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Der Hexenzügel
Märchen aus Amerika


Der alte Braham wohnte in einem Blockhaus nahe des Cheat River, oberhalb von Allbright in Preston County. In der einen Ecke des Hauses lag ein altmodischer, offener Kamin, in der gegenüberliegenden Ecke stand sein Bett.

Einmal erwachte der Mann gegen Mitternacht und hörte in seinem Zimmer Männer sprechen. Sie meinten offenbar, er schlafe, und er beschloss, sie in diesem Glauben zu belassen. So hörte er jedes Wort mit, das sie sagten, obwohl sie sehr leise redeten. Bei den Eindringlingen handelte es sich um eine Gesellschaft von Hexenmeistern, die ihre Hexenzügel und ihre Zaubermittel unter dem Herdstein im Haus des alten Braham versteckt hielten. Aus ihren Gesprächen entnahm er weiter, dass jeder, der einem Pferd oder einer Person einen Hexenzügel umlege, unbedingte Macht über das betreffende Tier oder den Menschen gewann. Mit dem Zaubermittel aber verhielt es sich so: Bestrich man damit die Stirn zwischen den Augen oder den Hals und schlug danach drei Kreuze über dem Herzen, so konnte man fliegen wie ein Vogel. Auch hörte er, dass die Männer in dieser Nacht vorhatten, seine Kälber zu behexen und auf ihnen, wie sie dies offenbar schon vorher häufig getan hatten, zu einem Treffen der Hexen im Scraggly-Gebirge zu reiten.

Da der siebente Hexenmeister auch nach längerem Warten nicht kam, beschlossen die sechs anderen, ohne ihn zu reisen. Sie schoben den schweren Herdstein beiseite, und jeder nahm sich einen Zügel. Dann bestrichen sie sich mit dem Zaubermittel und schoben den Herdstein mit vereinten Kräften wieder an seinen Platz. Nachdem sie sich gegenseitig die Zügel angelegt und mit Salbe bestrichen hatten, schlugen sie mit den Armen und flogen durch den Schornstein davon. Draußen kreisten sie eine Weile über dem Hof und machten sich dann auf zur Kälberweide. Dort legte der Anführer dem größten Kalb seinen Zügel an und auf ging's, die Straße hinunter, dem Hexentanzplatz entgegen. So wählte sich nacheinander jeder der Hexenmeister eines der Tiere und ritt auf ihm davon.

Mittlerweile war der alte Braham aufgestanden und hatte sich überlegt, dass er es eigentlich auch einmal mit einem Hexenritt versuchen könne. Zwar war der Herdstein schwer, aber er war ein starker Mann, und mit einigen Anstrengungen gelang es ihm, ihn allein fortzubewegen. Er holte den siebenten Hexenzügel, der noch dort versteckt lag, bestrich sich mit der Zaubersalbe, die aus Anis, dem Blut einer Henne und zerstoßenem Glas gemischt war, rückte darauf den Stein wieder an seinen Platz und flog durch den Schornstein zur Kälberweide, wie er das von den anderen Hexenmeistern gesehen hatte. Dort legte er einem kleinen roten Kalb die Zügel an und sprang auf den Rücken des Tieres. Sobald er auf der Straße war, spornte er das Kalb an, schnell zu gehen, denn er wollte vor den anderen Hexenmeistern auf dem Tanzplatz sein.

Inzwischen hatte der Trupp der sechs die Straße verlassen und sich über das offene Land davongemacht, und der alte Braham sah gerade noch, wie sie auf ihren Kälbern über einen Fluss setzen wollten.

Auch er lenkte sein Tier zum Fluss hinüber, und als er das Ufer erreicht hatte, gab er dem Kalb Tritte mit den Fersen, damit es auch weit genug springe und ihn sicher auf das andere Ufer bringe. Stattdessen aber wurde das Tier vor Schreck scheu, brach aus und kam mitten auf dem Fluss nach dem Sprung auf einem großen Baumstamm zu stehen, der im seichten Wasser nahe dem Ufergebüsch trieb. Der alte Braham griff nach den Zweigen vor sich, dabei riss er dem Kalb den Zügel aus dem Maul. Das Tier verwandelte sich in eine rote Eidechse und versank im Fluss. Mit dem Zügel in der Hand gelang es dem Alten, auf dem Baumstamm festen Halt zu gewinnen. Kaum aber hatte er aufgeatmet, da sprang eine große blaue Katze aus den Erlensträuchern auf seinen Rücken und riss ihm den Zügel fort.

»So«, sprach die große blaue Katze, »jetzt werde ich auf dir zum Hexentanzplatz reiten. Wenn du meinst, du müsstest dein rotes Kalb zu Tode hetzen, gut und schön. Nun bist du zur Stelle, .und jetzt wirst du mich tragen. Ich wusste, dass einer der sieben Hexenmeister nicht mit von der Partie war. Auf zum Scraggly-Gebirge. Hühott!«

Die Katze zerrte am Zügel und schlug den alten Braham mit der Pfote einmal auf die linke und dann wieder auf die rechte Wange. Was blieb dem Alten übrig, ob er wollte oder nicht, er musste das Teufelsvieh zum Hexentanzplatz tragen.

Am Abhang des Gebirges, als der Weg beschwerlich wurde und er schnaufen musste, sprang die Katze auf seinem Rücken auf und nieder und schlug ihn mit dem Zügelende, damit er rascher ging. Schließlich erreichten sie eine Lichtung in der Nähe des Tanzplatzes. Die blaue Katze führte ihr Pferd zu einem Baum, band es dort an und machte ihm klar, dass es sich nicht von der Stelle rühren dürfe und zur Hand sein müsse, wenn sie vom Tanzen zurückkomme.

Bis dahin verging eine lange Zeit, und als die große blaue Katze wieder erschien, war sie müde und schläfrig und teilte dem in ein Pferd verwandelten Alten mit, ehe sie auf ihm zurückreite, wolle sie erst noch eine Weile schlafen. Sie streckte sich unter dem nächsten Baum aus, und bald hörte Braham ein lautes Schnarchen. Wie er die Katze dort so liegen sah, sann der Alte darüber nach, ob er sich nicht aus seiner Verzauberung befreien könne.

Es muss mir nur gelingen, überlegte er, den Hexenzügel aus meinem Mund zu zerren und ihn in das Maul der Katze zu stopfen. Er versuchte es, und mit einiger Mühe gelang es ihm, den Zügel aus seinem Maul loszumachen. Leise schlich er zur Katze hinüber, legte ihr den Zügel um das Maul und zerrte daran, um sie nun aufzuwecken. Die große blaue Katze sprang im Augenblick hoch, fauchte und begann mit den Pfoten um sich zu schlagen.

»Nur ruhig«, sagte der alte Braham, »als es bergauf ging, war ich dein Pferd. Nun, da es bergab geht, wirst du mich tragen. Du musst zugeben, dass du immer noch recht gut wegkommst.«

Die Katze schien einzusehen, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als zu gehorchen, und so kletterte der Alte auf ihren Rücken und ritt talwärts.

Der alte Mann war schwer, und unterwegs verlor die Katze all ihre Wildheit und ihren Mut. Ihre Pfoten waren nicht an solche Lasten gewöhnt und begannen zu bluten. Da ritt der Alte mit ihr zu einer Schmiede, ließ die Pfoten mit Hufeisen beschlagen und weiter ging's. Als sie nun ins Dorf kamen, blieb die Katze plötzlich vor einer der Hütten stehen und wollte nicht weiter.

Da sie ihn bis dahin brav getragen hatte, bekam Braharn Mitleid mit ihr.

Ich will sie in dieses Haus führen und sehen, was dann geschieht, dachte er neugierig.

Kaum aber hatte er den Fuß auf die Schwelle der Hütte gesetzt, da verwandelte sich die große Katze in ein altes Hexenweib, das unter bösem Lachen zu Braham sagte:

»Haha. Jetzt siehst du, wer ich bin. Im bin eine alte, mächtige Hexe. Ich werde dich verzaubern, und du wirst sterben müssen

»Nun langsam«, antwortete Braham, »ich fürchte, du täuschst dich. Ich bin dein Herr und Meister. Noch hast du den Hexenzügel im Mund. Nett von dir, dass du so lange still gehalten hast, denn jetzt werde ich dich hier festbinden, heimgehen und eine silberne Kugel' gießen. Dann komme ich zurück und töte dich.«

Die alte Hexe jammerte und flehte um Gnade, aber Braham ließ sich nicht rühren. Er band sie mit einer Kette an einen Stuhl fest und ging darauf heim.

Kurz nachdem Braham weggegangen war, ging die Sonne auf, und es wurde Tag. Da kam ein Mann daher, der die Hexe bitten wollte, seinen behexten Sohn zu erlösen. Als er das alte Weib an den Stuhl gefesselt sah, war er froh. Sie aber redete auf ihn ein und versprach ihm, falls er sie losmache, nie mehr seine Familie mit Zauberei zu belästigen und zudem seinen Sohn von dem Bann zu befreien. Um ihre guten Absichten zu unterstreichen, zog sie einen silbernen Ring vom Finger und gab ihn dem Mann. Der ging hinaus und kam bald darauf mit einer Zange wieder und befreite die Hexe.

Kaum war der Mann fort, da schlich sich die Hexe zu einem großen Schrank. Dort holte sie eine glänzende Blechpfanne, ihre Hexenpfanne, hervor und setzte sich damit auf das Fensterbrett. Sie ließ die Sonnenstrahlen auf das funkelnde Blech fallen. Das sah aus, als ob Funken aufzuckten. Sie beklopfte das Blech und murmelte dazu:

»Ich hier, die mit der blitzenden Pfanne, verschreibe erneut meine Seele wie meinen Leib dem Teufel unter der Bedingung, dass er Ebenezer Braham sterben lässt. Dies soll so gewiss sein wie der Sonnenaufgang morgen früh, und Braham soll Schmerzen leiden, unerträgliche Schmerzen von nun an bis zur Stunde seines Todes. Dazu verhelfe mir der Teufel.«

Doch während die alte Hexe ihre Beschwörung vorbereitet hatte, war auch der alte Braham nicht faul gewesen. Er war heimgelaufen und hatte eine silberne Kugel gegossen. Eine gute Zeit verging, ehe das Geschoß fest geworden war und die Büchse damit geladen werden konnte. Unterdessen hatte Braham auch ein ungefähres Bild von der Alte Hexe auf ein Stück Papier gezeichnet. Plötzlich spürte er, wie der Bann der Hexe über ihn kam.

Schnell griff er nach seinem Gewehr, nahm das Papier mit dem Hexenbild, rannte ins Freie und hängte die Zeichnung an einen Baum.

Dann trat er ein paar Schritte zurück und schoss.

Die Silberkugel traf das Bild der Hexe und schlug darauf in die Rinde des Baumes.

Gerade in diesem Augenblick war die Hexe mit ihren Beschwörungen zu Ende gekommen und wollte das letzte Wort sagen. Plötzlich griff sie sich mit der Hand zum Herzen und rief laut:

»O mein Gott, man schießt auf mich. Ich muss sterben!« Und darauf sank sie tot zusammen.