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Von der Frau, die immer recht behalten wollte
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, und die Frau, die wollte immer das letzte Wort behalten, so dass ihr der arme Mann um des lieben Friedens willen stets recht geben musste. Als sie eines Tages zusammen vor dem Hause saßen, flog eine große Schar Raben vorüber; der Rabe aber, der an der Spitze des Zuges flog, hatte einen großen Vorsprung gewonnen. Als die Frau die Vögel sah, sagte sie zu ihrem Manne: "Schau, Mann, der eine ist allen anderen voraus, das ist so just der meinige." "Nein, Frau", sagte der Mann, "das ist der Vorderste, das Oberhaupt der Vögel. Ich bin auch dein Oberhaupt, und folglich gehört er mir." "Nicht dir, mir gehört er!" fiel ihm das Weib ins Wort. Und nun gab ein Wort das andere, sie stritten hin und her, sie wurden immer zorniger, und schließlich sagte die Frau zum Mann: "Mann, wenn der Vorderste nicht mir gehört, so sterbe ich." "Na, dann stirb meinetwegen", entgegnete der Mann. "Ein mal will ich auch das letzte Wort behalten." Und wirklich, das Weib legte sich nieder und tat, als sei es gestorben. So blieb es regungslos die ganze Nacht liegen. Als der Morgen anbrach, sagte der Mann zu ihr: "Steh jetzt auf, sonst geh' ich gleich die Leichenfrau rufen, damit sie dich aufbahrt." "Gehört der Vorderste mir?" fragte sie, und er antwortete: "Nein, nie und nimmermehr." "Gut, dann mögen sie nur kommen und mich aufbahren." Der Mann ging fort und bestellte die Leichenfrau. Sie kam und legte die Frau auf die Totenbahre; da aber beugte sich der Mann schnell über sein Weib und flüsterte ihr zu: "Steh rasch auf, sonst lass' ich dich ausläuten und bestell' den Pfarrer." "Gehört der Vorderste mir?" fragte sie. Und als er wiederum verneinte, sagte sie: "Dann geh und lass' mich ausläuten." Als nun der Augenblick da war, wo man sie zu Grabe tragen sollte, flüsterte ihr der Mann abermals zu: "Komm, steh jetzt auf, gleich kommen der Pfarrer und die Chorknaben." "Gehört aber der Vorderste mir?" fragte sie. Und da er es wiederum verneinte, sagte sie: "Gut, dann mögen sie mich nur hinaus auf den Gottesacker tragen." Inzwischen trafen der Pfarrer und die Chorknaben ein; es versammelten sich viele Leute. Man schaffte das Weib in den Hof. Und während der Priester das letzte Gebet hersagte, neigte sich, scheinbar weinend, der Mann über seine Frau und sagte: "Steh doch endlich auf, du Unglücksweib! Merkst du denn nicht, dass man dich zu Grabe trägt?" "Gehört der Vorderste mir?" fragte sie. Und da er wiederum verneinte, gab sie zur Antwort: "Gehört er nicht mir, so mögen sie mich zu Grabe tragen." Nun trug man sie richtig auf den Kirchhof, und nachdem man sie in das Grab hinabgelassen hatte, warf der Priester nach Recht und Sitte eine Scholle Erde auf den Sarg und entfernte sich. Der Mann aber sagte zu der Trauergemeinde: "Geht nun ruhig nach Hause, Leute, und wartet auf mich. Ich will sie allein mit Erde zudecken, so habe ich es ihr gelobt." Die meisten gingen fort, einige blieben in der Nähe. Der Mann aber ließ sich in die Gruft hinab und rief der Frau durch den Sargdeckel zu: "Steh auf, du dummes Weib! Jetzt wird man dich mit Erde zudecken!" "Gehört aber der Vorderste mir?" fragte sie. Und weil er es verneinte, gab sie ihm zur Antwort: "Dann magst du mich immerhin begraben lassen. Geh nur heim und lebe in Frieden, ich kann doch nicht länger leben, wenn ich nicht recht behalte." Als der Mann sah, dass sie noch nicht nachgab, hob er den Deckel vom Sarg auf und sagte:" So steh schon auf, der Vorderste ist dein; aber dass dich der Teufel hole!" Da sprang das Weib, ins Leichentuch gehüllt, auf und fing an, den Leuten nachzurennen und zu schreien: "Bleibt stehen, Leute, bleibt stehen! Mein ist der Vorderste, mein ist der Vorderste!" Die Leute liefen bei ihrem Anblick vor Schrecken davon, denn sie glaubten, sie sei ein Gespenst geworden. Der Pfarrer aber, der zuvorderst ging und sie so schreien hörte, lief aus Leibeskräften, denn er meinte, er sei gemeint, und sank vor Entsetzen zusammen. Sie aber lief an ihm vorbei nach Hause und war guter Dinge, weil sie recht behalten hatte. Glaubt's oder glaubt's nicht; es bleibt aber so, wie es ist. |
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