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Jim und das
Gespenst
Es dämmerte, über dem Moor lagen Nebelschwaden, im Schilf
ertönte der klagende Schrei einer Ralle... a-ach, a-ach! Auf dem schlammigen Weg fuhren vom Wald her fünf mit Waren beladene Planwagen. Die
Fuhrmänner schauten sich nach einem Nachtlager um. Hinter einer Wegbiegung entdeckten sie zwischen alten Ahornbäumen ein großes Haus. Aber
es lag völlig dunkel da, nicht ein einziges Fenster war erleuchtet. Die Fuhrleute hielten an, gingen hin und klopften an das Tor. Doch niemand öffnete. "Da klopft ihr vergebens", rief ein alter Schafhirte, der seine Herde
vorübertrieb. ,,Niemand wird euch öffnen. Das Haus ist schon seit zwölf Jahren
unbewohnt, weil es drinnen spukt." "Also, in einem Spukhaus verbringe ich keine Stunde", sagte der Fuhrmann Jack.
Dann ging er zu seinem Wagen und trieb die Pferde an, und der Wagen knatterte auf dem
holprigen Weg weiter. Jack wollte im Wald übernachten. Die anderen Fuhrleute standen noch eine Weile unschlüssig vor dem Tor, dann beschlossen
auch sie, die Nacht im Wald zu verbringen. Nur der Fuhrmann Jim lachte. "Was seid ihr für Männer! Fürchtet euch vor einem
leeren Haus. Deckt euch im Wald doch mit Nebelschwaden zu und taucht eure Füße in den
Bach, damit sie euch nicht abfrieren!" Und er öffnete das Tor und ging in das Haus. Im Flur hing eine alte Laterne. Er hielt ein
Streichholz an den Docht und ging weiter. Die Stube war sauber und aufgeräumt. Vor dem
Kamin lag ein Stapel Holzscheite, und der Tisch war gedeckt. Jim machte Feuer im Kamin und kochte sich im Kessel Bohnen mit Speck. Nach dem Essen holte er aus dem Keller eine Flasche Wein und trank sie am Kaminfeuer leer.
Draußen lag noch immer dichter Nebel, und der Regen plätscherte, dass es klang, als
seufzte die Nacht wie ein frierender Hund. Als Jim schläfrig wurde, legte er sich in eines der Betten, deckte sich mit einer weichen
Daunendecke zu und fiel sofort in tiefen Schlaf. Er schlief ruhig, die ganze Nacht,
niemand störte ihn. Als es zu dämmern begann, erwachte Jim, und gleich dachte er an die anderen Fuhrleute,
die gewiss keine so angenehme Nacht verbracht hatten. "Diese Dummköpfe hätten ruhig
auch über Nacht hier bleiben und sich schön im Warmen ausschlafen können", sagte
er laut. Da öffnete sich die Tür zum Nebenzimmer, der Fußboden knarrte, das Fenster klirrte, als
rüttelte ein Windstoß daran, und in der Tür stand ein Gespenst. Mit langen Schritten näherte es sich dem Bett, und ehe Jim, der Fuhrmann, aufspringen
konnte, stürzte es sich auf ihn und umklammerte mit knochigen Händen seinen Hals. Aber Jim war keiner von denen, die schnell aufgeben. Er wehrte sich mit Händen und
Füßen und schrie, so gut einer schreien kann, wenn er einem Gespenst in die Finger
geraten ist. Jim schrie so laut, dass ihn die anderen Fuhrleute im Wald hörten. Sie sprangen auf,
ließen alles stehen und liegen und liefen zu dem alten Haus. Aber hinein gingen sie nicht! Sie duckten sich, schlichen unters Stubenfenster und streckten, einer nach dem anderen,
vorsichtig ihre Köpfe empor. Jei,was bekamen sie da zu sehen! In der Stube waren Tisch und Stühle kurz und klein
geschlagen, und vor dem Kamin wälzte sich das Gespenst mit Jim auf dem Boden. "Man muss ihm Mut machen", flüsterte Jack. Dann sprang er auf und rief durch
das offene Fenster: "Halt es fest, Jim, halt es gut fest!" "Was glaubst du, tue ich hier die ganze Zeit", antwortete Jim. "In dem Augenblick schleuderte das Gespenst Jim zur Tür hinaus. "He!" riefen die anderen Fuhrleute, "Jim lässt sich von einem Gespenst
unterkriegen!" Das wollte Jim nicht auf sich sitzen lassen. "Ich wette um ein Paar neue Stiefel, dass ich ihm schwer zu schaffen machen
werde!" rief er. Dann lehnte er sich mit aller Kraft gegen die Tür, riss
sie aus den
Angeln und wälzte sich erneut mit dem Gespenst auf dem Boden. Nach einer Weile gelang es dem Gespenst, Jim zum Fenster hinauszuwerfen. "Das wirst du dir doch nicht etwa gefallen lassen!" riefen die Gefährten. Und
Jim sprang von neuem in die Stube und packte das Gespenst an der Kehle. "Ich werde es schon noch auf die Schultern legen", rief er. Aber das Gespenst schloss Jim fest in die Arme und erhob sich mit ihm, und beide flogen
zum Dach hinaus. Jim konnte gerade noch rufen: "Ich halte es fest, aber es
lässt mich auch nicht los." Da verwandelten sich das Gespenst und Jim in zwei Raben, die krächzend über dem dunklen
Wald verschwanden.
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