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Der
Gaukler Vor langer langer Zeit zog einmal ein Seiltänzer durch die Stadt Aachen. Dieser eroberte sich die Herzen der Menschen durch seine Kunstfertigkeit und seinen Witz. Er trug weiß-rot gestreifte Beinkleider, eine schwarze Samtjacke und eine merkwürdige, kronenähnliche Haube aus abgeschlissenem Brokat, die am Rande mit kleinen blindgeworden Perlen besetzt war. Nun traf es sich, dass eine vornehme Frau ihn sah, die gerade in einer Kutsche vorbeifuhr. Ihr kleiner, blasser Sohn presste seine Stirn gegen das Fensterglas und lachte plötzlich laut auf. Die Frau winkte dem Kutscher, und die Pferde standen still. Sie ließ den Seiltänzer an den an den Wagen kommen und sagte: „Mein Junge hat über euch lachen müssen, ihr wisst nicht was das für mich bedeutet ich danke euch! Kommt mit mir, ich muss mit Euch reden!“ Der Fremde Mann nahm also sein Seil und stieg in
die Kutsche. „Ihr müsst eine Zeit lang bei uns wohnen“, fuhr die Frau
fort, „seht dies ist mein Sohn Lysander, er kann nicht lustig sein, und
ihr habt ihn zum Lachen gebracht.“ „Ich werde es mir überlegen,“ sprach
der Mann. „O, ich flehe Euch an, tut es“, rief die Frau, „ich bitte
euch darum!“ Da erschrak der Mann heftig, aber die alte Frau lachte und sagte: „Du traust mir das wohl nich zu? O, ich bin noch hurtig wie ein junges Mädchen in meinem Haushalt und versorge deinen Kleinen gut. Zudem bin ich nicht weit von dir entfernt, du kannst dein Kind jeden Tag sehen. Höre gut zu: Das Haus deiner Herrin steht in der
Franzstrasse, dahinter liegt ein kleiner Park mit einer Mauer darum. An
der rechten Seite der Mauer befindet sich ein Brunnen, und daneben
erblickst du hinter Efeu versteckt eine eiserne Tür. Hier ist der
Schlüssel dazu. Da der Mann keinen anderen Ausweg fand, brachte
er an einem Mittag seinen Sohn der alten Frau. 0 Die Alte verbot ihm,
nur ein Wort darüber zu sagen, und er versprach es ihr. Jeden Mittag,
wenn Lysander schlief, ging der Gaukler heimlich zu seinem Sohn. Dieser
wurde immer schöner und kräftiger. Seine Augen strahlten vor Freude, und
sein Haar schimmerte in der Sonne wie Gold. Auch Lysander wurde groß,
aber seine Traurigkeit wuchs gleichsam mit. Er konnte stundenlang unter
den Bäumen des Parks sitzen und den Vögeln nachschauen. Manchmal gelang
es dem Gaukler in fröhlich zu machen aber das war sehr selten. Einmal
nun wurde Lysander krank, und der Gaukler wachte Tag und Nacht bei ihm.
Es war ihm nicht mehr möglich seinen Sohn zu besuchen. Er hörte immer
nur seine Lieder hinter der Mauer. An einem Mittag öffnete sich
plötzlich die Tür, und ein Jüngling trat ein, in einem weißen seidenen
Gewand. „Ich will für dich wachen,“ sagte er, „geh schnell zu deinem
Kind, aber beeile dich!“ Der Gaukler fürchtete sich, doch seine
Sehnsucht war so stark, dass er auf den Vorschlag des Fremden einging. Nun begann eine schwere Zeit für den Gaukler. Lysander war voller böser Einfälle und nicht mehr wieder zu erkennen. Die Mutter aber hörte nur sein Lachen und überschüttete den Gaukler mit Gold und Edelstein. Dieser wusste in seiner Not keinen Rat und ging
an einem Abend heimlich zu der alten Frau. Die alte holte ein feuchtes Tuch und rieb jede Perle einzeln ab. Da nahm sie noch ein trockenes Tuch, und indem sie die erste Perle rieb, hörte man die Töne einer Geige. Bei der nächsten Perle hub eine Flöte an zu jubilieren, und bei der dritten Perle blies irgendjemand Trompete. So ging es fort, bis alle Instrumente beisammen waren. Nein, es war einfach nicht zu begreifen. Die Musik hing in der Luft, und das war ein Klingen und Pfeifen, wie man es selten zu hören bekommt. „So weit wären wir“, sagte die alte Frau, „und
nun wollen wir weitersehen.“ Perlen,
Perlen, rührt euch schnell, Da fiel die Mütze zu Boden, und aus jeder Perle
wurde ein Vogel. Das war wunderbar anzusehen, da gab es rote, gelbe,
grüne Federn, betupft, gestreift und in allen Arten. Die alte Frau und der Gaukler stiegen hinein, und nun erhoben die Vögel ihre Schwingen. Der Wagen flog mit ihnen in die Luft. Nun kam die Musik immer näher. Als sie den Turm des Marschiertores erreichten, ließen die Vögel sich nieder. Die alte Frau sprang in eine Dachluke hinein, und der Gaukler, der ja recht beweglich und behende war, machte das gleiche. Nun standen sie beide auf einem Speicher und sahen auf den verschiedenen Balken Zwerge mit Musikinstrumenten sitzen. Eine Stimme aber sang dazu: Suchet
nun in aller Ruhe Der Mann schaute nun in jeden Winkel, und da entdeckte er unter Erde und Steinen versteckt, die Truhe. Er öffnete sie. Da lag das Herz in weiße Seide eingehüllt, und die alte Frau stecke es in ihre Schürzentasche. Jetzt stellten die Zwerge ihre Instrumente zur
Seite und reichten dem Gaukler ein Seil. Er nahm es, warf es zur Luke
hinaus, aber es fiel nicht auf die Straße. Der Gaukler sprang auf das Seil und tanzte
leichtfüßig, bis er das Ende erreicht hatte. Die alte Frau war nicht
mehr zu sehen. „O, das kann ich wohl gut“, sagte der Mann und atmete tief auf, „ich will dir später alles erzählen. –„ So kam der Sohn des Gauklers in das Haus des reichen Knaben, und sie wurden wie Brüder gemeinsam erzogen. Der Zauber war von Lysanders Seele gewichen, und er lebte froh und unbekümmert auf In den Abendstunden aber war ihnen oft, als dränge jene sonderbare Musik durch den Garten, die der Gaukler gehört hatte. „Wir wollen die alte Frau noch einmal besuchen“, sagte er, und die Kinder holten den Schlüssel, um die eiserne Tür aufzuschließen. Aber der Schlüssel drehte sich nicht mehr im Schloss, und sie stiegen alle über Mauer. Das haus war nicht mehr zu sehen und der Garten verwildert. Ein fremdes Kind saß im Gras und pflückte Blumen. „Wo ist denn das Haus, was hier stand?“ fragte der Gaukler. „Hier hat kein Haus gestanden“, sagte das Kind, „niemals.“ |
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