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Märchen im Spiegel
der Zeit

 

Hilf Dir selbst – sonst hilft Dir keiner!
Marion Wolf


Vor den Toren einer Stadt lebten vier Brüder. Jeder besaß einen Bauernhof mit Gemüsegarten, etwas Federvieh, eine Kuh, ein Schwein, ein Getreidefeld und einen Kartoffelacker.

Eines schwülen Augustabends braute sich ein Gewittersturm über der Stadt zusammen. Die Brüder bemerkten die Bedrohung nicht, denn sie melkten gerade ihre Kühe im Stall, derweil die Schweine gierig grunzend die abgeernteten Kartoffeläcker durchwühlten.

Die Menschen der nahen Stadt flüchteten in ihre Häuser. Blitze zuckten vom Himmel, Donner grölten über den Horizont. Es war, als wolle ein Ungeheuer die Welt in tausend Stücke schlagen. Den Kühen gerann vor Schreck die Milch im Euter, die Schweine lagen vom Blitz erschlagen auf dem Acker und in den Kartoffelhorden schwelten Himmelsfeuer. Der Bruder vorm Nordtor besah sich den Schaden und dachte: Wenn es meinen Brüdern ebenso ergangen ist, wie mir, so werden gebackene Kartoffeln, Quark und Schweinefleisch Morgen billig auf den Markt kommen. Besser dünkt es mir, alles zu räuchern und meine Waren erst im Herbst feilzubieten. Also baute er aus seiner schwelenden Kartoffelhorde einen Kohlenmeiler, schnitt sein Schwein in handliche Teile und dörrte sie über der Glut. Die Sauermilch verarbeitete er zu feinem Räucherkäse und ließ alles in seinem Felsenkeller mit feinem Schimmel reifen.

Der Bruder im Osten war ein gläubiger Mann. Jeden Morgen warf er sich in den Staub, pries den Allmächtigen und was immer ihm widerfuhr, betrachtete er als gottgegebenes Schicksal.

So deutete er das tote Schwein und die schwelenden Kartoffeln als Wink des Himmels, schaufelte die garenden Erdäpfel auf seinen Schubkarren, schob diesen zum Kirchplatz und rief laut, er wolle die Armen speisen. Die griffen gierig danach und manch einer verbrannte sich die Finger an den heißen Gaben.

Als der Priester die Bescherung sah, lobte er den Bauern einen frommen Mann, der sein Schicksal in Demut zu tragen wisse. Der Ostbauer kündigte daraufhin an, zur Nachtmesse noch sein totes Schwein opfern zu wollen. Das rührte den Priester so ans Herz, dass er eine schwülstige Predigt schrieb über die Gottgefälligkeit dieses schlichten Landmannes.
Jener garnierte seine tote Sau mit den blühenden Ranken einer Kapuzinerkresse und erschien just in dem Moment in der Kirche, da der Priester seine Predigt beendigt hatte. Wie ein Heiliger trat er ins Kirchenschiff, lüftete demütig seinen Hut und legte ihn scheinbar zufällig auf den Opferstock. Feierlich schob der Bauer nun die geschmückte Sau zum Altar, kniete nieder und bat den Priester um seinen Segen. Betend verharrte er, bis alle Gläubigen weg waren. Dann übergab er die Opfergabe dem Kirchenmann mit der Bitte, die Sau als namenlose Spende zum Armenhaus zu karren. Kaum war der Priester zur Hintertür hinaus, eilte der Bauer zum Ausgang: Sein Hut war gefüllt mit Silberstücken, die schwerer wogen, als sein Verlust durch den Blitzschlag...

Zufrieden steckte er die Liebesgaben ein und beschloss, alljährlich eine einträgliche Gedenk-Wallfahrt abzuhalten...

Der Bruder vom Südtor hatte einen andren Einfall, das traurige Ereignis auszuschlachten: Mit Pauken und Trompeten lief er durch die Stadt und rief die Leute zu einem Freudenfest auf seinen Hof, weil das Gewitter die Bewohner verschont habe. Die Bürger nahmen die Einladung zu einer fröhlichen Landpartie gerne an. Es gab Grillschwein mit Grillkartoffeln und das Bier floss in Strömen. Der Südbauer sang zotige Lieder, damit die Leute lange blieben und machte so ein saftiges Geschäft. Als er spätabends seine Einnahmen zählte, nahm er sich vor, die Städter recht bald wieder auf seinen Hof zu locken…

Der Bruder im Westen war ein trauriger Zeitgenosse: Bis zum Nachmittag warfen die hohen Stadtmauern ihre grauen Schatten über sein Gehöft, die kalten Westwinde peitschten Regen und Schnee in sein Gesicht und wehten ihm die Schindeln vom Dach. Abends überkam ihn oft die Weltuntergangsstimmung. Als er nun auch noch seine einzige Sau leblos dahin gestreckt auf dem Acker liegen sah, ereilte ihn vollends der Trübsinn und er hub an, mit dem Wind um die Wette zu heulen.

Dieweil auch die Sonne erst spät über die Dächer der Stadt kroch, um sein windgebeuteltes Feld zu bescheinen, wartete er geduldig darauf, dass jemand käme, sich seiner zu erbarmen Drei Tage harrte er so im Selbstmitleid gefangen einer mitfühlenden Seele, doch keiner scherte sich um sein Geschick. Sein Gejammer prallte unerhört an den hohen Mauern ab, mit denen sich die stolzen Bürger gegen jede Unbill von außen abschotteten. Da verkroch sich der Westbauer verbittert in sein Bett und blies Trübsal. Seine tote Sau aber verweste derweilen auf dem Acker...

Widerliche Gerüche entstiegen dem Kadaver und der Westwind trug den Gestank in die Stadt. „Was ist denn das für eine üble Botschaft, die uns der Wind da zuträgt?“ fragten die Leute und schickten eine Abordnung zum Westtor hinaus. Die Ratsherren gingen der Nase nach und fanden prompt das tote Borstenvieh. Der Älteste klopfte daraufhin an die Tür des Westbauern und rief: „He Du, auf Deinem Grund verwest ein Schwein!“

Der Bauer winselte wütend: „Ist es meine Schuld, wenn der Blitz meine einzige Sau erschlägt?“ – „Die Sauerei stinkt uns“, sagten die Räte ungerührt, „das Aas muss begraben werden!“
„Sieh’ mal einer guck“, erwiderte der Bauer, „als das Unglück geschah, habt ihr mein Wehgeschrei überhört. Jetzt, wo mein Unglück schon zum Himmel stinkt, bequemt ihr Euch zu mir − nicht um mir Trost zu spenden und beizustehen, sondern weil Euch die Nachbarschaft eines gärenden Unglücks missbehagt!“

„So war es doch nicht gemeint“, beschwichtigte ihn der Älteste, „hier sind ein paar Kupfermünzen als Lohn für Deine Mühe als Totengräber. Falls Dir aber der Verlust der Sau zu schaffen macht, geh' zum Priester, für Almosen sind wir nicht zuständig.“

Der Westbauer war wütend über das herablassende Gehabe der Stadträte. Um sich weiteren Ärger zu ersparen, nahm er schließlich doch seinen Spaten, und grub neben der stinkenden Sau ein Loch. Wie er so im Schweiße seines Angesichts in den Tiefen seiner Muttererde wühlte, entdeckte er einen Schatz, von ungeheurem Wert. ‘Ha’, dachte er, ‘den behalt ich für mich, davon sollen die feinen Herren in der Stadt nichts erfahren’, verstaute den Fund in seiner Truhe und nährte sich von Brei und Rüben.

An Martini trafen sich die vier Brüder alljährlich zum Markttag. Diesmal hatten drei viel zu erzählen: Der Nordbauer hatte sein Rauchfleisch und seinen Räucherkäse zu Höchstpreisen verkauft und heizte sein Haus mit Kartoffelkohlen. Der Ostbauer hatte sich von den mildtätigen Spenden zwei Sauen gekauft, die Ferkel großgezogen, zu Markte getragen und hielt die Runde frei. Der Südbauer betrieb einen florierenden Landgasthof und lud die Brüder auf Neujahr zu sich.

Und der Westbauer? Der schämte sich seines ärmlichen Lebens und verschwieg seinen nutzlos herumliegenden Geheimschatz. Auf dem Heimweg schwante es ihm, dass man aus der Not eine Tugend machen muss, wenn man es zu was bringen will.

Also verkleidete er sich als Kaufmann und hielt am Weihnachtsmarkt seltene Antiquitäten zu sündteuren Preisen feil. Die Bürger kauften ihm alles ab und er litt keine Not mehr. Seitdem weiß er:

 

Wer sein Schicksal in die Hand nimmt,

der hat auch Gottes Segen.

 


Dieses Märchen wurde mir von Marion Wolf  zur Verfügung gestellt.
Das Copyright dieses Märchens liegt bei der Autorin: http://dichterseele.beepworld.de

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