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Der Hexenmeister und sein Lehrling


Ein armes Weib ging einst durch einen dunklen Wald und führte an der Hand ihr jüngstes Söhnlein. Und wie sie so ging, weinte sie vor sich hin, denn sie hatte viele Kinder, und es fehlte ihr an Mitteln, sie ordentlich zu nähren und zu erziehen.

Da erhebt sich plötzlich ein Mann, der unter einer Eiche gesessen, und als er die heißen Tränen des Weibes sieht, fragt er sie nach der Ursache ihres Kummers, und sie erzählt ihm von ihrer Not. Der Unbekannte tröstet sie und sagt, er sei ein Schneider und wolle den kleinen Burschen in seine Dienste nehmen und ihn nach drei Jahren lossprechen. Aber das war eine Lüge, der Mann war kein Schneider, sondern ein großer Hexenmeister. Die Mutter war nun einer Sorge enthoben und ging voll Freude nach Hause.

Der Mann aber nahm den kleinen Hans bei der Hand und führte ihn in eine Höhle. Da musste nun der kleine Hans die Schwarze Kunst erlernen, und es dauerte nicht lange, so übertraf er darin noch seinen Lehrmeister. Eines Tages, es war gegen Ende des dritten Jahres, entwich er aus der Höhle des Zauberers und eilte zu seiner Mutter.

Die gute Mutter weinte Freudentränen, als sie ihren Sohn so groß und stark wiedersah. Hans aber sprach: ,,In einer Woche, liebes Mütterchen, sind's drei Jahre her, dass ich bei meinem Meister in der Lehre bin, und Ihr müsst dann zu ihm hingehen und verlangen, dass er mich losspricht. Er wird Euch eine Schar Tauben zeigen und haben wollen, dass Ihr Euren Sohn darunter herausfindet. Denn die Tauben, müsst Ihr wissen, sind eigentlich keine Tauben, sondern lauter junge Burschen, die er in die Lehre genommen hat. Wenn er den Tauben Erbsen vorstreut, so müsst Ihr nur darauf achthaben, welche unter ihnen gar nicht fressen will, sondern vor Freude immer mit den Flügelchen schlägt, denn das wird Euer Söhnlein sein."

Eine Woche darauf ging die Mutter zum Hexenmeister und verlangte ihren Sohn zurück. Der Alte nahm eine kupferne Trompete, blies darauf nach allen Seiten, und eine Schar Tauben kam herbeigeflogen. Der Hexenmeister streute ihnen Erbsen vor, und während alle eifrig pickten, befahl er ihr, den Sohn herauszufinden. Die Frau aber achtete nur auf die eine, die gar nicht fressen wollte, sondern immer nur freudig umherhüpfte und mit den Flügelchen schlug. Auf diese Taube wies sie mit den Fingern, und der Hexenmeister musste ihr den Sohn herausgeben.

Hans, der nun alle Zauberkünste verstand, sprach zu Hause zu seinem alten Vater, der ein ehrlicher, aber armer Schuhflicker war: ,,Ich will Euch schon reich machen, aber auf einmal geht das nicht. Ich will mich zuerst in eine Kuh verwandeln, dann in einen Ochsen und dann in ein Schaf. Und Ihr führt mich jedes Mal auf den Markt und bekommt ein hübsches Stück Geld für mich. Hütet Euch aber, mich in ein Pferd zu verwünschen, denn dann geht der Vorteil für Euch verloren, und mir wird ein Leid geschehen."

Der Schuhflicker verwünschte also zuerst seinen Sohn in eine Kuh, dann in einen Ochsen und dann in ein Lamm, und immer machte er einen guten Handel. Für das Geld baute er sich eine neue Hütte, und von nun an litt er keinen Hunger mehr. Aber seine Habsucht ließ ihm keine Ruhe. Trotz des Sohnes Warnung, ihn ja in kein Pferd zu verwünschen, führte er den armen Buben zu Markt. Dort wartete schon der Hexenmeister, kaufte das Pferd und gab so viel dafür, dass ihm der habgierige Vater auch noch den Halfter überließ.

So hat nun der Zauberer den klugen Hans abermals in seinem Netz gefangen. Er führt ihn in einen Stall, bindet ihn an eine Kette, gibt ihm nichts zu essen und schlägt ihn jämmerlich mit der Peitsche. Das arme Pferdchen ächzt so vor Schmerz, dass endlich die Dienstmagd des Hexenmeisters sich seiner erbarmt. Sie geht in den Stall und reicht dem hungrigen Pferd etwas Futter, und weil sein Unglück ihr Herz rührt, macht sie die Kette los.

Hans nahm sogleich seine natürliche Gestalt an, dankte dem Mädchen und flog aus Furcht vor seinem Meister als Sperling auf das Dach, wo er anfing, vor Freude zu zwitschern.

Aber der Zauberer erkannte den Burschen in der Sperlingsgestalt. Sogleich verwandelte er sich selbst in eine schwarze Krähe und verfolgte das arme Vögelchen. Der Sperling flog, so schnell er konnte, aber die wütende Krähe war dicht hinter ihm. Endlich fiel er erschöpft in des Königs Garten nieder, und die wütende Krähe flatterte schon mit geöffnetem Schnabel über ihm. Im letzten Augenblick konnte sich Hans noch in einen Zaunkönig verwandeln. Darauf wurde der Hexenmeister ein Sperling, und so ging die Jagd von neuem los.

Zu derselben Zeit aber ging die Prinzessin im Garten spazieren. Da bemerkte sie den Kampf zwischen den beiden Vögeln, und sie dachte. Du lieber Gott, was ist doch unter diesen kleinen Tierchen für eine Feindschaft ! Alles führt Krieg auf dieser Welt !

Da aber Hans alle seine Lebenskräfte erschöpft hatte und dem wütenden Sperling nicht mehr entrinnen konnte, verwandelte er sich in einen schönen Ring und sprang der Prinzessin auf den Finger. Der Sperling suchte ihn nun überall, bis er endlich den Streich seines Lehrlings durchschaute. Aber noch wollte er den Kampf nicht aufgeben.

Kaum war die Prinzessin in ihr Gemach gekommen, so erblickte sie voll Verwunderung den schönen Ring an ihrem Finger. Aber im selben Augenblick verwandelt sich der Ring, und der schmucke Hans steht vor ihr. Der Bursche erzählt ihr von seiner Not und warnt sie vor dem Hexenmeister, der gewiss an ihren Hof kommen werde, um ihr den Ring abzulisten. ,,Und wenn der Meister ihn in die Hand bekommt", sagt Hans, ,,dann ist's um mich geschehen. Am besten ist's, Ihr werft den Ring mit voller Wucht zur Erde, wenn Euch jener allzu sehr bedrängen sollte."

Am nächsten Tag kam, wie befürchtet, der Zauberer an den Hof, als Prinz verkleidet und mit einer großen Dienerschaft. Kaum war er der Prinzessin vorgestellt, so bat er sie schon, ihm den Ring zu zeigen. Die Prinzessin aber, die Hans indes liebgewonnen hatte, reichte dem Hexenmeister nicht einmal die Hand. Der aber ließ nicht nach, mit Bitten in sie zu dringen. Da warf sie den Ring heftig zur Erde, und sogleich kollerte da eine große Menge Erbsen umher.

Der Zauberer blies nun auf seiner kupfernen Trompete nach allen vier Weltgegenden hin, und ein ganzer Schwarm Tauben kam herbeigeflogen, und sie fraßen die Erbsen auf. Nur ein einziges Erbsenkorn hatte sich in die weiße Hand der Prinzessin schieben können. Geschwind warf sie es wieder auf die Erde, und aus der Erbse fiel eine Unzahl kleiner schwarzer Mohnkörner.

Da blies der Zauberer wieder auf seiner kupfernen Trompete nach allen vier Weltgegenden hin, und es kamen viele, viele Sperlinge geflogen. Und damit der Mohn noch schneller aufgepickt werde, verwandelte sich der Zauberer selbst in einen Sperling.

Darauf aber hatte Hans nur gewartet. Sogleich verwandelte er sich in eine Krähe, die biss den bösen Hexenmeister tot.