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Die Kaiserin hat eine rote Nase


Es war einmal ­ recht lang ist's her ­ ein Kaiser, der heiraten wollte. Er ist durch viele Länder geritten, um sich die Kaisertöchter anzuschauen, aber ihm hat keine gefallen. Einmal ist er aber an einen Hof gekommen zu einem großen Fürsten, der hat drei Töchter gehabt, von denen die jüngste Tochter zugleich die schönste gewesen ist.

Aber die Mutter der schönen Prinzessin hat nicht gewollt, dass ihre jüngste heiratet. Zunächst einmal hat sie gewünscht, dass alle Töchter der Reihe nach heiraten, also zuerst die erstgeborene, dann die mittlere. Aber außerdem hat sie die jüngste besonders lieb gehabt. Und als der Kaiser dann um die Hand der Jüngsten angehalten hat, hat sie gesagt: »Nein, diese nicht, denn die habe ich Gott versprochen, und sie wird einmal Nonne werden.«

Aber der Kaiser war ein mächtiger Mann, und der Vater des Mädchens hat gedacht: >So einen Schwiegersohn wie den Kaiser finde ich nie wieder!< Und er hat zugesagt, auch wenn sich seine Frau sehr gesträubt hat.

Aber die Mutter hat gesagt: »Gott soll euch alle strafen! Und wenn meine Tochter je eine Tochter bekommt, so soll sie eine Nase haben rot wie ein Rubin!«

Alle haben über diese Worte gelacht ­ aber wehe! ­ ein Jahr später hat die Kaiserin ein Mädchen geboren, das hatte eine Nase, leuchtend rot wie ein Rubin. Die Nase war so, dass man sie selbst im Halbdunkel hat funkeln gesehen. Und als man das Kind der Mutter gezeigt hat, der Kaiserin, da hat sie bitterlich geweint. Nun, der Kaiser hat dafür gesorgt, dass niemand außer der Hebamme das Kind gesehen hat. Er hat einen hohen Turm bauen lassen, der hatte nur unten eine Türe und ganz oben drei Fenster. Und in diesen Turm hat man den Säugling gebracht, und man hat eine Amme besorgt, die blind war, und eine blinde Köchin und eine Blinde als Dienerin. Und niemand in jenem Kaiserreich hat gewusst, dass die Prinzessin eine rote Nase gehabt hat.

Es vergehen die Jahre, die Kaisertochter ist groß geworden. Sie durfte nur nachts aus dem Turm heraus, um im Garten spazieren zu gehen oder zu ihren Eltern zu kommen. Und wenn sie am Sonntag oder an Feiertagen in die Kirche gegangen ist, dann hat sie nur verschleiert gehen dürfen. Und so hat niemand erfahren, dass sie eine rote Nase gehabt hat.

Weil die Kaiserin keine andern Kinder gehabt hat, ist bekanntgeworden, dass der Bräutigam der Prinzessin einmal auch das ganze Reich erben würde. Und so oft ein Freier gekommen ist, um die Hand der Prinzessin anzuhalten, hat man ein Mahl im großen Saal des kaiserlichen Palastes veranstaltet, und von einem Balkon mit Gittern hat die Prinzessin zugeschaut, und dann hat sie ihr Vater gefragt: »Willst du diesen Kaisersohn heiraten?«

Aber lange Zeit ist keiner gekommen, welcher der Prinzessin mit der roten Nase gefallen hätte. Eines Tages jedoch kam ein hübscher und gewandter Bursche, der Sohn des Kaisers von Rom. Als die Prinzessin ihn gesehen hat, da hat sie sich gleich in ihn verliebt. Und sie hat hernach zu ihrem Vater gesagt: »Vater, diesen wünsch ich mir als Gatten.«

Der Prinz von Rom hat begehrt, die Prinzessin zu sehen, aber der Kaiser, der Vater der Prinzessin hat gesagt: »Es ist bei uns zu Lande nicht die Sitte, die Braut vor der Hochzeit zu zeigen.« Und der Prinz hat die Mutter angesehen, die sehr schön war, und er hat bei sich gedacht: "Eine so schöne Mutter kann keine hässliche Tochter haben.< Und so hat er um die Hand der Prinzessin angehalten.

Zur Hochzeit ist die Prinzessin wie immer tief verschleiert gegangen, und auch beim Hochzeitsmahl hat sie den Schleier nicht abgenommen. Und als sie am Abend in ihr Schlafzimmer gegangen ist, hat sie alle Kerzen ausgeblasen. Der Sohn des Kaisers von Rom hat sie im Dunkeln umarmt und geküsst, und er hat sich in sie verliebt, ohne sie richtig gesehen zu haben.

Und als sie so einige Wochen zusammen vergnügt gelebt haben ­ am Tage war die Prinzessin immer verschleiert, und in der Nacht war das Zimmer ohne Licht ­ ist eine Botschaft gekommen, dass der Kaiser von Rom gestorben war. Und das junge Paar musste abreisen.

Der Kaiser hat seinem Schwiegersohn gesagt, dass seine Tochter eine sehr empfindliche Haut habe und dass er dafür sorgen möge, dass nie ein Lichtstrahl ihr Gesicht träfe, weil die Haut sonst runzeln würde.

Und der Prinz, der nun Kaiser von Rom geworden war, sorgte dafür, dass auch in seinem Palast alles so gemacht wurde wie im Palast seines Schwiegervaters.

Und als die Kaiserin dort eine Dienerin genommen hat, da hat sie zu ihr gesagt: »Schwöre mir, dass du - wenn du mich ohne Bedeckung siehst und ein geheimes Gebrechen an mir bemerkst - zu keinem Menschen davon sprechen wirst!« - »Ich schwöre es!« Hat die Dienerin gesagt.

Und bald einmal, als sie der Kaiserin beim Baden helfen musste, hat die Dienerin gesehen, dass die Kaiserin eine Nase hat, die rot ist wie ein Rubin und glänzt wie eine Lampe. Sie ist sehr erschrocken, aber sie hat nichts gesagt.

Auch die andern Leute von der Dienerschaft haben gemerkt, dass mit dieser Leibdienerin der Kaiserin etwas los ist, dass sie nicht mehr so war wie früher. Sie war auf einmal so ängstlich und so verschlossen. Und wenn man sie angesprochen hat, hat sie angefangen zu zittern. Und sie haben sich nicht erklären können, was mit ihr los sei, und sie haben sie jeden Tag bestürmt mit Fragen.

Und die Dienerin war ganz verzweifelt, denn einmal hat sie ihren Schwur nicht brechen wollen und zum andern hat sie nicht gewusst, wie sie es aushalten solle, ohne von der roten Nase der Kaiserin zu reden.

Und als sie gar nicht mehr ein noch aus gewusst hat, da ist sie einmal im Garten spazieren gegangen, und als sie sich ganz allein am Teich gesehen hat, da hat sie übers Wasser hingemurmelt: »Die Kaiserin hat eine rote Nase! Die Kaiserin hat eine rote Nase! Die Kaiserin hat eine rote Nase!«

Und sogleich hat sie sich leichter gefühlt, und als sie in den Palast zurückgekommen ist und sie die andern Dienerinnen gefragt haben: »Was ist mit dir?«, da hat sie gesagt: »Gar nichts. Aber einige Wochen habe ich mich nicht wohl gefühlt, ich weiß auch nicht, warum. Es wird wohl eine Magenverstimmung gewesen sein.«

Und auch später hat es der Dienerin gar nichts mehr ausgemacht, dass die Kaiserin eine rote Nase habe und sie nicht davon sprechen dürfte.

Aber das, was sie übers Wasser gemurmelt hatte, klang weiter bis zu dem Schilfrohrgebüsch. Und - wie es der Zufall will - aus diesem Schilfrohr schnitt sich ein Jahr später ein junger Hirt eine Pfeife, weil seine alte Pfeife zerbrochen war. Und als er mit seinen Schafen aus dein Garten des kaiserlichen Palastes hinaus und durch die Stadt zog, begann er auf der Straße zu blasen, und wenn er geblasen hat, dann konnte man hören, dass diese Schalmei Worte gesungen hat, und diese Worte haben so geklungen: »Die Kaiserin hat eine rote Nase, die Kaiserin hat eine rote Nase.«

Und alle Menschen in der Stadt haben zu lachen angefangen, und das Gelächter war so laut, dass man es bis in den Palast des Kaisers gehört hat. Und als der Kaiser gehört hat, dass die ganze Stadt lacht, hat er einem Diener gesagt: »Geh einmal hin und sieh nach, warum die Menschen so laut lachen!«

Und der Diener ist hingegangen, und er kommt wieder - ganz verlegen ist er - und sagt: »Gebieter, Kaiser, es ist fürchterlich! Ein junger Bursche, ein Hirt, zieht mit seinen Schafen durch die Stadt und bläst auf einer Schalmei, und die Schalmei singt. >Die Kaiserin hat eine rote Nase!" Und die Leute lachen darüber ganz laut.«

Da hat der Kaiser gesagt: »Geh hin und bringe diesen Burschen und seine Schalmei zu mir!«

Der Diener ist gelaufen und hat den Hirten mit seiner Schalmei geholt, und die Schafe sind vor dem Tor stehen geblieben.

Der Kaiser aber hat den Hirten ganz erzürnt angebrüllt: »Unverschämter, was erdreistest du dich da zu blasen?« - »Herrscher«, hat der Hirt gesagt, »ich sage gar nichts, denn diese Schalmei singt, ohne dass ich es will.« - »Gib her«, hat der Kaiser gesagt, »das wird sich gleich erweisen. Wenn du gelogen hast, bist du des Todes!« Und der Bursche hat ihm die Schalmei gegeben. Aber sobald der Kaiser angefangen hat, darauf zu blasen, hat die Schalmei gesungen: »Die Kaiserin hat eine rote Nase, die Kaiserin ... « Da hat der Kaiser gleich wieder aufgehört. Er hat die Schalmei übers Knie gebrochen, dem Burschen aber hat er gesagt: »Woher hast du dieses unglückliche Rohr?«

Da hat ihm der Bursche bekannt, dass er es im Garten des Palastes geschnitten habe. Der Kaiser gibt nun dem Burschen ein Goldstück und sagt: »Nimm das hier und schweige, wenn dir dein Leben lieb ist! Nimm deine Herde und verlasse meinen Garten zum Hinterausgang und zieh in die Berge hinauf. Und blase nie wieder im Leben auf einer Schalmei!«

Der Hirt hat dies versprochen und ist davongegangen.

Der Kaiser aber läuft ins Gemach der Kaiserin und sagt: »Was hältst du von dieser Geschichte?« Und er erzählt ihr alles. Die Kaiserin aber fängt an zu weinen und sagt: »Ich bin unschuldig an allem. «

Der Kaiser ist sehr gekränkt, aber er hat seine Frau lieb gehabt wie zuvor. Heimlich hat er nach Ärzten ausgesandt, und er hat ihnen Gold gegeben und sie gebeten, die Kaiserin zu heilen, und die haben verschiedene Salben und Tinkturen gebracht, Mittel zum Einnehmen und Wasser zum Waschen. Aber nichts hat geholfen.

Der Kaiser ist von Tag zu Tag trübseliger geworden, er hat mit seiner Frau den Palast verlassen und zusammen mit der Dienerin, die über das Wasser gemurmelt hatte, sind sie in einem einsam gelegenen hohen Turm gezogen. Dort haben sie gelebt wie Einsiedler.

Es sind Jahre vergangen, die Kaiserin hat einen Sohn geboren, der war fleckenlos und schön. Aber der Kaiser ist sehr menschenscheu gewesen und hat nicht mehr in die Stadt zurückkehren wollen. Er ist nur des Nachts ausgegangen, dann ist er auch in den Palast gekommen und hat dort erledigt, was zu erledigen war.

In einer Nacht hat der Kaiser auch seine Geschäfte im Palast erledigt, seine Briefe geschrieben und seine Weisungen hinterlassen, und nun geht er wieder durch die Stadt zu einem Tor, das für ihn immer offen stehen muss, um zu seinem Turm weit vor der Stadt zurückzukehren. Wie der Kaiser so geht, hört er ein kleines Kind weinen, und als er dem Weinen nachgeht, findet er ein in Windeln gewickeltes kleines Kind, das jemand ausgesetzt haben muss.

Der Kaiser ist eine sehr mitleidige Seele gewesen, und er nimmt das Kind auf und sagt sich: »Wenn unser Sohn aufwächst, hat er gleich einen Spielgefährten, denn andere Kinder können wir im Turm nicht brauchen.«

Und als er mit dem Kind in den Armen heimkommt, ist die Kaiserin zum ersten Mal wieder fröhlich gewesen. Und weil sie dort keine Amme hatten und der Prinz gerade abgestillt ist, hat die Kaiserin dem kleinen weinenden Kind gleich die Brust gegeben. Und das Kind hat getrunken und ist ruhig eingeschlafen. Und als die Kaiserin es gewaschen hat, da hat sie gesehen, dass es ein Mädchen ist.

Was soll ich sagen! Die Kaiserin stillt also das fremde Mädchen, und je länger sie es stillt, um so weißer wird ihre Nase. Und nach einigen Wochen war ihre Nase so wie die aller andern Menschen. Nun hat sie den Schleier abgenommen und hat gesagt: »Gemahl, schau her!«

Und der Kaiser hat die Kaiserin angeschaut, und er sagt: »Träume ich oder wache ich? Du hast ja eine ganz weiße Nase!«

Und sie haben gelacht, dass man es bis in die Stadt gehört hat. Und dort sind die Menschen erschrocken, und sie haben gesagt: »Unser armer Kaiser! Unsere arme Kaiserin! Nun müssen sie ganz verrückt geworden sein. Der Kaiser war ja lange schon so seltsam.«

Und die Kaiserin hat das angenommene Mädchen auf den Arm genommen, nachdem sie den Schleier weggeworfen hat, und der Kaiser nimmt seinen Sohn auf den Arm, und so gehen sie am hellen Tage durch die Stadt, und alle Menschen kommen auf die Straßen und an die Fenster und auf die Balkone, und sie rufen vergnügt: »Unser Kaiser kommt wieder heim, und unsere Kaiserin kommt auch, und sie haben zwei Kinder!« Und alle haben gejubelt.

Nur ein kleiner frecher Kerl hat geschrien: »Die Kaiserin hat eine rote Nase!« Aber sein Vater hat ihm eine Ohrfeige gegeben und gesagt: »Du Schandmaul! Hast du keine Augen im Kopf? Siehst du nicht, dass die Kaiserin eine Nase hat wie du und ich?«

So ist es gewesen, und man sagt, dass zwanzig Jahre später der Sohn des Kaisers jenes Mädchen geheiratet hat, das sein Vater von der Straße mitgenommen hatte. Und so lebten sie vergnügt und selig und wir mögen noch seliger leben.


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt.