zurück || Homepage

 

Kashak


Kashak war ein armer Waisenknabe. Er trieb sich im Dorf herum, niemand gab ihm zu essen, und niemand gab ihm ein Lager für die Nacht.

Bis eine Familie sich seiner erbarmte und ihm erlaubte, im Vorraum des Iglu zu schlafen, in jenem langen Schneetunnel, der den Frost abhalten soll und in dem auch die Hunde schliefen, damit sie draußen nicht erfroren.

Und zusammen mit den Hunden knabberte Kashak auch die Knochen ab. Nur ein Mädchen hatte Mitleid mit dem Jungen und steckte ihm hin und wieder etwas zu. Und sie schenkte ihm auch ein Messer, mit dem er die Knochen abschaben konnte.

Kashak wuchs nicht, er war schwach und klein, weil er ja nie genug zu essen hatte. Alle schrien ihn nur an und stießen ihn herum.

So viel Kummer und Not konnte selbst Angak, der Mann im Mond, nicht mehr mit ansehen. Immer, wenn Vollmond ist, schaut nämlich Angak mit seinem breiten Gesicht von oben herab, was sich auf der Erde so tut. Und so entging ihm auch das traurige Dasein des armen Kashak nicht, und er beschloss, ihm zu helfen. Eines Tages stieg er zur Erde hinab, fing sich Hunde ein, spannte sie vor den Schlitten und befahl dem Jungen aufzusitzen. Kashak fürchtete sich, aber noch mehr fürchtete er sich, nicht zu gehorchen.

Als sie zu einer Stelle kamen, wo große Steinblöcke lagen, hielt Angak das Gespann an.

"Kashak, steig ab!"

Der Junge meinte, dass der Fremde ihn nur quälen wolle, und zögerte.

"Komm, steig ab!" forderte ihn der Mann nochmals auf.

"Wirst du mich auch nicht schlagen?"

"Nein, du brauchst keine Angst zu haben."

Da sprang Kashak vom Schlitten, und der Mann führte ihn zu den Steinblöcken und befahl ihm, sich auf einen zu legen und zu tun, als ob er rudere.

Der Junge zitterte vor Angst, tat aber, was man von ihm verlangte. Dann fing Angak drei Mondstrahlen ein, sponn sie zu einem silbernen Faden, und den wickelte er um den Jungen.

"Bist du jetzt stärker?" fragte er.

"Ein bisschen stärker fühle ich mich schon", antwortete Kashak. "Versuche diesen Steinblock aufzuheben", forderte ihn der Mann im Mond auf.

Aber so stark, dass er den Stein hätte heben können, war Kashak noch nicht.

Da wickelte Angak einen Faden aus sechs Mondstrahlen um den Jungen und fragte: "Bist du jetzt stärker?"

"Ich glaube schon."

"So heb den Stein auf!"

Kashak konnte den Stein zwar ein Stückchen verrücken, aber so stark, dass er ihn hätte aufheben können, war er immer noch nicht.

Nun wickelte Angak einen Faden aus neun Mondstrahlen um den Jungen.

"Bist du stärker?" fragte er.

"Ja, jetzt bin ich stark", antwortete der Junge, packte den Steinblock und hob ihn in die Höhe, so leicht, als sei es nur ein Kieselstein.

"Gut", sagte der Mann im Mond und brachte Kashak ins Dorf zurück. "Morgen schicke ich dir drei Bären, und du wirst den Leuten zeigen, wie stark du bist."

Dann setzte er sich in den Schlitten und fuhr auf den Mond zurück. Am nächsten Tag kamen drei riesige Bären ins Dorf. Ihr Brüllen jagte allen Angst und Schrecken ein. Selbst die mutigsten Männer rissen vor den Bären aus.

Nur Kashak stellte sich ihnen in den Weg.

"Kashak ist verrückt geworden!" schrien die Leute. "Die Bären werden ihn zerreißen!"

Der Junge, der über Nacht zu einem stattlichen Jüngling geworden war, umschlang den ersten Bären mit solcher Kraft, dass ihm die Knochen im Leibe krachten. Als das die anderen beiden Bären sahen, suchten sie schleunigst ihr Heil in der Flucht.

Kashak führte seinen Bären durchs Dorf und rief: "Alle, die mich misshandelt haben, wird mein Bär zerreißen!"

Da flohen die bösen Menschen aus dem Dorf und kamen nie wieder. Nur die guten blieben zurück. Darunter auch das Mädchen, das Kashak das Messer geschenkt hatte. Und dieses Mädchen nahm Kashak zur Frau.