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Die gute Mutter


Irgendwann war einmal eine Mutter, die hatte eine kleine Tochter. Die Mutter war sehr arm. Und sie ging daher täglich aus dem Haus, um zu arbeiten. Das kleine Mädchen pflegte sie bei einer Nachbarin zu lassen.

An einem von den Tagen, an denen sie ihre kleine Tochter zurückgelassen hatte und zur Arbeit gegangen war, kam eine sehr böse Frau durch das Dorf und raubte das Kind.

Die Mutter kehrte abends heim und fand nirgends ihr Kind. Sie fing zu weinen und wehklagen an. Da sagt eine andere zu ihr: »Ach wein doch nicht! Es nützt ja nichts. Ich glaube, in den Morgenstunden ist hier eine böse Frau aus den Wäldern durchgekommen, und es ist schon möglich, dass sie auch dein Kind geholt hat.«

Die Frau brach aber in Weinen und Wehklagen aus, suchte an der einen Stelle herum, suchte an der anderen herum. Sie konnte das Kind nicht finden. Dann lief sie auf die Berge hinauf. Dabei geriet sie in die Dunkelheit.

Sie sieht von weitem Licht, geht auf das Licht zu, geht, geht, bis der Tag wieder kam; da stand sie vor einem Haus, tritt ein und erblickt in einer Ecke eine alte Frau, die dort saß. Sie sagte der guten Tag, die drehte sich um und sah sie mit wilden, bösen Augen an. »Was willst du?« fragt sie diese Alte dann auf grobe, barbarische Art. Sie erwidert ­ »Ich will mein Kind! Hast du's vielleicht gesehen? Kam vielleicht eine Frau hier vorbei, irgendeine, die was trug?« Darauf sagt die alte Frau: »Setz dich also hin, und ich werde mit dir reden. Wenn du alle Arbeiten für mich tust, die ich dir auftrage, werd ich dir auch das Haus zeigen, in dem eine Frau mit deinem Kind haust. «

Hm, der Frau wurde ein wenig leichter zumute, und sie begann, die Arbeiten zu machen. Als erstes knetete sie Teig, machte Feuer im Backofen, buk Brote für die Alte, danach scheuerte sie, tünchte dann das Haus weiß wie Milch, wusch die Wäsche der Alten, bügelte die Wäsche... Und dann setzte sich die Frau geduldig, aber in Spannung, vor der Alten hin, damit sie ihr nun den Ort sagt, wo ihr Kind sich befände. Da spricht die Alte: »Du musst auf den Berg dort gegenüber gehen, und dort haust eine wilde, böse Frau, die wir alle >Zigeunerin< nennen. Die nun hat vor ihrer Tür einen an die Kette gebundenen Wolf, der, sobald er einen Menschen wittert, in Geheul ausbricht ­ und dann würde die wach und du würdest entdeckt ­ und wehe dir, was dann mit dir geschähe! Du musst daher, wenn du dorthin läufst, das Messer hier mitnehmen und dir ein Stückchen aus deinem Schenkel schneiden, aus der Hinterbacke ­ das musst du dem Wolf vorwerfen, und dann lauf hinein! Wenn du sie erblickst, und sie hat die Augen offen, so schläft sie, sind ihre Augen zu, schläft sie nicht, und ­ sollten sie offen sein ­ so ergreifst du dein Kind und machst dich davon!«

Nun war jene Frau auch mit Freuden imstande, sich ins Bein zu schneiden, um sich für ihr Kind zu opfern.

Sie greift also nach dem Messer und läuft auf die Stelle zu, die ihr die Alte gewiesen hatte. Sie lief also. Kaum ist sie dann dem Haus gegenüber, erblickt sie ein wildes Tier, einen sehr großen Wolf, der ist an die Kette gebunden.

Wie der die Schnauze öffnen will, um in Geheul auszubrechen, packt sie das Messer, schneidet sich aus dem Schenkel ein Stück Fleisch und wirft's dem Wolf vor. Während er es frisst, geht die Frau hinein ­ jene hatte die Augen offen ­, lädt sich das Kind auf die Schultern und, als sie hinaus auf den Hof kommt, schneidet sie sich ein zweites Stück aus dem andern Schenkel, wirft's dem Wolf vor und rennt hinaus. Sie ist also davon gerannt.

Dann begann sie in die Wälder zu laufen, in die Berge. Und nun weinte sie auch. Wunden waren ja in ihren Schenkeln, und ihre Kleider wurden im Gestrüpp zu Fetzen. Als sie weiterlief, schimmerte das Meer. Da erblickt sie eine Barke, die rudert heran. Nun schrie sie: »Schifflein, mein Schifflein ­ Schiffer, mein Schiffer!« Stunden schrie sie dort. Hin, die Barke war dabei, ans Ufer zu kommen ­ so wollen wir sagen ­, und die Stimme wurde gehört, und man beschleunigte den Lauf.

ja, die Barke kam also ans Gestade, und die Frau machte sich daran, ihr Kind hineinzusetzen, und dann fuhr sie in ihr Dorf hinüber. Als die Leute aus dem Dorf sie vor Augen bekamen, feierten alle gemeinsam aus lauter Freude ein Fest, und jene feierte noch mehr als die anderen.

Ende des Märchens!


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt.