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Das Gespenst von Canterville
Kapitel 2 Als am nächsten Morgen die Familie Otis zum Frühstück zusammenkam, wurde das Gespenst natürlich des längeren besprochen. Der Gesandte der Unionstaaten war selbstverständlich etwas ungehalten, dass sein Geschenk so missachtet worden war. »Ich habe durchaus nicht die Absicht,« erklärte er, »dem Geist irgendeine persönliche Beleidigung zuzufügen, und ich muss sagen, dass es aus Rücksicht auf die lange Zeit, die er nun schon hier im Hause wohnt, nicht höflich ist, ihn mit Kissen zu bewerfen« – eine sehr wohlangebrachte Bemerkung, bei welcher, wie ich leider gestehen muss, die Zwillinge in ein lautes Gelächter ausbrachen. »Andererseits,« fuhr Mr. Otis fort, »wenn er wirklich und durchaus den Rising Sun Lubricator nicht benutzen will, so werden wir ihm seine Ketten wegnehmen müssen; bei dem Lärm auf dem Korridor kann man ganz unmöglich schlafen.« Die Schloss Bewohner blieben jedoch die ganze Woche hindurch ungestört, und das einzige, was ihre Aufmerksamkeit erregte, war die beständige Erneuerung des Blutflecks auf dem Boden der Bibliothek. Das war jedenfalls sehr sonderbar, da die Türe und das Fenster des Nachts immer fest verschlossen und verriegelt waren. Auch die wechselnde Farbe des Fleckes rief die verschiedensten Vermutungen hervor. Denn zuweilen war er ganz mattrot, dann wieder leuchtend, oder auch tiefpurpurn, und als einmal die Familie zur Vesper herunterkam, fand sie ihn hell smaragdgrün! Diese koloristischen Metamorphosen amüsierten natürlich die Gesellschaft sehr, und jeden Abend wurden schon Wetten darüber geschlossen. Die einzige, welche nicht auf diesen und keinen andern Scherz einging, war die kleine Virginia, die aus irgendeinem unaufgeklärten Grunde immer sehr betrübt beim Anblick des Blutflecks war und an dem Morgen, an dem er smaragdgrün leuchtete, bitterlich zu weinen anfing. Das zweite Auftreten des Gespenstes war am Sonntagabend. Kurz nachdem auch die männlichen Erwachsenen zu Bett gegangen waren, wurden sie plötzlich durch ein furchtbares Getöse in der Eingangshalle aufgeschreckt. Alle stürzten hinunter und fanden dort, dass eine alte Rüstung von ihrem Ständer auf den Steinboden gefallen war, während das Gespenst von Canterville in einem hochlehnigen Armstuhl saß und sich seine Knie mit einer Gebärde verzweifelten Schmerzes rieb. Die Zwillinge hatten ihre Flitzbogen mitgebracht und schossen zweimal nach ihm mit einer Treffsicherheit, die sie sich durch lange sorgfältige Übungen nach ihrem Schreiblehrer erworben hatten. Der Gesandte der Unionstaaten richtete unterdessen seinen Revolver auf den Geist und rief ihm nach kalifornischer Etikette zu: »Hände hoch!« Der Geist fuhr mit einem wilden Wutgeheul in die Höhe und mitten durch die Familie hin wie ein Rauch, indem er noch Washingtons Kerzenlicht ausblies und sie alle in völliger Dunkelheit zurückließ. Oben an der Treppe erholte sich das Gespenst wieder und beschloss, in sein berühmtes diabolisches Gelächter auszubrechen; das hatte sich ihm bei mehr als einer Gelegenheit schon nützlich erwiesen. Es soll Lord Rakers Perücke in einer einzigen Nacht gebleicht haben und hat jedenfalls drei der französischen Gouvernanten von Lady Canterville so entsetzt, dass sie vor der Zeit und ohne Kündigung ihre Stellungen aufgaben. So lachte es denn also jetzt dieses sein fürchterlichstes Lachen, bis das alte hochgewölbte Dach davon gellte; aber kaum war das letzte grausige Echo verhallt, da öffnete sich eine Tür, und Mrs. Otis kam heraus in einem hellblauen Morgenrock. »Ich fürchte, Ihnen ist nicht ganz wohl,« sagte sie, »und deshalb bringe ich Ihnen hier eine Flasche von Dr. Dobells Tropfen. Wenn es Verdauungsbeschwerden sind, so werden Sie finden, dass sie ein ganz vorzügliches Mittel sind.« Der Geist betrachtete sie zornrot und wollte sich auf der Stelle in einen großen schwarzen Hund verwandeln – ein Kunststück, wodurch er mit Recht berühmt war und dem der Hausarzt die Geistesgestörtheit von Lord Cantervilles Onkel, Herrn Thomas Horton, zuschrieb. Da hörte er aber Schritte, und das ließ ihn von seinem grausen Vorhaben abstehen; er begnügte sich damit, phosphoreszierend zu werden, und verschwand mit einem dumpfen Kirchhofswimmern gerade in dem Moment, als die Zwillinge auf ihn zukamen. Als der Geist sein Zimmer erreicht hatte, brach er völlig zusammen und verfiel in einen Zustand heftiger Gemütsbewegung. Die Rohheit der Zwillinge und der krasse Materialismus von Mrs. Otis waren natürlich außerordentlich verstimmend; aber was ihn am meisten betrübte, war doch dass er die alte Rüstung nicht mehr hatte tragen können. Er hatte gehofft, dass sogar moderne Amerikaner erschüttert sein würden beim Anblick eines Gespenstes in Waffenrüstung, wenn auch aus keinem andern vernünftigen Grunde, so doch aus Achtung vor ihrem Nationalpoeten Longfellow, bei dessen graziöser und anziehender Poesie er selbst so manche Stunde hingebracht hatte, während die Cantervilles in London waren. Und dabei war es noch seine eigene Rüstung! Er hatte sie mit großem Erfolg auf dem Turnier in Kenilworth getragen und darüber von niemand Geringerem als der jungfräulichen Königin selber viel Schmeichelhaftes gesagt bekommen. Und als er die Rüstung heute anlegen wollte, hatte ihn das Gewicht des alten Panzers und Stahlhelmes so erdrückt, dass er darunter zu Boden gestürzt war, sich beide Knie heftig zerschlagen und die rechte Hand verstaucht hatte. Mehrere Tage lang fühlte er sich nach diesem Vorfall ernstlich krank und verließ sein Zimmer nur, um den Blutfleck in Ordnung zu halten. Da er sich sonst jedoch sehr schonte, erholte er sich bald wieder und beschloss, noch einen dritten Versuch zu machen, den Gesandten und seine Familie in Schrecken zu jagen. Er wählte zu diesem seinem Auftreten Freitag, den 13. August, und beschäftigte sich den ganzen Tag damit, seine Kleidervorräte zu prüfen, bis er schließlich einen großen weichen Hut mit roter Feder, ein Laken mit Rüschen an Hals und Armen und einen rostigen Dolch wählte. Gegen Abend kam ein heftiger Regenschauer, und der Sturm rüttelte gewaltig an allen Türen und Fenstern des alten Hauses. Das war gerade das Wetter, wie er es liebte. Sein Plan war folgender: er wollte sich ganz leise nach Washingtons Zimmer schleichen, ihm vom Fußende des Bettes aus wirres Zeug vorschwatzen und sich dann beim Klange leiser geisterhafter Musik dreimal den Dolch ins Herz stoßen. Er war auf Washington ganz besonders böse, weil er wusste, dass dieser es war, der immer wieder den Blutfleck mit Pinkertons Fleckenreiniger entfernte. Wenn er dann den frivolen und tollkühnen Jüngling in den namenlosen Schrecken versetzt hatte, so wollte er sich nach dem Schlafzimmer von Herrn und Frau Otis begeben und dort eine eiskalte Hand Mrs. Otis auf die Stirn legen, während er ihrem zitternden Mann die entsetzlichen Geheimnisse des Beinhauses ins Ohr zischelte. Was die kleine Virginia anbetraf, so war er über sie noch nicht ganz im reinen. Sie hatte ihn nie in irgendeiner Weise beleidigt und war hübsch und sanft. Einige tiefe Seufzer aus dem Kleiderschrank würden mehr als genug für sie sein, dachte er, und wenn sie davon noch nicht aufwachte, so könnte er ja mit zitternden Fingern an ihrem Betttuch zerren. In Bezug auf die Zwillinge war er aber fest entschlossen, ihnen eine ordentliche Lektion zu erteilen. Das erste war natürlich, dass er sich ihnen auf die Brust setzte, um das erstickende Gefühl eines Alpdrückens hervorzurufen. Dann würde er, da ihre Betten dicht nebeneinander standen, in der Gestalt eines grünen, eiskalten Leichnams zwischen ihnen stehen, bis sie vor Schrecken gelähmt wären; und zum Schluss wollte er mit weißgebleichten Knochen und einem rollenden Augapfel ums Zimmer herumkriechen als ›Stummer Daniel oder das Skelett des Selbstmörders‹. Diese Rolle hatte bei mehr als einer Gelegenheit den allergrößten Effekt gemacht und schien ihm ebenso gut zu sein wie seine berühmte Darstellung des ›Martin, des Verrückten, oder das verhüllte Geheimnis‹. Um halb elf Uhr hörte er die Familie zu Bette gehen. Er wurde noch einige Zeit durch das Lachgebrüll der Zwillinge gestört, die mit der leichtfertigen Heiterkeit von Schuljungen sich augenscheinlich herrlich amüsierten, ehe sie zu Bett gingen; aber um ein Viertel zwölf Uhr war alles still und als es Mitternacht schlug, machte er sich auf den Weg. Die Eule schlug mit den Flügeln gegen die Fensterscheiben, der Rabe krächzte von dem alten Eichbaum, und der Wind ächzte durch das Haus wie eine verlorene Seele; aber die Familie Otis schlief, unbekümmert um das nahende Verhängnis, und durch und trotz Regen und Sturm hörte man das regelmäßige Schnarchen des Gesandten der Union. Da trat der Geist leise aus der Vertäfelung hervor, mit einem bösen Lächeln um den grausamen, faltigen Mund, so dass sogar der Mond sein Gesicht verbarg, als er an dem hohen Fenster vorüberglitt, auf dem das Wappen des Gespenstes und das seiner ermordeten Frau in Gold und Hellblau gemalt waren. Leise schlürfte er weiter, wie ein böser Schatten; die Dunkelheit selber schien sich vor ihm zu grausen, wie er vorbeihuschte. Einmal kam es ihm vor, als hörte er jemand rufen; er stand still; aber es war nur das Bellen eines Hundes auf dem nahen Bauernhof, und so schlich er weiter, während er wunderliche Flüche aus dem sechzehnten Jahrhundert vor sich hin murmelte und dann und wann mit dem rostigen Dolch in der Luft herumstach. Nun hatte er die Ecke des Korridors erreicht, der zu des unglücklichen Washington Zimmer führte. Einen Augenblick blieb er da stehen, und der Wind blies ihm seine langen grauen Locken um den Kopf und spielte ein phantastisches und groteskes Spiel mit den unheimlichen Falten des Leichentuchs. Da schlug die Uhr ein Viertel, und er fühlte, jetzt sei die Zeit gekommen. Er lächelte zufrieden vor sich hin und machte einen Schritt um die Ecke; aber kaum tat er das, da fuhr er mit einem jammervollen Schreckenslaut zurück und verbarg sein erblasstes Gesicht in den langen knochigen Händen: gerade vor ihm stand ein entsetzliches Gespenst bewegungslos wie eine gemeißelte Statue und fürchterlich wie der Traum eines Wahnsinnigen! Der Kopf war kahl und glänzend, das Gesicht rund und fett und weiß, und grässliches Lachen schien seine Züge in ein ewiges Grinsen verzerrt zu haben. Aus den Augen kamen rote Lichtstrahlen, der Mund war eine weite Feuerhöhle, und ein scheußliches Gewand, seinem eigenen ähnlich, verhüllte mit seinem schneeigen Weiß die Gestalt des Riesen. Auf seiner Brust war ein Plakat befestigt, mit einer sonderbaren Schrift in alten ungewöhnlichen Buchstaben – wohl irgendein Bericht wilder Missetaten, ein schmähliches Verzeichnis schauerlicher Verbrechen –, und in seiner rechten Hand hielt das Ungeheuer eine Keule von blitzendem Stahl. Da der Geist noch nie in seinem Leben ein Gespenst gesehen hatte, so war er natürlich furchtbar erschrocken; und nachdem er noch einen zweiten hastigen Blick auf die entsetzliche Erscheinung geworfen hatte, floh er nach seinem Zimmer zurück, stolperte über sein langes Laken, als er den Korridor hinunterraste, und ließ schließlich noch seinen Dolch in die hohen Jagdstiefel des Gesandten fallen, wo ihn der Kammerdiener am nächsten Morgen fand. In seinem Zimmer angekommen, warf er sich auf das schmale Feldbett und verbarg sein Gesicht unter der Decke. Nach einer Weile jedoch rührte sich der tapfere alte Cantervillecharakter doch wieder, und der Geist beschloss, sobald der Tag graute, zu dem andern Geist zu gehen und ihn anzureden. Kaum begann es zu dämmern, da machte er sich auf und ging zur Stelle, wo seine Augen zuerst das grässliche Phantom erblickt hatten; denn er fühlte, es sei doch schließlich angenehmer, zwei Gespenster zusammen zu sein als eines allein, und dass er mit Hilfe dieses neuen Freundes erfolgreich gegen die Zwillinge zu Felde ziehen könne. Als er jedoch an die Stelle kam, bot sich ihm ein fürchterlicher Anblick. Dem Gespenst war jedenfalls ein Unglück passiert, denn in seinen hohlen Augen war das Licht erloschen, die glänzende Keule war seiner Hand entfallen, und es selber lehnte in einer höchst unbequemen gezwungenen Stellung an der Wand. Er stürzte vorwärts und zog es am Arme, da fiel zu seinem Entsetzen der Kopf ab, rollte auf den Boden, der Körper fiel in sich zusammen, und er hielt in seinen Händen eine weiße Bettgardine mit einem Besenstiel und einem Küchenbeil, während zu seinen Füßen ein hohler Kürbis lag! Unfähig, diese wunderbare Veränderung zu begreifen, packte er mit wilder Hast das Plakat, und da las er im grauen Licht des Morgens die fürchterlichen Worte:
Das
Otis-Gespenst. Jetzt war ihm alles klar. Man hatte ihn zum Besten gehabt, und er war hineingefallen. Der alte wilde Cantervilleblick kam in seine Augen; er kniff den zahnlosen Mund zusammen, und indem er seine knochigen Hände hoch in die Höhe warf, schwur er in der pittoresken Phraseologie des alten Stiles: wenn Chanticleer zum zweiten mal in sein lustiges Horn stieße, würden entsetzliche Bluttaten geschehen, und Mord würde auf leisen Sohlen durchs Haus schleichen. Kaum hatte er diesen furchtbaren Schwur zu Ende geschworen, als vom roten Ziegeldach eines Bauernhofes der Hahn krähte. Das Gespenst lachte ein langes, dumpfes, bitteres Lachen und wartete. Stunde auf Stunde verrann, aber der Hahn krähte aus irgendeinem Grunde nicht wieder. Endlich ließ ihn um halb acht das Kommen der Hausmädchen seine grausige Nachtwache aufgeben, und er ging nach seinem Zimmer, in tiefen Gedanken über seinen vergeblichen Schwur und sein vereiteltes Vorhaben. Er schlug in verschiedenen alten Ritterbüchern nach, was er außerordentlich liebte, und fand, dass noch jedes Mal, wo dieser Schwur getan, Chanticleer ein zweites Mal gekräht hatte. »Zum Teufel mit dem faulen Hahn!« brummte er; »hätte ich doch den Tag erlebt, wo ich mit meinem sicheren Speer ihm durch die Gurgel gefahren wäre, und da würde er, wenn auch schon im Sterben, für mich zweimal haben krähen müssen!« Hierauf legte er sich in einem bequemen bleiernen Sarg zur Ruhe und blieb da bis zum späten Abend. Am folgenden Tage war der Geist sehr schwach und müde. Die furchtbaren Aufregungen der letzten vier Wochen fingen an ihn anzugreifen, seine Nerven waren völlig kaputt, und beim geringsten Geräusch fuhr er erschreckt in die Höhe. Fünf Tage lang blieb er still auf seinem Zimmer und fand sich darein, die ewige Sorge um den Blutfleck in der Bibliothek aufzugeben. Wenn die Familie Otis den Fleck nicht zu haben wünschte, so war sie ihn auch nicht wert. Das waren überhaupt augenscheinlich Leute von ganz niederer Bildung und völlig unfähig, den symbolischen Wert eines Hausgespenstes zu würdigen. Die Frage nach überirdischen Erscheinungen und der Entwicklung der Himmelskörper war natürlich eine ganz andere Sache, aber die ging ihn nichts an. Seine heilige Pflicht war es, einmal in der Woche auf dem Korridor zu spuken und jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat von dem großen bunten Glasfenster aus in die Halle hinab wirres Zeug zu schwatzen: von diesen beiden Verpflichtungen konnte er sich ehrenhalber nicht freimachen. Gewiss war ja sein Leben ein äußerst böses gewesen, aber anderseits musste man zugeben, dass er in allen Dingen, die mit dem Übernatürlichen zusammenhingen, außerordentlich gewissenhaft war. Mit dieser Gewissenhaftigkeit wanderte er also an den folgenden drei Freitagen wie gewöhnlich zwischen zwölf und drei Uhr die Korridore auf und ab, gab aber schrecklich darauf acht, dass er weder gehört noch gesehen wurde. Er zog die Stiefel aus und trat so leise wie möglich auf die alten wurmstichigen Böden; er trug einen weiten schwarzen Samtmantel und gebrauchte den Rising Sun Lubricator gewissenhaft, um seine Ketten damit zu schmieren. Dies letzte Vorsichtsmittel benutzte er, wie ich zugeben muss, erst nach vielen Schwierigkeiten. Eines Abends jedoch, während die Familie gerade beim Essen saß, schlich er sich in Mr. Otis' Schlafzimmer und holte sich die Flasche. Zuerst fühlte er sich wohl ein wenig gedemütigt, aber schließlich war er doch vernünftig genug, einzusehen, dass diese Erfindung etwas für sich hatte, und jedenfalls diente sie bis zu einem gewissen Grade seinen Zwecken. Aber trotz alledem ließ man ihn noch immer nicht ganz unbelästigt. Beständig waren Stricke über den Korridor gespannt, über die er im Dunkeln natürlich fiel; und eines Abends, als er gerade als ›Schwarzer Isaak oder der Jäger vom Hogleywald‹ angezogen war, stürzte er plötzlich heftig zu Boden, weil er auf einer Schleifbahn von Butter, welche die Zwillinge vom Tapetenzimmer bis zur Eichentreppe hergerichtet hatten, ausgeglitten war. Diese letzte Beleidigung brachte ihn so in Wut, dass er beschloss, nur noch eine letzte Anstrengung zu machen, um seine Würde und seine gesellschaftliche Stellung zu sichern, und dies sollte damit geschehen, dass er den frechen jungen Etonschülern die nächste Nacht in seiner berühmten Rolle als ›Kühner Ruprecht oder der Graf ohne Kopf‹ erscheinen wollte. Seit mehr als siebzig Jahren war er nicht in dieser Rolle aufgetreten, seit er damals die hübsche Lady Barbara Modish so damit erschreckt hatte, dass sie plötzlich ihre Verlobung mit dem Großvater des jetzigen Lord Canterville auflöste und statt dessen mit dem schönen Jack Castletown nach Gretna Green floh, indem sie erklärte, um keinen Preis der Welt in eine Familie hineinheiraten zu wollen, die einem abscheulichen Gespenst erlaube, in der Dämmerung auf der Terrasse spazieren zu gehen. Der arme Jack wurde später vom Lord Canterville im Duell am Wandsworthgehölz erschossen, und Lady Barbara starb, noch ehe das Jahr vergangen war, in Tunbridge Wells an gebrochenem Herzen; so war also damals sein Erscheinen von größtem Erfolge gewesen. Aber es war mit dieser Rolle sehr viel Mühe verbunden, wenn ich so sagen darf in Hinsicht auf eines der größten Geheimnisse des Übernatürlichen, und er brauchte volle drei Stunden zu den Vorbereitungen. Endlich war alles fertig, und er war sehr zufrieden mit seinem Aussehen. Die großen ledernen Reitstiefel, die zum Kostüme gehörten, waren ihm zwar ein bisschen zu weit, und er konnte nur eine der beiden großen Pistolen finden; aber im ganzen genommen war er doch befriedigt von sich, und um ein Viertel nach ein Uhr glitt er aus der Wandtäfelung hervor und schlich den Korridor hinab. Als er das Zimmer der Zwillinge erreicht hatte, das, wie ich erwähnen muss, wegen seiner Vorhänge auch das blaue Schlafzimmer genannt wurde, fand er die Tür nur angelehnt. Da er nun einen effektvollen Eintritt wünschte, so stieß er sie weit auf – schwupp! da fiel ein schwerer Wasserkrug gerade auf ihn herunter und durchnässte ihn bis auf die Haut. Im gleichen Augenblick hörte er unterdrücktes Gelächter vom Bett her kommen. Der Schock, den sein Nervensystem erlitt, war so stark, dass er, so schnell er nur konnte, nach seinem Zimmer lief; den nächsten Tag lag er an einer heftigen Erkältung fest im Bett. Sein einziger Trost bei der Sache war, dass er seinen Kopf nicht bei sich gehabt hatte, denn wäre dies der Fall gewesen, so hätten die Folgen doch sehr ernste sein können. Jetzt gab er alle Hoffnung auf, diese ordinären Amerikaner überhaupt noch zu erschrecken, und begnügte sich in der Regel damit, in Pantoffeln über den Korridor zu schleichen, mit einem dicken rotwollenen Tuche um den Hals, aus Angst vor Zugluft, und einer kleinen Armbrust, im Fall ihn die Zwillinge angreifen sollten. Aber der Hauptschlag, der gegen ihn geführt wurde, geschah am 19. September. Er war in die große Eingangshalle hingegangen, da er sich dort noch am unbehelligten wusste, und unterhielt sich damit, spöttische Bemerkungen über die lebensgroßen Platinphotographieen des Gesandten und seiner Frau zu machen, welche jetzt an der Stelle der Canterville-Ahnenbilder hingen. Er war einfach, aber ordentlich gekleidet, und zwar in ein langes Laken, das da und dort bräunliche Flecken von Kirchhofserde aufwies, hatte seine untere Kinnlade mit einem Stück gelber Leinwand hochgebunden und trug eine kleine Laterne und den Spaten eines Totengräbers. Eigentlich war es das Kostüm von ›Jonas dem Grablosen oder der Leichenräuber von Chertsey Barn‹, eine seiner hervorragendsten Rollen, welche die Cantervilles allen Grund hatten zu kennen, weil durch sie der ewige Streit mit ihrem Nachbarn Lord Rufford verursacht worden war. Es ging so gegen ein Viertel auf drei Uhr morgens, und allem Anschein nach rührte sich nichts. Als er jedoch langsam nach der Bibliothek schlenderte, um doch mal wieder nach den etwaigen Spuren des Blutflecks zu sehen, da sprangen aus einer dunklen Ecke plötzlich zwei Gestalten hervor, welche ihre Arme wild emporwarfen und ihm »Buh!« in die Ohren brüllten. Von panischem Schrecken ergriffen, der unter solchen Umständen nur selbstverständlich erscheinen muss, raste er nach der Treppe, wo aber schon Washington mit der großen Gartenspritze auf ihn wartete; da er sich nun von seinen Feinden so umzingelt und fast zur Verzweiflung getrieben sah, verschwand er schleunigst in den großen eisernen Ofen, der zu seinem Glück nicht geheizt war, und musste nun auf einem höchst beschwerlichen Weg durch Ofenrohre und Kamine nach seinem Zimmer zurück, wo er völlig erschöpft, beschmutzt und verzweifelt ankam. Nach diesem Erlebnis wurde er nie mehr auf einer solchen nächtlichen Expedition betroffen. Die Zwillinge warteten bei den verschiedensten Gelegenheiten auf sein Erscheinen und streuten jede Nacht den Korridor ganz voll Nussschalen, zum großen Ärger ihrer Eltern und der Dienerschaft, aber es war alles vergebens. Augenscheinlich waren die Gefühle des armen Gespenstes derart verletzt, dass es sich nicht wieder zeigen wollte. In der Folge nahm dann Mr. Otis sein großes Werk über die Geschichte der demokratischen Partei wieder auf, das ihn schon seit Jahren beschäftigte; Mrs. Otis organisierte ein wunderbares Preiskuchenbacken, das die ganze Grafschaft aufregte; die Jungen gaben sich dem Vergnügen von Lacrosse, Euchre, Poker und andern amerikanischen Nationalspielen hin, und Virginia ritt auf ihrem hübschen Pony im Park spazieren, begleitet von dem jungen Herzog von Cheshire, der die letzten Wochen der großen Ferien auf Schloss Canterville verleben durfte. Man nahm allgemein an, dass der Geist das Schloss verlassen habe, ja Mr. Otis schrieb sogar einen Brief in diesem Sinn an Lord Canterville, der in Erwiderung desselben seine große Freude über diese Nachricht aussprach und sich der werten Frau Gemahlin auf das angelegentlichste empfehlen ließ. Die Familie Otis hatte sich aber getäuscht, denn der Geist war noch im Hause, und obgleich fast ein Schwerkranker, so war er doch keinesfalls entschlossen, die Sache ruhen zu lassen, besonders als er hörte, dass unter den Gästen auch der junge Herzog von Cheshire sich befinde, dessen Großonkel Lord Francis Stilton einst um tausend Guineen mit Oberst Carbury gewettet hatte, dass er mit dem Geist Würfel spielen wollte, und der am nächsten Morgen im Spielzimmer, auf dem Boden liegend, in einem Zustand hilfloser Lähmung gefunden wurde. Obgleich er noch ein hohes Alter erreichte, so war er niemals wieder imstande gewesen, etwas anderes als ›Zwei Atout‹ zu sagen. Die Geschichte war seinerzeit allgemein bekannt, obgleich natürlich aus Rücksicht auf die beiden vornehmen Familien die größten Anstrengungen gemacht wurden, sie zu vertuschen; aber der ausführliche Bericht mit allen näheren Umständen ist in dem dritten Band von Lord Tattles ›Erinnerungen an den Prinz-Regenten und seine Freunde‹ zu finden. Der Geist war natürlich sehr besorgt, zu zeigen, dass er seine Macht über die Stiltons noch nicht verloren hätte, mit denen er ja noch dazu entfernt verwandt war, da seine rechte Cousine in zweiter Ehe mit dem Sieur de Bulkeley vermählt war, von dem, wie allgemein bekannt, die Herzöge von Cheshire abstammen. Demgemäß traf er Vorkehrungen, Virginias kleinem Liebhaber in seiner berühmten Rolle als ›Vampirmönch oder der blutlose Benediktiner‹ zu erscheinen. Dies war eine so fürchterliche Pantomime, dass Lady Startup an jenem verhängnisvollen Neujahrsabend 1764 vor Schreck von einem Gehirnschlag getroffen wurde, an dem sie nach drei Tagen starb, nachdem sie noch schnell die Cantervilles, ihre nächsten Verwandten, enterbt und ihren ganzen Besitz ihrem Londoner Apotheker vermacht hatte. Im letzten Moment aber verhinderte den Geist die Angst vor den Zwillingen, sein Zimmer zu verlassen, und der kleine Herzog schlief friedlich in seinem hohen Himmelbett im königlichen Schlafzimmer und träumte von Virginia. |
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