommt sie übers Jahr einen Sohn, und wenn sie die Birne isst, eine Tochter.< Und da ich mir schon lange einen Sohn wünsche, habe ich dir den Apfel zu essen gegeben.« ­ »Du denkst nur an dich«, sagt die Frau, »und nicht an mich. Ich wünsche mir schon lange eine Tochter, die mir etwas im Hause helfen kann. Wo ist die Birne?« ­ »Hier«, sagt der Mann, und er zieht die Birne aus der Tasche. Da nimmt ihm die Frau die Birne weg und isst sie auf der Stelle.

Nach einem Jahr hat die Frau Zwillinge geboren, einen Sohn und eine Tochter. Die Fischersleute waren zufrieden, denn nun hat jeder das gehabt, was er wollte.

Aber als die Zwillinge 14 Jahre alt waren, da hatte der Vater ganz vergessen, was er der Gorgone versprochen hatte. Und als er eines Tages mit seinem Sohn zum Fischen gefahren ist, da taucht die Gorgone auf und sagt: »Wenn du mir nicht bringst, was mir gehört, so nehme ich es mir selber. Du aber brauchst keine Angst zu haben. Du musst nicht mehr mit dem Boot ausfahren, denn ich werde dir soviel Fische an den Strand schicken, dass du sie mit den Händen ergreifen und herausziehen kannst.«

Und damit hat sie den Burschen erfasst und mit sich in die Tiefe gezogen.

Der Fischer ist zwar traurig heimgekehrt, aber als er an den nächsten Tagen gesehen hat, dass es sich so verhält, wie die Gorgone gesagt hatte, ist er zufrieden gewesen und hat sich so viele Fische aus dem Wasser genommen, wie er gebraucht hat.

Das Mädchen aber, das Maria hieß, hat ihren Bruder sehr vermisst. Und eines Tages ist es zum Strand des Meeres gelaufen und hat nach dem Bruder gerufen. Da ist die Gorgone erschienen und hat Maria gefragt: »Willst du deinen Bruder sehen?« ­ »ja, das will ich.« »Gut, so komm mit mir! Aber du musst freiwillig mitgehen, denn nur eines von euch Kindern gehört mir, das andere gehört dem Fischer.« ­ »Ich gehe freiwillig mit.«

Da hat die Gorgone Maria zu ihrem Bruder gebracht.

Als nun auch Maria von daheim verschwunden war, hat sich die Mutter sehr gegrämt, und sie hat ihrem Mann Vorwürfe gemacht. Und schließlich ist der Fischer ins Boot gestiegen und auf s Meer hinaus gefahren. Und dort hat er nach der Gorgone gerufen.

Nach einer Weile ist die Gorgone aufgetaucht und hat gefragt ­. »Was willst du?« ­ »Ich«, sagt der Fischer, "ich will wenigstens eines meiner Kinder wieder zurückhaben, denn es ist nicht recht, dass du uns beide weggenommen hast. « ­»Deine Tochter Maria«, sagt die Gorgone, »ist freiwillig und ohne Zwang mit mir gekommen, aber wenn du es wünschst, bringe ich dir deinen Sohn wieder. « ­ » Ich wünsche es.«

Da ist die Gorgone in die Tiefe hinuntergetaucht und hat den Burschen heraufgebracht und zum Vater ins Boot gesetzt. Und der Fischer ist heimgefahren.

Wie aber die Mutter gesehen hat, dass nur der Sohn heimgekommen ist und nicht Maria, hat sie zu weinen angefangen, und sie hat gesagt: »Immer denkst du nur an dich, und ich bin nun wieder allein.«

Da hat am andern Tag der Vater seinen Sohn gerufen und ist mit Ihm ins Boot gestiegen, und die beiden sind wieder hinaus aufs Meer gefahren. Und dort hat der Fischer wieder die Gorgone gerufen.

Die Gorgone ist aufgetaucht und hat gefragt: »Was ist nun jetzt schon wieder, dass du mich rufst?« ­ »Meine Frau«, sagt der Fischer, »will Maria zurückhaben. Deshalb bringe ich den Burschen mit, denn lieber will ich auf meinen Sohn verzichten als meine Frau den ganzen Tag weinen sehn.«

Die Gorgone ist etwas zornig geworden, aber da sie ein gutes Her7 hatte, sagt sie: »Nun, da die Kinder uns zusammen gehören, wollen wir sie so teilen, dass ein jeder zufrieden sein kann. Höre also: Am Montag, Dienstag und Mittwoch sollen die beiden bei mir sein; am Donnerstag, Freitag und Samstag aber sollt Ihr die Kinder im Hause haben. Und am Sonntag nach der Kirche sollen sie ans Meer kommen, da werde ich sie dann wieder abholen.«

Der Mann war damit zufrieden, und er hat seine beiden Kinder heimgefahren.

Die Frau war nicht ganz so einverstanden, aber Maria hat zu ihr gesagt. »Mutter, schau, was die Gorgone beschlossen hat, ist gut. Zum Helfen brauchst du mich am Donnerstag zum Brotbacken und am Samstag, um das Haus zu kehren, und da werde ich immer da sein. Aber lass mich zusammen mit meinem Bruder kommen und gehn und reiß uns nicht auseinander.«

Da hat die Frau nachgegeben, und nun sind die Kinder immer am Mittwochabend von der Gorgone zu dem Strand gebracht worden, welcher der Hütte des Fischers am nächsten war, und am Sonntagmittag hat sie der Vater wieder aufs Meer gebracht, und die Gorgone hat sie abgeholt.

Und man erzählt sich, als die Kinder groß und erwachsen geworden waren, hat die Gorgone zugestimmt, dass die Kinder sich verheiraten, und sie hat es dem Burschen überlassen, sich ein Mädchen zu suchen; für Maria aber hat sie selbst einen jungen Fischer ausgesucht, den sie gut leiden konnte. Und sie hat ihm gesagt, dass er Maria lieben sollte und immer gut behandeln, weil es ihm sonst schlimm erginge.

Und weiter weiß ich nichts davon.


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt.